Martin Rudolph (Archäologe)

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Martin Viktor Wilhelm Rudolph (nach 1945: Martin Rudolph-Greiffenberg) (* 1. Dezember 1908 in Langenöls, Kr. Nimptsch; † 10. April 1993 in Innsbruck[1]) war ein deutscher promovierter Bauingenieur, Archäologe und Bauforscher.

Leben

Geboren im niederschlesischen Langenöls als Sohn des dortigen Pastors Viktor Ernst Emanuel Rudolph (1870–1953)[2], nahm Martin Rudolph 1929 ein Architekturstudium an der TH Dresden auf. Später wechselte er an die TH Braunschweig, wo er 1935 mit dem Diplom abschloss und 1938 zum Dr.-Ing. promoviert wurde.

Bereits in den 1930er Jahren nahm er an den Ausgrabungen in Haithabu, der Stellerburg in Schleswig-Holstein und der Königspfalz Werla teil; in Werla war er neben Hermann Schroller (1900–1959) der architektonische Leiter der Ausgrabung.

Nach seiner Promotion wurde ihm 1939 die Leitung der als Abteilung des SS-Ahnenerbes neugegründeten „Forschungsstelle für Vorgeschichtliche Baukunde“ übertragen; im Juni 1939 erhielt er einen Lehrauftrag für „Germanisches Bauwesen“ an der TH Braunschweig. Eine von ihm angestrebte Professur scheiterte hingegen an der fehlenden Habilitation.

Ende 1939 trat Rudolph der NSDAP bei, im Jahr darauf auch der SS, wo er bis zum Obersturmführer aufstieg und dem Persönlichen Stab Reichsführer SS zugeteilt wurde. Für 1939/40 erhielt er das Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts. Als im Zuge der sogenannten Option das gesamte germanische und deutsche Kulturerbe in Südtirol aufgenommen werden sollte, erhielt Rudolph in der 1940 auf Anweisung Himmlers gegründeten „Kulturkommission“ des Ahnenerbes die Zuständigkeit für „Hausforschung und Bauwesen“.[3] Bis Februar 1945, als seine Dienststelle in Bozen aufgelöst wurde, nahm er systematisch die Architektur alter deutscher Bauernhäuser auf.[4][5][6] Rudolph untersuchte dabei auch die Bauernhäuser in isolierten deutschen Siedlungsgebieten wie dem Gottscheer Land in Slowenien (die Bevölkerung hatte 1941 mehrheitlich für eine Umsiedlung in das Deutsche Reich gestimmt). Im hölzernen Einraumhaus mit Vorlaube im Gottscheer Land sah Rudolph das germanische Urhaus.[7]

Nach dem Zweiten Weltkrieg war er bei der Landesbaudirektion in Innsbruck tätig.

Schriften

  • Die Grundlagen der Holzbauweisen von Haithabu, in: Offa 1, 1936, S. 141–149.
  • Pfalz Werla: Die baugeschichtlichen Ergebnisse der Ausgrabung 1937, in: Kunde: Zeitschrift für niedersächsische Archäologie 6, 1938, S. 106–118.
  • Die Rekonstruktion des Kammerhauses der Stellerburg, in: Offa 2, 1937, S. 96–104
  • Die Flechtwerkbauweise des Hauses von Hambühren, in: Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte 12, 1938, S. 89–97.
  • Pfalz Werla. Die baugeschichtlichen Ergebnisse der Ausgrabung 1938, in: Die Kunde: Zeitschrift für niedersächsische Archäologie 7, 1939, S. 79–94.
  • Germanischer Holzbau der Wikingerzeit. 1. Die baugeschichtlichen Ergebnisse der Ausgrabungen auf der Stellerburg in Dithmarschen. Wachholtz, Neumünster 1942.
  • Die Ausgrabungen der Königspfalz Heinrich I. zu Werla, in: Herbert Jankuhn (Hrsg.): Bericht über die Kieler Tagung (Forschungs- und Lehrgemeinschaft „Das Ahnenerbe“). Wachholtz, Neumünster 1944, S. 211–225.
  • Das Burggräfler Haus. Entwicklung und Erneuerung alpenländischer Baukultur an der Etsch. Universitätsverlag Wagner, Innsbruck 1960.
  • Tirols Olympia-Raum: Innsbruck, Igls-Patscherkofel, Axamer Lizum, Seefeld. Verlag der Tiroler Graphik, Innsbruck 1963.
  • Alpine Baukultur in Südtirol. Urform und vollendete Gestaltung. Athesia, Bozen 1982.
  • Naturverbundenes Bauen am Berg. Tyrolia, Innsbruck u. a. 1986, ISBN 3-7022-1591-3

