Friedrich Heitmüller

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Friedrich Heitmüller (* 9. November 1888 in Völksen; † 1. April 1965) war ein deutscher Pastor im Bund Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland und Direktor des Krankenhauses ELIM in Hamburg.

Leben

Heitmüller absolvierte ab 1906 eine Ausbildung zum Postbeamten in Hamburg. 1908 hatte er während einer Glaubenskonferenz der „Christlichen Gemeinschaft Philadelphia“ in Hamburg-Holstenwall ein Bekehrungserlebnis.[1] Daraufhin besuchte er ab 1910 das Predigerseminar St. Chrischona und wurde Anfang 1912 zum zweiten Prediger der „Christlichen Gemeinschaft Philadelphia“ berufen, denn der dortige Hauptpastor und Leiter Johannes Rubanowitsch (1866–1941) schätzte ihn. Allerdings hatte Heitmüller Bedenken in Bezug auf Rubanowitschs Verständnis von Leitung, Lehre und Seelsorge. Für seine Bedenken fand Heitmüller jedoch zu wenig Unterstützung bei den anderen Mitarbeitern, weshalb er bereits im August 1912 austrat.[2] In den folgenden Jahren entwickelte sich die Gemeinschaft unter der Leitung von Rubanowitsch krisenhaft,[3] so dass dieser 1918 zurücktrat und wegging. Heitmüller hatte inzwischen eine eigene Gemeinde gegründet, genannt „Friedensgemeinde“, mit anfangs etwa 70 Gottesdienstbesuchern; bis 1918 waren es 300 geworden.[4] Nach dem Weggang von Rubanowitsch wurde Heitmüller zurückgeholt, und die beiden Gemeinden vereinigten sich 1918, mit Heitmüller als Leiter, auch für das angeschlossene Diakonissenhaus „Elim“. 1927 wurde unter seiner Leitung das Diakonissenhaus um ein Krankenhaus erweitert.[5] In den frühen 1930er Jahren gehörten mehr als 3000 Menschen zur Gemeinschaft.[6]

Heitmüller war von 1929 bis 1932 stellvertretender Vorsitzender des Gnadauer Verbandes.[7] Zum Rücktritt Heitmüllers 1932 kam es wegen unterschiedlicher Auffassungen mit Walter Michaelis bezüglich der Stellung des Gnadauer Verbandes innerhalb der Kirche.[7] Heitmüllers Bestrebung war die „innere Lösung“ von der Kirche, Michaelis sah den Verband weiterhin vollumfänglich in der Landeskirche verortet. Eine Trennung von der Kirche und die Bildung einer Freikirche lehnte Heitmüller zunächst ab.[8] Auf sein Bestreben hin verließ jedoch schließlich die „Gemeinde am Holstenwall“ im Jahr 1934 den Gnadauer Verband.[7] Die Gemeinde wurde 1937 als Stiftung Freie evangelische Gemeinde in Norddeutschland in den Bund Freier evangelischer Gemeinden aufgenommen.[5] Nach ihm wurde Fritz Laubach ab 1966 Leiter der „Freien evangelischen Gemeinde in Norddeutschland“ und der „Gemeinde am Holstenwall“.[9]

Heitmüller war Mitglied des „Blankenburger Komitees der Evangelischen Allianz“.[10] Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gehörte Heitmüller dem Vorstand der Deutschen Evangelischen Allianz an.[11] 1954 wurde er Präsident des Internationalen Bundes Freier evangelischer Gemeinden. [12] In der Auseinandersetzung um die Bibelkritik bekannte sich Heitmüller wiederholt zur Verbalinspiration und zur Irrtumslosigkeit der Bibel.[13][14]

Endzeiterwartung 1930

Heitmüllers Buch Die kommenden Dinge (1930) lässt die Spannung in jener dramatischen Zeit spüren:

„Wir können nur sagen, daß heute sowohl auf politischem als auch auf wirtschaftlichem und religiösem Gebiete geradezu fieberhaft gearbeitet wird, um das Erscheinen des Antichristen vorzubereiten.“

Er wird noch konkreter:

„Wenn ich recht sehe, wird sich aus dem jetzigen Völkerbund der zukünftige Zehnstaaten-Bund entwickeln, an dessen Spitze der Antichrist stehen wird.“[15]

Heitmüllers Verbindung biblischer Endzeitprophetie mit der aktuellen politischen Entwicklung erwies sich als falsch.

