Benutzer:Pistorius540/Dürre in Europa 1540

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Die Dürre in Europa 1540 war, abgesehen von der Dürre in Europa 1473, das heißeste und trockenste Extremereignis im verflossenen Jahrtausend. Sie erstreckte sich von Westfrankreich bis Polen und von Mittelitalien bis nach Norddeutschland. Mehr als 300 zeitgenössische Chronisten verfolgten den fortschreitenden Niederschlagsmangel mit steigender Besorgnis. Manche beschrieben die Häufigkeit und Ergiebigkeit der Niederschläge und die vielfältigen Folgen der Dürre. Der polnische Wissenschaftler und Theologe Marcin Biem führte bis zu seinem Tod am 19. November 1540 ein für die Zeit einzigartiges Wettertagebuch [1]

Betroffene heutige Länder: Frankreich, England (Londoner Becken), Belgien, Niederlande, Luxemburg, Deutschland, Schweiz, Österreich, Tschechische Republik, Slowakische Republik, Polen, Slowenien, Nord- und Mittelitalien, Südspanien.

Methoden: Die Datierung im 16. Jahrhundert folgt bis 1582 dem Julianischen Kalender (Julianisches Datum). Zur Angleichung an den Gregorianischen Kalender müssen zu einem Julianischen Datum 10 Tage dazugezählt werden.

Schätzwerte der Temperaturentwicklung lassen sich aus Witterungsbeschreibungen in Verbindung mit pflanzenphänologischen (Phänologie) oder schnee- und frostbezogenen Beobachtungen in Form von Indizes gewinnen (Historische Klimatologie). Ergänzend werden Baumringdaten herangezogen.

Witterungsverlauf

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Manuskript der Chronik des Winzers Hans Stolz von Guebwiller (Gebweiler) für das Jahr 1540

Laut der Chronik des Winzers Hans Stoltz im französischen Guebwiller (Gebweiler) war es nach einem eher kalten Winter vom 10. Februar bis Mitte Juni weitgehend trocken. Etwas Regen fiel Anfang März. Im April und Mai war es durchwegs sonnig und sehr warm, von Ende Juni bis zum 4. August brütend heiss ohne einen Tropfen Regen. Im August und September regnete es mehrmals ein wenig. Von Oktober bis Ende Dezember war es warm wie im April, ganz ohne Frost oder Schneefall.  

[2]Die monatlichen und jahreszeitlichen Differenzen zur Periode 1961-1990 in Deutschland, der Schweiz und in den tschechischen Ländern wurden anhand von pflanzenphänologischen (Phänologie) oder frost- und schneebezogenen Proxydaten Proxy (Klimaforschung) im Verbund mit ausführlichen Berichten geschätzt. [2] Kirschbäume standen um den 10. April in Vollblüte. Einen Monat später waren die Kirschen reif. Vor dem 10. Juni endete die Rebenblüte. Die ersten reifen Trauben wurden in Zürich einen Monat später gepflückt, was einem Vegetationsvorsprung von 4-5 Wochen entspricht. Anfangs August waren die Trauben in vielen Rebbergen reif, aber die Beeren waren vertrocknet, weshalb man bis zur Lese bis zu einem ausgiebigeren Regen im September zuwartete) [3]. Rekordtemperaturen wurden im April, Mai und Juli verzeichnet [4]). Im letzteren Monat wurden wahrscheinlich Maxima von über 40°C erreicht [5]. Anfangs September blühten die Kirschbäume ein zweites Mal, im Oktober in Lindau am Bodensee die Reben. Um diese Zeit pflückte man nochmals reife Kirschen. Um Weihnachten schwammen in Basel einige Burschen über den Rhein, was darauf hindeutet, dass die Wassertemperaturen auf Grund der anhaltenden Wärme im Herbst und Winter noch aussergewöhnlich hoch waren. [6].  

