Die Frauen von Rjasan

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Film
Titel Die Frauen von Rjasan
Originaltitel Бабы рязанские
Transkription Baby rjasanskije
Produktionsland Sowjetunion
Originalsprache Russisch
Erscheinungsjahr 1927
Länge 1813 Meter / 68 Minuten
Produktions­unternehmen Sowkino
Stab
Regie Olga Preobraschenskaja, Iwan Prawow
Drehbuch Olga Wischnewskaja, Boris Altschuler
Kamera Konstantin Kusnezow
Besetzung

Die Frauen von Rjasan ist ein sowjetisches Filmdrama von Olga Preobraschenskaja und Iwan Prawow aus dem Jahr 1927. Produziert wurde es vom Staatskonzern Sowkino.

Handlung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Film berichtet vom weiblichen Emanzipationsstreben, das durch die Umstände im Hinterland des Krieges angeregt wird. Ausgangspunkt ist die Rechtlosigkeit der Frauen im ländlichen Rjasan im vorrevolutionären Russland.

Kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wählen das arme Bauernmädchen Anna und die reiche Bauerstochter Wassilissa ihren zukünftigen Ehemann. Wassilissas Vater, der reiche Bauer Wassili, sieht der Liebschaft seiner Tochter mit dem armen Schmied Nikolai mit Unmut entgegen. Gleichzeitig erlaubt er seinem Sohn Iwan, die mittellose Anna zu heiraten. Als Wassili schließlich droht, Wassilissa aus dem Haus zu werfen, wenn sie weiter zu Nikolai hält, verlässt sie kurzentschlossen das Haus. Fortan sind sie und Nikolai Ausgestoßene, die ohne elterlichen und kirchlichen Segen wie Eheleute zusammenleben. Mit dem Geliebten vereint, ist Wassilissa jedoch fast ebenso glücklich wie Anna, ihre Schwägerin.

Als der Erste Weltkrieg ausbricht, werden beide Männer eingezogen. Um sich über den Fortgang ihres Mannes hinwegzutrösten, widmet sich Wassilissa dem Bau eines Waisenhauses und findet so zu einer neuen Lebensaufgabe. Anna hingegen ist über die erzwungene Trennung von Iwan untröstlich – zumal alle Nachrichten von ihm ausbleiben. Nach zwei Jahren schließlich verlieren alle Familienmitglieder die Hoffnung, ihn wiederzusehen. Jetzt erst wird verständlich, warum sein alter Vater die Hochzeit Iwans mit der armen Anna erlaubt hatte – im Prinzip hatte er diese für sich selbst ausgewählt. Er vergewaltigt und schwängert Anna, die darauf von allen Dorfmitgliedern verachtet und schikaniert wird.

Eines Tages kehrt Iwan zurück. Anna kann dem heimkehrenden Ehemann nicht erklären, dass sie gegen ihren Willen Mutter wurde und flieht vor der Willkür der Umwelt in den Freitod.

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Olga Preobraschenskaja war Schauspielerin und Assistentin von Wsewolod Pudowkin. Sie hat im Laufe ihrer Karriere rund 16 Filme realisiert.[1]

Die Kulissen schuf Dmitri Kolupajew.

Baby rjasanskije wurde in der Sowjetunion am 13. Dezember 1927 uraufgeführt, in Deutschland am 17. August 1928 im Dresdener Großkino Capitol[2] und am 30. August im Berliner Großkino Capitol.[3]

Im Verleih der Deutsch-Russischen Film-Allianz AG. (Derussa) lief er als Die Frauen von Rjasan mit großem Erfolg im Deutschland der Weimarer Republik[4] und trug zum Ruhm des »Russenfilms« bei[5]. Ein weiterer, eher spekulativ tönender Verleihtitel war Das Dorf der Sünde.

Auch in Frankreich, Portugal und Finnland wurde der Film gezeigt. In den USA lief er unter Titeln wie Peasant Women of Riazan, The Devil's Plaything oder The Village of Sin. Ebenso in Italien als Il villaggio del peccato.

Der Film wurde im Jahr 1929 unter Leitung des Erfinders des sowjetischen Tonverfahrens Alexander Schorin[6] teilweise vertont.

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Das von einer Frau inszenierte Melodram kann zweifelsohne als feministisches Werk eingestuft werden : in Vorbereitung auf den Film hatte sich Regisseurin Preobraženskaja intensiv mit der Rolle der Frau in der vorrevolutionären russischen Gesellschaft auseinandergesetzt.“

Stummfilm auf ARTE, 27. Juni 2009

„Hier werden die Liebe, die Eifersucht, heftige menschliche Leidenschaften gezeigt. Die Hauptrollen wurden von jungen, noch nicht sehr erfahrenen, aber begabten Schauspielerinnen verkörpert. Die Werke der Preobraschenskaja erschienen zu einer Zeit, da man politisch-soziale Filme machte, die aus Prinzip Fragen der Liebe, der Familie, der Sitten übergingen, und das erklärt den langen Erfolg eines Filmes wie DIE FRAUEN VON RJASAN.“

