Rettungsaktion in der Riesending-Schachthöhle

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 31. Juli 2016 um 14:00 Uhr durch Ute Erb (Diskussion | Beiträge) (r). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Etappen der Rettungsaktion, Höhlen-Querschnitt
Zeltstadt der Rettungskräfte am Höhleneingang auf dem Untersberg

Bei der Rettungsaktion in der Riesending-Schachthöhle wurde der Höhlenforscher Johann Westhauser im Juni 2014 aus der Riesending-Schachthöhle gerettet.

Seit 2002 forscht Westhauser in der 1996 entdeckten Höhle. Er zählt zu den erfahrensten Höhlenforschern Deutschlands.[1][2]

Unfallereignis

Transport des Verletzten innerhalb der Höhle
Verletztenversorgung in der Höhle

Drei Höhlenforscher stiegen am Mittag des Samstag, 7. Juni 2014 in die Höhle ein,[3] die als „ab dem ersten Meter […] technisch anspruchsvolle Schacht- und Wasserhöhle“ gilt.[4] Am Sonntag, 8. Juni 2014 gegen 01:30 Uhr (MESZ) wurde Westhauser in rund 1000 Metern Tiefe bei einem Steinschlag schwer am Kopf verletzt.[5][6] Dabei erlitt er ein Schädel-Hirn-Trauma.[7]

Einer seiner Begleiter blieb nach der Erstversorgung und Lagerung des Verletzten in der Höhle bei Westhauser, während der andere Begleiter aufbrach, um Hilfe zu holen. Im Berg besteht weder Funk- noch Handyempfang. Nach zwölf Stunden Aufstieg (etwa sechs Kilometer Wegstrecke) erreichte der alarmierende Begleiter den Höhleneingang und konnte von dort die Rettungsaktion in Gang setzen.[3][8]

Rettungsaktion

Die Seilwinde, mit der Westhauser im letzten Abschnitt geborgen wurde
Die Retter bringen Westhauser zum Hubschrauber

Die Rettung gestaltete sich wegen der komplizierten Höhlenstruktur äußerst schwierig.[9][10][11] Nachdem bereits mehrere Höhlenretter den Verletzten erreicht und versorgt hatten, traf am Abend des 11. Juni ein Arzt an der Unglücksstelle ein.[12] Am Freitag, den 13. Juni 2014 begann der langwierige Abtransport des Verletzten,[13] der wegen der Verletzung und der komplizierten Höhlenstruktur schwierig war. Der Zustand Westhausers stabilisierte sich in den Einsatztagen so weit, dass er kurzzeitig aufstehen und an der Rettung mitwirken konnte.[8] Eine besondere Herausforderung war, einen Rettungskollaps während der komplizierten Bergung zu vermeiden. Westhauser war bei der Bergung liegend auf einer Trage festgeschnallt, musste daher auch am 200 Meter hohen, engen und verwinkelten Schacht am Höhleneingang auf dieser mit Muskelkraft hochgezogen werden. Am Donnerstag, den 19. Juni 2014 um 11:44 Uhr konnte die Rettungsaktion mit der Ankunft Westhausers an der Oberfläche erfolgreich abgeschlossen werden.[14] Die senkrechten Schlote innerhalb der Höhle wurden bewältigt, indem Retter sich als Gegengewichte herunterließen, sowie für den letzten Teil mit einer manuell betätigten Seilwinde, die oberhalb des Höhleneingangs installiert wurde. Für die anschließende Versorgung war extra im Gebirge eine Notfallstation aufgebaut worden, Westhauser wurde dann in die Unfallklinik Murnau geflogen.

Für die Rettung mussten die Wege in der Höhle zusätzlich mit Fixseilen, Bohrhaken und Trittstiften gesichert werden.[8][15] Zur Kommunikation wurde ein Cave-Link-System (mit einem redundanten Zweitsystem) genutzt und außerdem ein Kabel für ein Telefon verlegt.[16][17] Zwischenzeitlich befanden sich bis zu 60 Personen in der Höhle und es waren bis zu 90 Prozent der Höhlenretter-Ausrüstung der Bergwacht Bayern in der Höhle verbaut.[18] Eine Herausforderung stellte die Versorgung des Verletzten und der Höhlenretter dar.[15] Am Höhleneingang wurde ein Materiallager, eine notfallmedizinische Versorgungsstation und eine Notunterkunft für die Einsatzkräfte aufgebaut, im Umfeld des Höhleneinganges wurde ein provisorischer Landeplatz für Hubschrauber errichtet.[8] Das Lage- und Pressezentrum wurde durch die Bergwacht Bayern bei der Feuerwehr Berchtesgaden eingerichtet,[8] das Lager für die Einsatzkräfte und der Hubschrauberlandeplatz befanden sich in der Jägerkaserne der Bundeswehr in Bischofswiesen-Strub bei Berchtesgaden.[19] Insgesamt waren 728 Helfer im Einsatz, davon waren 202 Retter aus fünf Nationen in der Höhle: 89 Italiener, 42 Österreicher, 27 Deutsche, 24 Schweizer und 20 Kroaten. Die kroatischen Höhlenretter wurden von der Einsatzleitung angefordert, um die Sicherung der Helfer in der Höhle zu übernehmen.