Haltung im Nationalsozialismus

Friedrich Heitmüller: Sieben Reden eines Christen und Nationalsozialisten. Selbstverlag, Hamburg 1934

Heitmüllers Haltung im Dritten Reich ist umstritten. Nach eigener Aussage erklärte er sich im Jahr 1933 schriftlich zum Eintritt in die NSDAP bereit, um an der Überwindung der antichristlichen Strömungen in der Partei mitzuhelfen, er wurde aber zum Staatsfeind erklärt kurz nachdem Alfred Rosenberg zum Reichsschulungsleiter ernannt worden war.[16] Er erhielt mehrmals Predigt- und Schreibverbot und wurde mit der Einweisung ins KZ bedroht.[17] Andere Quellen gehen davon aus, dass Heitmüller zunächst dem Nationalsozialismus gegenüber kritisch eingestellt war und sich dann später der NS-Ideologie angenähert hat, schließlich zeitweise sogar Teil der Bewegung wurde. So erklärte er öffentlich, dass in seinem Krankenhaus seit 1927 kein jüdischer Arzt arbeiten dürfe.[18] In seiner Schrift Sieben Reden eines Christen und Nationalsozialisten (1934) erläuterte er seine Sicht, wonach das Judentum in die „Fremdlingsschaft unter den Völkern“ zurückgedrängt werden sollte, worunter er verstand, dass Juden in Deutschland entsprechend ihrer „Gastrolle“ auf Staatsbürgerschaft, öffentliche Ämter und kulturellen Einfluss verzichten sollten.[19] Selbst dieses Buch wurde aber laut Heitmüller verboten.[20]

Heitmüllers anfänglicher Versuch zwischen politischen und ideologischen Wesensmerkmalen des Nationalsozialismus zu unterscheiden, erwies sich nicht als tragfähig. Als er im Jahr 1934 samt vielen Anhängern aus der Landeskirche austrat und die Freie evangelische Gemeinde Hamburg gründete, wurde er vom hamburgischen Landesbischof Tügel denunziert.[21] Nach der Veröffentlichung einiger seiner Schriften unter dem Titel "Religiöse Irrtümer der Gegenwart" im Jahr 1935 wurde er im November desselben Jahres mit Rede- und Schreibverbot belegt. Überwachungen und Verhöre der Gestapo folgten.[22] Nach dem Krieg befürwortete Heitmüller ausdrücklich das Stuttgarter Schuldbekenntnis der EKD vom Oktober 1945 und äußerte sich 1946 in seiner Schrift „Vergib uns unsere Schuld“ ausgesprochen selbstkritisch.[23] Sein persönliches Eingeständnis fand auch auf internationaler Ebene Anerkennung, so dass er von 1954 bis 1965 als Präsident des Internationalen Bundes Freier evangelischer Gemeinden amtierte.[24]

Werke

  • Die kommenden Dinge. Hamburg 1930.
  • Die Krisis der Gemeinschaftsbewegung: Ein Beitrag zu ihrer Überwindung. Christliche Gemeinschaftsbuchhandlung, Hamburg 1931.
  • Sieben Reden eines Christen und Nationalsozialisten. Selbstverlag, Hamburg 1934.
  • Vergib uns unsere Schuld! Evangelische Zeitstimmen 6. Hamburg 1946.
  • Aus 40 Jahren Dienst am Evangelium. Bundes-Verlag, Witten 1950.
  • Das Geheimnis des christlichen Glaubens. Bundes-Verlag, Witten 1950.

