Pragmatismus

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Der Pragmatismus (von griech. pragma „Handlung“, „Sache“) bezeichnet eine philosophische Grundhaltung, die das Erkennen und die Wahrheitsbildung eng mit den Handlungen, die in der Lebenswelt ausgeführt werden, verbindet. Sie geht davon aus, dass auch das theoretische Wissen dem praktischen Umgang mit den Dingen entspringt und auf diesen angewiesen bleibt. Der Pragmatismus stellt die erste eigenständige US-amerikanische Philosophie dar.

Pragmatismus und Pragmatizismus

Eingeführt wurde der Begriff „Pragmatismus“ im Jahr 1898 in einer Vorlesung von William James, der jedoch ausdrücklich Charles Sanders Peirce (1839–1914) als den Begründer dieser Philosophie benannte und auf dessen Veröffentlichungen im Jahr 1878 verwies. Da die Lehre des Pragmatismus jedoch von mehreren anderen Autoren in einer Form verwendet wurde, die mit der ursprünglichen Definition des Erfinders nicht übereinstimmte, benutzte Ch. S. Peirce später das Wort Pragmatizismus, um seine Lehre zu bezeichnen.

Lehre

Anfänge

Nach den Ansichten der Pragmatisten beziehen sich alle Urteile, Anschauungen, Vorstellungen, Begriffe u. a. auf jeweils handelnde Menschen. Als zentrale Maxime kann Peirces Forderung gelten, Vorstellungen aller Art im Hinblick auf ihre möglichen praktischen Wirkungen zu beurteilen. Diese Forderung richtet sich vor allem gegen einen erkenntnistheoretischen Fundamentalismus und dessen Behauptung durch Intuition oder Introspektion seien unmittelbare Erkenntnisse möglich. Ebenso lehnt Peirce eine rationalistische Letzbegründung ab, das sich auf die Selbstgewissheit des Ich beruft, als auch die empiristische Ansicht, dass Erkenntnis allein der Sinneswarhnehmung entstamme. Vielmehr liegt alles Erkannte schon immer formel- und symbolhaft vor und kann daher auch fehlgedeutet werden.

Als Methode zur Wissensvermehrung schlägt Peirce vor, nur noch dasjenige als Wissen zu akzeptieren, das anhand von Experimenten intersubjektiv nachprüfbar ist bzw. nachgeprüft wurde. Damit einher geht die Forderung, alles Wissen so zu formulieren, dass daraus unmittelbar klar wird, was man tun muss um diese oder jene Aussage zu prüfen. Peirce geht weiterhin davon aus, dass eine Forschungsgemeinschaft im Laufe der Geschichte durch ständiges Gegenprüfen ihrer Ergebnisse schrittweise zu einem besseren Wissen über die Welt kommt. Damit ist Wahrheit nicht mehr Aussagewahrheit (Aussage und „Realität“ stimmen überein), sondern Konsens einer Forschungsgemeinschaft.

Dieser Prozess der Wahrheitsfindung wird durch William James in Richtung Utilitarismus verschoben: Ziel ist nicht mehr ein über der Forschergemeinschaft stehendes gemeinsames Ideal von Wahrheit, sondern der praktische Nutzen, den bestimmtes Wissen liefert. Wahres Wissen ist dann vornehmlich jenes, welches der Bedürfnisbefriedigung entspricht. In dieser Form wurde der Pragmatismus dann auch einem breiteren Publikum bekannt, was vor allem in Europa zu breiter Ablehnung geführt hat.

Weitere an diesen frühen Pragmatismus anknüpfende Strömungen sind der auf Dewey zurückgehende Instrumentalismus, der Operationalismus Bridgmans, sowie die behavioristische Psychologie, die ebenfalls introspektive Methoden ablehnt und sich allein auf das beobachtbare Verhalten ihre Untersuchungsobjekte konzentriert.

