„Deportation von Juden aus Deutschland“ – Versionsunterschied

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
[ungesichtete Version][ungesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
K hat „Deportationszug“ nach „Deportation deutscher Juden“ verschoben: Thema fokussiert - s. a. Disku
Zeile 86: Zeile 86:
Wer in anderen Funktionen, als Verwaltungsangehöriger oder Bürgermeister, in die Deportationen verstrickt war, blieb meist unbehelligt und kam straflos davon wie der Bürgermeister von [[Oelde]], der 1941 inständig gebeten hatte, seine Gemeinde möglichst rasch „judenrein“ zu machen.<ref>Christian Frederick Rüter: ''Ost- und westdeutsche Strafverfahren''..., S. 51</ref>
Wer in anderen Funktionen, als Verwaltungsangehöriger oder Bürgermeister, in die Deportationen verstrickt war, blieb meist unbehelligt und kam straflos davon wie der Bürgermeister von [[Oelde]], der 1941 inständig gebeten hatte, seine Gemeinde möglichst rasch „judenrein“ zu machen.<ref>Christian Frederick Rüter: ''Ost- und westdeutsche Strafverfahren''..., S. 51</ref>


Die französische Bahngesellschaft [[SNCF]] spielte unter der [[Vichy-Regierung]] eine zögerliche Rolle bei den Deportationen. Mit einer Ausstellung stellte sie sich ihrer Geschichte, während sich die [[Deutsche Bahn AG]] sträubte, Flächen für eine entsprechende Ausstellung bereitzustellen.<ref>[http://www.zugdererinnerung.de/flyer_proteste_bahn.pdf Flyer: Zug der Erinnerung] Zugriff 8. Januar 2008</ref><br>
Die französische Bahngesellschaft [[SNCF]] verstrickte sich unter der [[Vichy-Regierung]] in die Durchführung von Deportationen. Mit einer Ausstellung stellte sie sich ihrer Geschichte, lehnte jedoch Entschädigungsansprüche ab.<ref>http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,524986,00.htm] Zugriff 7. Januar 2003</ref> Die [[Deutsche Bahn AG]] sträubte sich, Flächen für eine entsprechende Ausstellung bereitzustellen oder andere Lösungen zu finanzieren.<ref>[http://www.zugdererinnerung.de/flyer_proteste_bahn.pdf Flyer: Zug der Erinnerung] Zugriff 8. Januar 2008</ref><br>
Am 29. September 2005 entschuldigte sich die staatliche Eisenbahngesellschaft der Niederlande [[Nederlandse Spoorwegen]] für die Beteiligung ab der Judendeportation. <ref>http://www.expatica.com/actual/article.asp?subchannel_id=19&story_id=23852</ref>
Am 29. September 2005 entschuldigte sich die staatliche Eisenbahngesellschaft der Niederlande [[Nederlandse Spoorwegen]] für die Beteiligung ab der Judendeportation. <ref>http://www.expatica.com/actual/article.asp?subchannel_id=19&story_id=23852</ref>



Version vom 8. Januar 2008, 23:18 Uhr

Die sytematische Deportation deutscher Juden in den Osten begann Mitte Oktober 1941, also noch vor der Wannseekonferenz. Der Historiker Dieter Pohl nimmt an, Hitler habe diese Entscheidung um den 17. September 1941 herum getroffen.[1] Die aus Deutschland deportierten Juden wurden zumeist nicht unmittelbar am Zielort ermordet. Einzelne Transporte endeten 1942 zwar im Vernichtungslager Sobibor oder in Maly Trostinez, die allermeisten der Deportierten aus Deutschland wurden aber zunächst unter widrigen Lebensbedingungen in Ghettos oder Arbeitslagern untergebracht. Viele starben dort, andere wurden später in Vernichtungslager weitertransportiert und ermordet, nur wenige überlebten.

