Silvio Vietta

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Silvio Vietta

Silvio Vietta (* 7. August 1941 in Berlin) ist Literaturwissenschaftler und Professor em. an der Universität Hildesheim. Seine Forschungen konzentrieren sich auf deutsche Literatur, Philosophie und Europäische Kulturgeschichte. Hauptforschungsfelder in der Literatur sind der Expressionismus, Frühromantik, die Moderne. Vietta publizierte zu Heidegger und Hans-Georg Gadamer. Beide kannte er persönlich. Mit Gadamer führte er 2001 das letzte publizierte Gespräch (2002). Jüngste Forschungen widmen sich der Europäischen Kulturgeschichte und insbesondere der Rationalität als Motor der Geschichte Europas und der heutigen Globalisierung.

Biographie

Silvio Vietta ist der Sohn von Egon Vietta und Dorothea, geb. Feldhaus. Den Briefwechsel zwischen Egon Vietta und Hermann Broch edierte Vietta 2012 zusammen mit dem italienischen Wissenschaftler Roberto Rizzo. Nach dem Studium der Germanistik, Philosophie, Anglistik und Pädagogik folgte 1970 die Promotion an der Universität Würzburg über Sprache und Sprachreflexion in der modernen Lyrik. Vietta begann seine berufliche Karriere als Lecturer am Elmira College/ USA. 1981 habilitierte sich Vietta für Neuere deutsche Philologie an der Universität Mannheim mit einer Arbeit über Neuzeitliche Rationalität und moderne literarische Sprachkritik und unterrichtete an den Universitäten Heidelberg, Tübingen, Mannheim und Hildesheim. In Hildesheim hat Vietta den Diplom-Studiengang „Kulturpädagogik“ (heute: Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis) mit aufgebaut und die Hildesheimer Kulturwissenschaften nachhaltig geprägt. In den Jahren 2006 war er Visiting Professor an der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität, 2007 und 2008-09 an der Universität Sassari, Italien, 2012 Gastprofessor an der Universität Campinas in Brasilien, 2013 an der Nehru-Universität in New Delhi Indien. Über beide Landeserfahrungen gibt Vietta auch in Publikationen Auskunft: Das Fleisch des Lebens. Tagebuch einer Brasilienreise (2013) und: Flughunde über Mumbai. Wie ich ein anderes Indien entdeckte (2015). Vietta ist Mitglied des Advisory Boards von „Angermion“, „Jahrbuch für britisch-deutsche Kulturbeziehungen“ und ist Mitglied von AVUR (Agenzia Nationale Valutazione Ricerca Universitaria) in Italien, sowie Mitglied des Internationalen Germanistenverbandes. Vietta ist Vater von zwei Kindern: Isabel (* 1974) und Claudio (* 1979).

Preise

Theorie

Vietta ist spezialisiert auf das Feld der Makro-Epochenforschung. Er hat grundlegende Arbeiten publiziert zur Epoche des Expressionismus, zur Frühromantik, zur literarischen und ästhetischen Moderne. Das Werk des Romantikers Wilhelm Heinrich Wackenroder hat er zusammen mit Richard Littlejohns in einer historisch-kritischen Edition herausgegeben (1991). Eine Publikation des Jahres 2012 mit dem Titel „Texte zur Poetik“ dokumentiert die europäische Geschichte der Poetik von Platon und Aristoteles über das Mittelalter, die Neuzeit bis hin zur Moderne und Postmoderne. Vietta gehört zu den Mitbegründern einer neuen Forschungslinie der Europaforschungen („Europäistik“) mit Studien zur Europäischen Kulturgeschichte und neuerdings zur Rationalität und der in ihr begründeten europäischen und globalen Zivilisation. Vietta vertritt die These, dass die abendländische Rationalität und insbesondere ihre kriegstechnische Überlegenheit zur Erforschung und Eroberung der Welt und somit zur heutigen Weltgesellschaft geführt haben. Nach Vietta ist die jeweilige Rationalitätsentwicklung entscheidend für die unterschiedlichen Lebensstandards in der Welt und somit für die Verteilung von Arm und Reich, die ihrerseits zu den weltweiten Migrationsbewegungen führen. Vietta vertritt auch die These, dass der religiöse Fundamentalismus eine Antwort ist auf diese Asymmetrie in der Rationalitätsentwicklung und somit diese und nicht primär die Religion für die Konfrontation der Kulturen verantwortlich sei. Auch die abendländische Literaturgeschichte bewegt sich im Rahmen der europäischen Rationalitätsentwicklung, wobei die Literatur von der antiken Tragödie bis zum modernen Roman eine kritische Gegenstimme zur Dominanz der Rationalität bildet. 1989 hat Vietta in der umstrittenen Studie „Heideggers Kritik am Nationalsozialismus und an der Technik“ nachzuweisen versucht, dass dieser Denker sich ab 1934 vom Nationalsozialismus abgewandt habe und ihm gerade am Nationalsozialismus das Wesen der modernen „Machenschaft“ – d. h. der machtpolitischen Weltvereinnahmung – aufgegangen sei. Gegen diese habe Heidegger seine Philosophie der Schonung und des Menschen als „Hirten des Seins“ entwickelt. Viettas neue Veröffentlichung „‘Etwas rast um den Erdball…‘ Heidegger: Ambivalente Existenz und Globalisierungskritik“ von 2015 rekonstruiert Heideggers Seinsphilosophie und vertritt die apologetische These, dass Heideggers Annäherung an den NS lediglich dem Irrtum entsprungen sei, seine Seinsphilosophie mit Hilfe der Nazis durchsetzen zu können. Heideggers Äußerungen zu Juden und Judentum, insbesondere die seit der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte 2014 in der öffentlichen Diskussion stehenden und bekannt gewordenen Notate der Jahre 1938-1945, seien, so Vietta, nicht als Antisemitismus im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie als „biopolitscher Rassissmus“ zu verstehen, sondern bloß als eine Form allgemeiner und zudem legitimer „Kulturkritik“ an bestimmten jüdisch-kapitalistischen Funktionsträgern.[1]