Neopragmatismus

Neuen Schwung erhielt der Pragmatismus durch Quine, der ihn hierzu mit dem Instrumentalismus und Holismus Duhems verbindet. Duhem ging davon aus, dass alle Theorien Ganzheiten darstellen, d.h. ihre einzelnen Sätze beziehen sich immer auf ein Gesamtkonzept, aus dem sie nicht ohne Sinnverlust herausgelöst werden können. Damit sind aber auch alle experimentellen Überprüfungen selbst wieder theoriebeladen, liefern also kein Wissen, das von den vorangehenden Ansichten des Experimentators gänzlich unabhängig wäre – auch das Ergebnis eines Experiments muss ja interpretiert werden. Quine kommt daher zu dem Urteil, dass Begriffe nicht einfach anhand von Experimenten verifiziert werden können, da ihre Bedeutung nur im Gesamtzusammenhang der Theorie verständlich ist. Diese Theorie ist aber eine von einer Forschungsgemeinschaft getragene Meinung, die auf deren Konventionen zurückgeht.

Gemeinsam ist den darauf folgenden neopragmatischen Theorien, dass sie von einer dynamischen Erkenntnistheorie ausgehen, die den Ursprung des Wissens vor allem an der Methode von Versuch und Irrtum festmacht (trial and error).

Vertreter

Vertreter des Pragmatismus sind Ferdinand Canning Scott Schiller, Josiah Royce, George Herbert Mead und insbesondere John Dewey sowie in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts Willard Van Orman Quine, Hilary Putnam und Richard Rorty.

Wie bei anderen philosophischen Strömungen ergeben sich für die einzelnen Positionen einige grundlegende Gemeinsamkeiten in den Auffassungen, bei der Betrachtung der Einzelheiten zum Teil jedoch erhebliche Unterschiede. So vertraten Peirce und Royce idealistische Positionen, während James, Schiller und Dewey als Empiristen einzustufen sind. Quine vertrat eine stark analytische und zugleich skeptische Position, während Rorty vorwiegend mit einer relativistischen Haltung verbunden wird. Putnam wiederum vertritt eine Philosophie mit größerer Nähe zu Peirce und James, hat aber zugleich ein erhebliches Gewicht in der Diskussion zur neueren Philosophie des Geistes.

Rezeption in Europa

Als der Pragmatismus Deutschland erreichte wurde im gewöhnlichen Sprachgebrauch das Wort „Pragmatismus“ häufig gleichbedeutend für „Praktikalismus“ oder „Tagwursterei“ verwendet, was auch auf die Rezeption der philosophischen Strömung abfärbte, bzw. diese vorbelastete. In Deutschland wurde er vor allem zunächst in der von James vertretenen Form bekannt, durch die Übersetzung der Essay-Sammlung „Der Wille zum Glauben“ (The Will to Believe, dt. 1899), es folgten 1906 Übersetzungen seiner Pragmatismusvorlesungen. 1911 erschienen F.C.S. Schillers Humanismus-Aufsätze.

Max Scheler

Als wichtister Rezipient dieser Zeit gilt Max Scheler, der seine Reaktion in „Erkenntnis und Arbeit. Eine Studie über Wert und Grenzen des pragmatischen Motivs in der Erkenntnis der Welt“ festhielt. Auch sein Werk „Die Wissensformen der Gesellschaft“ von 1926 steht noch unter diesem Einfluss. Scheler unterscheidet dort drei Wissensformen

  • Arbeitswissen als das Wissen zur praktisch-technischen Beherrschung der Welt
  • Bildungswissen welches der Entfaltung der Persönlichkeit dient und
  • Erlösungswissen als „Teilhabe am Höchsten“.

Zustimmend äußert sich Scheler über den Pragmatismus als philosophische Erhellung des Arbeitwissens, wenn dieser die theoretischen Aussagen und Hypothesen der Wissenschaft in einen Richtigen Zusammenhang mit dem handelnden Weltbezug setzt. Allerdings habe der Pragmatismus, so Scheler, den Fehler begangen dieses Wissen als das einzig richtige auszuzeichnen.

