Die Stachelbeeren
Die Stachelbeeren (russisch Крыжовник, Kryschownik) ist eine Erzählung des russischen Schriftstellers Anton Tschechow, die im Augustheft 1898 der Moskauer Zeitschrift Russkaja Mysl erschien. Der Autor hatte den Text im Frühsommer 1898 auf seinem Landsitz Melichowo[1][2] in der Nähe von Moskau verfasst. Eine Übersetzung kam 1904 auf den deutschsprachigen Markt.[3]
Die Stachelbeeren ist die zweite der drei Binnenerzählungen aus der Kleinen Trilogie[4].
Inhalt
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Erzähler Iwan Iwanytsch Tschimscha-Glimalaiski distanziert sich von seinem Bruder, dem zwei Jahre jüngeren Gutsbesitzer Nikolai Iwanytsch Tschimscha-Glimalaiski – vor allem, weil dieser seinen geerbten Adel und seinen Landbesitz hervorkehrt. Dabei war ein Großvater Bauer gewesen. Der Vater hatte sich vom Soldaten zum Offizier hochgedient und war schließlich geadelt worden. Iwan, inzwischen ein alter Mann, blickt Jahrzehnte zurück, als sein Bruder Nikolai die Vierzig bereits überschritten hatte, sich aber immer noch in Zeitungsannoncen eifrig nach einem Landgut mit Stachelbeerbüschen darin umschaute. Das eigene Landgut hatte der Vater den Söhnen hinterlassen. Es war aber den Gebrüdern nach dem Tode des Vaters der Überschuldung wegen „wegprozessiert“ worden.
Im Grunde stellt der erzählende Tierarzt Iwan zwei Lebenswege zur Diskussion – eben den des Arztes sowie den des Bruders Nikolai, eines jahrzehntelang treu dienenden und auf neuen Landbesitz sparenden Steuerbeamten. Alle Mittel zur Erfüllung seines Wunschtraumes waren Nikolai recht gewesen. Sogar eine „häßliche Witwe“ mit ein wenig Geld hatte er geehelicht. Diese – bescheidenen Luxus gewöhnt – hatte das eiserne Sparprogramm des Bruders leider nur ein paar Jahre überlebt.
Nikolai hatte schließlich ein Gut gekauft, das so gar nicht seinem Traum entsprach. Selbst die Stachelbeerbüsche hatten gefehlt. Doch der neue Besitzer hatte diese von seinen gehorsamen Bauern nachsetzen lassen. Apropos gehorsame Bauern – die Erzählung ist Gesellschaftskritik pur. Der auf Kosten des arbeitenden Volkes im Russland des Zaren schmarotzende Landadel wird scharf verurteilt. Tschechow geißelt „Unverfrorenheit und Müßiggang der Starken, Unwissenheit und Tierähnlichkeit der Schwachen, ringsum unglaubliche Armut, