„Pervitin“ – Versionsunterschied

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'''Pervitin'''<sup>®</sup> ist eine 1938 von der Firma [[Temmler]] hergestellte Stimulanzdroge auf [[Methamphetamin]]-Basis, die besonders während des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]] zum Einsatz kam.
'''Pervitin'''<sup>®</sup> war ein von der Firma [[Temmler]] von 1938 bis 1988 hergestelltes [[Arzneimittel]]. Der Inhaltsstoff ist das [[Stimulans]] [[Methamphetamin]]. Pervitin erlangte besondere Bekanntheit durch den relativ freizügigen Einsatz während des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]].


==Wirkung==
==Verwendung im Zweiten Weltkrieg==
Pervitin unterdrückt [[Müdigkeit]], [[Hunger]]gefühl und [[Schmerz]]. Es verleiht kurzzeitig [[Selbstbewusstsein]], ein Gefühl der Stärke und dem Leben eine ungewohnte Geschwindigkeit. Zu den Nebenwirkungen gehören Persönlichkeitsveränderungen, [[Psychose]]n und [[Paranoia]] aufgrund von [[Schlafentzug]] oder bei [[Prädisposition]]. Eine häufige Einnahme von Pervitin führt zu [[Toleranz (Medizin)|Gewöhnung]] und späterem Wirkungsverlust, der oft Dosissteigerung zur Erzielung der ursprünglichen Wirkung nach sich zieht.
Insbesondere während der "[[Blitzkrieg|Blitzkriege]]" gegen Polen und Frankreich 1939 / 1940 fand Pervitin millionenfache Verwendung. Unter den Spitznamen "''Panzerschokolade''","''[[Sturzkampfflugzeug|Stuka]]-Tabletten''" oder "''[[Hermann Göring|Hermann-Göring]]-Pillen''" diente das Mittel zur Dämpfung des Angstgefühls und zur Steigerung der Konzentrationsfähigkeit.


Zu weiteren Wirkungen und Eigenschaften: siehe [[Methamphetamin]].
Der spätere [[Literaturnobelpreis]]gewinner [[Heinrich Böll]] bat seine Eltern während des 2. Weltkrieges mehrfach in Briefen von der Front, ihm Pervitin zu schicken. <ref>http://www.taz.de/pt/2006/12/28/a0217.1/text</ref> Allein in der Zeit von April bis Juni 1940 verteilten die [[Wehrmacht]] und die [[Luftwaffe (Wehrmacht)|Luftwaffe]] mehr als 35 Millionen Tabletten Pervitin. Durch eine Intervention des damaligen "Reichsgesundheitsführers" [[Leonardo Conti (NSDAP)|Leonardo Conti]], der für seinen [[Askese|asketischen]] Lebensstil bekannt war und der die Verwendung von chemischen Hilfsmitteln ablehnte, war das Medikament ab Mitte 1941 nicht mehr frei erhältlich, sondern nur noch auf Rezept. Hierdurch reduzierte sich der Einsatz der Droge merklich. <ref>http://www.amphetamines.com/nazi.html</ref>


==Wirkung==
==Geschichte==
===Synthese===
Methamphetamin wurde 1893 erstmal durch den [[Japan|japanischen]] Chemiker [[Nagayoshi Nagai]] in flüssiger Form synthetisiert.<ref>Nagai N. ''Kanyaku maou seibun kenkyuu seiseki (zoku).'' Yakugaku Zashi 1893;13:901</ref> 1919 wurde die Substanz im Zuge der Strukturaufklärung von [[Ephedrin]] von [[Akira Ogata]] erstmals in Reinform kristallisiert und 1920 patentiert.<ref>Ogata A. ''alpha and beta-Aminoalkyl(aryl)benzenes and their derivatives''. J Pharm Soc Jpn 1919;445:193-216; Nachdruck in: Chem Abstracts 1919;13:1709.</ref>,<ref>Ogata A. ''Constitution of ephedrine - Desoxyephedrine''. J Pharm Soc Jpn 1919:451:751-64. [http://www.erowid.org/archive/rhodium/chemistry/meth.ogata.html Nachdruck in: Chem Abstracts 1920;14:475.]</ref>


In Deutschland wurde ab [[1934]] in den [[Berlin]]er [[Temmler|Temmler-Werken]] an einem weiteren Verfahren zur Herstellung von Methamphetamin geforscht. Im Oktober [[1937]] meldete Temmler beim Reichspatentamt ein Patent mit dem Titel »Verfahren zur Herstellung von Aminen« an.<ref>Reichspatentamt 1938: Patentschrift Nr. 767.186, nachträglich gedruckt durch das Deutsche Patentamt in München, patentiert am 31.10.1937, bekanntgemacht am 8.11.1951. Pervitin ist »Beispiel 1«. Quelle: Europäisches Patentamt</ref> Methamphetamin wurde [[1938]] unter dem [[Markenname]]n ''Pervitin'' von den Temmler-Werken auf den Markt gebracht.
Eine stimulierende Droge, die zu Gewöhnung und späterem Wirkungsverlust mit Dosissteigerung führen kann.


===Verwendung im Zweiten Weltkrieg===
Unterdrückt Müdigkeit, Hungergefühl und Schmerz, verleiht kurzfristig Selbstbewusstsein, ein Gefühl der Stärke und dem Leben eine ungewohnte Geschwindigkeit. Zu den Nebenwirkungen gehören Persönlichkeitsveränderungen(''Quellen?''), Psychosen und Paranoia durch Schlafentzug und bei Prädisposition.
Insbesondere während der »[[Blitzkrieg|Blitzkriege]]« gegen Polen und Frankreich 1939/40 fand Pervitin millionenfache Verwendung. Unter den Spitznamen »Panzerschokolade«, »[[Sturzkampfflugzeug|Stuka]]-Tabletten« oder »[[Hermann Göring|Hermann-Göring]]-Pillen« diente das Mittel zur Dämpfung des Angstgefühls und zur Steigerung der Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit.


Allein in der Zeit von April bis Juni 1940 bezogen [[Wehrmacht]] und [[Luftwaffe (Wehrmacht)|Luftwaffe]] mehr als 35 Millionen Tabletten Pervitin. Durch eine Intervention des damaligen »Reichsgesundheitsführers« [[Leonardo Conti (NSDAP)|Leonardo Conti]], der für seinen [[Askese|asketischen]] Lebensstil bekannt war und der die Verwendung von chemischen Hilfsmitteln ablehnte, war das Medikament ab Mitte 1941 nicht mehr frei erhältlich, sondern nur noch auf Rezept. Hierdurch reduzierte sich der Einsatz der Droge merklich.<ref>[http://www.spiegel.de/international/0,1518,354606,00.html Ulrich A. ''Hitler's Drugged Soldiers''. Spiegel Online International 06.05.2005]</ref>
==Verwendung nach 1945==

Auch nach 1945 kam der Wirkstoff zum Einsatz: Während des [[Vietnam-Krieg|Vietnam-Kriegs]] ebenso wie vermutlich als [[Doping]]-Substanz, eingesetzt etwa 1952 von [[Josy Barthel]].<ref>[http://www.tagesspiegel.de/sport/archiv/26.11.2006/2924344.asp Der Tagesspiegel 26.11.2006]</ref> Auch [[Franz Loogen]], Mannschaftsarzt der [[Deutsche Fußballnationalmannschaft|Deutschen Fussballnationalmannschaft]] beim [[Wunder von Bern]] 1954, steht im Verdacht, die Fussballer gezielt mit Pervitin gedopt zu haben.<ref>[http://www.taz.de/pt/2006/12/28/a0217.1/text die tageszeitung 28.12.2006]</ref> Auch der österreichische Bergsteiger [[Hermann Buhl]] benutzte die Droge bei seinem Aufstieg zum [[Nanga Parbat]].
Der spätere [[Literaturnobelpreis]]gewinner [[Heinrich Böll]] bat seine Eltern während des 2. Weltkrieges mehrfach in Briefen von der Front, ihm Pervitin zu schicken.<ref>[http://www.taz.de/pt/2006/12/28/a0217.1/text Eggers E. ''Peppige Panzerschokolade''. die tageszeitung 28.12.2006]</ref>. Böll blieb auch nach dem Krieg abhängig von Pervitin.<ref>[http://images.zeit.de/text/2007/32/Boell Grefe C, Soboczynski A. ''Wo ist Böll?'' Zeit Magazin Leben 02.08.2007]</ref>

===Verwendung nach 1945===
Auch nach 1945 kam der Wirkstoff zum Einsatz: während des [[Vietnam-Krieg|Vietnam-Kriegs]] ebenso wie vermutlich als [[Doping]]-Substanz, eingesetzt etwa 1952 von [[Josy Barthel]].<ref>[http://www.tagesspiegel.de/sport/archiv/26.11.2006/2924344.asp Eggers E. ''Mit der Kraft der Panzerschokolade''. Der Tagesspiegel 26.11.2006]</ref> Auch [[Franz Loogen]], Mannschaftsarzt der [[Deutsche Fußballnationalmannschaft|Deutschen Fussballnationalmannschaft]] beim [[Wunder von Bern]] 1954, steht im Verdacht, die Fussballer gezielt mit Pervitin gedopt zu haben.<ref>[http://www.taz.de/pt/2006/12/28/a0217.1/text Eggers E. ''Peppige Panzerschokolade''. die tageszeitung 28.12.2006]</ref> Auch der österreichische Bergsteiger [[Hermann Buhl]] benutzte die Droge bei seinem Aufstieg zum [[Nanga Parbat]].


Das [[Fertigarzneimittel]] Pervitin wurde 1988 vom Markt genommen.
Das [[Fertigarzneimittel]] Pervitin wurde 1988 vom Markt genommen.


==Heutiger Gebrauch==
Heute wird der Wirkstoff unter dem Modenamen „Jaba“ besonders bei [[Techno]]-Konzerten konsumiert. Weit verbreitet sind sie in diesem Zusammenhang auch in Thailand, daher auch die Szenebezeichnung als „Thai-Ecstasy“. Neben der oralen Aufnahme werden die Pillen auch – ähnlich wie Heroin – auf Alufolie geraucht.
Heute ist Pervitins Inhaltsstoff unter Modenamen wie »Jaba«, »Meth«, »Crystal« oder »Crystal Meth« bekannt. Eine besondere Verbeitung besteht in den [[USA]] und [[Thailand]], daher auch die Szenebezeichnung als »Thai-Ecstasy«. Neben der oralen Aufnahme wird Methamphetamin auch – ähnlich wie Heroin – auf Alufolie geraucht. Die Modenamen sollen u.a. auch suggerieren, dass es sich bei dem Inhaltsstoff von Pervitin um eine »neue« und »exotische« Droge handele.


==Quellen==
==Quellen==
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==Literatur==
==Literatur==
*Werner Pieper (Hrsg.): Nazis on Speed - Drogen im 3. Reich. Löhrbach: Pieper and the Grüne Kraft 2002. ISBN 3-930442-53-1
*Werner Pieper (Hrsg.): Nazis on Speed - Drogen im 3. Reich. Löhrbach: Pieper and the Grüne Kraft 2002. ISBN 3-930442-53-1
*[http://www.amphetamines.com/nazi.html Andreas Ulrich: Hitler's Drugged Soldiers]

==Weblinks==
*[http://www.taz.de/pt/2006/12/28/a0217.1/text Peppige Panzerschokolade] TAZ vom 28. Dezember 2006


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[[Kategorie:Arzneistoff]]
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Version vom 13. November 2007, 01:25 Uhr

Pervitin® war ein von der Firma Temmler von 1938 bis 1988 hergestelltes Arzneimittel. Der Inhaltsstoff ist das Stimulans Methamphetamin. Pervitin erlangte besondere Bekanntheit durch den relativ freizügigen Einsatz während des Zweiten Weltkriegs.

Wirkung

Pervitin unterdrückt Müdigkeit, Hungergefühl und Schmerz. Es verleiht kurzzeitig Selbstbewusstsein, ein Gefühl der Stärke und dem Leben eine ungewohnte Geschwindigkeit. Zu den Nebenwirkungen gehören Persönlichkeitsveränderungen, Psychosen und Paranoia aufgrund von Schlafentzug oder bei Prädisposition. Eine häufige Einnahme von Pervitin führt zu Gewöhnung und späterem Wirkungsverlust, der oft Dosissteigerung zur Erzielung der ursprünglichen Wirkung nach sich zieht.

Zu weiteren Wirkungen und Eigenschaften: siehe Methamphetamin.

Geschichte

Synthese

Methamphetamin wurde 1893 erstmal durch den japanischen Chemiker Nagayoshi Nagai in flüssiger Form synthetisiert.[1] 1919 wurde die Substanz im Zuge der Strukturaufklärung von Ephedrin von Akira Ogata erstmals in Reinform kristallisiert und 1920 patentiert.[2],[3]

In Deutschland wurde ab 1934 in den Berliner Temmler-Werken an einem weiteren Verfahren zur Herstellung von Methamphetamin geforscht. Im Oktober 1937 meldete Temmler beim Reichspatentamt ein Patent mit dem Titel »Verfahren zur Herstellung von Aminen« an.[4] Methamphetamin wurde 1938 unter dem Markennamen Pervitin von den Temmler-Werken auf den Markt gebracht.

