Ostrakoden

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Muschelkrebse

Muschelkrebse (Ostracoda)

Systematik
ohne Rang: Urmünder (Protostomia)
Überstamm: Häutungstiere (Ecdysozoa)
Stamm: Gliederfüßer (Arthropoda)
Unterstamm: Krebstiere (Crustacea)
Klasse: Maxillopoda
Unterklasse: Muschelkrebse
Wissenschaftlicher Name
Ostracoda
Latreille, 1802
Anatomie von Cypridina mediterranea
Muschelkrebs

Die Muschelkrebse oder Ostrakoden (Ostracoda) sind kleine, meist zwischen 0,5 und 2 mm große Krebstiere (die größten Arten erreichen jedoch bis 3 cm Körperlänge), die alle aquatischen Lebensräume (beispielsweise Tiefsee, Brackwasser, Flüsse, Seen, Grundwasser) und mit wenigen Arten den halb-aquatischen Lebensraum besiedeln.

Die Muschelkrebse sind Gliederfüßer (Arthropoda) aus dem Unterstamm der Krebstiere (Crustacea), Klasse Ostracoda[1] (zu altgriechisch ostrakon - Tonscherbe). Den deutschen Namen „Muschelkrebse“ verdanken die Krebse den an Muschelschalen erinnernden Hautduplikaturen, die den Weichkörper schützen. Es handelt sich um median-symmetrische Ausfaltungen des Kopfes, deren mineralisierte äußere und (seltener) innere Chitinlamelle die beiden Schalenhälften (Carapax), bilden wodurch sie wie kleine Muscheln aussehen.

Heute leben schätzungsweise 10.000 bis 15.000 verschiedene Arten von Ostrakoden. Insgesamt wurden etwa 65.000 rezente und fossile Arten beschrieben, von denen aber wegen Synonymie nur ca. 33.000 heute gültig sind.[2]

Weichkörperbau

Der seitlich stark abgeflachte Weichkörper besteht aus dem durch eine primäre, bauchseitig gelegene (ventrale) Einschnürung unterscheidbaren Kopf (Cephalon) und dem Rumpf (Thorax). Kopf und Thorax bestehen wiederum aus mehreren, verschmolzenen Segmenten eines vermutlich im Präkambrium anzusiedelnden Vorfahren. Dementsprechend zeigen Kopf und Thorax mehrere, aus „unspezialisierten“ einfachen Spaltfüßen des Vorfahren abgeleitete, teilweise hoch spezialisierte, paarige Gliedmaßen. Für den Kopf sind das die vor dem Mund befindlichen Antennulae (allerdings embryonal post-oral, also hinter dem Mund, angelegt) und Antennen sowie die post-oralen Mandibeln, Maxillulae und Maxillen. Der Rumpf kann ein, zwei oder drei (bei der rezenten, den Palaeocopida zugerechneten Gattung Manawa) Gliedmaßenpaare tragen, die Thorakopoden genannt werden. Die Funktionalität und damit die Morphologie einzelner Anhänge haben innerhalb der Ostrakoden-Evolution wesentliche Anpassungen und Veränderungen erfahren und sind damit wichtige Kriterien zur weiteren systematischen Untergliederung. Die Augen sind miteinander verschmolzen.

Lebensweise

Die Muschelkrebse bewegen sich meist kriechend auf dem Boden oder durchwühlen den Schlamm. Einige dieser benthischen Arten können sich auch für kurze Zeit schwimmend fortbewegen. Dauerhaft aktiv schwimmende, also dem Nekton angehörige Arten sind selten und meist marin. Wenige Muschelkrebse graben sich auch in den Boden ein und ernähren sich dort als Filtrierer. Halb-aquatisch in dem Wasserfilm auf Moosen oder in feuchten Astlöchern leben nur Arten der Gruppe Podocopa.

Die Ernährungsweise ist bei den Ostrakoden sehr unterschiedlich. Man kennt vom Detritus lebende, Aasfresser, Filtrierer und auch Räuber. Einige weiden Algen ab und andere saugen an Pflanzen. Zu den räuberischen Gattungen zählt Gigantocypris, die sehr kleine Jungfische und Pfeilwürmer fangen. Mit einer Größe von bis zu über 30 Millimeter gehören sie zu den größten Muschelkrebsen überhaupt und zählen zu den in der Tiefsee lebenden (bathypelagischen) Ostrakoden. Zu den Aasfressern zählt Macrocypris, Arten dieser Gattung wurde an toten Ruderfußkrebsen gefunden. Vertreter der Familie Cyprididae kommen oft in Scharen an toten Schnecken im Süßwasser vor. Die Aasfresser und Destruenten spielen eine große Rolle im Ökosystem der Meere und der Süßgewässer.

Teilweise leben auch Ostrakoden als Kommensalen an anderen Krebsen, so haften zum Beispiel Arten der Gattung Entocythere an Kiemen und Gliedmaßen der in Amerika vorkommenden Gattung Cambarus (Klasse Flusskrebse). Auch an Flohkrebsen lassen sich einige Arten der Ostrakoden finden.

