Sien Hoornik

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Sien Hoornik, Dezember 1882

Clasina Maria (Sien) Hoornik (* 22. Februar 1850 in Den Haag; † 22. November 1904 in Rotterdam) war eine niederländische Näherin und Prostituierte, die als Modell für Vincent van Gogh arbeitete und zeitweise seine Lebensgefährtin war. Stationen ihres Leben sind in zahlreichen Zeichnungen und durch Briefe van Goghs festgehalten.[1]

Leben

Sien wurde 1850 als ältestes von zehn Kindern in eine katholische und arme Familie geboren. Von ihren zwei Schwestern und sieben Brüdern starben zwei Geschwister früh. Sie wuchs im Armenviertel „Geest“ von Den Haag auf. Ihr Vater Pieter Hoornik (1823–1875) arbeitete bis zu seinem Tod 1875 als Gepäckträger bei der Bahn, ihre Mutter Maria Wilhelmina Pellers (1829–1910) als Bedienstete. Die Familie war oft auf die öffentliche Suppenküche oder kirchliche Wohltätigkeitsorganisationen angewiesen. Eine Zeit lang lebten Sien und drei ihrer Brüder in einem katholischen Waisenhaus, weil sie zu Hause nicht ernährt und versorgt werden konnten.[2] Sien hatte eine gewisse Bildung genossen, denn sie konnte schreiben.[3]

Um die Familie zu ernähren, arbeiteten Sien und ihre Mutter als Näherinnen und putzten Häuser. Ihr Verdienst wurde durch das ergänzt, was Siens ältester Bruder Pieter Anthonie mit dem Einkommen aus seiner Arbeit als Stuhlmacher beisteuern konnte. Zwischen 1874 und 1879 hatte die unverheiratete Sien drei Kinder geboren, von denen ein Sohn und eine Tochter starben, nur ihre 1877 geborene Tochter Maria Wilhelmina (1877–1940) überlebte das Kleinkindalter.[4] Über die Väter der Kinder schwieg Sien sich aus.[3] Sien lebte weiterhin zusammen mit ihrer Mutter und den Schwestern, aber da ihr kümmerlicher Verdienst als Näherin nicht ausreichte, versuchte sie durch Prostitution die Existenz zu sichern. Es ist weder bekannt, ob sie in Heimarbeit nähte, angestellt war oder für wohlhabendere Auftraggeber arbeitete, noch wie regelmäßig sie gezwungen war, als Prostituierte ihren und den Lebensunterhalt ihrer Familie zu bestreiten. Im Herbst 1881 wurde sie erneut schwanger.[2]

1882 bis 1883

Im Winter 1881/82 lernte Sien in Den Haag den Maler Vincent van Gogh kennen. Informationen über Siens Zusammentreffen und Leben mit ihm stammen hauptsächlich aus seinen Briefen an Familie und Freunde. Er beschrieb ihre Lage in einem Brief an seinen Bruder Theo als krank und hungrig, verlassen von dem Vater des Kindes, eine „schwangere Frau, die im Winter durch die Straßen wanderte – sie musste ihren Lebensunterhalt verdienen, du weißt ja, wie“. Den ganzen Winter über arbeitete Sien als Modell für van Gogh, ebenso ihre Mutter, Schwester und ihre Tochter und half ihm im Haushalt. Zu dieser Zeit wohnte sie mit ihrer Mutter in der Noordstraat und später in der Slijkeinde. Sie erhielt aufgrund von van Goghs eigenen beschränkten Mitteln nicht den vollen üblichen Lohn für das Modellstehen, aber er versorgte sie mit Essen.[2] Sien und van Gogh, der den Plan gefasst hatte, eine „gefallene“ Frau zu retten und für sie zu sorgen, begannen eine Beziehung.[3]

Anfang 1882 hatte Van Gogh für sich ein kleines Studio am Schenkweg in einem neuen Wohngebiet am Stadtrand von Den Haag gemietet, und mit der Aussicht, gemeinsam mit Sien und ihren Kindern zu leben, mietete er ein größeres Studio dort an. Obwohl Theo die Beziehung missbilligte, unterstützte er seinen Bruder weiterhin materiell,[1] als Sien zu van Gogh zog. Damit war sie die einzige Frau, mit der van Gogh jemals eine Form von Familienleben erfuhr.[5] Am 2. Juli 1882 brachte Sien ihren Sohn Willem (1882–1958)[4] in einer Entbindungsklinik in Leiden zur Welt.[3] Das Paar schien sein bescheidenes häusliches Glück zu genießen, wie aus van Goghs Briefen hervorgeht.[6] Sien sah sich und ihre Familie versorgt und van Gogh war froh über die ständige Verfügbarkeit eines Modells, die Gemeinschaft und ein Familienleben mit Frau und Kindern. Im Mai schrieb van Gogh an Theo, dass sie heiraten wollten.[7]

Aus der Zeit von Siens Schwangerschaft sind viele Zeichnungen erhalten. Sie zeigen sie bei Besorgungen mit ihrer Mutter, mit Schirm und Gebetbuch allein auf dem Weg zur Kirche oder auf dem Boden sitzend nahe der Feuerstelle. Eine der frühesten Zeichnungen mit dem Titel „Sorrow“ zeigt Sien als Sinnbild der schwangeren, verlassenen, verzweifelten Frau, als Opfer der gesellschaftlichen Zustände.[7]

Nach der Geburt von Willem bis zum Frühjahr 1883 entstanden Skizzen von Sien als Mutter bei der Versorgung des Kindes, beim Stillen oder wie sie das Baby auf dem Schoß wiegt. Van Gogh zeichnete sie auch mit ihrer Tochter und in schlichter, zweckmäßiger Kleidung bei der Verrichtung alltäglicher Tätigkeiten. Dazu gehörten Skizzen von Sien beim Kartoffelschälen, beim Nähen oder kniend beim Beten.