Die Verfügbarkeit von Eisenbahnzügen als Massentransportmittel war eine wichtige logistische Voraussetzung, um die Deportationen durchführen zu können. [2]Zur so genannten Endlösung der Judenfrage, dem Holocaust, trugen in der Zeit des Nationalsozialismus auch scheinbar politikferne, pflichtbewusste Fachleute des Reichsverkehrsministeriums und der Reichsbahn bei.[3] Bei der Deportation deutscher Juden wirkten nicht nur Gestapo-Beamte mit, sondern auch Zollinspektoren, Gerichtsvollzieher, Verwaltungsbeamte, Fahrplangestalter, Wachpersonal und viele andere, deren Beitrag für einen reibungslosen Ablauf unabdingbar war.[4]

Fast alle Deportationzüge aus Deutschland verwendeten derartige Abteilwagen 3. Klasse

Frühe Deportationen

Die frühsten Deportationen aus dem „Großdeutschen Reich“ betrafen Juden polnischer Staatsangehörigkeit. Bis zu 17.000 Juden wurden am 28./29. Oktober 1938 mit Zügen an die polnische Grenze gebracht und dort über die Grenze abgeschoben. Auf diese logistische Zusammenarbeit mit der Reichsbahn griff der Sicherheitsdienst Reichsführer-SS zurück, als er wenig später nach den Novemberpogromen 1938 mehr als 26.000 Juden in Konzentrationslager schaffen ließ. Unter Federführung von Adolf Eichmanns „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ wurden im Oktober 1939 rund 4.000 Juden aus Wien und Kattowitz nach Nisko deportiert. Um Wohnraum für Volksdeutsche zu schaffen wurden im Februar 1940 rund 1.000 Juden aus Stettin nach Lublin deportiert. Bei der Wagner-Bürckel-Aktion wurden im Oktober 1940 aus Baden und der Südpfalz 6.500 Juden nach Südfrankreich deportiert. Im Februar und März 1941 rund 5.000 Juden aus Wien in das Generalgouvernement geschafft.[5]

Dabei wurden zwar günstige Gelegenheiten ausgenutzt, um Juden gewaltsam über die Grenze zu schaffen; die systematische Vertreibung der deutschen Juden setzte aber erst später ein. Für die Organisation und technische Durchführung der folgenden Massenvertreibung hatten Heinrich Müller und Adolf Eichmann nunmehr schon wesentliche Erfahrungen gesammelt. [6] Organisationsabläufe wurden verfeinert und in Merkblättern festgehalten; Ministerien wurden um Regelungen ersucht, damit Deportierten die Staatsangehörigkeit unkompliziert entzogen und die Vermögenseinziehung formaljuristisch vereinfacht werden konnte.

Massendeportation aus dem Deutschen Reich

Mit dem 15. Oktober 1941 begann die systematische Massendeportation deutscher Juden in den Osten. Durch Erlass vom 18. Oktober 1941 untersagte Heinrich Himmler allen Juden die Genehmigung zur Auswanderung.[7] Schon bis Dezember 1941 waren rund 42.000 Juden mit 42 Zügen fortgeschafft worden; insgesamt wurden bis Kriegsende mehr als 250.00 Juden aus dem Deutschen Reich verschleppt.

Zuständigkeiten

Im Jahre 1937 wurde die Hauptverwaltung der „Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft“ organisatorisch dem Reichsverkehrsministerium angegliedert. 1939 wurden eingliederte Teile Polens den Reichsbahndirektionsbezirken Oppeln und Breslau zugeschlagen; für den besetzten Teil Polens war die „Generaldirektion der Ostbahn – Gedob“ zuständig. Ab Januar 1942 übernahm das Reichsverkehrministerium die Organisation des Bahnverkehrs im besetzten Teil der Sowjetunion (Generaldirektion Osten mit Sitz in Warschau).[8] Im Reichssicherheitshauptamt war das Referat IV B 4 von Adolf Eichmann bei der Bestellung von Zügen beteiligt; für die Reichsbahn waren das Referat 21 „Massenbeförderung“ mit der Abteilung 211 „Reisesonderzüge“ zuständig.

Von Adolf Eichmanns Referat wurden die Sonderzüge oft sechs Wochen vorher angefordert und von der Reichsbahn in aller Regel wunschgemäß bereitgestellt. Im Dezember 1941 und 1942 wurden die Deportationen ausgesetzt, weil die Wehrmacht alle Kapazitäten für Weihnachts-Urlaubszüge beanspruchte.[9] Eine allgemeine Transportsperre, die zur Vorbereitung der Sommeroffensive 1942 von der Wehrmacht verlangt wurde, bremste das Tempo der Deportationen, verhinderte sie aber nicht.

Am 26. Juli 1941 wurde für Massentransporte von „Juden und fremdvölkischen Personen zur Aussiedlung aus dem Deutschen Reich“ ein Sondertarif vereinbart. Danach sollte mit 2 Reichspfennig je Kilometer „der halbe Fahrpreis 3. Klasse“ erhoben werden. Dieser Preis sollte auch für den Verkehr außerhalb der Reichsgrenzen gelten und wurde später gleichermaßen für die Personenbeförderung mit Güterzugwagen berechnet.