Literatur

  • Peter Trebsche: Die Reisestipendiaten der Römisch-Germanischen Kommission. In: Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 82, 2001, S. 532.
  • Markus C. Blaich: Im Banne des Zeitgeistes – Hermann Schroller und die Ausgrabungen auf der Pfalz Werla von 1936 bis 1939. In: Die Kunde N.F. 59, 2008, S. 147–188.
  • Daniel Weßelhöft: Von fleißigen Mitmachern, Aktivisten und Tätern. Die Technische Hochschule Braunschweig im Nationalsozialismus. Olms, Hildesheim/Zürich/New York 2012. ISBN 978-3-487-14737-6, S. 339–342.
  • Markus C. Blaich, Michael Geschwinde (Hrsg.): Werla 1. Die Königspfalz. Ihre Geschichte und die Ausgrabungen 1875–1964 (= Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Bd. 126). Schnell & Steiner, Mainz/Regensburg 2015, ISBN 978-3-88467-245-7, S. 26 ff., 40 ff., 95 ff.
  • James R. Dow: Angewandte Volkstumsideologie. Heinrich Himmlers Kulturkommissionen in Südtirol und der Gottschee. StudienVerlag, Innsbruck/Wien/Bozen 2018, ISBN 978-3-7065-5640-8, S. 71–78.

Einzelnachweise

  1. Stadtnachrichten. Offizielles Mitteilungsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck Nr. 6 Juni 1993, Servicebeilage, S. 3 ("Sterbefälle").
  2. Dietmar Neß: Schlesisches Pfarrerbuch, Bd. 3: Regierungsbezirk Breslau, Teil III. Evang. Verlagsanstalt, Leipzig 2014, ISBN 978-3-374-03887-9, S. 140.
  3. Michael H. Kater: Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches. Deutsche Verlags-Anstalt., Stuttgart 1974, ISBN 3-421-01623-2, S. 160 ff.; Michael Wedekind: „Völkische Grenzlandwissenschaft“ in Tirol (1918–1945). Vom wissenschaftlichen „Abwehrkampf“ zur Flankierung der NS-Expansionspolitik, in: Giuseppe Albertoni u. a. (Red.): Nationalismus und Geschichtsschreibung – Nazionalismo e storiografica (= Geschichte und Region/Storia e regione 5, 1996). Folio, Wien/Bozen 1997, ISBN 3-85256-058-6, S. 252 ff.; ders.: Kulturkommission des SS-„Ahnenerbes“ in Südtirol, in: Michael Fahlbusch, Ingo Haar, Alexander Pinwinkler (Hrsg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Akteure, Netzwerke, Forschungsprogramme. Teilbd. 2: Forschungskonzepte, Institutionen, Organisationen, Zeitschriften. de Gruyter/Oldenbourg, Berlin/Boston, 2., grundl. erw. u. überarb. Auflage. 2017, ISBN 978-3-11-043891-8, S. 1866–1878.
  4. Robert Born: Zwischen Siebenbürgen und Norwegen. Die Forschungen von Hermann Phleps zur Holzarchitektur und deren politische Instrumentalisierung im Nationalsozialismus, in: Magdalena Bushart, Agnieszka Gasior, Alena Janatkova (Hrsg.): Kunstgeschichte in den besetzten Gebieten 1939–1945. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2016, S. 287.
  5. Das von Rudolph und seiner Arbeitsgruppe in Südtirol gesammelte Material wird seit 1990 von Helmut Stampfer herausgegeben, s. Ders.: Bauernhöfe in Südtirol: Bestandsaufnahmen 1940–1943. Bisher 11 Bde. Athesia, Bozen 1990–2017. Vgl. hierzu kritisch die Besprechung von Hubert Mock in: Geschichte und Region/Storia e regione 1, 1992, Heft 1 (PDF), sowie die Bemerkungen von James R. Dow: Angewandte Volkstumsideologie. Heinrich Himmlers Kulturkommissionen in Südtirol und der Gottschee. StudienVerlag, Innsbruck-Wien-Bozen 2018. ISBN 978-3-7065-5640-8, S. 78.
  6. M. V. Rudolph: Bäuerliche Baukunst und Wohnkultur im Etschland. In: Bozner Tagblatt, Ausgabe vom 7./8. April 1945, S. 3.
  7. Michael Wedekind: Kulturkommission des SS-„Ahnenerbes“ beim Deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten für die Provinz Laibach, in: Michael Fahlbusch, Ingo Haar, Alexander Pinwinkler (Hrsg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Akteure, Netzwerke, Forschungsprogramme. Teilbd. 2: Forschungskonzepte, Institutionen, Organisationen, Zeitschriften. 2., grundl. erw. u. überarb. Auflage. de Gruyter/Oldenbourg, Berlin/Boston 2017. ISBN 978-3-11-043891-8, S. 1863.