José Sánchez de Murillo

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José Sánchez de Murillo (2006)

José Sánchez de Murillo (* 8. Februar 1943 in Ronda, Provinz Málaga, Spanien) ist ein Philosoph und Dichter. Er bezeichnet seinen Ansatz als Tiefenphänomenologie. Er lebt und arbeitet in München und Málaga.

Leben

Sein naturwissenschaftliches Abitur legte Sánchez de Murillo 1960 in Córdoba ab, studierte zunächst scholastische Philosophie und Musik (Klavier und Orgel) in Lille und ab 1963 Theologie und spanische Mystik am Teresianum in Rom. Er schloss sein Studium 1970 mit der Promotion in Theologie über die transzendentalphilosophisch begründete Theologie Karl Rahners ab. Anschließend lehrte er Theologie in Rom. 1971 setzte er sein Philosophie-Studium mit Nebenfach französische Literaturwissenschaft in Würzburg fort und schloss das Studium 1976 mit einer philosophischen Dissertation über die Phänomenologie Jean-Paul Sartres ab.

1976 studierte er das Werk Jakob Böhmes, dazu Schelling, Schopenhauer, Scheler, Heidegger, Novalis und Franz von Baader. Letzterem widmete sich Sánchez de Murillo in seiner Habilitationsschrift über den deutschen Idealismus und die deutsche Romantik.

Ab 1977 reiste Sánchez mehrmals zu längeren Aufenthalten nach Guatemala und Mexiko. Die Begegnung mit dem Elend in diesen Ländern wurde für seine weitere Entwicklung grundlegend. Guatemala war gekennzeichnet von Elend und Ausbeutung. Diese unmittelbare Erfahrung erschütterte Sánchez und änderte seine Beziehung zur Wissenschaft in Richtung menschliche Nähe. Wenn er zu seinen Forschungszwecken Ruinen-Städte – wie Quiriguá und Tikal, Chichén Itzá und Palenque – besuchte, so tat er es stets in Begleitung von Einheimischen der Indio-Dörfer, in denen er wohnte. Die Indios erstaunten vor der einstigen Größe ihrer Kultur. So lernte Sánchez durch Erfahrung, wie zerstörerisch Unterdrückung auf den Menschen wirken und Anerkennung ihn wieder aufbauen kann. Durch den unmittelbaren Einblick in diese auf der Pflanze – dem Mais – beruhende, im Wesen „weibliche“ Kultur erkannte er eine Parallele zu dem Anliegen, das in der Deutschen Romantik mit dem Wort „Zurück zu den Müttern!“ ausgedrückt wurde.

Am 23. Februar 1983 wurde er mit seiner Schrift Der Geist der deutschen Romantik. Franz von Baaders Versuch einer Erneuerung der Wissenschaft. Von Kant zu Jakob Böhme für das Fach Philosophie habilitiert; diese erschien 1986 nach weiteren drei Forschungsjahren mit neuem Untertitel. Von 1984 bis 1988 lehrte er Philosophie in Augsburg, von 1989 bis 1992 in Granada.

1992 entwarf er in München das Konzept eines Edith-Stein-Instituts für Phänomenologie und Tiefenphänomenologie. 1993 gründete er das Edith-Stein-Jahrbuch, das er im Auftrag und mit finanzieller Unterstützung des Teresianischen Karmel in Deutschland beim Echter Verlag herausgab.

Im Wintersemester 1994/95 lehrte er noch einmal Philosophie am Teresianum. Im Januar 1995 besuchte er Luise Rinser in Rocca di Papa. Aus dieser Begegnung entstand eine enge Freundschaft, die für beide menschlich und literarisch wichtig wurde. Sie war für die Entwicklung der dichterischen Dimension der Tiefenphänomenologie von grundlegender Bedeutung. Luise Rinser veranlasste die philosophisch-meditative Schrift über Jakob Böhme (1997) und das Epos Dein Name ist Liebe (1998), das sie mit einem Vorwort versah. Ebenso regte sie das noch unabgeschlossene Epos Gotteshervorgang (1998) an.

Mit dem neunten Band Menschen, die suchen wurde 2003 die Reihe „Edith-Stein-Jahrbuch“ abgeschlossen. Im gleichen Jahr 2003 gründete Sánchez – zusammen mit Martin Thurner – die neue Reihe „Aufgang. Jahrbuch für Denken – Dichten – Musik“ und setzte seine Lehrtätigkeit mit Veranstaltungen an der Universität München fort.

2011 veröffentlichte er die erste umfangreiche Biografie über Luise Rinser. An dem Buch arbeitete auch ihr Sohn Christoph mit.

Philosophischer Ansatz

Die von ihm so benannte Tiefenphänomenologie ist hervorgegangen aus Auseinandersetzungen mit der Naturphilosophie Jakob Böhmes, Autoren der deutschen Romantik und deren Diskussion über Kant. Dafür war die vorausgegangene Beschäftigung mit den Phänomenologien Edmund Husserls, Martin Heideggers und Jean-Paul Sartres wichtig. Ebenso von Bedeutung war die Erforschung mittelamerikanischer Mythologien, vor allem der Maya-Kultur, und die Erfahrung menschlichen Elends durch Aufenthalte in Indio-Dörfern von Guatemala.