Zusammenstellung der Züge

Mit Abteilwagen dieses Typs wurden deutsche Juden deportiert

Bis zum Juni 1942 beförderten fast alle Züge, die Eichmann für die Deportation deutscher Juden anforderte, jeweils 1.000 Personen. In der Regel wurden dazu 17 bis 20 ältere Personenwagen dritter Klasse, zwei bis sieben gedeckte Güterwagen für Gepäck und ein Personenwagen zweiter Klasse für das Begleitkommando gestellt.[10] Für die systematische Deportation deutscher Juden setzte die Deutsche Reichsbahn nur in wenigen Ausnahmefällen „Güterwagen“ oder „Viehwagen“ ein; es wurden fast ausschließlich Personenwagen verwendet. Ungeachtet dessen wurde „der geschlossene Güterwagen spätestens seit 1993, als ein Exemplar im Holocaust Memorial Museum in Washington (D.C.) aufgestellt wurde, das zentrale Symbol für die Deportationen des Nationalsozialismus.“[11] Rund drei Dutzend Holocaust-Museen und Gedenkstätten zeigen einen Güterwagen als zentrales Ausstellungsstück und drängen damit ein Bild auf, das für Osteuropa, nicht aber auf die Judendeportation in Westeuropa zutrifft. [12]

Während im Osten häufig Güterzüge mit 4.000 jüdischen Opfern rollten, blieb innerhalb des Deutschen Reichs die Personenbeförderung in Güterwagen seltene Ausnahme.[13] Ein Protokoll vom Frühjahr 1942 weist auf eine schwierigere Transportlage hin. Es stünden bis April „leere Russenzüge/Arbeitertransporte“ zur Verfügung, die auf dem Rückweg für die Deportation genutzt werden sollten. Obwohl eigentlich nur für 700 Personen vorgesehen, seien darin 1.000 Deportierte unterzubringen; auch das Begleitkommando müsse sich mit diesen Wagen begnügen.[14] Diese „Russenzüge“ bestanden aus 20 umgebauten Güterwagen mit je 35 Sitzplätzen; nachweisbar rollte ein solcher Zug am 11. März 1942 von Theresienstadt nach Izbica[15] Belegt sind drei weitere „Russenzüge“ sowie zwei Deportationszüge im Januar, die aus gedeckten Güterwagen bestanden: Möglicherweise „wegen der zahlreichen alten und nur liegend zu befördernden Kranken“.[16] Bei der Fabrikaktion wurde am 2. März vermutlich ein Zug verwendet, der aus Güterwagen bestand.

Ab März 1943 wurden Juden vielfach auch in kleineren Gruppen von 50 bis 100 Personen deportiert.[17] Dabei wurden ein oder zwei Personenwagen oder vergitterte Gefangenenwagen mehrfach umrangiert und an fahrplanmäßig verkehrende Personenzüge angekoppelt. Begleitet wurden solche Transporte von drei Bewachern.[18]

Die Reisegeschwindigkeit für Personen-Schnellzüge im Fernverkehr lag 1944 bei 50 Stundenkilometer. Von Deportationszügen wurde kaum die Hälfte dieser Geschwindigkeit erreicht, da fahrplanmäßigen Zügen und Wehrmachtstransporten Vorrang eingeräumt wurde.[19]

Deportationsbescheid

Die Gestapo gab mit ihren „Richtlinien für die Evakuierung von Juden“ Ort und Tag der vor, an dem sich die zur Ausreise genötigten Juden zumeist in einem Auffanglager einfinden mussten. [20] Von der Deportation ausgenommen wurden danach Personen ab einer bestimmten Altersgrenze (diese wurde manchmal mit 60, mit 65 oder gar 68 angegeben), Beschäftigte aus Rüstungsbetrieben, Juden aus Mischehen, Geltungsjuden sowie Juden bestimmter Staatsangehörigkeit. Ferner wurden die Höhe des mitgeführten Bargeldes und das Höchstgewicht des Gepäcks auf 50 kg festgelegt. Das Gepäck sollte durchsucht und Wertgegenstände sollten beschlagnahmt werden. Mitzubringen waren eine Wolldecke und Verpflegung für acht Tage. Die zur Deportation bestimmten Juden mussten eine Vermögenserklärung [21] abgeben; ihre Wohnungen wurden versiegelt.

Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland verfügte über eine Kartei, die der Gestapo für die Auswahl der Deportierten diente. Die örtliche Mitarbeiter der „Reichsvereinigung“ mussten bei der Zustellung der Deportationsbefehle [22] helfen; sie stellten Merkblätter für das Reisegepäck [23] zusammen, halfen beim Gepäcktransport und sorgten für Verpflegung in den Sammellagern.

Auffanglager

Als „Auffanglager“, in dem sich die zur „Evakuierung“ bestimmten Juden am Vortag der Abreise einzufinden hatten, dienten jüdische Gemeindehäuser, angemietete Säle oder Hallen, in denen manchmal Doppelstockbetten, manchmal nur Liegestühle oder Strohschütten für die Übernachtung bereit standen. Finanzbeamte sammelten und überprüften die achtseitige Vermögenserklärung. Gemäß der eigens dazu geschaffenen 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 verlor jedermann „mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland“ die deutsche Staatsangehörigkeit; zugleich fiel das Vermögen an den Staat. Zuvor und bei Deportierungen nach Theresienstadt, das als annektiertes Gebiet dem Deutschen Reich eingegliedert war, konnte nicht auf diese Bestimmung zurückgegriffen werden. Um den Schein einer Legalität zu wahren, wurde dann ein Gerichtsvollzieher hinzugezogen, der den im Sammellager Wartenden eine förmliche Verfügung zustellte, die auf gesetzliche Bestimmungen von 1933 über „Einziehung des volks- und staatsfeindliches Vermögens“ zurückgriff.[24]

Zahlreiche weitere Personen waren mit der Vermögensabwicklung beschäftigt: Banken erhielten Kopien der Transportlisten, damit Sparguthaben restlos erfasst werden konnten. Schätzer, Auktionatoren und Spediteure wurden bei der Auflösung der Haushalte tätig. Kohlenhändler erhielten Nachricht über den eingelagerten Brennvorrat.[25] Vermieter, die später Mietausfälle für die versiegelten Wohnungen geltend machten, reichten ihre Forderungen bei der Finanzverwaltung ein.

Vor der Abreise gab es Leibesvisitationen und gründliche Gepäckkontrollen, bei der sogar Pfennigbeträge und Briefmarken einbehalten wurde. Die mitgeführte Summe von anfangs 100 Reichsmark (später 50 Reichsmark) wurde als Fahrgeld einbehalten.

Fahrt

Blich ins Abteil 3. Klasse

Gemäß einer Vereinbarung mit der Sicherheitspolizei bewachte und begleitete die Ordnungspolizei die Transportzüge bis zum Bestimmungsziel; anfallende Kosten wurden von der Sicherheitspolizei erstattet.[26]

Als exemplarisch kann der vertrauliche Bericht eines Transportleiters gelten, der im Dezember 1941 mit 15 Polizisten einen Deportationszug nach Riga führte.[27] Dieser Sonderzug mit Personenwagen sollte am 11. Dezember 1941 in Düsseldorf um 9:30 Uhr mit 1007 Juden abfahren. Deshalb wurden die Juden bereits ab 4.00 Uhr an der Verladerampe „bereitgestellt“. Auf dem Weg vom Sammellager zur Rampe warf sich ein Jude vor die Straßenbahn um Suizid zu begehen. Eine Jüdin, die sich in der Dunkelheit absondern konnte, wurde von einer Bahnangestellten entdeckt und denunziert. Der Zug traf verspätet ein. Der Zeitdruck führte dazu, dass einzelne Wagen nur mit 35 Personen belegt, andere mit 60 bis 65 Personen überladen und Kinder von ihren Eltern getrennt wurden.

Trinkwasser wurde nur unzureichend ausgegeben. In einige Wagen fiel die Heizung aus. Der Zug traf nach 61stündiger Fahrt um Mitternacht in Skirotava bei Riga vor ein und blieb dort ungeheizt bei 12 Grad Frost eine Nacht lang stehen. Am nächsten Morgen übergab der Transportleiter das Fahrgeld von rund 50.000 RM an die dortige Sicherheitspolizei.

