Rechtsgutachten zur Gültigkeit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 14. September 2016 um 17:12 Uhr durch Benatrevqre (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Das Rechtsgutachten zur Gültigkeit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos (engl: Accordance with international law of the unilateral declaration of independence in respect of Kosovo) war eine Stellungnahme des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag auf Antrag der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum völkerrechtlichen Status des Kosovo. Die Entscheidung des Gerichtshofs wurde am 22. Juli 2010 bekanntgegeben.[1]

Vorgeschichte

Abstimmungsverhalten bezüglich der Zulassung der serbischen Initiative:
grün: Zustimmung
rot: Ablehnung
beige: Enthaltung
grau: keine Teilnahme

Nach dem Ende des Kosovokriegs 1999 wurde die vormals zu Serbien gehörende Region des Kosovo unter die Verwaltung der United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK), der Interimsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo, gestellt. Die Befugnisse und Verantwortungen der Kommission wurden in der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates geregelt. Die Resolution war unbefristet ausgelegt und gültig, bis ein ändernder Beschluss des Sicherheitsrates erfolgt.

Am 17. Februar 2008 erklärte das Parlament der Republik Kosovo einseitig die Unabhängigkeit, das heißt gegen den Willen Serbiens. Die Verfassung des Kosovo trat am 15. Juni 2008 in Kraft, in welcher der eigene Souveränitätsstatus festgeschrieben wurde.

Serbien verweigerte der Unabhängigkeit des Kosovos seine Zustimmung, am 15. August 2008 legte der serbische Außenminister Vuk Jeremić Beschwerde bei den Vereinten Nationen ein und äußerte den Wunsch nach einer Stellungnahme des internationalen Gerichtshofs. Dieser Initiative wurde am 8. Oktober 2008 mit 77 Ja-Stimmen, 74 Enthaltungen und sechs Gegenstimmen stattgegeben.

Entscheidung des Gerichts

Die Entscheidung wurde am 22. Juli 2010 von Hisashi Owada, dem Präsidenten des Gerichts, verkündet. Es stellte klar, dass die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht im Widerspruch zum Völkerrecht stehen würde, da weder das Völkergewohnheitsrecht noch das Völkervertragsrecht ein Verbot einseitiger Unabhängigkeitserklärungen eines Volkes beinhalten würde. Insbesondere verletze die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht die territoriale Integrität Jugoslawiens bzw. Serbiens, weil territoriale Unversehrtheit als Völkerrechtsprinzip nur für das Verhältnis zwischen Staaten, nicht jedoch für Akteure innerhalb eines Staates gelte. Gleichwohl verweist der IGH auf Fälle in der völkerrechtlichen Praxis, in denen einseitige Unabhängigkeitserklärungen durch den UN-Sicherheitsrat für illegal erklärt wurden (z. B. die Unabhängigkeitserklärung Nordzyperns). Dies habe nicht an der Einseitigkeit der Unabhängigkeitserklärungen gelegen, sondern an ihren Umständen. Laut dem IGH sind einseitige Unabhängigkeitserklärungen nur dann völkerrechtswidrig, wenn sie mit unrechtmäßiger Gewaltanwendung (allgemeines Gewaltverbot) oder anderen groben Verstößen gegen das Völkerrecht einhergehen.[2]

Die Frage, welcher Rechtsstatus der „kosovarischen Nationalversammlung“ als Verkünder der Unabhängigkeitserklärung zukommen würde, blieb unbeantwortet. Das Gericht sprach von „Vertretern des Volkes des Kosovo“ und vermied somit den Konflikt, der sich daraus ergab, dass die einzig legitime Verwaltungsmacht bei der UNMIK lag.[1] Gleichzeitig bestätigte das Gericht die Gültigkeit der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates welche die Souveränität und die territoriale Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien, deren Rechtsnachfolger das heutige Serbien ist, erwähnt.

Internationale Reaktionen

Erwartungsgemäß wurde das Urteil von der Republik Kosovo begrüßt und von Serbien negativ bewertet. Von der EU und den USA wurde das Urteil wohlwollend aufgenommen, die überwiegende westliche Position der diplomatischen Anerkennung Kosovos wurde mit dem Urteil legitimiert.[3][4]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b Accordance with international law of the unilateral declaration of independence in respect of Kosovo (Rechtsgutachten zur Gültigkeit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos)
  2. Christian Walter: Postscript: Self-Determination, Secession, and the Crimean Crisis 2014. In: Christian Walter, Antje von Ungern-Sternberg, Kavus Abushov (Hrsg.): Self-Determination and Secession in International Law. Oxford University Press, Oxford 2014, ISBN 978-0-19-870237-5, S. 299 f.; Jure Vidmar: The Annexation of Crimea and the Boundaries of the Will of the People. In: German Law Journal. 16, Nr. 3, 2015, S. 365–383; Christian Marxsen: The Crimea Crisis – An International Law Perspective. In: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 72, Nr. 4, S. 367–391; Otto Luchterhandt: Der Anschluss der Krim an Russland aus völkerrechtlicher Sicht. In: Archiv des Völkerrechts 52, Nr. 2, 2014, S. 137–174. doi:10.1628/000389214X684276.
  3. International court rules that Kosovo independence is lawful, Deutsche Welle
  4. Reaction in quotes: UN legal ruling on Kosovo, BBC

Literatur

  • Peter Hilpold (Hrsg.): Das Kosovo-Gutachten des IGH vom 22. Juli 2010. Leiden, Boston 2012, ISBN 978-90-04-20482-9.

Weblinks