Über die Rettungsaktion, die als „Kapitel alpiner Rettungsgeschichte“[20] bezeichnet wurde, wurde international berichtet.[21][22][23][24] Erinnerungen wurden wach an die spektakuläre, ebenfalls in internationaler Zusammenarbeit organisierte Rettung Claudio Cortis 1957 aus der Eiger-Nordwand. Die Rettung aus der Riesending-Höhle übertraf den Aufwand der internationalen Zusammenarbeit aber weit.[20]

Im August 2015 wurden die Kosten des Rettungseinsatzes auf etwa 960.000 Euro beziffert.[25]

Nachwirkungen

Der Höhleneingang wurde am 27. Juni 2014 verschlossen, um Gefahren durch und für Katastrophentouristen zu vermeiden.[26][20] Für den Zugang werden Einzelgenehmigungen bei „berechtigtem Interesse“ und körperlicher wie fachlicher Eignung erteilt.[27]

Die Hubschraubereinsätze der bayerischen Polizei wurden nicht in Rechnung gestellt, weil kein Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorgelegen habe.[28]

Der Ausbau des zunächst in der Höhle zurückgebliebenen Materials erfolgte in den niederschlagsarmen Herbstmonaten zwischen August und Oktober. Ein Teil der Ausrüstung wurde für zukünftige Höhlengänge in den bestehenden Biwaks deponiert.[29]

Literatur

  • Ulrich Meyer: Das Riesending im Untersberg. Arbeitsgemeinschaft für Höhlenforschung Bad Cannstatt e.V. (Hrsg.), Bad Cannstatt 2015, Kapitel 8: Der Unfall und die Rettung S. 52–60.

Weblinks

Commons: Riesending-Schachthöhle – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Medizinische Behandlung oberste Priorität. In: orf.at, 11. Juni 2014
  2. Karin Truscheit: Verunglückter Höhlenforscher Johann Westhauser. Körperlich fit und mental belastbar. In: FAZ.NET, 10. Juni 2014
  3. a b Höhlenrettungseinsatz „Riesending“ – Chronologie, Deutsches Rotes Kreuz.
  4. Dem »Riesending« auf den Grund gegangen, Interview mit Florian Schwarz. Berchtesgadener Anzeiger, 14. Mai 2014
  5. Verunglückter Forscher Johann Westhauser: Rettungsaktion nach Höhlendrama zieht sich hin. In: FAZ.NET, 11. Juni 2014
  6. Höhlenrettungseinsatz „Riesending“ – Tag 1. Bergwacht Bayern, 8. Juni 2014, archiviert vom Original am 12. Juni 2014; abgerufen am 4. August 2014.
  7. Riesending-Höhle: Höhlen-Drama: Chirurg will notfalls in 1000 Metern Tiefe operieren. In: Augsburger Allgemeine, 11. Juni 2014
  8. a b c d e Internationaler Höhlenrettungseinsatz, Bergwacht Bayern, 25. Juni 2014.
  9. Die Rettung wird zur Geduldsprobe (Memento vom 10. Juni 2014 im Internet Archive), BR-online, 8. Juni 2014
  10. Gefangen in 1000 Metern Tiefe: Schwerverletzter sitzt in Riesending-Höhle fest. In: FAZ.NET, 8. Juni 2014
  11. Alpen: Schwerverletzter sitzt in 1000 Metern Tiefe fest. Süddeutsche.de, 9. Juni 2014
  12. Stephanie Lahrtz: Ein Arzt erreicht den Verletzten: Höhlenforscher erlitt Schädel-Hirn-Trauma. In: Neue Zürcher Zeitung, 11. Juni 2014
  13. Roland Ampenberger: Erste Wegstrecke beim Patiententransport in der Riesending-Schachthöhle absolviert. Bayerisches Rotes Kreuz, Kreisverband Berchtesgaden, 14. Juni 2014.
  14. Bergwacht Bayern: "Verletzter Forscher aus Riesending-Höhle gerettet". Die Welt, 19. Juni 2014.
  15. a b Drama um verletzten Höhlenforscher: So soll die Rettung ablaufen. In: Augsburger Allgemeine, 14. Juni 2014.
  16. Markus Leitner: Komplexes Versorgungsnetz für Rettungskräfte in der Riesending-Schachthöhle. Bayerisches Rotes Kreuz, Kreisverband Berchtesgaden, 14. Juni 2014.
  17. Bergung des verletzten Höhlenforschers. Die erste Etappe ist geschafft. In: swr.de, 13. Juni 2014.
  18. Nach fünftägigem Rücktransport Forscher Westhauser ist aus der Riesending-Schachthöhle gerettet, ingenieur.de, 20. Juni 2014.
  19. Untersberg – Gebirgsjäger unterstützen bei Höhlenrettung, deutschesheer.de, 17. Juni 2014.
  20. a b c Stephanie Geiger: Nach Forscher-Unglück: Bayerns Innenminister will Riesending-Höhle schließen. In: FAZ.NET, 18. Juni 2014.
  21. Germania, speleologo intrappolato a mille metri sotto terra. Corriere della Sera, 12. Juni 2014.
  22. Une opération d'envergure pour secourir un spéléologue allemand. Le Figaro, 10. Juni 2014.
  23. German cave rescue of Johann Westhauser under way. BBC, 16. Juni 2014.
  24. German cave rescue of Johann Westhauser can begin, doctors say. CBC news, 12. Juni 2014.
  25. Riesending-Drama: Rettung von Höhlenforscher kostete fast eine Million Euro. Abgerufen am 22. August 2015.
  26. Eingang mit Stahlgitter verschlossen (Memento vom 5. Dezember 2014 im Internet Archive), Bayerischer Rundfunk, 28. Juni 2014, abgerufen am 29. Juni 2014.
  27. "Riesending" wird geschlossen. Berchtesgadener Anzeiger, 20. Juni 2014.
  28. Forscher muss Hubschrauberrettung nicht zahlen, sueddeutsche.de, 7. Juli 2014.
  29. Material nach Rettung aus Riesending-Höhle geborgen, heimatzeitung.de, 2. Dezember 2014