Zielorte und Daten

Die Zielorte, Daten und Personenzahl der Deportationszüge, die deutsche Juden aus dem Reich in den Osten transportierten, sind weitgehend rekonstruiert und veröffentlicht worden.[28] Meist sind auch Angaben über das weitere Schicksal der Deportierten, die Umstände ihres Todes und die Zahl der Überlebenden bekannt. Ältere, gebrechliche oder prominente Juden und solche mit besonderen Verdiensten im Ersten Weltkrieg wurden ins „Altersghetto Theresienstadt“ deportiert, nachdem sie Heimeinkaufsverträge abgeschlossen und ihr Vermögen dafür abgetreten hatten. Dies schützte sie nicht vor unzureichenden Lebensbedingungen und „Verlegung nach Auschwitz“.

Vom 15. Oktober 1941 bis Anfang November transportierten 20 Züge rund 20.000 Juden aus den Großstädten Wien, Prag, Frankfurt/M, Berlin und Hamburg nach Łódź. Von ihnen starben bis Jahresende 1942 mehr als 4.200 im Ghetto. Weitere sieben Transporte wurden nach Minsk geleitet; von ihnen überlebten nur fünf Personen den Krieg. Wegen Überfüllung wurden im November 1941 fünf Deportationszüge nach Kaunas und ab Ende November weitere zehn Züge nach Riga umgeleitet. Das Ghetto von Riga war gleichfalls überfüllt; es wurde alsbald „freigemacht“, indem man rund 27.500 einheimische Juden ermordete. Ein Transportzug aus Berlin traf vorzeitig am 30. November 1941 bei Riga ein; alle 1053 Insassen wurden im Wald von Rumbula erschossen.[29]

Im Januar 1942 fuhren weitere 9 Deportationszüge mit durchschnittlich 1.000 Juden nach Riga. Zwischen März und Oktober 1942 wurden über 45.000 Juden aus dem Deutschen Reich in Durchgangsghettos am Ostrand des Generalgouvernements und nach Warschau deportiert. Von dort aus wurden sie nach Wochen oder Monaten in die Vernichtungslager verschleppt.

17 Transporte zwischen Mai und September 1942 gingen nach Minsk oder aber sofort zum nahegelegenen Vernichtungslager Maly Trostinez. Zahlreiche Deportationszüge hatten von Juni 1942 an bis zum April 1945 das „Altersghetto“ Theresienstadt zum Ziel, dabei überwogen jedoch „Koppelzüge“ mit ein paar Wagen, die kaum mehr als einhundert gebrechliche ältere Juden mitführten. Im selben Zeitraum fuhren aber auch mehrfach Züge von Theresienstadt ab und brachten ihre menschliche Fracht nach Treblinka und Auschwitz. Für die ersten beiden dieser Züge waren 21 Personenwagen bestellt; sie wurden mit mehr als 2.000 Personen völlig überfüllt.[30] Von Wien und Berlin aus fuhren im Jahre 1942 zwei große Deportationszüge nach Auschwitz.

Zwischen 1943 und 1945 wurden nur noch Auschwitz und Theresienstadt als Zielorte der Deportationszüge aus dem Deutschen Reich gewählt. Die Massendeportation deutscher Juden wurde jedoch Ende März 1943 mit der Fabrikaktion beendet. Es folgten noch rund 250 Kleintransporte, oft nur mit wenigen Personen und nur selten mit über einhundert Deportierten. In der Regel handelte es sich dabei um Juden, die sich eine Zeit lang bei Helfern versteckt halten konnten, oder aber Juden, die nicht länger durch eine bestehende Mischehe vor der Deportation geschützt wurden. Für derartige Transporte, bei denen einzelne Kurswagen an planmäßigen Züge mitliefen, war das Reichsverkehrsministerium nicht zuständig.

Deportationszüge im Osten

Im Frühjahr 1942 war das Vernichtungslager Belzec fertiggestellt, Sobibor und Treblinka folgten im Sommer 1942. Die Reichsbahn führte den Transport aus den Lagern und Ghettos zu den Vernichtungslagern mit Güterwagen durch. An dieser Stelle hat die weitverbreitete Vorstellung von überfüllten Güterzugwagen ihre Berechtigung. Aber auch über weite Entfernungen wurden bei Deportationen im Osten - etwa aus Rumänien und Ungarn - fast ausschließlich Güterwagen eingesetzt.

