Herdenverhalten
Als Herdenverhalten bezeichnet man ein Finanzmarkt-Phänomen. Es bezeichnet die Beobachtung, dass Anleger sich in ihren Entscheidungen gleich einer Herde verhalten und mehrheitlich in ein Anlageobjekt investieren bzw. desinvestieren. Die Folge von Herdenverhalten sind starke Preisschwankungen des jeweiligen Anlageobjekts. Herdenverhalten ist eine Ausprägung der so genannten Ansteckungseffekte und somit eine Ursache für Finanzmarktkrisen.
Erklärung des Herdenverhaltens
Herdenverhalten wird zumeist mit der Existenz asymmetrischer Informationen erklärt; hegen Anleger die Meinung, dass andere Anleger über bessere Informationen als sie selbst verfügen, so werden sie deren Marktverhalten (Kauf/Verkauf) als Folge dieser besseren Informationen deuten und sich dem Entschluss der anscheinend besser informierten Marktakteure anschließen. Herdenverhalten ist somit ein Zeichen für fehlende Effizienz von Märkten.
Messung
Es ist schwierig, Herdenverhalten explizit nachzuweisen; ein gemeinsamer Kauf/Verkauf eines bestimmten Wertpapiers durch viele Wirtschaftssubjekte muss nicht notwendigerweise auf Herdenverhalten (und somit auf Informationsasymmetrien) zurückzuführen sein. Wenn neue Informationen den aktuellen Preis des Papiers falsch erscheinen lassen und wenn diese Informationen zum gleichen Zeitpunkt vielen Wirtschaftssubjekten bekannt werden (vollkommene Information), können daraus viele gleichzeitige, unbeeinflusst vom Verhalten anderer Anleger getroffene Verkaufsentscheidungen / Verkäufe resultieren.
Eine experimentelle Studie stützt die These, dass die Häufigkeit von Herdenverhalten überschätzt wird.[1]
Bedeutung
Herdenverhalten kann eine Reihe von Folgen haben, die allesamt zu starken Preisausschlägen und in der Folge sogar zu Finanz- und Währungskrisen führen können.
Liegt Herdenverhalten vor, so besteht der einzige Grund für den Kauf (Verkauf) einer Anlage im Steigen (Sinken) ihres Preises. Folglich kommt es durch das Herdenverhalten zu ständigen Über- und Unterbewertungen der Anlagepreise. Somit hat Herdenverhalten ähnliche Auswirkungen wie spekulatives Verhalten. Jedoch kommt es bei Herdenverhalten nicht zwingend zu einer Spekulationsblase.
Herdenverhalten kann zu selbsterfüllenden Prophezeiungen führen: Verhält sich eine Herde in einer bestimmten Weise, so kann dies dazu führen, dass sich die einer Anlage zugrundeliegenden Fundamentaldaten durch das Herdenverhalten selbst ändern: Sie entwickeln sich in die Richtung, die die Herde einschlägt - folglich ist es rational, nicht aus der Herde auszuscheren, wodurch sich letzten Endes das erwartete Ergebnis einstellt.
Mit dem Konzept des Herdenverhaltens eng verwandt ist der Bank Run: Ein Bank Run zeichnet sich dadurch aus, dass viele Einleger gleichzeitig ihre Einlage abziehen, da sie Angst haben, diese Einlage infolge des sequentiellen Auszahlungsprinzips ("wer zuerst kommt, mahlt zuerst") andernfalls nicht mehr abziehen zu können, da die Bargeldbestände aufgebraucht sind. Folglich ist es für jeden Einleger rational, der Herde zu folgen.
Quellen
- ↑ Mathias Drehmann, Jörg Oechssler, Andreas Roider (Februar 2003): Herding and Contrarian Behavior in Financial Markets: An Internet Experiment (pdf). 2005 veröffentlicht in The American Economic Review: 95, S. 1403–1426.
Literatur
- Eva Ackstaller: Rationales Herdenverhalten im Licht der Marktversagenstheorie. Europäischer Verlag der Wissenschaften, Peter Lang GmbH, Frankfurt am Main 2005, ISSN 0531-7339, ISBN 3-631-53980-0.
- Thomas Brudermann: Massenpsychologie. Psychologische Ansteckung, Kollektive Dynamiken, Simulationsmodelle. Springer Verlag, Wien/New York 2010, ISBN 978-3-211-99760-4.
- Christian Hott: Finanzkrisen: Eine portfoliotheoretische Betrachtung von Herdenverhalten und Ansteckungseffekten als Ursachen von Finanzkrisen. Dresden 2002.
- Markus Spiwoks, Kilian Bizer, Oliver Hein: Informational Cascades: Erklärung für rationales Herdenverhalten oder nur eine Fata Morgana?, In: Sofia-Diskussionsbeiträge zur Institutionenanalyse, Nr. 06-3, online: PDF