Vier Chronisten im Schweizer Mittelland führten über den Zeitpunkt, teilweise sogar über die wahrgenommene Ergiebigkeit, von Niederschlagsereignissen Buch. Der Schweizer Reformator und Wissenschafter Heinrich Bullinger hält summarisch fest, dass es «zwischen Februar und Ende September in Zürich nie einen ganzen Tag oder eine ganze Nacht lang regnete» [7]. Die ermittelte Anzahl von Tagen mit Niederschlag (≥ 1mm) im Schweizer Mittelland lag 81% unter dem Mittel des 20. Jahrhunderts. Die mit einem Modell geschätzten Niederschlagsmengen im Frühjahr, Sommer und Herbst waren deutlich geringer als die Minima des 20. Jahrhundert [8] Der Jahresniederschlag, unter Annahme durchschnittlicher Verhältnisse im Winter, betrug rund einen Viertel der mittleren Werte im 20. Jahrhundert. Jene für das 900 km entfernte Krakau liegen in derselben Grössenordnung [9]).

Verfügbarkeit von Wasser

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Quellen und kleinere Flüsse trockneten aus. Der herbstliche Abfluss des Rheins in Basel und Köln und jener der Elbe in Meissen wurde anhand von ausführlichen Beschreibungen auf 10% der mittleren Abflussmengen von Mai bis Oktober im 20. Jahrhundert geschätzt. Der Bodensee sank im Herbst auf den tiefsten, jemals im Sommerhalbjahr registrierten Stand. Auf dem trockenen Seegrund wurden römische Münzen gefunden.[10] In Anbetracht der Hitzesommer 2003 (Jahrhundertsommer) und 2018 (Dürre und Hitze in Europa 2018) von massiven Eisverlusten der Gletscher auszugehen. (Gletscherschwund seit 1850)

Wirtschaftliche Folgen

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Die Landwirtschaft, die Energieversorgung und der Transport litten am meisten: Während die Ernten des Wintergetreides in Mitteleuropa durchschnittlich ausfielen, vertrockneten Sommergetreide, Gemüse und Obst. Viele Rinder starben in den verdorrten Weiden vor Hunger, Wassermangel und Hitze, Milchprodukte wurden knapp und teuer. In Nord- und Mittelitalien missriet die Getreideernte, was zu einer Hungersnot führte. Mit der Wasserkraft versiegte die wichtigste Energiequelle. Mühlen und wasserbetriebene Gewerbezweige standen still. Mehl und Brot wurden knapp und teuer. Waldbrände schränkten die künftige Versorgung mit Bau- und Brennholz ein.Transporte auf Wasserwegen waren unmöglich oder mussten stark reduziert werden. Transporte zu Land waren auf Zugtiere angewiesen, die 1540 nur beschränkt zur Verfügung standen.[11]

Folgen für die Umwelt

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Bis zu 30cm breite Trockenrisse in Böden. Zahlreiche Wälder gerieten in Brand. Ein von den Waldbränden herstammender Rauchschleier wurde im Schweizer Mittelland und in Krakau beobachtet. Grosse Mengen an sterbenden Fischen (Äschen) wurden im Juli von Hand gefangen. Die völlige Austrocknung kleinerer Wasserläufe dürfte den Fischbestand empfindlich dezimiert haben. Das Wasser von Mosel und Oder war mit Grünalgen verseucht. In Ulm setzte anfangs August der Blattfall von Laubbäumen ein.[12]

Folgen für die menschliche Gesundheit

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Viele Menschen starben unter den extremen Bedingungen, was teilweise der Hitze, teilweise der durch verschmutztes Trinkwasser verbreiteten Bakterienruhr, teilweise der Pest zugeschrieben wurde [13]

Klimageschichtliche Interpretation und wissenschaftliche Diskussion:

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Hitzesommer stehen unter dem Einfluss eines Omegahoch und folgen häufig auf eine starke Austrocknung der Böden in heiss-trockenen Frühjahren [14]. 1540 war vor allem Mitteleuropa betroffen, während der Sommer im westlichen Russland kalt und nass war. Statistisch gesehen war das Jahr 1540 ein Ausreisser; denn das vorausgehende Jahr war unauffällig, und die folgenden 4 Jahre waren kalt [15]. Eine 2016 veröffentlichte Publikation geht davon aus, dass die mittlere Sommertemperatur 1540 über den entsprechenden Durchschnittswerten der Zeitreihe 1966 bis 2015 lag und mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent auch die Hitzewelle des Sommers 2003 übertraf.[16] In der Kleinen Eiszeit waren Hitzesommer zwischen 1354 und 1719 relativ häufig, zwischen 1720 und 1987 dagegen selten [17] Seit 2011 haben Dürresommer stark zugenommen, Extremereignisse wie 1540 könnten bei fortschreitender rascher Erwärmung zur Normalität werden.

