ʿAura

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ʿAura (arabisch عورة, DMG ʿaura) bezeichnet im religiösen Vokabular des Islams eine Blöße, die es zu verhüllen gilt. Diese Blöße kann im konkreten Sinn aus nackter Haut bestehen, die bedeckt werden muss, oder im abstrakten Sinne aus einem im privaten Bereich liegenden Mangel oder Fehler, den es zu verschweigen gilt.[1] Der Plural des Wortes lautet auf Arabisch ʿAurāt (عورات / ‚Blößestellen‘), das gebotene Verhüllen der Blöße wird als Satr al-ʿAura (ستر العورة) bezeichnet.

Vorkommen im Koran

Der Begriff ʿaura erscheint im Koran an drei Stellen, mit unterschiedlichen Bedeutungsnuancen. In Sure 33:13 dient er zur Beschreibung ungeschützter Wohnungen in Yathrib. Zweitens soll nach Sure 24:58, wer noch nicht die Pubertät erreicht habe, zu drei Zeiten (vor dem Frühgebet, zur Zeit der Kleiderablage zu Mittag und nach dem Abendgebet), an welchen ʿaurāt zu sehen sein können, vor dem Eintreten um Erlaubnis fragen. In Sure 24:31 schließlich ist im Zusammenhang mit der Pflicht der Verhüllung der Frauen von solchen Personen die Rede, die – wie zum Beispiel Kinder – die ʿaurāt der Frauen nicht beachten. Diese drei Stellen im Koran lassen aber nicht klar erkennen, was konkret unter ʿaurāt fällt.

Konkretisierung der als ʿAurāt geltenden Körperzonen

Eine Konkretion der ʿaurāt wird bereits in frühen Hadithen versucht. Dabei wird in der Themenbehandlung üblicherweise nach sozialem Status und Geschlecht (beider Seiten, also Frauen gegenüber nicht-nahverwandten Männern, Männer gegenüber Frauen usw.) unterschieden; beispielsweise werden Sklavinnen oft Männern gleichgestellt. Die Diskussion unter islamischen Rechtsgelehrten setzt diese Versuche fort; ʿaura wird hier im Sinne eines Rechtsguts diskutiert.

Traditionelle Positionen, beispielsweise Ibn Taimiya, beziehen bezüglich der muslimischen Frau den gesamten Körper mit Ausnahme von Gesicht und Händen (bzw. der Füße) mit ein. Demgemäß wird in hanbalitischer Terminologie der Begriff praktisch auf die gesamte Frau bezogen. Die ʿaurāt des Mannes schließen in engerem Sinn nach üblicher Redeweise nur den Schambereich ein. Der Begriff wird auch in weiterem Sinne gebraucht und z. B. von einigen Gelehrten bzw. in jüngerer Zeit auch von politischen Gruppierungen und Regierungen, auch auf die Stimme der Frau bezogen, um einen Ausschluss dieser aus politischem Diskurs und z. B. öffentlicher Koranrezitation zu begründen.

Andere Verwendungen

Das Gebot zur Verhüllung der ʿAura wird in der Gegenwart von muslimischen Gelehrten aber auch im Sinne eines Gebots zur Wahrung der Privatsphäre gedeutet. So zitiert Yusuf al-Qaradawi in seinem Buch "Das Erlaubte und das Verbotene im Islam" (al-Ḥalāl wa-l-ḥarām fī l-Islām) das überlieferte Prophetenwort: "Wenn jemand eine ʿaura verhüllt, dann ist das so (verdienstvoll), wie wenn er ein lebendig begrabenes Mädchen aus ihrem Grab erretten würde" (Man satara ʿauratan fa-ka-annamā istaḥyā mauʾūdatan fī qabri-hā) und leitet daraus ab, dass es nicht erlaubt sei, anderen Menschen in ihren Häusern nachzuspionieren oder sie wegen unerlaubter Handlungen wie zum Beispiel Weingenuss zu denunzieren.[2]

Literatur

  • Oliver Leaman, Kecia Ali: Islam: the key concepts. Routledge, New York 2008, S. 12-14.
  • Reinhard Schulze: Die Verhüllung der Frau in islamischer Tradition. In: André Holenstein, Ruth Meyer Schweizer, Tristan Weddigen, Sara Margarita Zwahlen (Hrsg.): Zweite Haut. Zur Kulturgeschichte der Kleidung. Haupt, Berne 2010, S. 117-134.

Einzelnachweise

  1. Vgl. zur Vieldeutigkeit des Begriffs im heutigen Arabisch Hans Wehr: Arabisches Wörterbuch. Harrasowitz, Wiesbaden 1977, S. 588 s.v. „عورة: ; - (pl. -āt) Scham, Schamteil; Blöße; schwache Stelle“.
  2. Vgl. al-Qaraḍāwī: al-Ḥalāl wa-l-ḥarām fī l-Islām. Beirut 1993. S. 597. Engl. Übers. The Lawful and the Prohibited in Islam. Delhi 1998. S. 315.