Lastenheft

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 12. Oktober 2016 um 06:51 Uhr durch Ot (Diskussion | Beiträge) (Änderungen von 194.25.137.219 (Diskussion) auf die letzte Version von Der-Wir-Ing zurückgesetzt). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Das Lastenheft (teils auch Anforderungsspezifikation, Anforderungskatalog, Produktskizze, Kundenspezifikation oder englisch Requirements Specification genannt) beschreibt die Gesamtheit der Anforderungen des Auftraggebers an die Lieferungen und Leistungen eines Auftragnehmers. Es ist z. B. im Software-Bereich das Ergebnis einer Anforderungsanalyse und damit ein Teil des Anforderungsmanagements.

Das Lastenheft kann der Auftraggeber in einer Ausschreibung verwenden und an mehrere mögliche Auftragnehmer verschicken. Mögliche Auftragnehmer erstellen auf Grundlage des Lastenheftes ein Pflichtenheft, welches in konkreterer Form beschreibt, wie der Auftragnehmer die Anforderungen im Lastenheft zu lösen gedenkt. Der Auftraggeber wählt dann aus den Vorschlägen den für ihn geeignetsten aus.

Die Anforderungen in einem Lastenheft sollten durch ihre Formulierung so allgemein wie möglich und so einschränkend wie nötig formuliert werden. Hierdurch hat der Auftragnehmer die Möglichkeit, optimale Lösungen zu erarbeiten, ohne durch zu konkrete Anforderungen in seiner Lösungskompetenz eingeschränkt zu sein.

Im Rahmen eines Werkvertrages oder Werkliefervertrages und der dazugehörenden formellen Abnahme beschreibt das Lastenheft präzise die nachprüfbaren Leistungen und Lieferungen.

Gegenstand

Gemäß DIN 69901-5[1] (Begriffe der Projektabwicklung) beschreibt das Lastenheft die

„vom Auftraggeber festgelegte Gesamtheit der Forderungen an die Lieferungen und Leistungen eines Auftragnehmers innerhalb eines Auftrages“.

Das Lastenheft beschreibt in der Regel somit, was und wofür etwas gemacht werden soll. Gegenüber einem Fachkonzept ist es aber um formelle Aspekte, die zu einer Ausschreibung nötig sind, angereichert. Die Adressaten des Lastenhefts sind[2] der (externe oder firmeninterne) Auftraggeber sowie die Auftragnehmer.

Um ein Lastenheft übersichtlich zu halten, wird es vorzugsweise in knapp orientierendem Text gefasst und durch Detaillierungen beispielsweise in tabellarischer Form, durch Zeichnungen oder Grafiken ergänzt. Besonders im Software-Bereich (zum Beispiel bei ERP-Systemen) sind Lastenhefte oft als Tabelle mit Feldern angelegt, bei der der Software-Anbieter jede aufgeführte Position je nachdem bewertet, ob er sie im Standard erfüllen kann oder nicht. Dazu ist oft Raum für Anmerkungen. Es gibt dazu auch formalisierende Ansätze, wie Modellierungssprachen.

Folgeschritte

Wurde ein Lastenheft angenommen, folgt mit dem Pflichtenheft die nächste Phase, die beschreibt, wie und womit etwas realisiert werden soll. Dabei können gewöhnlich jeder Anforderung des Lastenhefts eine oder mehrere Leistungen des Pflichtenheftes zugeordnet werden. So wird auch die Reihenfolge der beiden Dokumente im Entwicklungsprozess deutlich: Die Anforderungen (requirements) werden durch Leistungen (features) erfüllt.

Nach DIN 69901-5 enthält das Pflichtenheft die „vom Auftragnehmer erarbeiteten Realisierungsvorgaben aufgrund der Umsetzung des vom Auftraggeber vorgegebenen Lastenheftes“.

Abgrenzung

Je nach Einsatzgebiet und Branche können sich Lastenhefte in Aufbau und Inhalt stark unterscheiden. Auch werden in der Praxis die Begriffe Lastenheft, Pflichtenheft und Spezifikation oft nicht klar gegeneinander abgegrenzt oder gar synonym verwendet. Die unscharfe Verwendung der Begriffe sowie die fehlende Trennung technischer Information und operationeller Absichten ist häufig Ursache für Missverständnisse.

Auf einen Kaufvertrag nach BGB §433 oder einen rechtlich gleichgestellten Liefervertrag sind die Kriterien eines Lastenheftes in der Regel nicht anzuwenden, da die Lieferungen im Kaufvertrag von einer durch den Lieferanten einseitig vorgegebenen Spezifikation in der Art und von der durch den Besteller einseitig vorgegebenen Liefermenge bestimmt werden.