Verwendung im Zweiten Weltkrieg

Insbesondere während der »Blitzkriege« gegen Polen und Frankreich 1939/40 fand Pervitin millionenfache Verwendung. Unter den Spitznamen »Panzerschokolade«, »Stuka-Tabletten« oder »Hermann-Göring-Pillen« diente das Mittel zur Dämpfung des Angstgefühls und zur Steigerung der Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit.

Allein in der Zeit von April bis Juni 1940 bezogen Wehrmacht und Luftwaffe mehr als 35 Millionen Tabletten Pervitin. Durch eine Intervention des damaligen »Reichsgesundheitsführers« Leonardo Conti, der für seinen asketischen Lebensstil bekannt war und der die Verwendung von chemischen Hilfsmitteln ablehnte, war das Medikament ab Mitte 1941 nicht mehr frei erhältlich, sondern nur noch auf Rezept. Hierdurch reduzierte sich der Einsatz der Droge merklich.[5]

Der spätere Literaturnobelpreisgewinner Heinrich Böll bat seine Eltern während des 2. Weltkrieges mehrfach in Briefen von der Front, ihm Pervitin zu schicken.[6]. Böll blieb auch nach dem Krieg abhängig von Pervitin.[7]

Verwendung nach 1945

Auch nach 1945 kam der Wirkstoff zum Einsatz: während des Vietnam-Kriegs ebenso wie vermutlich als Doping-Substanz, eingesetzt etwa 1952 von Josy Barthel.[8] Auch Franz Loogen, Mannschaftsarzt der Deutschen Fussballnationalmannschaft beim Wunder von Bern 1954, steht im Verdacht, die Fussballer gezielt mit Pervitin gedopt zu haben.[9] Auch der österreichische Bergsteiger Hermann Buhl benutzte die Droge bei seinem Aufstieg zum Nanga Parbat.

Das Fertigarzneimittel Pervitin wurde 1988 vom Markt genommen.

Heutiger Gebrauch

Heute ist Pervitins Inhaltsstoff unter Modenamen wie »Jaba«, »Meth«, »Crystal« oder »Crystal Meth« bekannt. Eine besondere Verbeitung besteht in den USA und Thailand, daher auch die Szenebezeichnung als »Thai-Ecstasy«. Neben der oralen Aufnahme wird Methamphetamin auch – ähnlich wie Heroin – auf Alufolie geraucht. Die Modenamen sollen u.a. auch suggerieren, dass es sich bei dem Inhaltsstoff von Pervitin um eine »neue« und »exotische« Droge handele.

Quellen

  1. Nagai N. Kanyaku maou seibun kenkyuu seiseki (zoku). Yakugaku Zashi 1893;13:901
  2. Ogata A. alpha and beta-Aminoalkyl(aryl)benzenes and their derivatives. J Pharm Soc Jpn 1919;445:193-216; Nachdruck in: Chem Abstracts 1919;13:1709.
  3. Ogata A. Constitution of ephedrine - Desoxyephedrine. J Pharm Soc Jpn 1919:451:751-64. Nachdruck in: Chem Abstracts 1920;14:475.
  4. Reichspatentamt 1938: Patentschrift Nr. 767.186, nachträglich gedruckt durch das Deutsche Patentamt in München, patentiert am 31.10.1937, bekanntgemacht am 8.11.1951. Pervitin ist »Beispiel 1«. Quelle: Europäisches Patentamt
  5. Ulrich A. Hitler's Drugged Soldiers. Spiegel Online International 06.05.2005
  6. Eggers E. Peppige Panzerschokolade. die tageszeitung 28.12.2006
  7. Grefe C, Soboczynski A. Wo ist Böll? Zeit Magazin Leben 02.08.2007
  8. Eggers E. Mit der Kraft der Panzerschokolade. Der Tagesspiegel 26.11.2006
  9. Eggers E. Peppige Panzerschokolade. die tageszeitung 28.12.2006

Literatur

  • Werner Pieper (Hrsg.): Nazis on Speed - Drogen im 3. Reich. Löhrbach: Pieper and the Grüne Kraft 2002. ISBN 3-930442-53-1