Changaa

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Changaa-Produktion im Slum Mathare in Nairobi

Changaa oder Chang'aa ist eine traditionelle, selbst gebraute, bis 2010 illegale[1] Spirituose, die hauptsächlich in Kenia hergestellt und konsumiert wird.

Herstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Changaa wird durch Fermentation und Destillation aus Hirse, alternativ aus Mais oder Sorghum, hergestellt. Weitere Grundzutaten sind Wasser und Zucker.[2] Der Alkoholgehalt von Changaa liegt zwischen 28,3 % und 56,7 %.[3]

Gesundheitliche Risiken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das zur Herstellung genutzte Wasser ist nach einem Bericht aus Nairobi in den dortigen Mathare-Slums häufig durch Fäkalien, Kondome, Damenbinden, Unterwäsche, Industrieabwässer, verwesende tote Ratten, Katzen, Hunde und Schweine verunreinigt. Zusätzlich wird Changaa häufig im Herstellungsprozess mit Leichenbalsamierungsflüssigkeit, Kerosin, Batteriesäure, Formaldehyd, Düngemittel, Sisalsaft oder Methanol versetzt, um die Wirkung zu verstärken. So gelangen zusätzlich Blei, Kupfer, Quecksilber, DDT und Kobalt in das Getränk.[4][5] Deshalb ist Changaa für zahlreiche Nebenwirkungen bekannt, insbesondere für:

  • Erblindung
  • Zahnausfall
  • Reizung der Atemwege
  • Verbrennungen in Mund und Rachen
  • Verbrannte Haut um den Mund
  • Löcher im Magen
  • Übelkeit
  • Erbrechen
  • Durchfall
  • Verdorbener Magen
  • Magengeschwüre
  • Perforation in der Speiseröhre und im Magen
  • Schädigung der Leber
  • Schwächung des Immunsystems
  • Beeinträchtigte Kognition
  • Sedierung und Schläfrigkeit
  • Plötzlicher Tod[3][6][7]

Trotzdem wird Changaa, bei Erwachsenen wie auch Kindern, von Teilen der armen Bevölkerung Kenias als „Medikament“ gegen Malaria, Typhus, Grippe und Parasiten eingesetzt.[8]

Vertrieb[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Handel und die Herstellung wird von den Gangs der Taliban der Luo aus dem Slum Mathare (die eine christliche Miliz sind, ohne jegliche Verbindung zu den afghanischen Taliban)[9][10] und Mungiki kontrolliert[11][12], die landesweite mafiöse Strukturen bilden[13] und in zahlreiche Verbrechen, bis hin zu Polizistenmorden, involviert sind.[14][15]

Im Jahr 2018 stammten 60 % des konsumierten Alkohols in Kenia aus illegalen Brennereien.[16]

Die Getränke werden häufig in bereits benutzte Flaschen oder Dosen abgefüllt. Es werden immer wieder Fälle bekannt, in denen illegal in Flaschen anderer Spirituosen-Marken abgefüllter Changaa in Bars verkauft wurde.[17]

Changaa kostet zwischen 15 KSh (0,11 €, 2023) und 20 KSh (0,15 €) pro Glas im Vergleich zu 180 KSh (1,35 €) für eine Flasche Bier und ist deswegen besonders in den kenianischen Slums bei Jugendlichen beliebt.[6]

Besonders während der Covid-19-Pandemie stieg der Changaa-Konsum, aufgrund der landesweiten Schließung der Bars, drastisch an.[18]

Ein kenianischer Prostitutions- und Changaa-Ring wurde ebenso 2018 in Saudi-Arabien enttarnt.[19]

Wie der kenianische Außenminister Alfred Mutua anlässlich einer Ansprache 2023 bekannt gab, gab es unter kenianischen Migranten in der Golfregion Todesopfer nach Changaa-Konsum.[20]

Soziale Auswirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Changaa-Missbrauch führt immer wieder zu häuslicher Gewalt, Scheidung, Arbeitslosigkeit, frühen Schwangerschaften, Todesfällen, Krankheiten, Prostitution und dadurch HIV-lnfektionen, Schulabbruch, familiärer Instabilität und Kriminalität.[21]