Werke

  • Vietta, Silvio: Sprache und Sprachreflexion in der modernen Lyrik. Bad Homburg 1970.
  • Vietta, Silvio: Expressionismus. (zus. mit H.G. Kemper). Siebte Auflage. München 2001 (1975).
  • Vietta, Silvio: Die Lyrik des Expressionismus. (Hg.) 4. Aufl. Tübingen 1999 (1976).
  • Vietta, Silvio: Neuzeitliche Rationalität und moderne Literarische Sprachkritik. München 1981.
  • Vietta, Silvio: Die literarische Frühromantik. Göttingen 1983.
  • Vietta, Silvio: Literarische Phantasie: Theorie und Geschichte. Barock und Aufklärung. Stuttgart 1986.
  • Vietta, Silvio: Heideggers Kritik am Nationalsozialismus und an der Technik. Tübingen 1989. (Französ. Übersetzung Paris 1993, japan. Übersetzung Tokio 1996).
  • Vietta, Silvio: Wilhelm Heinrich Wackenroder. Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. mit R. Littlejohns. Bd. I: Werke. Heidelberg 1991. Bd. II: Briefwechsel, Reiseberichte, philologische Arbeiten, 'Das Kloster Netley'. Lebenszeugnisse. Heidelberg 1991.
  • Vietta, Silvio: Die Literarische Moderne. Eine problemgeschichtliche Darstellung der deutschen Literatur von Hölderlin bis Thomas Bernhard. Stuttgart 1992.
  • Vietta, Silvio (Hg.): Romantik und Renaissance. Die Rezeption der italienischen Renaissance in der deutschen Romantik. Stuttgart 1994.
  • Vietta, Silvio: Die vollendete Speculation führt zur Natur zurück. Natur und Ästhetik. Leipzig 1995.
  • Vietta, Silvio (Hg.): Ehrenpromotion Martin Walser. Reden. Schreiben. Vertonen. 108 S. Hildesheim 1996.
  • Vietta, Silvio/Kemper, Dirk (Hg.): Ästhetische Moderne in Europa. Grundzüge und Problemzusammenhänge seit der Romantik. München 1998.
  • Vietta, Silvio/Kemper, Dirk (Hg.): Germanistik der 70er Jahre. Zwischen Innovation und Ideologie. München 2000.
  • Vietta, Silvio (Hg.): Das literarische Berlin im 20. Jahrhundert. Stuttgart 2001.
  • Vietta, Silvio: Ästhetik der Moderne. Literatur und Bild. München 2001.
  • Hans-Georg Gadamer/Vietta, Silvio: Im Gespräch. München 2002.
  • Vietta, Silvio (Hg. u.a): Das Europa-Projekt der Romantik und die Moderne. Ansätze zu einer deutsch-italienischen Mentalitätsgeschichte. Tübingen 2005.
  • Vietta, Silvio (Hg.): Moderne und Mythos. München 2006.
  • Vietta, Silvio: Der europäische Roman der Moderne. München 2007.
  • Vietta, Silvio: Europäische Kulturgeschichte. Eine Einführung. Erweiterte Studienausgabe. München 2007.
  • Vietta, Silvio (Hg. u. a.): Ästhetik – Religion – Säkularisierung I: Von der Renaissance zur Romantik. München 2008. Bd. II: Die klassische Moderne. München 2008.
  • Gehler, Michael/Vietta, Silvio (Hg.): Europa - Europäisierung - Europäistik. Neue wissenschaftliche Ansätze, Methoden und Inhalte. 543 S. Wien 2010.
  • Vietta, Silvio (Hg.): Texte zur Poetik. Eine kommentierte Anthologie. 272 S. Darmstadt 2012.
  • Vietta, Silvio/Rizzo, Roberto (Hg.): "sich an den Tod heranpürschen…". Hermann Broch und Egon Vietta im Briefwechsel 1933 - 1951. 367 S. Göttingen 2012.
  • Vietta, Silvio: Rationalität. Eine Weltgeschichte. Europäische Kulturgeschichte und Globalisierung. 500 S. München 2012.
  • Vietta, Silvio: A Theory of Global Civilization: Rationality and the Irrational as the Driving Forces of History. Kindle Ebooks 2013.
  • Vietta, Silvio: Das Fleisch des Lebens. Tagebuch einer Brasilienreise. Oldenburg 2013.
  • Vietta, Silvio: Literatur und Rationalität. Funktionen der Literatur in der europäischen Kulturgeschichte. München 2014.
  • Vietta, Silvio: Flughunde über Mumbai. Wie ich ein anderes Indien entdeckte. Oldenburg 2015.
  • Vietta, Silvio: ‘Etwas rast um den Erdball…‘ Heidegger: Ambivalente Existenz und Globalisierungskritik. Paderborn 2015.
  • Vietta, Silvio: Die Weltgesellschaft. Wie die abendländische Rationalität die Welt erobert und verändert hat. Baden-Baden 2016.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Zu Viettas Heidegger-Apologetik vgl. die Kritik von Jan Süselbeck: Die Chiffre der planetarischen Technik; hier das erste Kapitel: Spitzenleistungen der aktuellen Heidegger-Apologetik. literaturkritik, rezensionsforum.