I.A. Lebedew: Otscherk istorii kino SSSR. I.[7]

„Olga Preobrazhenskaya […] hat mit ihrem Melodrama ein lichtgetränktes Meisterwerk geschaffen. Sie versetzt die ZuschauerInnen in eine durch bäuerliche Arbeit geprägte Szenerie einer vergangenen Epoche vor der Russischen Revolution, in der sie das männerbestimmte Schicksal zweier Frauen situiert hat.“

www.xenix.ch[8]

„Der Film besticht durch eine detailgetreue, von lyrischen Elementen durchsetzte Milieuschilderung von atmosphärischer Dichte. Der Spannungsbogen mündet in ein dramatisches Finale, in dem surreale Elemente in den epischen Erzählduktus eindringen. Ein bahnbrechender Filmbeitrag zum Thema Stellung der Frauen in der Gesellschaft.“[9]

„Es ist unfaßlich, wie diese Russen das machen. Diese überrumpelnde Milieuschilderung, diese umfassend-knappe Typenzeichnung, diese hauchdünn getuschten Charaktere. Auf Anhieb sind wir überzeugt.“

Heinz Pol: Vossische Zeitung, Berlin Nr. 415 vom 2. September 1928.[7]

„DIE FRAUEN VON RJASAN sucht in einigen knapp gezeichneten, typischen Menschenschicksalen die große Wandlung vom Zarenreich zum neuen Russland darzustellen. In diese offene, sonnige Welt der Felder, der weidenden Tiere, der rauschenden Baumwipfel, bricht die Nachricht vom Kriege. Die Söhne rücken ein, hungrige Vögel in ihrem Nest werden dichterisches Symbol einer harten, grauenvollen Zeit. Während die jungen Bauern im Felde stehen, stellen die alten den Frauen nach. Als der Sohn heimkehrt, findet er ein Kind vor, das nicht seines ist. In ihrer Verzweiflung geht seine Frau ins Wasser; Vater und Sohn geraten aneinander – das Ende dieses Kampfes verschweigt der Film. Wichtiger aber als die heutige, vom Kriege, von den Verbrechen des Zarismus unterhöhlte, zermorschte Generation ist die kommende, ist das Kind. An ihm macht die Gemeinschaft gut, was die Eltern verschuldeten. Der Palast nahe beim Dorfe ist in den Tagen der Revolution in ein Kinderheim umgestaltet worden. In neuem Geiste wird eine neue Menschheit erzogen.

Es gibt in diesem schönen Film, den eine Frau inszenierte, keine Kriegs- und keine Revolutionsbilder; und dennoch spielen Krieg und Revolution in seiner Fabel eine wichtige Rolle. Es gibt hier keine ausnehmend hässlichen Menschen, und doch sind alle Gestalten des Films lebensechte, glaubhafte russische Bauern. Es gibt keine zerfetzten Kostüme, und doch wirkt der Film ungestellt, ungekünstelt, ungeschminkt. Die Wirklichkeitstreue einer Filmfigur liegt eben nicht darin, dass sie unrasiert und zerlumpt ist, sondern darin, wie sie als Gestalt vom Filmschöpfer angelegt, wie sie vom Darsteller gespielt wird. Auch die schönen Menschengesichter dieses Films sind charaktervoll, lebensvoll, sind nicht süßlich und geleckt, wie die schönen Gesichter aus Hollywood und Neubabelsberg. Die notwendigen Konzessionen zu machen, aber der revolutionären Aufgabe nicht untreu zu werden, gelang Olga Preobrazenskaja ausgezeichnet.“

Fritz Rosenfeld: Text: Viennale 2007[10]

Die Frauen von Rjasan wurde vom Kulturkanal ARTE am 27. Oktober 2008 in der russischen Originalfassung mit deutschen Zwischentiteln erstmals im Fernsehen gesendet; der russische Komponist und Pianist Sergei Dreznin hatte dazu eine neue Musik komponiert, in der auch zeitgenössische russische Gesänge aus der Gegend von Rjasan verwendet wurden. Am 27. Juli 2009 wurde die Sendung wiederholt.[11]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Berlin, 27. internationale Filmfestspiele; 7. internationales Forum des jungen Films Berlin 26.6. bis 3. Juli 1977 versammeln in ihrer Publikation zu DIE FRAUEN VON RJASAN (PDF) Kritiken von:

