Sturm auf die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße 1990

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Stürmung und Verwüstung der Büroräume der Stasi-Zentrale

Zum Sturm auf die Zentrale der Staatssicherheit der DDR in der Normannenstraße in Ostberlin kam es am 15. Januar 1990. Bürger stürmten in den Gebäudekomplex, um die Vernichtung von Akten durch die sich auflösende Staatssicherheit zu verhindern. Die Besetzung des Hauptquartiers des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wurde die Voraussetzung dafür, dass damals viele Akten gesichert werden konnten und heute im wiedervereinten Deutschland in der Stasiunterlagen-Behörde einsehbar sind.[1]

Vorangegangene Ereignisse

Demonstration vor dem Gebäude am Vortag

Am Morgen des 4. Dezember 1989 wurde die Stasi-Bezirksverwaltung in Erfurt[2], am Abend dann auch die in Leipzig, Suhl und Rostock und eine Reihe von Kreisdienststellen von Bürgerrechtlern besetzt. In den folgenden beiden Tagen folgte die Besetzung aller anderen Bezirksdienststellen. [3] Die Hauptforderung der Besetzer waren: Stopp der Aktenvernichtung und Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit. Mit den daraufhin gegründeten Bürgerkomitees und Bürgerwachen begann die Auflösung der Stasi.

Zu diesem Zeitpunkt arbeitete aber die Zentrale in der Berliner Normannenstraße unter anderem Namen nach wie vor. Sie war am 17. November offiziell in „Amt für nationale Sicherheit“ umbenannt worden. Die neue Spitze der Staatssicherheit hatte wahrgenommen, dass sich die politischen Rahmenbedingungen für die Arbeit der Stasi wandelten, und reagierte mit äußerlichen "Reformen". Denn mit den Besetzungen in den Bezirken hatten sich die politischen Bedingungen für die Stasi radikal geändert. Stasi-Chef Erich Mielke hatte seine Ämter verloren und wurde am 5. Dezember 1989, ebenso wie Erich Honecker und andere ehemalige SED-Politbüromitglieder, in der Waldsiedlung Wandlitz unter Hausarrest gestellt. Unter Leitung früherer Stasi-Offiziere, darunter Generaloberst Rudi Mittig, bestanden die alten Strukturen der Staatssicherheit jedoch weiter fort. Mittig und andere leitende Mitarbeiter erklärten am 5. Dezember 1989 ihren Rücktritt. Im Amt blieb der umstrittene Behördenleiter der Staatssicherheit Wolfgang Schwanitz. Schwanitz hatte sich zunächst nach seiner Ernennung von den früheren Praktiken der Stasi distanziert und eine Verringerung der Mitarbeiterzahl um 8000 Personen angekündigt. Jedoch musste er am 7. Dezember 1989 zugeben, die Vernichtung von Akten in seinem Bereich befohlen zu haben.

Zu diesem Zeitpunkt waren nach offiziellen Angaben der DDR-Regierung von den ursprünglich 85.000 hauptamtlichen Mitarbeitern bereits 30.000 entlassen und weitere 20.500 in die Volkswirtschaft der DDR eingegliedert worden. Von den restlichen 32.500 Stasi-Angestellten sollten 20.000 in der nächsten Zeit entlassen werden. Die verbliebenen 12.500 würden nach Regierungsangaben noch zur beschleunigten Auflösung des ehemaligen MfS benötigt.

Die gesamte Auflösung des Staats-Apparates wurde von Ministerpräsident Hans Modrow nach Ansicht vieler Bürgerrechtler nur halbherzig betrieben. Viele Bürger forderten deshalb eine sofortige Auflösung der Staatssicherheit ohne eine Bildung von Nachfolgebehörden.

Dass die Zentrale des einstigen MfS in Berlin weiterarbeitete, ärgerte viele besonders. Es kam DDR-weit immer wieder zu Protesten, sogar Streikdrohungen und Demonstrationen. In dieser Situation beschlossen die Bürgerkomitees, die die Bezirksverwaltungen des MfS besetzt hielten, in Berlin einzugreifen. Am Morgen des 15. Januar forderten sie vor dem runden Tisch vor laufenen Fernsehkameras, dem Treiben ein Ende zu machen. Am Nachmittag schlossen sie eine Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Regierung. Noch bevor die Demonstranten eintrafen, hatte die Stasi also schon kapitulieren müssen.[4]

Stürmung

Demonstranten durchstöbern Akten und Unterlagen

Um den Druck auf die Regierung zu erhöhen, hatte auch die Bürgerbewegung Neues Forum zu einer Protestdemonstration am 15. Januar 1990 in der Normannenstraße in Ost-Berlin aufgerufen.[5] Tausende Demonstranten folgten dem Aufruf und drängten sich vor dem Tor des alten Ministeriums für Staatssicherheit. Bezirk Lichtenberg. Das Gelände war über Jahrzehnte Sperrgebiet. Nach Angaben des DDR-Fernsehen waren 100.000 Demonstranten vor der Stasi-Zentrale versammelt.[6] Der DDR-Ministerrat forderte die Volkspolizei auf, Vertreter der Bürgerrechtsbewegung ausfindig zu machen und mit ihnen die Sicherung der Stasi-Zentrale von außen zu besprechen. Die Volkspolizei riegelte das Gelände mit Einsatzwagen ab, griff aber in das Geschehen nicht ein.