In den Changaa-Dens in den Slums von Nairobi, den Hütten, in denen Changaa produziert und verkauft wird, hat sich Kinderprostitution etabliert. Die minderjährigen Kellnerinnen werden von den Betreibern zur Prostitution angehalten und erhalten hierfür etwa 50 ksh (0,50 USD) von ihren Kunden. Hiervon müssen sie 10 ksh (0,10 USD) an den Betreiber zahlen, der hiermit de facto als Zuhälter agiert.[22] Ein weiterer Effekt ist, dass diese Mädchen Hauptüberträger für AIDS-Neuansteckungen in Kenia geworden sind.[23] Ein Fall, in dem die kenianische Polizei erfolgreich ermittelte, führte dazu, dass die Sex-Arbeiterinnen zu 30.000 ksh wegen „unmoralischen Herumlungerns“ bzw. 2 Monaten Haft und die Betreiber zu Geld- bzw. Haftstrafen wegen illegalen Brennens verurteilt wurden. Das Thema Zuhälterei wurde nicht verhandelt.[24]

Ursprung des Namens[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wörtlich übersetzt bedeutet das Swahili-Wort „töte mich schnell“.[25] Der Name Changaa entstand angeblich in den 1950er Jahren, als Oyuga Muganda, ein Polizeibeamter in Kisumu, die Geschichte erzählte, wie Pelele (traditioneller hausgemachter kenianischer Schnaps)[26] zu dem Namen Changaa kam: Frauen aus dem Umland von Kisumu brachten früher frische Milch in Töpfen aus den Dörfern, um sie an die Einwohner von Kisumu zu verkaufen. Die Kolonialregierung hatte den Verkauf von lokalem Schnaps (Pelele) verboten, und so trugen die Frauen, die Milch transportierten, auch Pelele, getarnt als Milch. Eines Tages hielt ein weißer Polizist, der einen Hinweis auf den illegalen Handel mit Pelele erhalten hatte, die Milchverkäuferinnen auf der Straße an, um ihre Töpfe mit „Milch“ zu untersuchen. In einem der Töpfe befand sich Pelele und nicht Milch. Der Polizist ließ alle Töpfe am Straßenrand aufstellen und fragte in Swahili: „Maziwa ya nani?“ (deutsch: „Wessen Milch ist das?“). Ein Dolmetscher wiederholte in Dholuo „Ma Chag ng'a?“ („Wessen Milch ist das?“). Daraufhin beschuldigte der Polizist die Frauen, „Chang'aa“ zu transportieren und zu verkaufen. Dieses Wort bürgerte sich in Kenia ein.[26][27]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Kenya: "Poison Brew" Legalized. In: loc.gov. Library of Congress, 17. Oktober 2010, abgerufen am 9. September 2023.
  2. Thomas Kruchem: Alkoholkonzerne erobern Afrika - Gewinne, die krank machen. In: deutschlandfunkkultur.de. 12. September 2018, abgerufen am 9. September 2023.
  3. a b The Most Dangerous Alcoholic Drinks in the World | Banyan Pompano. In: Banyan Treatment Center. 29. Juni 2022, abgerufen am 9. September 2023 (amerikanisches Englisch).
  4. Kelly Carey, Joanna Kinney, Molly Eckman, Abdalla Nassar, Khanjan Mehta: Chang’aa Culture and Process: Detecting Contamination in a Killer Brew. In: Procedia Engineering (= Humanitarian Technology: Science, Systems and Global Impact 2015, HumTech2015). Band 107, 1. Januar 2015, ISSN 1877-7058, S. 395–402, doi:10.1016/j.proeng.2015.06.097 (sciencedirect.com [abgerufen am 9. September 2023]).
  5. Hudson Gumbihi: Kill-me-quick: How Nairobi keeps toxic chang’aa flowing. In: The Standard. 25. April 2014, abgerufen am 9. September 2023 (englisch).