Die Lebensdauer beträgt vermutlich meist nur einige Monate. In Süßgewässern leben die Muschelkrebse meist zwischen dem Frühjahr und Herbst, den Winter überdauern die Eier. Zu den Arten mit der höchsten Lebensdauer gehört Philomedes globosus, diese marine Art ist erst ab zwei Jahren geschlechtsreif und wird bis zu vier Jahre alt.

Fortpflanzung

Die Muschelkrebse sind meist getrennt geschlechtlich, aber auch Parthenogenese kommt vor. Die Eier werden meist sofort frei im Wasser abgelegt, oft werden sie aber auch für die Brutpflege einige Zeit lang im Schalenraum aufbewahrt. Die Entwicklung beginnt mit einer bereits eine zweiklappige Schale tragenden Nauplius-Larve. Kleine Mandibeln sind bei den Larven ebenfalls schon vorhanden. Es folgen Stadien mit sechs bis acht Häutungen. Ebenso wie bei den Ruderfußkrebsen häutet sich das adulte Tier nicht mehr.

Bedeutung für den Menschen

Fossile Cyamocytheridea sp. aus dem Eozän (Unteres Lutetium, ±49 Mya). Fundort: Nederokkerzeel, Belgien
Ostrakode aus dem Perm von Texas.

Aufgrund der guten Fossilisation der Schalen wird das Vorkommen von Ostrakoden bereits seit längerem als biostratigraphischer sowie sedimentär-fazieller Indikator bei der Prospektion von Erdöl verwendet. Sie eignen sich jedoch auch gut für die Untersuchung von Fragestellungen aus der Paläontologie, etwa der Verfolgung von Klimaänderungen (Paläoklimatologie).

Literatur

  • P. Frenzel, R. Matzke-Karasz, F. A. Viehberg: Muschelkrebse als Zeugen der Vergangenheit. In: Biologie in unserer Zeit. 36(2), 2006, S. 102–108, ISSN 0045-205X
  • G. Hartmann: Ostracoda. In: H.-E. Gruner (Hrsg.): Dr. H.G. Bronns Klassen und Ordnungen des Tierreichs. Band 5: Arthropoda. Abt. 1: Crustacea. Buch 2, Tl. 4, Lfg. 1, Geest & Portig, Leipzig 1966, S. 1–216, Abb. 1-121.
  • Zum Ober-Bathonium (Mittlerer Jura) im Raum Hildesheim, Nordwestdeutschland - Mega- und Mikropaläontologie, Biostratigraphie. In: Geologisches Jahrbuch. Reihe A Heft 121. Hannover 1990, S. 73–118.
  • D. J. Horne, A. Cohen, K. Martens: Taxonomy, Morphology and Biology of Quaternary and Living Ostracoda. In: J. A. Holmes, A. R. Chivas (Hrsg.): The Ostracoda: Applications in Quaternary Research. (= Geophysical Monograph Series. 131). American Geophysical Union, Washington/DC 2002, ISBN 0-87590-990-6, S. 5–36.
  • C. Meisch: Freshwater Ostracoda of Western and Central Europe. In: Süßwasserfauna von Mitteleuropa. 8/3. Spektrum Akademischer Verlag, 2000, ISBN 3-8274-1001-0. (In englischer Sprache. Berücksichtigt werden folgende Länder: Irland, Großbritannien, nördliche Hälfte von Frankreich, Beneluxländer, Deutschland, Schweiz, Österreich, Ungarn, Tschechien und Slowakei)
  • G. W. Müller: Die Ostracoden des Golfes von Neapel und der angrenzenden Meeres-Abschnitte. (= Fauna u. Flora des Golfes von Neapel. Band 21). Berlin 1894. (PDF)
  • G. W. Müller: Ostracoda. In: F. E. Schulze: Das Tierreich. 31. Lieferung, Berlin 1912. (PDF)
  • K. J. Müller: Hesslandona unisulcata. sp.nov. with phosphatised appendages from Upper Cambrian 'Orsten' of Sweden. In: R. H. E. Robinson, L. M. Sheppard (Hrsg.): Fossil and Recent Ostracods. Ellis Horwood, Chichester 1982, S. 276–304.
  • L. E. Park, R. D. Ricketts: Evolutionary history of the Ostracoda and the origin of nonmarine faunas. In: L. E. Park, A. J. Smith (Hrsg.): Bridging the Gap. Trends in the Ostracode Biological and Geological Sciences. In: The Paleontological Society Papers. Band 9, Tulsa/Okla 2003. ISSN 1089-3326

Weblinks

Commons: Ostracoda – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Die Klasse der Ostracoda. In: Fauna Europeae Database. European Commission, abgerufen am 24. Februar 2010 (englisch).
  2. D. J. Horne, A. Cohen, K. Martens: Taxonomy, Morphology and Biology of Quaternary and Living Ostracoda. In: J. A. Holmes, A. R. Chivas (Hrsg.): The Ostracoda: Applications in Quaternary Research. (= Geophysical Monograph Series. 131). American Geophysical Union, Washington/DC 2002, ISBN 0-87590-990-6, S. 5.