Eingriff (Grundrechte)

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Begründung: Begründung: Belege fehlen teilweise, zB. bei Frage, was "klassischer" Eingriff ist; unrichtig, jedenfalls diskussionswürdig, dass jede Beeinträchtigung des Schutzbereichs Eingriff sei, siehe etwa im Bereich staatlichen Informationshandelns, zB. Entscheidungen Osho, Glycol, BZpolBildg, E-Zigarettenwarnung, Lost Art; Rechtfertigung des Eingriffs könnte noch illustriert werden; vielleicht Schemata?--Henning1973 (Diskussion) 23:46, 13. Nov. 2015 (CET)

Ein Eingriff ist eine rechtfertigungsbedürftige Auswirkung einer staatlichen Maßnahme auf das Schutzgut eines Grundrechts und ist damit die zweite Stufe einer Grundrechtsprüfung. Das Bundesverfassungsgericht spricht innerhalb der deutschen Grundrechtsdogmatik insoweit von einem Eingriff in den eröffneten Schutzbereich eines Grundrechts.

Terminologie und Kritik

Gegen den Ausdruck „Eingriff“ wird mitunter eingewandt, er impliziere einen räumlichen Schutzbereich, in den „hineingegriffen“ werde. Der Qualität der Grundrechte als subjektive Rechte werde das nicht gerecht. Stattdessen wird der Überbegriff „Einwendungen“ vorgeschlagen, der sich in „Eingriff“, soweit als unverletzlich gewährleistete Schutzgüter (Leben, Wohnung) vorliegen, und „Einschränkung“, soweit es sich um bestimmte Handlungsmöglichkeiten („Freiheiten“) handelt, aufgliedere.

„Klassischer“ Eingriffsbegriff

Dem klassischen Eingriffsbegriff genügten nur solche staatlichen Maßnahmen, die von Finalität, Unmittelbarkeit, Rechtsförmigkeit, Zwang gekennzeichnet sind.[1] Bloß mittelbar-faktische Einwirkungen wären demnach nicht erfasst: Ihnen könnte, obwohl ein Grundrecht einschlägig – der Schutzbereich also eröffnet – ist, das Grundrecht nicht entgegengehalten werden, der Bürger wäre, ohne dass es einer Rechtfertigung bedürfte, nicht in seinem Grundrecht verletzt. Man spricht insoweit auch von einem engen Eingriffsverständnis.

Moderner (erweiterter) Eingriffsbegriff

Unter dem Grundgesetz wird der klassische Eingriffsbegriff heute allgemein als zu eng empfunden. Deshalb ist das Bundesverfassungsgericht dazu übergegangen, für einen Eingriff jedes staatliche Handeln genügen zu lassen, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, erheblich erschwert oder unmöglich macht.[2] Demnach sind grundsätzlich auch eingriffsgleiche Einwirkungen von entsprechendem Gewicht ausreichend. Finden mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen gezielt statt, soll es nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht einmal mehr auf das Gewicht der Beeinträchtigung ankommen.

Als Beispiel für mittelbar-faktische Einwirkungen lässt sich die staatliche Warnung vor Produkten eines Herstellers anführen. Solche hoheitliche Warnungen richten sich (gezielt) an potentielle Käufer, führen im Ergebnis zu geringeren Verkäufen und beeinträchtigen damit mittelbar den Hersteller.

Sonderfragen zu einzelnen Grundrechten

Im Hinblick auf einzelne Grundrechte werden mitunter dennoch besondere Anforderungen an die Qualität des Eingriffs gestellt.

Insbesondere fordert das Bundesverfassungsgericht in Hinblick auf Art. 12 GG eine „objektiv berufsregelnde Tendenz“. Nur vereinzelte Stimmen fordern dagegen für die Allgemeine Handlungsfreiheit als Ausgleich zum weiten Schutzbereich eine Beschränkung auf den „klassischen“ Eingriffsbegriff. Nach verbreiteter Ansicht, die das Bundesverfassungsgericht freilich nicht teilt,[3] soll dies auch für die Freizügigkeit gelten.

