Vindolanda-Tafeln

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Die Vindolanda-Tafeln sind ein Fundkomplex aus dem Kastell Vindolanda, einem ehemaligen römischen Militärlager, dessen Besatzung für Sicherungs- und Überwachungsaufgaben im Hinterland des Hadrianswalls in Großbritannien eingesetzt wurde. Die aus Holz gefertigten Täfelchen dienten als Beschreibstoff.

Herstellung und Gebrauch

Schreibtafel Nr. 343, Brief des Octavius an Candidus über Getreidenachschub.[1]

Im Zuge mehrerer Ausgrabungskampagnen wurden ab 1973 über tausend zumeist fragmentierte hölzerne Täfelchen geborgen, die in lateinischer Sprache verfasste Schreiben unterschiedlichster Art enthalten. Sie bieten der Papyrologie und der Paläographie wertvolle Informationen zum antiken Schriftwesen und zur Entwicklung der lateinischen Kursivschrift, der Klassischen Philologie und Lateinischen Linguistik zur Entwicklung der lateinischen Umgangssprache, des sogenannten Vulgärlateins, und der Geschichtswissenschaft zur römischen Heeres-, Alltags- und Provinzialgeschichte. Aus dem militärisch-dienstlichen Alltag der Garnison stammen Akten, die Proviantlisten und Truppenbewegungen beinhalten, doch auch über Kampfeinsätze wird berichtet. Daneben finden sich über hundert offizielle Dienstschreiben sowie private Korrespondenz einzelner Soldaten. Andere Briefe gehören in das Umfeld des Lagerdorfs und stammen von Händlern und Soldatenfrauen. Die erstmals ab 1983 publizierten Tafeln umfassen die Zeit zwischen 85 und 130 n. Chr. Der Schwerpunkt liegt in den Jahren 92 und 103 n. Chr,[2] als hier die 9. Bataverkohorte stationiert war. Vielleicht ließen deren Kommandeure vor ihrem Abmarsch in den Dakerkrieg 105 n. Chr. alle unnütz gewordenen Dokumente vernichten.

Die dünnen Täfelchen sind relativ normiert und besitzen eine durchschnittliche Größe von rund 20 × 9 Zentimetern. Zumeist aus Erlenholz, seltener aus Birke, sind sie mit Tinte beschrieben. War mehr als ein Täfelchen notwendig, um das zu Schreibende unterzubringen, wurden, wie auch bei den verbreiteteren Wachstafeln üblich, zwei (Diptychon) oder mehrere (Polyptychon) von ihnen zu einem Leporello vereinigt. Bücher dieser Art sind auch in einigen weiteren Fällen überliefert, sogar als Träger literarischer Texte.[3] Bei der Aufdeckung verblich die Schrift meist sofort. Um sie wieder lesbar zu machen, mussten die Tafeln zur Konservierung zuerst in Alkohol und Äther getränkt und dann bei Infrarotlicht fotografiert werden. Alan K. Bowman stellte fest, dass die Texte in Kursivschrift aufgebracht worden waren. Diese war nur unter Mithilfe von Spezialisten wie dem Papyrologen David Thomas zu entziffern, da die Buchstabenformen – besonders bei häufig vorkommenden wie beispielsweise s, p, t, i – fast nicht zu unterscheiden waren.

Neben den Holztäfelchen fanden sich bei den Grabungen auch die Überreste von Wachstafeln (Tabula cerata), deren Reste im gesamten römischen Reich zu finden sind. Das Wachs war in Vindolanda bereits vergangen, so dass sich lediglich noch Ritzspuren des Griffels auf dem hölzernen Untergrund der Tafeln fanden. Es stellt eine große Herausforderung dar, diese Ritzspuren zu entziffern.[4]

Edition

  • Alan K. Bowman, David Thomas: Vindolanda. The Latin writing tablets. (Britannia monograph series 4). Society for the Promotion of Roman Studies, London 1983, ISBN 0-907764-02-9
  • Alan Bowman, David Thomas, The Vindolanda Writing Tablets (tabulae Vindolandenses II). British Museum Press, London 1994, ISBN 0-7141-2300-5
  • Alan K. Bowman, John David Thomas: The Vindolanda writing-tablets. (= tabulae Vindolandenses III), British Museum Press, London 2003, ISBN 0-7141-2249-1.

Literatur

  • Alan K. Bowman: Life and letters on the Roman frontier: Vindolanda and its people. British Museum Press, London 1998, ISBN 0-415-92024-8.
  • Alan K. Bowman: The Roman Writing Tablets from Vindolanda. British Museum, London 1983, ISBN 0-7141-1373-5.
  • Anthony R. Birley: Vindolanda: Das Alltagsleben in einer Grenzfestung in Britannien zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. In: Wilhelm G. Busse (Hrsg.): Burg und Schloß als Lebensorte in Mittelalter und Renaissance. (= Studia Humaniora. Band 26). Düsseldorf 1995, S. 9–18.
  • Anthony R. Birley: A band of brothers: equestrian officers in the Vindolanda tablets. In: Electrum. 5, 2000, S. 11–30.
  • Anthony R. Birley: Vindolanda: Notes on some new writing-tablets. In: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik. 88, 1991, S. 87–102.
  • Anthony R. Birley, Robin Birley: Vindolanda: four new writing tablets. In: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik. 100, 1994, S. 431–446.
  • Anthony R. Birley: Vindolanda: new writing-tablets 1986–1989 In: Roman Frontier Studies. 1989 (1991), S. 16–20.
  • Anthony R. Birley: Vindolanda: Neue Ausgrabungen 1985–1986. In: Hermann Vetters, Manfred Kandler (Hrsg.): Akten des 14. Internationalen Limeskongresses 1986 in Carnuntum. Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1990, ISBN 3-7001-1695-0, S. 333–340.
  • Anthony R. Birley: The Vindolanda tablets. In: Minerva 1.2, 1990, S. 8–11.
  • Kasper Grønlund Evers: The Vindolanda Tablets and the Ancient Economy. Archaeopress, Oxford 2006, ISBN 978-1-4073-0842-5.
  • Melissa Terras: Image to Interpretation: An Intelligent System to Aid Historians in Reading the Vindolanda Texts. Oxford University Press 2006, ISBN 9780199204557.

Weblinks

Commons: Vindolanda-Tafeln – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten

  1. Vindolanda tablets online, Nr. 343.
  2. Johann Kramer: Vulgärlateinische Alltagsdokumente auf Papyri, Ostraka, Täfelchen und Inschriften. de Gruyter, Berlin 2007. ISBN 978-3-11-020224-3. S. 48.
  3. Vgl. Lajos Berkes, Enno Giele, Michael R. Ott unter Mitarbeit von Joachim Friedrich Quack: Holz. In: Michael Ott, Thomas Meier u. Rebecca Sauer (Hrsg.): Materiale Textkulturen. Konzepte – Materialien – Praktiken (= Materiale Textkulturen). Band 1. De Gruyter, Berlin/ Boston/ München 2015, ISBN 978-3-11-037128-4, S. 383–395, bes. 384–387.
  4. Hartmut Galsterer: Vindolanda. In: Reallexikon der germanischen Altertumskunde 11, de Gruyter, Berlin 2006. ISBN 3-11-018387-0. S. 424.