Juden bei der Verladung in Züge mit Güterwagen am Umschlagplatz Warschau

Vertreter der Reichsbahn nahmen im September 1942 teil an einer „Konferenz betreffend die Evakuierung der Juden des Generalgouvernements und die Verschickung der Juden Rumäniens in das Generalgouvernement“.[31] Insgesamt 800.000 Juden sollten deportiert werden. Vom „Chef der Sicherheitspolizei und durch den SD“ wurden dringlich angefordert

zwei Züge pro Tag vom Distrikt Warschau nach Treblinka,
ein Zug pro Tag vom Distrikt Radom nach Treblinka,
ein Zug pro Tag vom Distrikt Krakau nach Belzec und
ein Zug pro Tag vom Distrikt Lemberg nach Belzec.

Nach Wiederinstandsetzung von Gleisen sollten ab November drei weitere Züge täglich nach Sobibor und Belzec verkehren. Insgesamt standen jedoch nur 22 Güterwagen bereit. Erst nach der Kartoffelernte würden weitere Waggons zur Verfügung stehen.

Von diesem Mordgeschehen wurden auch die deutschen und österreichischen Juden nicht ausgenommen, die vordem in die Durchgangsghettos bei Lublin deportiert worden waren. Auch die deutschen Juden von vier großen und mehreren kleinen Transporten nach Warschau wurden in die Vernichtungsaktion einbezogen. Zwischen Warschau und Treblinka, auf einer Strecke von 80 km, entstand nachgerade ein Pendelverkehr in die Todeslager.

Nachkriegsprozesse und Aufarbeitung

Deportationen standen am Anfang und als conditio sine qua non der Vernichtung der deutschen Juden, da die Verantwortlichen davor zurückschreckten, den Massenmord in Deutschland selbst durchzuführen.[32]

Erst spät standen die Deportationen im Zentrum von Strafverfahren. In dreizehn westdeutschen Verfahren und sechs ostdeutschen Prozessen mussten sich rund 60 höhere Gestapo-Dienstgrade dafür vor Gericht verantworten.

Von den Angeklagten, die in Ostdeutschland vor Gericht gezogen wurden, wurden zehn Personen zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die Richter gingen davon aus, dass die Rechtswidrigkeit der Deportationen offensichtlich war und die Angeklagten ihre Tätigkeit aus Überzeugung, aus Gleichgültigkeit oder ihrer Karriere willen ausgeübt hatten. Dennoch gab es auch dort Verfolgungsdefizite. Die Leiter vieler Gestapo-Leitstellen blieben unbehelligt.

Erst mit fünfzehn Jahren Verspätung nahmen westliche Strafverfolgungsbehörden ihre Ermittlungen auf. Delikte wie Freiheitsberaubung und Totschlag waren bereits verjährt, nur wenige Jahre, bis 1968, konnten Urteile wegen Beihilfe zum Mord ausgesprochen werden. Von westdeutschen Gerichten wurden 38 Angeklagte freigesprochen. Neun Beschuldigte wurden verurteilt, zwei erhielten eine Haftstrafe von mehr als 6 Jahren, einer wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Die meisten Angeklagten argumentierte, sie hätten vom Völkermord nichts gewusst, sie machten einen Befehlsnotstand geltend oder beteuerten, sie hätten seinerzeit die Unrechtmäßigkeit ihres Handelns nicht erkannt.

Der Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium Albert Ganzenmüller war 1945 aus dem Internierungslager nach Argentinien geflüchtet. Sein Entnazifizierungsverfahren wurde verschleppt; Ganzenmüller kehrte 1955 zurück und arbeitete bis 1968 als Transportfachmann bei der Hoesch AG in Dortmund. 1957 ermittelte die Strafverfolgungsbehörde gegen ihn; Anlass war ein aufgefundener belastender Briefwechsel über „Judentransporte“. Die Ermittlungen wurden mehrfach eingestellt, führten aber 1973 doch zur Anklage: Ganzenmüller habe wissentlich Beihilfe zum Mord geleistet. Zu einer Verurteilung kam es nicht; Ganzenmüller wurde auf Dauer verhandlungsunfähig.

