Chorempore

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Renaissanceempore in einer gotischen Kathedrale (St. Johannis (Lüneburg))

Als Chorempore, Musikempore, auch Orgelempore, Orgelchor, Orgelfuß; Chortribüne, Orgelbühne oder Organistrum (kurz Chor oder Empore) bezeichnet man in der Architektur die über dem Kirchenraum erhöht angebrachten Emporen zum Musizieren.

Der Name Chor stammt sowohl vom Gesangschor als auch dem Namen Chor für das Presbyterium, den Altarraum der Kirche. Letzterer war, solange es die Chorschranke gab (und in orthodoxen Riten noch gibt), dem Klerus vorbehalten. Bis in die frühe Neuzeit wurde auch der Kirchenchor aus dessen Reihen gestellt, es wurde also im Chor (= im Presbyterium) gesungen und musiziert. Mit dem Aufkommen der Laienchöre ab der Renaissance musste aber ein neuer Platz gefunden werden.[1] Der Chor ,wanderte‘ vom Presbyterium auf die oft als Volksempore genutzte (hintere) Empore, was in der Architektur zu einer begrifflich disparaten Situation führte: Chor = Presbyterium, und: Chor = Musikempore.

Seit der Entwicklung der Emporenbasilika, die über den Seitenschiffen am Obergaden einen zweiten Stock erlaubt (Hochschiff), und gotischen Triforiums wurde hier Räumlichkeiten, die Emporen, geschaffen, der ebenfalls von dem für die Laiengemeinde vorgesehenen Kirchenraum, dem Schiff, separiert war. Diese dienten – wie die Balkone und Logen im modernen Theater – in Kloster- und Schlosskirchen mit gewissem öffentlichen Zutritt den Ordensleuten, als Bischofsgang in den Kathedralen (Bischofskirchen) dem hohen Klerus oder den Adeligen vorbehalten waren, oft auch mit völlig getrennten Kircheneingang aus Nebengebäuden (etwa als Teil der Klausur, der Bischofsresidenz, dem Wohntrakt des Fürsten). Diese befanden sich auch im oberen Teil des Presbyterium selbst. Parallel hielt die Orgel als Hauptliturgieintrument Einzug, und entwickelte einen attraktiven Pfeifensatz, den Orgelprospekt, anfangs gerne etwa als Schwalbennest sichtig angebracht. Daher übersiedelten Chor und Orgel dann in die Emporen auf einen extra dafür geschaffenen Balkon, indem man meist die beiden Seitenemporen an der West-(Eingangs-)Seite der Kirche verband.

Auch nach Abkommen der gotischen Großkirchen behielt man diesen Orgelchor bei, der Aufgang verlagert sich dann endgültig meist auf Treppen an den hinteren Wänden, in den Westturm, oder die Vorkirche, ab dann spricht man auch explizit von Westempore. Dabei passt sich diese zunehmend den Ansprüchen der Orgelbaukunde an, da diese Instrumente zahlreiche spezielle Anforderungen haben, so das zunehmende Gewicht, die Zugänglichkeit des Innenraums, Balgkammer, Licht für den Organisten und raumklimatische Verhältnisse, der nötige Freiraum zur Decke für die Ausbildung und Sichtbarkeit des Prospekts und insbesondere die Akustik.[2] Daher spricht man auch allgemein von Orgelempore für dieses Bauelement. In der Dorfkirche oft nur ein zweckdienliches hölzernes Gestühl, wird die Orgelempore in den Prachtkirchen zu einem wichtigen architektonischen Element der Gesamtkonzeption. Für kleinere Zweitorgeln, wie auch dem Aufkommen der Mehrchörigkeit in der Kirchenmusik (für Gesangstimmen ebenso wie etwa als Bläserchor) entwickeln sich parallel weitere Balkone, an akustisch geeigneten Stellen. Im Besonderen das zunehmende Gewicht der Orgeln stellt die Kirchenbaumeister vor neue Probleme, die Basis der Seitenwände des Westbereichs, die die Decke stützen muss, eignet sich nicht dafür, ein zusätzliches Gewölbe einzuziehen – soferne dort nicht schon der massive Unterbau des Westturmes selbst ist. Dem kommt ab dem Barock der Trend zur Rotunde als Kirchengrundriß entgegen, ab dem Klassizismus der Trend zur Säule, womit der Orgelchor zunehmend zur Tribüne im eigentlichen Sinne wird. Erst die Betonbauweise des 20. Jahrhunderts erlaubt dann wieder freitragende Orgelchöre.

Der orthodoxe Kirchenbau kennt den Orgelchor nicht, da in den griechisch-byzantinischen Riten der mehrstimmige Gesang das tragende musikalische Element geblieben ist.[3]

Nachweise

  1. Orgelchor: Der „für die Vocal- und Instrumentalmusik bestimmte Chor.“ Orgel. In: C.-F. von Ehrenberg, Eduard Knoblauch, Ludwig Hoffmann: Baulexikon. Erklärung der im gesammten Bauwesen am häufigsten vorkommenden technischen-und Kunstausdrücke. 2. Aufl. fortges. von Ed. Knoblauch und L. Hoffmann. J. D. Sauerländer, 1843, S. 491 (Google eBook, vollständige Ansicht)
  2. vergl. etwa Johann Julius Seidel: Die Orgel und ihr Bau. Band 2 von Bibliotheca organologica, Ausgabe 2, F. A. Knuf, 1843, Sechster Abschnitt, Erstes Capitel. Was hat man bei dem Bau einer Orgel zu berücksichtigen? 2) Der Raum, wo die Orgel aufgestellt werden soll. S. 150 ff (Google eBook, vollständige Ansicht)
  3. so in Heinrich Alt: Der christliche Cultus nach seinen verschiedenen Entwickelungsformen und seinen einzelnen Theilen historisch dargestellt. Verlag Müller, 1843, VII. Das Gotteshaus und seine innere Einrichtung., S. 73 f (Google eBook, vollständige Ansicht)