Landesherr

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Als Landesherr bezeichnet man für den Zeitraum vom Mittelalter bis in die Neuzeit den Inhaber der Landeshoheit in einem Territorium, wo er die höchste Herrschaftsgewalt ausübte. Der Landesherr war in der Regel ein durch Geburtsrecht oder Lehnsrecht bestimmter Eigentümer oder Verwalter eines Herrschaftsbereiches und Angehöriger des Adels oder des hohen Klerus.

Im Heiligen Römischen Reich waren die Herrscher der einzelnen Territorien bzw. der einzelnen Reichsglieder (die Reichsstände) die Landesherren der von ihnen regierten Gebiete. Der Begriff Landesherrschaft ist seit dem 15. Jahrhundert bezeugt. Die genaue Deutung anhand der Quellenaussagen ist problematisch, doch wird der Begriff Landesherr/Landesherrschaft in der historischen Forschung als Abstraktion benutzt, um damit die Herrschaft weltlicher und geistlicher Großen im Heiligen Römischen Reich zu kennzeichnen.[1]

Der Landesherr genoss eine vergleichsweise starke politische Stellung gegenüber dem römisch-deutschen König bzw. Kaiser und war gleichzeitig zur Rechts- und Friedenswahrung in seinem Herrschaftsgebiet verpflichtet. Grundvoraussetzung für den Begriff Landesherr ist die Verknüpfung des Besitzes von Gütern, Grundeigentum und Herrschaft in seinem Territorium. Ein zentrales Merkmal von Landesherrschaft war demnach nicht ein herausgehobener Rang des jeweiligen Herrschers, sondern der eigentumsrechtliche Aspekt der Herrschaft. Im Mittelalter verfügten Landesherren zunächst nur über ein Bündel von unterschiedlichen Einzelrechten (wie Münzrecht und Gerichtshoheit), doch mit der Ausbildung eines geschlosseneren Territorialkomplexes wurden immer mehr Rechte genauer fixiert.[2] Die Übertragung der jeweiligen Gerichtshoheit vom Königtum an die weltlichen und geistlichen Herren im Rahmen des Lehnsrechts erhöhte auch die Legitimation der Landesherren. Die Landesherren bauten im Verlauf des Spätmittelalters die Landesverwaltungen aus (einschließlich Kanzlei, Notariat, Gerichte, Finanzverwaltung und örtliche Amtspersonen) und erreichten damit eine „Herrschaftsintensivierung“, die dem römisch-deutschen König auf der Ebene des Reiches nicht gelang. Allerdings war auch der Landesherr kein absoluter Herrscher und musste zu bestimmten Fragen die Landstände einberufen.

Bereits im 12. Jahrhundert bildeten sich stärker eigenständige Landesherrschaften im Heiligen Römischen Reich heraus, dieser Prozess beschleunigte sich im 13. Jahrhundert durch die beiden wichtigen Privilegien Confoederatio cum principibus ecclesiasticis und Statutum in favorem principum.[3] In letzterem Privileg aus dem Jahr 1231/32 wird erstmals der Begriff domini terrae benutzt, was aber speziell im Sinne von Herren über das Eigentum zu verstehen ist.[4] Die Landesherren hatten sich schließlich im Spätmittelalter nach dem Königtum als stärkste politische Macht etabliert.[5] Die Herausbildung der Landesherrschaft im Reich ist jedoch mit zahlreichen Forschungsproblemen verbunden.[6]

Im Mittelalter gab es zahlreiche reichsunmittelbare Grafschaften, diesen gelang jedoch erst mit der Erlangung von Sitz und Stimme im Reichsfürstenrat des Reichstags ab 1495 die institutionelle Festigung ihres Status, sodass man erst anschließend von einer Reichsstandschaft dieser Häuser spricht, die zum Hohen Adel gezählt wurden. Die Reichsritterschaft hingegen unterstand zwar ebenfalls direkt dem Kaiser und war damit reichsunmittelbar, die Reichsritter selbst zählten aber nicht zu den Reichsständen und wurden auch kaum als Landesherren ihrer winzigen Territorien betrachtet. Sie schlossen sich zu Ritterkreisen zusammen, wie dem Fränkischen Ritterkreis, dem Schwäbischen Ritterkreis und dem Rheinischen Ritterkreis, die mit dem Ende des Reiches 1806 aufgelöst wurden. Zahlreiche bis dahin reichsunmittelbare Fürsten und Grafen, sämtliche Kirchenfürsten sowie auch die Reichsritter kamen in dieser Zeit durch Mediatisierung unter die Herrschaft von Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes.

Seit der Reformationszeit bildete sich in Bezug auf die Ebene der Landesherren der Grundsatz Cuius regio, eius religio heraus. Die weitgehend eigenständige Landesherrschaft im Reich war nun auch juristisch abgesichert.

Literatur

Weblinks

Wiktionary: Landesherr – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Anmerkungen

  1. Überblick zum Folgenden mit weiterer Literatur bei Dietmar Willoweit: Landesherr, Landesherrschaft. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Band 3 (18. Lieferung), S. 431–436 (Onlineartikel).
  2. Reinhold Zippelius: Kleine deutsche Verfassungsgeschichte. 7. Aufl. München 2006, S. 62 ff.
  3. Vgl. etwa Klaus Herbers, Helmut Neuhaus: Das Heilige Römische Reich. 2. Aufl. Köln u. a. 2006, S. 120.
  4. Ulf Dirlmeier, Gerhard Fouquet, Bernd Fuhrmann: Europa im Spätmittelalter 1215–1378. München 2003, S. 96.
  5. Klaus Herbers, Helmut Neuhaus: Das Heilige Römische Reich. 2. Aufl. Köln u. a. 2006, S. 129.
  6. Ernst Schubert: Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter. 2. Aufl. München 2006, S. 51 ff.