Umma
Umma oder Ummah (arabisch أمة, DMG Umma „Gemeinde“) bezeichnet im Bereich des Islams eine Gemeinschaft, die ähnlich wie ein Volk oder eine Nation über den Rahmen eines Stammes oder Clans hinausreicht. Im engeren Sinne wird der Begriff für die religiös fundierte Gemeinschaft der Muslime verwendet. In diesem Fall ist er im Arabischen meist von dem Adjektiv islāmī (إسلامي) begleitet, also al-Umma al-islāmīya (الأمة الإسلامية). Der arabische Plural von umma ist umam. Das arabische Wort scheint dem hebräischen umma („Stamm“, „Geschlecht“) entlehnt zu sein, das sich möglicherweise aus dem assyrischen ummanu ableitet. Es ist jedoch auch eine gemeinsame semitische Wurzel möglich.
Koranische Aussagen
In vorislamischer Zeit ungebräuchlich, taucht das Wort Umma zum ersten Mal in den mekkanischen Teilen des Korans auf und bezeichnet dort vergangene, meist von Propheten angeführte Gemeinschaften. Die wahre Gemeinschaft, die Gott dient, ist nur eine „einzige Gemeinschaft“ (umma wāḥida), doch fiel diese wegen interner Zwistigkeiten auseinander (Sure 21:92f). In Sure 7:34 heißt es, dass jede Umma einen festgesetzten Zeitpunkt habe. Aber nicht nur Menschen, sondern auch Tiere und Dschinn sind in umam zusammengeschlossen (vgl. Sure 6:38; 7:38; 46:18).
Verwendung in der islamischen Geschichte
In Medina wurde der Begriff für die Anhänger Mohammeds aus Mekka und Medina und die mit ihnen verbündeten Clans verwendet. So wird am Anfang der Gemeindeordnung von Medina festgestellt, dass „die Gläubigen und Muslime der Quraisch und von Yathrib und jene, die ihnen folgen, ihnen verbunden sind und zusammen mit ihnen kämpfen“, eine „einzige Umma“ (umma wāḥida) bilden, die sich von anderen Menschen unterscheidet. Die Tatsache, dass der Vertrag auch jüdische Clans einschloss, zeigt, dass zu dem Zeitpunkt der Begriff noch keine streng religiös definierte Gemeinschaft bezeichnete.
Schon bald nach der Gründung spaltete sich diese, ursprünglich nicht auf einem Rechtssystem wie der Scharia, sondern auf die Beziehungen der Clans und Stämme regelnden Gewohnheitsrechten beruhende jüdisch-islamische Umma[1] in verschiedene religiös-politische Parteien, in Charidschiten, Schiiten und Sunniten. Im Jahre 1911 verfasste der schiitische Gelehrte ʿAbd al-Husain Scharaf ad-Dīn (1873–1958) sein Buch „Wichtige Kapitel bei der Vereinigung der Umma“ (al-Fuṣūl al-muhimma fī taʾlīf al-umma), ein Werk, das der Aussöhnung zwischen Sunniten und Schiiten dienen sollte.[2]
Lange verstand man unter Umma im Wesentlichen die „muslimische Weltglaubensgemeinschaft“, die Glaubensgemeinschaft der Muslime als Ganzes, seit dem 19. Jahrhundert jedoch auch – mit Hilfe des Begriffszusatzes „al-ʿarabīya“ – die „arabische Nation“, ein Begriff, der aus dem Vokabular des arabischen Nationalismus stammt, der mit der Weltreligion Islam so gut wie nichts zu tun hat. In zusammengesetzter Form ergibt sich der Ausdruck im Arabischen zu al-Umma al-ʿarabīya (الأمة العربية / ‚die arabische Nation‘). Seit 1967 mit der Niederlage im Sechstagekrieg und dem Beginn des Zusammenbruchs des arabischen Nationalismus gewinnt das religiöse Konzept wieder eindeutig die Oberhand.
Im Gegensatz zur Umma, welche die Gemeinschaft in den Vordergrund stellt, bezeichnet der Begriff Dār al-Islām (deutsch: „Das Gebiet des Islam“) im islamischen Völkerrecht das Gebiet, in dem die Muslime die Herrschaft innehaben, im Gegensatz zum Dar ul-Harb (arab.: „Das Gebiet des Krieges“). Der heute oft gebrauchte Begriff der Islamischen Welt ist hingegen nicht exakt definiert.
In der Gegenwart wird häufig auch die muslimische Gemeinschaft eines bestimmten Landes als Umma bezeichnet.[3] Tariq Ramadan verfasst drei Grundprinzipien der islamischen Umma in seinem Text zur Identität europäischer Muslime. Diese drei sind Zugehörigkeit, Verpflichtung gegenüber dem Gemeinschaftsprinzip Gerechtigkeit und absolute Vertragstreue.
Literatur
- George C. Decasa: The qurʾānic concept of umma and its function in Philippine Muslim society. Pontificia Univ. Gregoriana, Roma, 1999.
- Frederick Mathewson Denny: „The meaning of ummah in the Qur'ān“. In: History of Religions 15/1 (1975) 34–70.
- Frederick Mathewson Denny: Art. „Umma“. In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition Bd. X, S. 859b–863b.
- Charles Genequand: „La umma et les falāsifa“ in Simon Jargy (Hrsg.): Islam communautaire (al-Umma). Concept et réalités. Labor et Fides, Genf, 1984. S. 35–46.
- Jonas Grutzpalk: Umma und Asabiya. In: Tönnies-Forum 1 (2007) 29–44 (online).
- Claude Lambelet: „La constitution de la umma dans le coran: quelques références coraniques“ in Simon Jargy (Hrsg.): Islam communautaire (al-Umma). Concept et réalités. Labor et Fides, Genf, 1984. S. 9–19.
- Hansjörg Schmid / Amir Dziri / Anja Middelbeck-Varwick / Mohammad Gharaibeh (Hrsg.): Kirche und Umma: Glaubensgemeinschaft in Christentum und Islam. (= Theologisches Forum Christentum – Islam 2013) Pustet, Regensburg 2014, ISBN 978-3-7917-2583-3.
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. dazu Hans Jansen: Mohammed. Eine Biographie. (2005/2007) Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas. C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-56858-9, S. 225–229 (Die Konstitution von Medina).
- ↑ Vgl. dazu Rainer Brunner: Annäherung und Distanz. Schia, Azhar und die islamische Ökumene im 20. Jahrhundert. Berlin: Schwarz 1996. S. 40f.
- ↑ Vgl. zum Beispiel für die Elfenbeinküste Lémassou Fofana: Côte-d’Ivoire: Islam et sociétés. Contribution des musulmans à l’édification de la nation ivoirienne (Xie–XXe siècles). CERAP, Abidjan, 2007. S. 120.