Die Demonstranten forderten laut die Öffnung des Eingangstores. Gegen 17 Uhr sprang ein Demonstrant über das Tor. Die Mitglieder der Bürgerkomitees und die Polizei die innen hinter dem Tor waren, beschlossen nicht einzugreifen. So konnte die Menschen in den Hof des Stasi-Geländes zwischen Rusche- und Normannenstraße strömen. Auf dem Gelände befanden sich nur wenige Mitarbeiter der Stasi, da viele schon mittags ihre Arbeit beendet hatten, um die Lage zu deeskalieren.

Auf dem Gelände bog der Menschenpulk nach links ab, zum Versorgungstrakt des Komplexes und zum Trakt der Spionageabwehr. Es kam zu tumultartigen Szenen, bei denen Scheiben barsten und Möbel und Akten aus den Fenstern flogen. Gewalt gegen Menschen gab es keine und auch keinen Schusswaffengebrauch.

Zweite Besetzung

Eine der wichtigsten Forderung der Besetzer war, dass die Akten für die Aufklärung des DDR-Unrechtes und zur Rehabilitierung der Opfer geöffnet werden. Immer wieder kam es zu Versuchen der DDR-Regierung, die Vernichtung der Akten doch noch durchzusetzen und eine Einsichtnahme zu verhindern. Die 1990 frei gewählte Volkskammer der DDR verabschiedete in ihrer letzten Sitzung ein entsprechendes Gesetz, das aber nicht in den Einigungsvertrag übernommen wurde. Eine zweite Besetzung des Gebäudes und ein Hungerstreik im September 1990 sorgten dafür, dass die gesicherten Akten der Staatssicherheit nicht im BRD-Bundesarchiv in Koblenz verschwanden. Führende westliche Politiker aus der Regierung, wie auch Helmut Kohl selbst, wollten das Akten-Material lieber vernichten oder in das Bundesarchiv verbringen lassen. Dort sollte es unter Verschluss bleiben.

Wirkung

Büroraum nach der Stürmung

Nach der Besetzung lenkte die DDR-Regierung unter Ministerpräsident Hans Modrow ein und löste das Ministerium für Staatssicherheit wie vom Neuen Forum gefordert auf.

Der Journalist Marcel Fürstenau ist der Meinung, wäre die Stasi-Zentrale schon Ende Oktober 1989, also kurz vor dem Fall der Berliner Mauer, gestürmt worden, hätte es vielleicht ein Blutbad geben können.[7] Zu diesem Zeitpunkt war noch der Einsatz von Schusswaffen zur Gefahren-Abwehr vorgesehen.

Erinnerung und Würdigung

Die Besetzung der Bezirks- und Kreisdiensstellen und der Sturm auf die Hauptdienstelle der Staatssicherheit rettete massenhaft Akten vor der Vernichtung und legte so den Grundstein für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, sagte der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn 2015.[8] Mit einem Bürgertag am 17. Januar 2015 auf dem Gelände wurde an das historische Ereignis erinnert. Eine neue Dauerausstellung zum Wirken der Stasi wurde eingeweiht.

Einzelnachweise

  1. Christian Booß: ' Von der Stasi-Erstürmung zur Aktenöffnung. http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/54118/stasi-akten-konflikte-kompromisse?p=all
  2. Die 1. Stasi-Besetzung 1989 in Erfurt - www.gesellsachft-zeitgeschichte.de
  3. Wikipedia: Stasi-Unterlagen
  4. Christian Booß von der Stasi-Erstürmung zur Aktenöffnung [1]
  5. Thilo Schmidt: War dies alles Zufall? Der Sturm auf die Stasi-Zentrale in Berlin. Deutschlandradio Kultur-Länderreport.
  6. morgenpost.de
  7. dw.de
  8. Bürgertag geplant. Sturm auf die Stasi-Zentrale vor 25 Jahren. In: Welt.de. 12. Januar 2015, archiviert vom Original am 15. Januar 2015; abgerufen am 16. Januar 2015.

Koordinaten: 52° 30′ 52″ N, 13° 29′ 15″ O