  • Hans Wollenberg, in: Lichtbild-Bühne Berlin, 21. Jahrgang, Nr. 210 vom 31. August 1928.
  • Heinz Pol in: Vossische Zeitung Berlin Nr. 415, vom 2. September 1928.
  • Leon Hirsch in: Berliner Tageblatt und Handelszeitung, 57. Jahrgang Nr. 415 vom 2. Sept. 1928.
  • Fritz Walter in: Berliner Börsen-Courier 60. Jg. Nr. 411 vom 2. Sept. 1928.
  • Conrad Frigi in: Reichsfilmblatt Berlin Jahrgang 1928 Nr. 35 vom 1. Sept. 1928.
  • Emil Rabold in: Die Welt am Abend, Berlin Jg. 6, Nr. 204 vom 31. August 1928.
  • Hélène Bernatchez: Schostakowitsch und die Fabrik des Exzentrischen Schauspielers (= Band 2 von Forum Musikwissenschaft.) M-Press, München 2006. ISBN 3-89975-589-8.
  • Nina Borissova: Mit Film und Sichel, in: Zauberhafte Klangmaschinen – Tragbares Schorinophon (Memento vom 8. Januar 2014 im Webarchiv archive.today).
  • Yann Esvan: Ol’ga Preobraženskaja e Ivan Pravov bei cinefiliaritrovata (online; italienisch)
  • Sabine Fries: Das Lachen der Bilder. Athetesen des ‘Weiblichen’ im kinematographischen Erzählraum, Diss. Universität Hannover 1999.
  • Trude Herrmann: Die Frau in der russischen Filmindustrie, In: Vossische Zeitung Nr. 567 vom 1. Dezember 1928.
  • O. Jakubowitsch: Olga Iwanowna Preobreshenskaja, Biofilmografie, in: Kinoslowar w dwuch tomach, Tom. 2 m_ja. Moskau 1970, S. 359 f.
  • I.A. Lebedew, Otscherk istorii kino SSSR. I. Nemoje kino (1918–1934) / Abriß der Geschichte des Kinos der UdSSR, I. Der Stummfilm (1918–1934), Moskau 1965
  • Gerlinde Schwarz: Stumm und unsichtbar? Geschlecht & Diskurs im sowjetischen Stummfilmschaffen von Frauen, am Beispiel von Ol’ga Preobraženskajas Baby Rjazanskie / Die Frauen von Rjazan aka Das Dorf der Sünde online
  • Andrej Smirnow: Auf der Suche nach dem verlorenen Klang (Memento vom 8. Januar 2014 im Internet Archive)
  • Jerzy Toeplitz: Geschichte des Films, Bd. 1, 1895–1928, Berlin, Henschel Verlag 1972, S. 362 f.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. z. B. Последний аттракцион; Posledniy attraktsion; The Last Show 1929, Тихий Дон; Tikhiy Don, Der stille Don 1931, Вражьи тропы; Vrazhyi tropy; Verfluchter Weg 1935, Степан Разин; Stepan Razin 1939, Stenka Rasin 1947, Pareň iz tajgi; Prairie Station, Goldsucher in der Taigá 1950
  2. Dresdens größtes Kino mit 2250 Sitzplätzen, erbaut 1925 von Carl Richard Martin Pietsch (1866–1961), vgl. Pietzsch, Carl Richard Martin In: Sächsische Biografie und Foto (Memento des Originals vom 25. April 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/filmtheater.square7.ch In: Kinowiki.
  3. erbaut 1925 von Hans Poelzig, 1943 durch einen Bombenangriff zerstört, vgl. Capitol Berlin In: allekinos.com.
  4. vgl. Kritiken zeitgenössischer Rezensenten bei 27. internationale Filmfestspiele Berlin; 7. internationales Forum des jungen Films Berlin 1977
  5. dieser zunächst anerkennende Begriff entstand bei den Filmbeflissenen unter dem Eindruck der neuen filmtechnischen Praktiken bei Montage und Schnitt im Gefolge von Ejzenstejns Bronenosez Potjomkin, die damals revolutionär wirkten; später unterlag er einem historisch bedingten Bedeutungswandel, denn nach dem Zweiten Weltkrieg war der „Russenfilm“ in der DDR "... ein vaterländischer Kriegsfilm aus den Mosfilmstudios gewesen, dessen Handlung wie in einem „Spiegel“-Artikel um der propagandistischen Wirkung willen derart haarsträubend war, dass daraus der Ausdruck „Das gibts in keinem Russenfilm“ entsprang, mit dem eine völlig absurde Begebenheit kommentiert wurde.", so Das gibts in keinem Russenfilm In: politplatschquatsch.com, 29. Dezember 2011.
  6. vgl. Bernatchez S. 191; Andrej Smirnow: Auf der Suche nach dem verlorenen Klang (Memento vom 8. Januar 2014 im Internet Archive): „In den Jahren 1926–1927 entwickeln der Wissenschaftler und Erfinder Pawel Tager in Moskau und der Ingenieur und Erfinder Alexander Schorin in Leningrad zeitgleich die ersten sowjetischen Tonfilmsysteme.“
  7. a b zit. nach Fries 1999, S. 57–58
  8. vgl. leokino.at (Memento vom 8. Januar 2014 im Webarchiv archive.today).
  9. vgl. Gerhard Gruber, Filmmusik stummfilm.at (Memento vom 8. Januar 2014 im Webarchiv archive.today)
  10. vgl. film.at Proletarisches Kino: Programm 15 - Fritz Rosenfeld 4
  11. vgl. Die Frauen von Riasan (Memento vom 8. Januar 2017 im Webarchiv archive.today) bei arte.tv