  6. a b Christine Mwangi: Media Influence on Public Policy in Kenya: The Case of Illicit Brew Consumption. In: SAGE Open. Band 8, Nr. 2, April 2018, ISSN 2158-2440, S. 215824401876424, doi:10.1177/2158244018764245 (sagepub.com [abgerufen am 9. September 2023]).
  7. Changaa: The Deadly Kenyan Drink | Banyan Pompano. In: Banyan Treatment Center. 29. September 2022, abgerufen am 9. September 2023 (amerikanisches Englisch).
  8. Alcohol remains popular treatment for illnesses in Kenya. In: Channel Africa. 20. März 2015, abgerufen am 9. September 2023 (englisch).
  9. Andrew Ehrenkranz, Scott Johnson: Gangs of Nairobi. In: The Daily Star. 15. Januar 2008, abgerufen am 10. September 2023 (englisch).
  10. Paige Paarhus: Die Mungiki, die Taliban und ich. In: Vice. 27. Februar 2012, abgerufen am 10. September 2023.
  11. Jean-Christophe Servant: Kenianisches Fieber. In: Le Monde Diplomatique. 8. Februar 2008, abgerufen am 10. September 2023.
  12. Peter Mühlbauer: Neuheidnische Moslems gegen christliche Taliban. In: Telepolis. 6. Juli 2007, abgerufen am 10. September 2023.
  13. George Owiti: Chang'aa the cash crop in Soweto slum. In: The Star. 12. September 2019, abgerufen am 10. September 2023 (en-KE).
  14. Cyrus Kimanga: The Murder of Deputy OCS Wandera Sheds Light on Ruthless Chang'aa Gangs. In: Uzalendo News. 18. Februar 2023, abgerufen am 9. September 2023 (amerikanisches Englisch).
  15. Jeffrey Gettleman: Chased by Gang Violence, Residents Flee Kenyan Slum. In: The New York Times. 10. November 2006, ISSN 0362-4331 (nytimes.com [abgerufen am 10. September 2023]).
  16. Cyrus Ombati: More than half of alcohol consumed in Kenya is illicit, says alliance. In: The Standard. Abgerufen am 9. September 2023 (englisch).
  17. KNA: Nyahururu, Laikipia administrators concerned over re-packaging of chang'aa. In: Capital News. 5. Juni 2023, abgerufen am 10. September 2023 (amerikanisches Englisch).
  18. Chang’aa business booms during COVID-19 crisis as bars remain closed. People Daily, 17. April 2020, abgerufen am 9. September 2023 (englisch).
  19. Exposed: Agents sending city women to brew chang’aa in Saudi Arabia. In: The Standard. Abgerufen am 10. September 2023 (englisch).
  20. It's sad to learn Kenyans are brewing chang'aa in Gulf - Mutua. In: The Star. 23. Januar 2023, abgerufen am 9. September 2023 (en-KE).
  21. Emmanuel Wanzala, Mary Getui, Maurice Owinyo: The Impact Of Nubian Gin (Chang’aa), On Unemployed Christian Youth, In Matayos Sub County, Busia County, Kenya. In: IJSDC PORTAL. 2020, abgerufen am 10. September 2023 (en-KE).
  22. Children sell sex in chang’aa dens. Nation Africa, 2. Juli 2020, abgerufen am 10. September 2023 (englisch).
  23. Vincent Achuka: Children sell sex in chang’aa dens. In: Nairobi News. 3. Februar 2014, abgerufen am 10. September 2023 (amerikanisches Englisch).
  24. Sex Workers, Chang’aa Dealers Jailed. In: Citizen Digital News. 1. Oktober 2014, abgerufen am 10. September 2023 (en-KE).
  25. Kenias unglaubliche Alkohol-Arzeneien. 30. März 2015, abgerufen am 9. September 2023.
  26. a b Homemade Nubian Gin: The Most Dangerous African Liquor Money Can Buy. In: Wine and Spirits Journal. 1. April 2023, abgerufen am 9. September 2023 (englisch).
  27. Origin Of The Name "Chang'aa" One Of The Cheepest Spirits Consumed By Low Class Liquor Addicts. - Opera News. Abgerufen am 9. September 2023.