Isomer (Kernphysik)

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Isomere (von Vorlage:ELSalt ísos ‚gleich‘ und μέρος méros ‚Teil‘; Einzahl: das Isomer) in der Kernphysik sind Atomkerne, die sich weder in der Anzahl der Protonen noch der Neutronen unterscheiden, sich aber in unterschiedlichen inneren (Energie-)Zuständen befinden. Zur Unterscheidung von der Isomerie in der Chemie werden auch die Bezeichnungen Kernisomerie bzw. Kernisomer verwendet.

Als Isomer wird nicht der Kern im Grundzustand, sondern nur derjenige in einem angeregten Zustand bezeichnet, und auch das nur, wenn dieser Zustand besonders langlebig ist. Das Isomer wird als ein eigenes Nuklid betrachtet[1] und durch ein „m“ (für „metastabil“) neben der Massenzahl bezeichnet. Zur Unterscheidung mehrerer Isomere eines Kerns kann dem „m“ eine Nummer nachgestellt werden, z. B. 152m1Eu. In Nuklidkarten lassen sich Kernisomere darstellen, indem das betreffende Feld in Spalten unterteilt wird.

Welche Zustände man als „besonders langlebig“ ansieht, unterliegt einer gewissen Willkür. Außerdem werden immer weitere Kernisomere entdeckt. Daher kann man nur eine Untergrenze der Anzahl von Kernisomeren angeben, die bei einer vierstelligen Zahl liegen dürfte.

Erklärung und Beispiele

Alle Atomkerne mit mindestens vier Nukleonen können außer im Grundzustand auch in angeregten Zuständen existieren. Normalerweise haben diese mit 10−22 bis 10−14 Sekunden sehr kurze Lebensdauern, die man über die Linienbreite der emittierten Strahlung (z. B. Gammastrahlung) misst. Als Isomere bezeichnet man längerlebige (metastabile) angeregte Zustände mit Lebensdauern ab etwa 10−9 Sekunden. Diese verlängerten Lebensdauern kommen dadurch zustande, dass Übergänge in tiefere Zustände zwar nicht unmöglich, aber gegenüber den üblichen Verhältnissen um Größenordnungen weniger wahrscheinlich sind. Ursache ist meist eine besonders große Differenz der Kernspins, so dass die Strahlung einen entsprechend großen Drehimpuls davontragen muss. Man bezeichnet dies als Drehimpulsbarriere, in Anlehnung an die Verhältnisse bei der Emission eines Teilchens durch eine Potentialbarriere hindurch vermöge des Tunneleffekts. Die Potentialbarriere erhöht sich um den Term , wenn das Teilchen der Masse mit Drehimpulsquantenzahl emittiert werden muss, und behindert die Emission entsprechend.

Wenn Kernisomere dann wie andere angeregte Kerne in niederangeregte Zustände oder den Grundzustand übergehen, geben sie die freiwerdende Energie meist durch Emission von Gammastrahlung (Isomerieübergang) oder durch Innere Konversion ab. Insbesondere bei schweren Isomeren von Kernen mit instabilem Grundzustand findet man dessen Zerfallskanäle auch schon beim Isomer; das Isomer zerfällt also unter Umgehung des Grundzustandes gleich weiter. Das leichteste Beispiel hierfür ist der Betazerfall von 24mNa. Beim Isomer 184mHf liegt der Extremfall vor, dass überhaupt kein Übergang in den Grundzustand 184Hf zu beobachten ist. Auf Grund der geringeren Spindifferenz zu 184Ta ist es für dieses Isomer energetisch günstiger, gleich den Betazerfall zum 184Ta zu machen.

Zu verschiedenen Kernzuständen gehören immer auch unterschiedliche Ladungsverteilungen im Kern. Diese beeinflussen die Energie der an den Kern gebundenen Elektronen. Dies führt bei Spektrallinien neben einer häufigen Aufspaltung auch zu einer Verschiebung, der Isomerieverschiebung. Beide geben Aufschluss über die Kernstruktur.

Das Kernisomer 99mTc wird medizinisch-diagnostisch für die Szintigrafie genutzt.

Ein Kernisomer ist wegen der Äquivalenz von Masse und Energie stets schwerer als der gleiche Kern im Grundzustand.

Geschichte

Kernisomere wurden 1917 von Frederick Soddy vorhergesagt.[2] Die ersten isomeren Kerne wurden 1921 von Otto Hahn[3] bei der Untersuchung der Zerfallsreihe von Uran entdeckt. Neben dem bereits bekannten 234mPa („Uran X2“, „Brevium“) mit einer Halbwertszeit von 1,16 Minuten fand er ein zweites betastrahlendes Nuklid 234Pa („Uran Z“) mit der gleichen Massenzahl, das sich von 234mPa lediglich durch seine längere Halbwertszeit von 6,7 Stunden unterschied. Die Entdeckung, die Hahn später für eine seiner bedeutendsten hielt[4], war ihrer Zeit voraus und erhielt erst ab 1935 mit der Entdeckung weiterer Beispiele größere Aufmerksamkeit. Man hielt Kernisomere zunächst für ein Phänomen, das nur radioaktive Elemente beträfe; 1935 wurden jedoch auch bei Iridium und Iod Isomere entdeckt, 192mIr und 130mI. 1936 erklärte Carl Friedrich von Weizsäcker Kernisomere als metastabile spinstabilisierte Zustände.[5] Weizsäcker arbeitete damals vorübergehend am Institut von Hahn.

Literatur

  • Klaus Bethge, Gertrud Walter, Bernhard Wiedemann, Kernphysik, 3. Auflage, Springer 2008, S. 271
  • Theo Mayer-Kuckuk: Einführung in die Kernphysik, 7. Auflage, Teubner, 2002, S. 97

Weblinks

Wiktionary: Isomer – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. nuclide. In: Alan D. McNaught, Andrew Wilkinson, IUPAC (Hrsg.): Compendium of Chemical Terminology. The “Gold Book”. 2. Auflage. Blackwell Scientific Publications, Oxford 1997, ISBN 0-9678550-9-8, doi:10.1351/goldbook.No4257 (englisch, korrigierte Fassung – erstellt von M. Nic, J. Jirat, B. Kosata; mit Aktualisierungen von A. Jenkins [2006–]).
  2. Soddy, Frederick; Nature 99 (1917); page 433
  3. Hahn: Über ein neues radioaktives Zerfallsprodukt im Uran, Die Naturwissenschaften, Band 9, 1921, Heft 5, S. 84
  4. Klaus Hoffmann: Schuld und Verantwortung. Otto Hahn, Konflikt eines Wissenschaftlers, Springer 1993, S. 94
  5. Carl Friedrich von Weizsäcker: Metastabile Zustände der Atomkerne. In: Naturwissenschaften. Bd. 24, Nr. 51, 1936, S. 813–814, doi:10.1007/BF01497732.