Wer in anderen Funktionen, als Verwaltungsangehöriger oder Bürgermeister, in die Deportationen verstrickt war, blieb meist unbehelligt und kam straflos davon wie der Bürgermeister von Oelde, der 1941 inständig gebeten hatte, seine Gemeinde möglichst rasch „judenrein“ zu machen.[33]

Die französische Bahngesellschaft SNCF verstrickte sich unter der Vichy-Regierung in die Durchführung von Deportationen. Mit einer Ausstellung stellte sie sich ihrer Geschichte, lehnte jedoch Entschädigungsansprüche ab.[34] Die Deutsche Bahn AG sträubte sich, Flächen für eine entsprechende Ausstellung bereitzustellen oder andere Lösungen zu finanzieren.[35]
Am 29. September 2005 entschuldigte sich die staatliche Eisenbahngesellschaft der Niederlande Nederlandse Spoorwegen für die Beteiligung ab der Judendeportation. [36]

siehe auch

Einzelnachweise

  1. Albrecht Liess: Wege in die Vernichtung : Die Deportation der Juden aus Mainfranken 1941 - 1943 ; Begleitband zur Ausstellung des Staatsarchivs Würzburg und des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin. München 2003, ISBN 3-921635-77-2, S. 60
  2. Heiner Lichtenstein: Mit der Reichsbahn in den Tod : Massentransporte in den Holocaust 1941 - 1945. Köln 1985, ISBN 3-7663-0809-2, S. 19 / s. a. aish: Holocaust
  3. Alfred Gottwald, Diana Schulle: ’Juden ist die Benutzung von Speisewagen untersagt’: Die antijüdische Politik des Reichsverkehrsministeriums zwischen 1933 und 1945; Forschungsgutachten. Teetz 2007, ISBN 978-3-938485-64-4, S. 11 / S. 63ff
  4. Beate Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933 - 1945 : Geschichte, Zeugnis, Erinnerung. Hrsg. vom Inst. für die Geschichte der Dt. Juden; Hamburg / Landeszentrale für Politische Bildung, Hamburg 2006, ISBN 3-929728-85-0, S. 45
  5. zu diesem Abschnitt vergl. Alfred Gottwaldt, Diana Schulle: Die "Judendeportationen" aus dem Deutschen Reich, 1941-1945: eine kommentierte Chronologie. Wiesbaden 2005, ISBN 3-86539-059-5, S. 26 – 51
  6. Gottwald / Schulle: Die Judendeportationen..., S. 45
  7. Gottwald / Schulle: Die Judendeportationen..., S. 61/62
  8. Alfred Gottwald, Diana Schulle: Juden ist .../ Forschungsgutachten. S. 39, S. 61, S. 74
  9. Alfred Gottwald, Diana Schulle: Juden ist .../ Forschungsgutachten. S. 89
  10. Gottwald / Schulle: Die Judendeportationen..., S. 64 / Dokument 6 in: Hans Günther Adler: Die verheimlichte Wahrheit. Theresienstädter Dokumente. Tübingen 1958, S. 1942
  11. Karolin Steinke: Züge nach Ravensbrück. Über die Daueraustellung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück und den Weg des ausgestellten Güterwagens... In: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, 11(2007) H.1, S. 103
  12. vergl. auch Alfred Gottwald: Der deutsche Güterwagen. Eine Ikone für den Judenmord? In: Museumsjournal 13(1999) H. 1
  13. Ausstellung Judendeportation - Dt. Technikmuseum Berlin 2005
  14. Kurt Pätzold, Erika Schwarz: Tagesordnung Judenmord: Die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942: Eine Dokumentation zur Organisation der "Endlösung". Berlin 1992, ISBN 3-926893-12-5, S.10
  15. Gottwald / Schulle: Die Judendeportationen..., S. 182
  16. Gottwald / Schulle: Die Judendeportationen..., S. 132
  17. siehe Alfred Gottwaldt, Diana Schulle: Die Judendeportationen... . Liste S. 444ff
  18. Dokument Nr. 29 in: Hans Günther Adler: Die verheimlichte Wahrheit..., S. 70f
  19. Gottwald / Schulle: Die Judendeportationen...,, S. 64
  20. Hans Mommsen, Susanne Willems (Hrsg.):: Herrschaftsalltag im Dritten Reich . Düsseldorf 1988, ISBN 3-491-33205-2, S. 471-473 / als Dokument abgedruckt in: Alfred Gottwaldt, Diana Schulle: Die Judendeportationen... S. 56ff
  21. abgedr. bei Hans Günther Adler: Der verwaltete Mensch: Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland. Tübingen 1974, ISBN 3-16-835132-6, S. 554-559
  22. Dokument Würzburg 1941 in: Albrecht Liess: Wege in die Vernichtung... S. 81ff
  23. Hans Mommsen, Susanne Willems (Hrsg.): Herrschaftsalltag im Dritten Reich . Düsseldorf 1988, ISBN 3-491-33205-2, S. 480 - 482 (Merkblatt Reichsvereinigung Juni 1942)
  24. Dokument in: Hans Günther Adler: Die verheimlichte Wahrheit. S. 61/62 / zitiert in: Walther Hofer: Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945. FiTb 6084, überarb. Neuausgabe Frankfurt/M 1982, ISBN 3-596-26084-1, S. 298f = [172]
  25. Beate Meyer (Hrsg.): Die Verfolgung..., S. 45
  26. Kurt Pätzold, Erika Schwarz: Tagesordnung Judenmord... S.87f
  27. Heiner Lichtenstein: Mit der Reichsbahn in den Tod... S. 54 - 59 / Auszug in: Kurt Pätzold, Erika Schwarz: Tagesordnung Judenmord... S.97/98
  28. Angaben bei Alfred Gottwaldt, Diana Schulle: Die Judendeportationen...
  29. Andrej Angrick, Peter Klein: Die "Endlösung" in Riga : Ausbeutung und Vernichtung ; 1941 - 1944. Darmstadt 2006, ISBN 3-534-19149-8, S. 169
  30. Alfred Gottwaldt, Diana Schulle: Die Judendeportationen... S. 401
  31. Heiner Lichtenstein: Mit der Reichsbahn in den Tod ..., S. 62f
  32. vergl. Christian Frederick Rüter: Ost- und westdeutsche Strafverfahren gegen die Verantwortlichen für die Deportation der Juden. In: Anne Klein, Jürgen Wilhelm (Hrsg.): NS – Unrecht vor Kölner Gerichten nach 1945. Köln 2003, ISBN 3-7743-0338-X , S. 45
  33. Christian Frederick Rüter: Ost- und westdeutsche Strafverfahren..., S. 51
  34. http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,524986,00.htm] Zugriff 7. Januar 2003
  35. Flyer: Zug der Erinnerung Zugriff 8. Januar 2008
  36. http://www.expatica.com/actual/article.asp?subchannel_id=19&story_id=23852