Auf einen Dienstvertrag sind die Kriterien eines Lastenheftes in der Regel nicht anzuwenden, da die Leistungen im Dienstvertrag nicht einer formellen Abnahme unterzogen werden.

Aufbau

Ein Lastenheft lässt sich auf verschiedene Weise gliedern. Folgende Angaben werden typischerweise berücksichtigt:

  1. Einführung
  2. Beschreibung des Ist-Zustands
  3. Beschreibung des Soll-Konzepts
  4. Beschreibung von Schnittstellen
  5. Funktionale Anforderungen
  6. Nichtfunktionale Anforderungen
  7. Risikoakzeptanz
  8. Skizze des Entwicklungszyklus und der Systemarchitektur oder auch ein Struktogramm
  9. Lieferumfang
  10. Abnahmekriterien

Branchenspezifikation

In einigen Branchen haben sich standardisierte Vorgaben für Lastenhefte und deren Abwicklung etabliert. In der Softwaretechnik wird oft der IEEE-Standard Software Requirements Specification verwendet. Das ist ein Dokument, welches Pflichtenheft und Lastenheft zusammenfasst.

In der Raumfahrt verwendete Lastenhefte orientieren sich häufig am NASA-Standard, um die internationale Kooperation zu vereinfachen. Es hat sich folgendes Prinzip herausgebildet:

  • Der Auftraggeber erstellt eine Anforderungsspezifikation (requirements spec), die die Missionsanforderungen und Rahmenbedingungen enthält (z. B. es soll ein bemanntes Labormodul für die ISS geliefert werden, das mit dem Space Shuttle dorthin transportiert werden soll);
  • Der Auftragnehmer antwortet darauf mit einer Implementierungsspezifikation (design-to-spec), die den vom Auftragnehmer gewählten Entwurf spezifiziert (z. B. ein zylinderförmiges Druckmodul mit bestimmtem Durchmesser und Länge);[3]
  • Der Auftraggeber akzeptiert formell die mehr Details enthaltende Implementierungsspezifikation. Im Falle eines später auftretenden Konflikts hat die Anforderungsspezifikation jedoch Vorrang.

Weitere Bedeutung des Begriffs Lastenheft

Im Bauwesen wird der Begriff Lastenheft auch in einer anderen Bedeutung verwendet, als Lastenhefte für Standsicherheitsnachweise. Dieses enthält dann tatsächlich Angaben zu Lasten, nämlich zu Belastungen, für die das Tragwerk bemessen werden soll, wie zum Beispiel Eigengewicht, Nutzlast, Winddruck und Wasserdruck. Außerdem enthält das Lastenheft sämtliche übrigen Anforderungen, Randbedingungen und Voraussetzungen, die für eine statische Berechnung des betreffenden Bauwerks erforderlich sind, zum Beispiel Materialeigenschaften und Baugrundkennwerte.

Normen und Standards

  • DIN 69901-5: Projektmanagement – Projektmanagementsysteme – Teil 5: Begriffe
  • VDI 2519 Blatt 1: Vorgehensweise bei der Erstellung von Lasten-/Pflichtenheft
  • VDI 2519 Blatt 2: Lastenheft/Pflichtenheft für den Einsatz von Förder- und Lagersystemen
  • VDI 3694: Lastenheft/Pflichtenheft für den Einsatz von Automatisierungssystemen
  • VDI 4403 Blatt 1 Entwurf: Modernisierung und Erweiterung fördertechnischer Anlagen und logistischer Systeme bei laufendem Betrieb
  • VDI 4403 Blatt 2 Entwurf: Modernisierung und Erweiterung fördertechnischer Anlagen und logistischer Systeme bei laufendem Betrieb, Umbau und Erweiterung eines großen Zentrallagers
  • IEEE 830-1998: Software Requirements Specification, Lastenhefte für Softwaresysteme

Einzelnachweise

  1. Fachgruppe der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement e.V. (GPM) zur DIN 69901.
  2. Helmut Balzert: Lehrbuch der Software-Technik 1/2. mit 3 CD-ROMs. Band 1 (2. Auflage, 2000), Band 2 (1. Auflage, 1998) Software-Entwicklung / Software-Management, Software-Qualitätssicherung, Unternehmensmodellierung; Spektrum Akademischer Verlag; ISBN 3-827-40301-4.
  3. Columbus Design Spec (COL-RIBRE-SPE-0028, iss 10/F, 25. Juni 2004).

Literatur

  • Colin Hood, Simon Wiedemann, Stefan Fichtinger, Urte Pautz Requirements Management: Interface Between Requirements Development and All Other Systems Engineering Processes Springer, Berlin 2007, ISBN 354047689X