Die beiden Gegensätze seiner bisherigen Welterfahrung – Armut, Ausbeutung, Verzweiflung und Krieg einerseits, Musik, Mystik, Phänomenologie, Maya-Kultur und deutsche Romantik andererseits – prallten in ihm hart aufeinander, und der Drang wuchs, die Bedingung dieser Zerrissenheit zu erforschen. So entstand die Grundunterscheidung: Tiefe und Ober-Fläche. Tiefe, bei Sánchez das lebensbejahende „Weibliche“, meint die Dimension der Lebensgeburt und Lebenserneuerung, den schöpferischen Un-Grund. Ober-Fläche, bei Sánchez das kämpferische „Männliche“, bezeichnet dagegen die Dimension, die von Machtstreben, Geltungssucht und Geld beherrscht wird. Diese Motive sind für die Tiefenphänomenologie grundlegend. Die für ihn nun evidente Sicht, dass die gesamte Menschheitsgeschichte von der ober-flächigen Dimension gesteuert wird und dass Philosophie und Wissenschaft diese Seite als die wesentliche betrachten, ließ ihn seine philosophische Aufgabe erkennen: Phänomenologische Philosophie als wissenschaftliche Forschung muss ganz von vorne beginnen mit Blick auf die Realität, aber zugleich auch auf die Möglichkeiten des Menschen. Darum nannte er seine Tiefenphänomenologie „Neue Vorsokratik“.

Werke

Philosophisch-wissenschaftliche Schriften

  • Der Geist der deutschen Romantik. Der Übergang vom logischen zum dichterischen Denken und der Hervorgang der Tiefenphänomenologie. Pfeil, München 1986, ISBN 3-923871-09-0
  • Über die Selbsterkenntnis des Menschen. Ein Dialog. Pfeil, München 1986, ISBN 3-923871-12-0
  • La crisis del pensamiento lógico y el surgir de la Fenomenología del Profundo, Málaga Diputación Provincial 1987.
  • Fundamental-Ethik. Pfeil, München 1988, ISBN 3-923871-31-7
  • Die Erste Philosophie der großen Krisenzeit. In: prima philosophia. Band 3, 1990, S. 427–442.
  • Tiefenphänomenologie der menschlichen Gewalt. In: Die menschliche Gewalt. Echter, Würzburg 1995, ISBN 3-429-01697-5, ISSN 0948-3063 (= Edith Stein Jahrbuch, Band 1)
  • Vom Wesen des Weiblichen. In: Das Weibliche. Echter, Würzburg 1996, ISBN 3-429-01782-3, ISSN 0948-3063 (= Edith Stein Jahrbuch, Band 2)
  • Jakob Böhme: Das Fünklein Mensch. Kösel, München 1997, ISBN 3-466-20425-9
  • Vom Wesen des Christentums. In: Die Weltreligionen 1. Echter, Würzburg 2000, ISBN 3-429-02208-8, ISSN 0948-3063 (= Edith Stein Jahrbuch, Band 6)
  • Jakob Böhme – Der deutsche Vorsokratiker. Zur Gegenwart und Zukunft der Philosophie. In: Erkenntnis und Wissenschaft – Jakob Böhme (1575–1624), Internationales Jacob-Böhme-Symposium Görlitz 2000 (= Neues Lausizisches Magazin, Beiheft 2). Görlitz-Zittau 2001, 128-153.
  • Durchbruch der Tiefenphänomenologie. Die Neue Vorsokratik. Kohlhammer, Stuttgart 2002, ISBN 3-17-017368-5
  • Exodus als Seinserfahrung. Edith Stein und Israel (I). In: Aufgang, Bd. 2, Stuttgart 2005, S. 311–339; (II) Aufgang, Bd. 3, Stuttgart 2006, S. 393–422
  • Was ist Tiefenphänomenologie. Im Hinblick auf die Theologische Wissenschaft. In: Aufgang. Band 4, 2007, S. 221–236. ISBN 978-3-17-019787-9
  • Die weltgeschichtliche Bedeutung Edith Steins. Vorwort zu Francisco Javier Sancho Fermín: Loslassen. Edith Steins Weg von der Philosophie zur karmelitischen Mystik. Kohlhammer, Stuttgart 2007 ISBN 978-3-17-019980-4, S. 9–20.
  • Über die Sehnsucht. Urgrund und Abgründe. Aufgang Verlag, Augsburg 2016, ISBN 978-3-945732-07-6

Literarische Schriften

  • Die Krankheiten des Professor Walther. Roman. Pfeil, München 1986, ISBN 3-923871-13-9
  • Exil. Roman. Pfeil, München 1989, ISBN 3-923871-32-5
  • Leben im Aufgang. Roman. Pfeil, München 1994, ISBN 3-923871-76-7
  • Dein Name ist Liebe. Mit einem Vorwort von Luise Rinser. Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach 1998, ISBN 3-404-70122-4
  • Gotteshervorgang. In: Edith Stein Jahrbuch, Bd. 4, Würzburg 1998, (I) S. 21–57; Bd. 6, Würzburg 2000, (II) S. 17–22; Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichten, Musik, Bd. 1, Stuttgart 2004, (III) S. 53–58.
  • Luise Rinser. Ein Leben in Widersprüchen. S. Fischer, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-10-071311-7

Literatur über José Sánchez de Murillo

  • Abschied vom Gewohnten. Festschrift für José Sánchez de Murillo. Herausgegeben von Christoph Rinser, Benedikt Maria Trappen, Renate M. Romor. Schriften der Luise-Rinser-Stiftung Band 2, München 2013, ISBN 978-3-00-038861-3

Weblinks