Eine 2015 publizierte Studie anhand der Auswertung von Wachstumsringen verschiedener europäischer Baumarten (Dendrochronologie, auch Baumringdatierung) zu dem Ergebnis, dass die durchgeführten Analysen keine Hinweise auf eine außergewöhnliche Dürreperiode im Jahresverlauf 1540 ergeben hätten. In ihrer Erwiderung („Reply“) wiesen die Autoren der erstgenannten Arbeit[18] (Wetter et al.) darauf hin, dass Wachstumsringe heiße und trockene Extreme mitunter unvollständig oder verzögert wiedergeben, mit spezieller Betonung des Umstands, dass in neuerer Zeit bei klimatischen „Ausreißern“ öfters Diskrepanzen zwischen instrumentell ermittelten und dendrochronologischen Daten auftreten („Divergenz-Problem“). Der auf Baumringdaten gestützte Old World Drought Atlas [19] bestätigt die weiträumige Dimension der Dürre von 1540 in Europa.

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  1. Christian Pfister, Rudolf Brázdil, Rüdiger Glaser, Anita Bokwa, Franz Holawe, Danuta Limanowka, Oldřich Kotyza, Jan Munzar, Lajos Rácz, Elisabeth Strömmer, Gabriela Schwarz-Zanetti: In: Climatic Change. Band 43, Nr. 1, 1999, ISSN 0165-0009, S. 111–150, doi:10.1023/a:1005505113244 (doi.org [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  2. a b Petr Dobrovolný, Rudolf Brázdil, Jürg Luterbacher, Anders Moberg, Christian Pfister, Dennis Wheeler, Eduardo Zorita: European climate of the past 500 years: new challenges for historical climatology. In: Climatic Change. Band 101, Nr. 1-2, Juli 2010, ISSN 0165-0009, S. 7–40, doi:10.1007/s10584-009-9783-z (springer.com [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  3. O. Wetter, C. Pfister: An underestimated record breaking event – why summer 1540 was likely warmer than 2003. In: Climate of the Past. Band 9, Nr. 1, 14. Januar 2013, ISSN 1814-9324, S. 41–56, doi:10.5194/cp-9-41-2013 (copernicus.org [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  4. Rudolf Brázdil, Petr Dobrovolný, Jürg Luterbacher, Anders Moberg, Christian Pfister, Dennis Wheeler, Eduardo Zorita: European climate of the past 500 years: new challenges for historical climatology. In: Climatic Change. Band 101, Nr. 1-2, Juli 2010, ISSN 0165-0009, S. 7–40, doi:10.1007/s10584-009-9783-z (springer.com [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  5. Rene Orth, Martha M Vogel, Jürg Luterbacher, Christian Pfister, Sonia I Seneviratne: Did European temperatures in 1540 exceed present-day records? In: Environmental Research Letters. Band 11, Nr. 11, 1. November 2016, ISSN 1748-9326, S. 114021, doi:10.1088/1748-9326/11/11/114021 (iop.org [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  6. Oliver Wetter, Christian Pfister et al.: The year-long unprecedented European heat and drought of 1540 - a worst case. In: Climatic Change. Band 125, Nr. 3-4, August 2014, ISSN 0165-0009, S. 349–363, doi:10.1007/s10584-014-1184-2 (ethz.ch [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  7. Christian Pfister, The “Black Swan” of 1540. Aspects of a European Megadrought, in: Klaus Leggewie and Franz Mauelshagen (eds.), Climatic Change and Cultural Transition in Europe, Leiden, Brill, 156-196. DOI:10.1163/9789004356825_007
  8. Oliver Wetter, Christian Pfister et al.: The year-long unprecedented European heat and drought of 1540 - a worst case. In: Climatic Change. Band 125, Nr. 3-4, August 2014, ISSN 0165-0009, S. 349–363, doi:10.1007/s10584-014-1184-2 (ethz.ch [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  9. Oliver Wetter, Christian Pfister et al.: The year-long unprecedented European heat and drought of 1540 - a worst case. In: Climatic Change. Band 125, Nr. 3-4, August 2014, ISSN 0165-0009, S. 349–363, doi:10.1007/s10584-014-1184-2 (ethz.ch [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  10. Oliver Wetter, Christian Pfister et al.: The year-long unprecedented European heat and drought of 1540 - a worst case. In: Climatic Change. Band 125, Nr. 3-4, August 2014, ISSN 0165-0009, S. 349–363, doi:10.1007/s10584-014-1184-2 (ethz.ch [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  11. Christian Pfister: The “Black Swan” of 1540. Aspects of a European Megadrought. BRILL, 2018, ISBN 978-90-04-35682-5, doi:10.1163/9789004356825_007 (brill.com [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  12. Oliver Wetter, Christian Pfister et al.: The year-long unprecedented European heat and drought of 1540 - a worst case. In: Climatic Change. Band 125, Nr. 3-4, August 2014, ISSN 0165-0009, S. 349–363, doi:10.1007/s10584-014-1184-2 (ethz.ch [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  13. Christian Pfister, The “Black Swan” of 1540. Aspects of a European Megadrought: Climate Change and Cultural Transition in Europe. BRILL, 2018, ISBN 978-90-04-35682-5, doi:10.1163/9789004356825_007 (brill.com [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  14. Sonia I. Seneviratne, Thierry Corti, Edouard L. Davin, Martin Hirschi, Eric B. Jaeger, Irene Lehner, Boris Orlowsky, Adriaan J. Teuling: Investigating soil moisture–climate interactions in a changing climate: A review. In: Earth-Science Reviews. Band 99, Nr. 3-4, Mai 2010, ISSN 0012-8252, S. 125–161, doi:10.1016/j.earscirev.2010.02.004 (doi.org [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  15. Petr Dobrovolný, Rudolf Brázdil, Jürg Luterbacher, Anders Moberg, Christian Pfister, Dennis Wheeler, Eduardo Zorita: European climate of the past 500 years: new challenges for historical climatology. In: Climatic Change. Band 101, Nr. 1-2, Juli 2010, ISSN 0165-0009, S. 7–40, doi:10.1007/s10584-009-9783-z (springer.com [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  16. Rene Orth, Martha M Vogel, Jürg Luterbacher, Christian Pfister, Sonia I Seneviratne: Did European temperatures in 1540 exceed present-day records? In: Environmental Research Letters. Band 11, Nr. 11, 1. November 2016, ISSN 1748-9326, S. 114021, doi:10.1088/1748-9326/11/11/114021 (iop.org [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  17. Thomas Labbé, Christian Pfister, Stefan Brönnimann, Daniel Rousseau, Jörg Franke, Benjamin Bois: The longest homogeneous series of grape harvest dates, Beaune 1354–2018, and its significance for the understanding of past and present climate. In: Climate of the Past. Band 15, Nr. 4, 29. August 2019, ISSN 1814-9324, S. 1485–1501, doi:10.5194/cp-15-1485-2019 (copernicus.org [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  18. Oliver Wetter, Christian Pfister et al.: The year-long unprecedented European heat and drought of 1540 - a worst case. In: Climatic Change. Band 125, Nr. 3-4, August 2014, ISSN 0165-0009, S. 349–363, doi:10.1007/s10584-014-1184-2 (ethz.ch [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
  19. Edward R. Cook, Richard Seager, Yochanan Kushnir, Keith R. Briffa, Ulf Büntgen, David Frank, et al. P: Old World megadroughts and pluvials during the Common Era. In: Science Advances. Band 1, Nr. 10, 6. November 2015, ISSN 2375-2548, doi:10.1126/sciadv.1500561, PMID 26601136, PMC 4640589 (freier Volltext) – (science.org [abgerufen am 26. Dezember 2023]).