Literatur

  • Friedrich Wilhelm Bautz: Heitmüller, Friedrich. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 2, Bautz, Hamm 1990, ISBN 3-88309-032-8, Sp. 692–694.
  • Ulrich Betz: Leuchtfeuer und Oase. Aus 100 Jahren Geschichte der Freien evangelischen Gemeinde Hamburg und des Diakonissenmutterhauses „Elim“. Witten 1993.
  • Ulrike Heitmüller: Mein Großvater, der Antisemit: Prediger Friedrich Heitmüller. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung. 19, 2010, S. 178–196.
  • Ulrike Heitmüller: Friedrich Heitmüller und seine Auseinandersetzung mit Kirche und Staat in der Weimarer Republik. In: Freikirchenforschung. 21, 2012, S. 114–130.
  • Walter Persson: In Einheit und Freiheit. Die Geschichte des Internationalen Bundes Freier evangelischer Gemeinden. Witten 1999.
  • Einar Rimmerfors: Von der Post zur Kanzel. Leben und Werk Friedrich Heitmüllers. Witten 1984 (schwedisches Original: Stockholm 1965).
  • Michael Schröder: Friedrich Heitmüller und der Weg der Christlichen Gemeinschaft Hamburg am Holstenwall. In: Freikirchenforschung. 12, 2002, S. 71–89.
  • Hartmut Weyel: Zwischen antisemitischen Verwerfungen und heilsgeschichtlichen Perspektiven. Die Freien evangelischen Gemeinden und die „Judenfrage“ im Nationalsozialismus. In: Daniel Heinz (Hrsg.): Freikirchen und Juden im „Dritten Reich“. Instrumentalisierte Heilsgeschichte, antisemitische Vorurteile und verdrängte Schuld. V&R unipress, Göttingen 2011, S. 183–214.
  • Hartmut Weyel: Friedrich Heitmüller (1888–1965). In: Hartmut Weyel: Zukunft braucht Herkunft. Lebendige Porträts aus der Geschichte und Vorgeschichte der Freien evangelischen Gemeinden (GuTh 5.5/3)., Witten 2011, S. 269–330.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Diese Gemeinschaft hatte bis etwa 1906 ein erstaunliches Wachstum auf ca. 1000 Mitglieder, danach stagnierte der Mitgliederstand auf diesem hohen Niveau.
  2. Dieser Konflikt wird dargestellt von August Jung: Israel Johannes Rubanowitsch. Judenchrist - Evangelist - KZ-Opfer (= Geschichte und Theologie der Freien evangelischen Gemeinden. 5.2), Witten: Bundes-Verlag 2005.
  3. Das bestreitet Jung: Rubanowitsch, jedoch. Überhaupt meint er, dass die von Heitmüller angegebenen Bedenken nur vorgeschoben waren. Allerdings liefert Jung in seinem Buch viele Hinweise auf Bedenkliches bei Rubanowitsch, so dass die Begründung von Heitmüller glaubwürdig klingt. Siehe die umfangreiche Rezension von Jungs Buch durch Franz Graf-Stuhlhofer in: Theologisches Gespräch. 32, 2008, S. 149–153. Auch zu finden in: ThGespräch 2008 Rezension (PDF; 87 kB)
  4. Jung: Rubanowitsch. S. 65 und 79.
  5. a b Ulrich Betz: Heitmüller, Friedrich (1888–1965). In: Helmut Burkhardt, Uwe Swarat (Hrsg.): Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde. Band 2. R. Brockhaus Verlag, Wuppertal 1993, ISBN 3-417-24642-3, S. 891.
  6. Schröder: Heitmüller. S. 75.