Literatur

  • Hans Günther Adler: Der verwaltete Mensch: Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland. Tübingen 1974, ISBN 3-16-835132-6 (umfassende Dokumentation der Bürokratie)
  • Hans Günther Adler: Die verheimlichte Wahrheit. Theresienstädter Dokumente. Tübingen 1958
  • Alfred Gottwaldt, Diana Schulle: Die "Judendeportationen" aus dem Deutschen Reich, 1941-1945: eine kommentierte Chronologie. Wiesbaden 2005, ISBN 3-86539-059-5
  • Alfred Gottwald, Diana Schulle: ’Juden ist die Benutzung von Speisewagen untersagt’: Die antijüdische Politik des Reichsverkehrsministeriums zwischen 1933 und 1945; Forschungsgutachten. Teetz 2007, ISBN 978-3-938485-64-4
  • Heiner Lichtenstein: Mit der Reichsbahn in den Tod: Massentransporte in den Holocaust 1941 - 1945. Köln 1985, ISBN 3-7663-0809-2 (teils überholt)
  • Albrecht Liess: Wege in die Vernichtung : Die Deportation der Juden aus Mainfranken 1941 - 1943; Begleitband zur Ausstellung des Staatsarchivs Würzburg und des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin. München 2003, ISBN 3-921635-77-2 (genaue lokalhistorische Darstellung von drei Deportationen mit Fotos)
  • Beate Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933 - 1945: Geschichte, Zeugnis, Erinnerung. Hrsg. vom Inst. für die Geschichte der Dt. Juden; Hamburg / Landeszentrale für Politische Bildung, Hamburg 2006, ISBN 3-929728-85-0 (Augenzeugenberichte)
  • Birthe Kundrus, Beate Meyer (Hrsg.): Die Deportation der Juden aus Deutschland: Pläne - Praxis - Reaktionen 1938 - 1945. Göttingen 2004, ISBN 3-89244-792-6
  • Christopher Browning: Die Entfesselung der "Endlösung": Nationalsozialistische Judenpolitik 1939-1942. Berlin 2003, ISBN 3-549-07187-6 (Kapitel 'Deportationen aus Deutschland', S. 537 - 569)
  • Christian Frederick Rüter: Ost- und westdeutsche Strafverfahren gegen die Verantwortlichen für die Deportation der Juden. In: Anne Klein, Jürgen Wilhelm (Hrsg.): NS – Unrecht vor Kölner Gerichten nach 1945. Köln 2003, ISBN 3-7743-0338-X , S. 45 - 56

Weblinks