Ab dem Frühjahr 1883 verschlechterte sich ihre Beziehung. Van Gogh beklagte in Briefen an seinen Bruder Siens Launenhaftigkeit, ihr aufbrausendes Verhalten, ihre Verzweiflung, die er nicht verstand sowie ihre zunehmende Gleichgültigkeit und ihre Verweigerung seiner Vorstellung eines häuslichen Lebens. Er machte ihre Armut, mangelnde Bildung und den Umgang mit den falschen Menschen, einschließlich ihrer Familie, dafür verantwortlich, während Siens Familie verächtlich auf den dürftigen Haushalt im Schenkweg blickte und der Meinung war, er beute sie aus, würde sie nicht heiraten und sie letztlich auf Druck seiner Familie verlassen.[8] Als van Gogh im September 1883 Den Haag verließ und nach Drenthe ging, zog Sien mit ihren Kindern zu ihrer Mutter in die Bagijnestraat im Rotlichtviertel. Sie versuchte, mit Aushilfsarbeiten und als Wäscherin ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Im Dezember 1883 sah sie van Gogh wieder, der sie „in großem Elend und bei sich verschlechternder Gesundheit“ beschrieb.[3]

1884 bis 1904

In den folgenden Jahren zog Sien mehrmals innerhalb Den Haags um, bevor sie im Juli 1888 nach Delft ging. Ihre Tochter ließ sie bei ihrer Mutter und ihren Sohn bei ihrem Bruder Pieter, hielt aber vermutlich sporadisch Kontakt zu ihren Kindern. Um 1890 bis 1891 lebte sie in Antwerpen, danach erneut in Den Haag, 1895 in Rotterdam und im Jahr 1900 für ein Jahr in Dordrecht. In den Einwohnermelderegistern wurde sie meist als Dienstmädchen und Näherin geführt.[3]

Ab dem 1. Juli 1901 war sie unter der Adresse des viel jüngeren Brotbäckers Arnoldus Franciskus van Wijk (1860–1916) gemeldet, der seit dem 27. Juni in der Verlaatstraat Nr. 30 in Rotterdam wohnte. Am 4. September 1901 heiratete das Paar und van Wijk adoptierte Maria und Willem.[3] Am 22. November 1904 wurde Sien tot im Kanal Provenierssingel in Rotterdam gefunden. Ihre Leiche wurde per Lastkahn zum Hauptfriedhof nach Crooswijk (Algemene Begraafplaats Crooswijk) im Norden der Stadt transportiert. Als Todesursache wurde Ertrinken festgestellt. Sie wurde zunächst unidentifiziert begraben, weil Arnoldus van Wijk sie erst am 28. November bei der Polizei als vermisst gemeldet hatte. Der Leichnam wurde daraufhin exhumiert und offiziell von ihm identifiziert.[3][4]

Literatur

  • Clasina Maria Hoornik. In: Biografisch portaal van Nederland (Digitalisat)
  • Carol Zemel: Sorrowing women, rescuing men: Van Gogh's images of women and family. In: Art History, September 1987, Ausgabe 10, S. 351–368
Commons: Sien Hoornik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Van Gogh Museum: First Steps as an Artist. Abgerufen am 11. Oktober 2023
  2. a b c Carol Zemel: Sorrowing women, rescuing men: Van Gogh's images of women and family. In: Art History, September 1987, Ausgabe 10, S. 353–354
  3. a b c d e f g h Marloes Huiskamp: "Hoornik, Clasina Maria". In: Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland vom 24 Juni 2019. Abgerufen am 11. Oktober 2023
  4. a b c Martin Bailey: Exclusive: Van Gogh’s prostitute lover committed suicide—just as predicted. In: The Art Newspaper vom 25. April 2019. Abgerufen am 14. Oktober 2023
  5. Indra Jager: „Sien Hoornik, de partner van Vincent van Gogh, was helemaal geen gekke prostituee“. In: Linda vom 2. August 2020. Abgerufen am 11. Oktober 2023
  6. Christoph Wetzel: Vincent van Gogh. Leben und Werk. Belser Verlag, Stuttgart/Zürich 1989, ISBN 3-7630-1937-5, S. 29–33
  7. a b Carol Zemel: Sorrowing women, rescuing men: Van Gogh's images of women and family. In: Art History, September 1987, Ausgabe 10, S. 355–357
  8. Carol Zemel: Sorrowing women, rescuing men: Van Gogh's images of women and family. In: Art History, September 1987, Ausgabe 10, S. 363–365