  7. a b c Michael Diener: Kurshalten in stürmischer Zeit. Walter Michaelis (1866–1953), Ein Leben für Kirche und Gemeinschaftsbewegung (= TVG Kirchengeschichtliche Monographien). Brunnen Verlag, Gießen 1998, ISBN 3-7655-9422-9, S. 401 ff.
  8. Dieter Lange: Eine Bewegung bricht sich Bahn. Die deutschen Gemeinschaften im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert und ihre Stellung zu Kirche, Theologie und Pfingstbewegung (= TVG Kirchengeschichtliche Monographien). Brunnen Verlag, Gießen 1990, ISBN 3-7655-9359-1, S. 262.
  9. Erhard Baum: Wir verdanken ihm viel. Zum 85. Geburtstag von Dr. Fritz Laubach. In: SCM Bundes-Verlag (Hrsg.): Christsein heute. Nr. 1/2011. Witten 2011.
  10. Hartmut Weyel: Zukunft braucht Herkunft. Biografische Porträts aus der Geschichte und Vorgeschichte Freier evangelischer Gemeinden. Hrsg.: Wolfgang Heinrichs, Michael Schröder, Hartmut Weyel. Band 2, Nr. 2. Bundes Verlag, Witten 2010, ISBN 978-3-933660-03-9, S. 213.
  11. Friedrich Wilhelm Bautz: HEITMÜLLER, Friedrich. In: Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon. Archiviert vom Original am 29. Juni 2007; abgerufen am 2. März 2011: „Als nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges der deutsche Gesamtvorstand der Allianz sich neu bildete, gehörte natürlich auch H. dazu.“
  12. Ulrike Heitmüller: Mein Großvater. S. 178.
  13. Stephan Holthaus: Fundamentalismus in Deutschland. Der Kampf um die Bibel im Protestantismus des 19. und 20.Jahrhunderts. VKW, Bonn 1993, S. 287–293.
  14. Friedrich Heitmüller: Aus 40 Jahren Dienst am Evangelium. Bundes-Verlag, Witten 1950, S. 187–188.
  15. Heitmüller: Die kommenden Dinge. S. 32. Siehe auch Franz Graf-Stuhlhofer: „Das Ende naht!“ Die Irrtümer der Endzeit-Spezialisten. 3.Auflage. VKW, Bonn 2007, S. 32−34, 49, 86, 113 f.
  16. Friedrich Heitmüller: Aus 40 Jahren Dienst am Evangelium. Bundes-Verlag, Witten 1950, S. 138.
  17. Friedrich Heitmüller: Aus 40 Jahren Dienst am Evangelium. Bundes-Verlag, Witten 1950, S. 142–143.
  18. Ulrike Heitmüller: Mein Großvater. S. 183. Weyel: Judenfrage. S. 187.
  19. Weyel: Judenfrage. S. 200–202.
  20. Friedrich Heitmüller: Aus 40 Jahren Dienst am Evangelium. Bundes-Verlag, Witten 1950, S. 142.
  21. Ulrike Heitmüller: Wie stehen Freikirchen zu ihrem Verhalten in der NS-Zeit? 6. November 2010, archiviert vom Original am 10. Februar 2011; abgerufen am 10. Februar 2011.
  22. Hartmut Weyel: Friedrich Heitmüller (1888–1965). In: Hartmut Weyel: Zukunft braucht Herkunft. Lebendige Porträts aus der Geschichte und Vorgeschichte der Freien evangelischen Gemeinden (GuTh 5.5/3). Witten 2011, S. 295–297.
  23. Hartmut Weyel: Friedrich Heitmüller (1888–1965). In: Hartmut Weyel: Zukunft braucht Herkunft. Lebendige Porträts aus der Geschichte und Vorgeschichte der Freien evangelischen Gemeinden (GuTh 5.5/3). Witten 2011, S. 304–305.
  24. Walter Persson: In Einheit und Freiheit. Die Geschichte des Internationalen Bundes Freier evangelischer Gemeinden. Witten 1999, 154.