Summa Iniuria: Ein Pitaval der Justizirrtümer

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Summa Iniuria: Ein Pitaval der Justizirrtümer (Untertitel: fünfhundert Fälle menschlichen Versagens im Bereich der Rechtsprechung in kriminal- und sozialpsychologischer Sicht)[1], 1976 in Basel herausgegeben, ist die umfangreichste und neben Schiller als Arzt die bedeutendste Schrift von Hans Martin Sutermeister, und „stellt eine der ausführlichsten Dokumentationen über Fehlurteile in der deutschen Sprache dar“.[2]

Inhalt

Das Pitaval basiert auf Sutermeisters Erfahrungen als Mitarbeiter im Schweizer Büro gegen Amts- und Verbandswillkür (wo er sich für Revisionen verschiedener Mordprozesse eingesetzt hatte)[3] und behandelt das Fehlurteil kulturgeschichtlich basierend auf Max Hirschbergs Hauptfehlerquellen der Rechtsfindung.[4] Sutermeister erachtete sein Buch als eine Art „Fortsetzung und Ergänzung“ von Bernt Engelmanns Deutschland-Report.[5] Es stellt zudem eine Art Abrechnung mit den in der Affäre Jaccoud gerichtsmedizinisch involvierten Erik Undritz und Pierre Hegg dar, der früher wegen gewisser Behauptungen in derselben Affäre gegen Sutermeister prozessiert hatte, und die Sutermeister nun das ganze Buch hindurch negativ erwähnt.

Sutermeister eröffnet sein Buch mit dem Kapitel Glanz und Elend der Expertisen (S. 35–124), das die Fälle Michael Servetus, Maurice Elcy (im Buch fälschlicherweise „Marcel Elcy“), Jean Balleydier und François Truffet, Jean Calas, Jean Paul Sirven, Jean-François Lefèbvre, chevalier de la Barre und Thomas Arthur de Lally-Tollendal streift; die meisten Fälle dienen dazu, die „calvinistische Moral“[6] in Genf anzugreifen, die gemäß Sutermeister auch noch im 20. Jahrhundert zu den Fehlurteilen von Maria Popescu (S. 40–47, Kapitel mit dem Untertitel „der zerstreute Professor“; der Gerichtsmediziner François Naville ist damit gemeint) und Pierre Jaccoud (S. 47–124, Kapitel mit dem Untertitel „die Affäre, die keine war“) geführt haben soll. Weitere Fälle, die in diesem Teil kurz erwähnt werden, sind die Fälle Boricky-Guédj, Josette Bauer, Paul Stauffer, George Edalji, Pierre Leroy und Jean Fauvel.

Der grösste Teil (S. 124–707) des Buches trägt den Titel Zur Genealogie des Justizirrtums: Der Hirschbergtest. Sutermeister gliedert es gemäss den sechs wichtigsten „Ursachen von Fehlurteilen in der Strafjustiz“ von Max Hirschbergs Buch Das Fehlurteil im Strafprozess (1960), jedoch in anderer Reihenfolge, und um drei weitere „Ursachen von Fehlurteilen in der Strafjustiz“ ergänzt: Eingeleisige Voruntersuchung, Suggestibilität und Gefühlslogik der Geschworenen / psychologische Fehler der Richter, und Fehlentscheide im Bereich der „öffentlichen Moral“.

Der zehnte Teil seines „Hirschbergtests“ trägt den Titel Recht und Ethik: Jesus, Sokrates und Marx, bespricht Sutermeister die Fälle Frank Geerk (Gotteslästerung) und Jacques Isorni (der 1974 wegen seines Buches Der wahre Prozess Jesu angeklagt wurde). Der elfte und letzte Teil des „Hirschbergtests“ trägt den Titel Das Recht und die Fortschritte der Geistes- und Naturwissenschaften und behandelt die Fälle Galilei, Bruno, Darwin, Freud, Teilhard de Chardin, Marx, Dante, Scopes und Kinsey.

Nach diesem Hauptteil (dem „Hirschbergtest“) folgen Rechtsphilosophische Schlussfolgerungen und praktische Reformvorschläge mit besonderer Berücksichtigung des Deutschen und Schweizerischen Rechtswesens (S. 707–726). In der Zusammenfassung (S. 727–747; dazu die Beilage „Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (Bundeskriminalamtes). Vom 8. März 1951. in der Fassung vom 29. Juni 1973“) schlägt Sutermeister die Institutionalisierung eines Bundeskriminalamtes für die Schweiz nach dem Vorbild des Deutschen Bundeskriminalamtes vor, was bis anhin nicht realisiert wurde. Im Anhang (S. 748–799) finden sich die Einzelnachweise, von denen manche ausführliche Kommentare zu weiteren Fällen, unter anderem Sutermeisters Fall gegen den Pierre Hegg, der 1960 einen Beleidigungsprozess gegen ihn erstrebte, beinhalten.

Rezeption

Bereits früher wurde Sutermeisters Aktivismus als „Fehlurteilsjäger“ sowohl gelobt[7] als auch getadelt[8]. In Summa Iniuria wurde besonders der Teil Fehlentscheide im Bereich der „öffentlichen Moral“ von Klaus Volk[9], Wolfgang Lorenz[10] und Otto Scrinzi[11] wegen seines verworrenen politischen Inhaltes kritisiert. Charakteristisch für das Buch sei, dass Sutermeister auch Fälle einschließt, „in denen er, ohne daß es zu einer gerichtlichen Änderung des Urteils gekommen ist, dessen Fehlerhaftigkeit annimmt“[12] und deshalb in manchen Fällen „bewußt den subjektiven Standpunkt des Verteidigers einnimmt“[10].

Für den Strafrechtsexperten Karl Peters nimmt Summa Iniuria „einen bedeutsamen Platz“ in der Reihe der Werke über Justizirrtümer von Erich Sello, Max Alsberg, Albert Hellwig, Hirschberg, Judex und Peters selbst ein.[12] Für Karl Peters ist es erstaunlich, wie Sutermeister in seinem Summa Iniuria „das im internationalen Schrifttum behandelte Material beherrscht und wie er es durch eigenes Material aus der Schweiz und Deutschland überzeugend zu ergänzen versteht. Wichtige Strafverfahren werden in fesselnder Weise dargestellt. Dabei geht es dem Verfasser jedoch nicht um Sensation, sondern um eine sachliche Erörterung.“[12] Unter anderem aufgrund von Summa Iniuria nannte Karl Peters Sutermeister, zusammen mit Frank Arnau und Günter Weigand, einen „erbitterten Kämpfer für das Recht“.[13]

Ausgabe

Rezensionen

Einzelnachweise

  1. Hans Martin Sutermeister. Summa Iniuria: Ein Pitaval der Justizirrtümer. Basel: Elfenau, 1976, S. 1.
  2. Gwladys Gilliéron. Strafbefehlsverfahren und plea bargaining als Quelle von Fehlurteilen. Zürich: Schulthess Juristische Medien, 2010, S. 15. ISBN 978-3-7255-6021-9
  3. Hans Martin Sutermeister. Summa Iniuria: Ein Pitaval der Justizirrtümer. Basel: Elfenau, 1976, S. 23–24.
  4. Cf. Max Hirschberg. Das Fehlurteil im Strafprozess: Zur Pathologie der Rechtsprechung. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 1960.
  5. Hans Martin Sutermeister. Summa Iniuria: Ein Pitaval der Justizirrtümer. Basel: Elfenau, 1976, S. 26.
  6. Cf. Gerhard Mauz. Ein Mord, ein Knopf und Calvins Geist. In: Der Spiegel, 1965, Nr. 14, S. 119.
  7. Zum Beispiel von Gerhard Mauz in dessen Artikel Schuldig, weil wir keinen anderen haben: SPIEGEL-Reporter Gerhard Mauz über die Fehlurteilsjäger Hans Martin Sutermeister und Gustav Adolf Neumann. (In: Der Spiegel, 1965, Nr. 18, S. 116 und 118.)
  8. Zum Beispiel von Jürgen Thorwald in: Blutiges Geheimnis. Knaur, München/Zürich 1966, S. 257–258 (Die Stunde der Detektive. Werden und Welten der Kriminalistik. Band 1).
  9. Klaus Volk. Buchbesprechung: Sutermeister, H. M.. Summa Iniuria. In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform. Jahrgang 60, 1977, S. 388.
  10. a b Wolfgang Lorenz: Sutermeister, Hans M.: Summa Iniuria. Ein Pitaval der Justizirrtümer – Basel (Elfenau–Verlag) 1976 – 810 S. br. In: Archiv für Kriminologie. Band 160, Heft 3/4, 1977.
  11. Otto Scrinzi. Buch im Brennpunkt: Unvermeidliche Justizirrtümer. In: Ärztliche Praxis: Die Zeitung des Arztes in Klinik und Praxis. 1976/1977.
  12. a b c Karl Peters. Sutermeister, Hans M.: Summa Iniuria. Ein Pitaval der Justizirrtümer. Basel 1976. In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Jahrgang 26, Band 88, Heft 1, 1976, S. 993–995, (doi:10.1515/zstw.1976.88.4.978).
  13. Karl Peters: „XIII. Kämpferische“ In: Justiz als Schicksal: ein Plädoyer für die andere Seite. De Gruyter, 1979. Seite 192. ISBN 9782010057120