Horkheimer

In ähnlicher Form kritisierte auch Max Horkheimer die Reduktion allen Wissens auf zweckrationales Handeln, das seine eigene Zielsetzung nicht mehr hinterfragt. In seiner „Kritik der instrumentellen Vernunft“ von 1944 bezieht er vor allem gegen James und Dewey Stellung. Der Fehlschluß liegt für Horkheimer darin, daß die Methode der Naturwissenschaften allein aus Gründen des Erfolgs dieser Wissenschaften auf die gesamte Philosophie übertragen wurde. Horkheimer stellt außerdem eine Verbindung zwischen Pragmatismus und kapitalistisch-nutzenorientierter Wirtschaftsweise her. In diesem Sinne interpretierten auch marxistische Autoren wir Ernst Bloch[1], Adam Schaff[2] und Georg Klaus[3] den Pragmatismus als Ausdruck für das Interesse der amerikanischen Kapitalistenklasse.

Literatur

Zu umfassenderen Literaturlisten siehe Weblinks

  • John Dewey : A common faith, Yale University Press, New Haven1991, ISBN 0-300-00425-7
  • John Dewey: Die Erneuerung der Philosophie, Junius, Hamburg 1989, ISBN 3-88506-409-X
  • John Dewey: Philosophie heute und morgen. Eine Einführung ins operationale Leben, 1971
  • John Dewey: Philosophie und Zivilisation, Suhrkamp, Frankfurt/M. 2003, ISBN 3-518-29274-9
  • John Dewey: Wie wir denken, Verlag Pestalozzianum, Zürich 2002, ISBN 3-907526-98-8
  • William James: Was ist Pragmatismus?, Beltz, Weinheim, 1994, ISBN 3-89547-060-0
  • Louis Menand: The Metaphysical Club. Farrar, Strauss and Giroux, New York 2001. ISBN 0-374-52849-7
  • Charles S. Peirce: Über die Klarheit unserer Gedanken, Klostermann, Frankfurt/M. 1985, ISBN 3-465-01650-5
  • Charles S. Peirce: Schriften zum Pragmatismus und Pragmatizismus, Suhrkamp, Frankfurt 1991, ISBN 3-518-28545-9
  • Charles S. Peirce: Vorlesungen über Pragmatismus, Meiner, Hamburg 1991, ISBN 3-7873-0984-5
  • Bertrand Russell: Der Pragmatismus, 1909, in: Philosophische und politische Aufsätze, Reclam, ISBN 3-15-007970-5
  • Ferdinand C. Schiller: Our Human Truths, AMS Press, New York 1979, ISBN 0-404-59347-X
  • Helmut Woll: Ökonomisches Wissen zwischen Bildungstheorie und Pragmatismus, Metropolis, Marburg 2006, ISBN 3-89518-544-2
  • Karl-Hermann Schäfer, Kommunikation und Interaktion, Grundbegriffe einer Pädagogik des Pragmatismus, Lehrbuch, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14529-0
  • Marie-Luise Raters, Marcus Willaschek (Hg.): Hilary Putnam und die Tradition des Pragmatismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp, (stw), 2002
  • Klaus Oehler: Sachen und Zeichen. Zur Philosophie des Pragmatismus, Frankfurt am Main 1995, ISBN 978-3-465-02685-3
  • Mike Sandbothe (Hrsg.): Die Renaissance des Pragmatismus, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2000.
  • Mike Sandbohte (Mithrsg.): The Pragmatic Turn in Philosophy, Albany: SUNY 2004
  • Mike Sandbothe (Hrsg.): Donald Davidson/Richard Rorty - Wozu Wahrheit? Eine Debatte, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2005.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ernst Bloch: Weltveränderung oder Die elf Thesen von Marx über Feuerbach. in: Ernst Bloch: Über Karl Marx. Frankfurt am Main 1968, S. 58-120 und S. 92-95.
  2. Adam Schaff: Theorie der Wahrheit. Versuch einer marxistischen Analyse. Wien 1971, S. 257-283.
  3. Georg Klaus: Die Macht des Wortes. Ein erkenntnistheoretische-paradigmatisches Traktat. Berlin 1972.