Besondere Relevanz hat der Streit um die erforderliche Eingriffsqualität im Hinblick auf die negative Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erhalten. Das Bundesverfassungsgericht bejaht im Hinblick auf die Schulpflicht einen Eingriff in die negative Religionsfreiheit der Schüler durch eine kopftuchtragende Lehrerin[4] oder ein an der Wand befestigtes Kreuz.[5] Andere sehen hier die Eingriffsqualität nicht erreicht, ebenso wenig, wie in die Religionsfreiheit des einzelnen etwa durch ein am Feld aufgestelltes Wegkreuz oder ein Gipfelkreuz eingegriffen werde. Nach dieser Ansicht liegt zwar möglicherweise ein Verstoß gegen die weltanschauliche Neutralität des Staates vor, nicht aber ein Eingriff in die negative Religionsfreiheit – das Bundesverfassungsgericht versubjektiviere die Pflicht zur weltanschaulichen Neutralität zu einem darauf gerichteten Recht.

Rechtfertigung des Eingriffs

Ist festgestellt, dass ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts vorliegt, so ist damit das entsprechende Grundrecht noch nicht automatisch verletzt, der Eingriff nicht verfassungswidrig. Vielmehr können Grundrechtseinschränkungen (Freiheitsstrafen, Verkehrsregeln und andere Einschränkungen) durchaus rechtmäßig sein, sofern sie verfassungsmäßig gerechtfertigt sind.

Die Verfassung setzt aber diesen Einschränkungen selbst Schranken (siehe auch Schranken-Schranken) wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip, den Gesetzesvorbehalt, das Übermaßverbot, die Wesensgehaltsgarantie, das Zitiergebot und das Verbot des Einzelfallgesetzes.

Ausnahme ist die Menschenwürdegarantie (Art. 1 GG): Sie ist als „unantastbar“ geschützt, woraus in Verbindung mit Systematik und Geschichte die ganz herrschende Meinung folgert, dass ein Eingriff in die Menschenwürde nicht gerechtfertigt sein kann, also zwangsläufig Verletzung des Grundrechts ist. Die Menschenwürde ist daher abwägungsresistent und uneinschränkbar, selbst im Hinblick auf die Menschenwürde anderer. Dies spielt insbesondere eine Rolle im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Folter etwa zum Schutz von Entführungsopfern (sogenannte Rettungsfolter): Die Menschenwürde des Entführers darf nicht zugunsten des Entführten eingeschränkt werden – selbst in dieser Situation ist Folter verfassungswidrig.[6][Anm. 1] Die Garantie der Menschwürde unterliegt zudem der in Art. 79 Abs. 3 GG geregelten Ewigkeitsklausel.

Einzelnachweise

  1. vgl. Bodo Pieroth, Bernhard Schlink, Thorsten Kingreen & Ralf Poscher: Grundrechte - Staatsrecht II. 31. Auflage. C.F. Müller, Heidelberg 2015, ISBN 978-3-8114-4024-1, Rn. 238.
  2. BVerfG, Entscheidung vom 26. Juni 2002, Az. 1 BvR 670/91, Rn. 77 ff.
  3. BVerfG, Entscheidung vom 17. März 2004, Az. 1 BvR 1266/00, Rn. 34.
  4. BVerfGE 108, 282, 302 – Kopftuch.
  5. BVerfGE 93, 1, 18 – Kruzifix.
  6. LG Frankfurt, Urteil vom 20. Dezember 2004 (Az. 5/27 KLs 7570 Js 203814/03 (4/04)); OLG Frankfurt, Urteil vom 10. Oktober 2012 (Az. 1 U 201/11) – Pressemitteilung.

Anmerkungen

  1. Während der polizeilichen Ermittlungen bezüglich der Entführung von Jakob von Metzler drohte der ehemalige stellvertretende Frankfurter Polizeipräsident Wolfgang Daschner dem Entführer Magnus Gäfgen die Zufügung „erheblicher Schmerzen“ an, wenn dieser keine wahren Angaben über den Aufenthaltsort des Opfers machen würde. Im Zuge des Daschner-Prozesses stellten das Landgericht Frankfurt am Main und Oberlandesgericht Frankfurt am Main fest, dass es sich bei dem Verhalten des Polizeipräsidenten um eine Nötigungshandlung im Sinne des 240 Abs. 4 S. 2 Nr. 3 StGB handle, die „unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt“ zu rechtfertigen oder entschuldigen sei. Dabei wurde die Bindungswirkung innerstaatlicher Gerichte zum Art. 3 EMRK ausgeführt, wonach „niemand […] der Folter […] unterworfen werden“ darf; die Menschenrechtskonvention ist gemäß Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG zu berücksichtigen.