Anicier
Anicius war der Name einer adligen römischen Familie, der gens Anicia. Sie ist seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. bezeugt, erreichte im 2. Jahrhundert v. Chr. das Konsulat und stieg damit in die Nobilität auf. Sie trat in republikanischer Zeit eher wenig in Erscheinung, dafür umso mehr in der späten Kaiserzeit.
Im 4. Jahrhundert n. Chr. gewann die Familie durch die Christianisierung des Imperiums an Einfluss, da sie zu den ersten großen Geschlechtern zählte, die zum neuen Glauben übertraten.[1] Es ist allerdings unklar, ob sich die spätantiken Anicii/Anicier mit Recht auf die alte republikanische gens zurückführten – falls es eine Beziehung gab, dann wohl höchstens durch Adoption: Statistisch gesehen fehlte in der römischen Oberschicht etwa alle drei Generationen ein männlicher Erbe, weshalb praktisch alle alten republikanischen Senatorenfamilien bereits um das Jahr 100, spätestens aber zur Zeit der Severer in direkter Linie endeten. Dies galt wohl auch für die „republikanischen“ Anicier.
Ein berühmter Familienangehöriger war etwa der im 4. Jahrhundert lebende Sextus Petronius Probus, der in die Familie eingeheiratet hatte, wodurch die Hauptlinie der Anicier, die in männlicher Linie Mitte des 4. Jahrhunderts wohl (erneut) ausgestorben war und nur durch Adoption fortbestand (siehe Anicius Auchenius Bassus),[2] nun in weiblicher Linie direkt fortgeführt wurde. Probus war einer der führenden und einflussreichsten Männer seiner Zeit, zwei seiner Söhne bekleideten 395 zusammen das Konsulat.
Im späten 5. und frühen 6. Jahrhundert lebte und wirkte Boëthius, der nicht nur Staatsmann, Konsul und „Kanzler“ war, sondern vor allem auch Philosoph, Theologe und Übersetzer. Neben Augustinus von Hippo und Gregor dem Großen (der wohl sehr wahrscheinlich auch ein Anicier war) gilt Boëthius (mit vollem Namen Anicius Manlius Severinus Boethius) als der größte (lateinische) Philosoph und Theologe der ausgehenden Spätantike. Weitere berühmte Angehörige des Geschlechts waren der weströmische Kaiser Olybrius, seine Tochter, die einflussreiche Aristokratin Anicia Iuliana.
Wie fast alle römischen Senatorenfamilien gehörten die Anicier dem katholischen Bekenntnis an, das zu Zeiten des Boëthius in starker Auseinandersetzung mit dem arianischen Bekenntnis stand. Da die Familie noch im 6. Jahrhundert Besitzungen im gesamten Mittelmeerraum besaß, kann sie als gutes Beispiel dafür dienen, wie lange noch enge Kontakte zwischen Ostrom und dem Westen bestanden. Im frühen 7. Jahrhundert verlor sich dann die Spur der Anicii.
John Moorhead weist darauf hin, dass man sich die Anicier nicht als mächtigen Clan vorstellen sollte, dessen Angehörige gemeinsame Überzeugungen vertraten und geschlossen im selben Sinne politisch agierten. Im Laurentianischen Schisma waren Anicier anscheinend in beiden Konfliktparteien zu finden.[3]
Namensträger
- Flavius Anicius Hermogenianus Olybrius, spätrömischer Aristokrat, Konsul 395
- Flavius Anicius Probinus, spätantiker römischer Aristokrat und Konsul 395
- Gaius Anicius Cerialis, römischer Suffektkonsul 65
- Lucius Anicius Gallus, römischer Politiker, Konsul 160 v. Chr.
Literatur
- Alan Cameron: Anician Myths. In: Journal of Roman Studies 102, 2012, S. 133–171.
- Elimar Klebs: Anicius. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band I,2, Stuttgart 1894, Sp. 2196 (dort, Sp. 2196–2208 (Anicius 1–55), auch eine Prosopographie der Anicii bis in die Spätantike).
- Lellia Cracco Ruggini: Gli Anicii a Roma e in provincia. In: Mélanges de l'Ecole française de Rome. Moyen âge C, 1988, S. 69–85.
- Michele Renee Salzman: The Making of a Christian Aristocracy. Social and Religious Change in the Western Roman Empire. Harvard University Press, Cambridge (Massachusetts) 2002, ISBN 0-674-00641-0
Weblinks
Anmerkungen
- ↑ Siehe Salzman, Making of a Christian Aristocracy, S. 183f.
- ↑ In Hinblick auf Bassus herrscht allerdings insgesamt eine recht große Unsicherheit, vgl. auch A.H.M. Jones u. a., The Prosopography of the Later Roman Empire, Bd. 1, Cambridge 1971, S. 153; Stemma ebd., S. 1133.
- ↑ John Moorhead: Theoderic in Italy, Oxford 1992, S. 162–164.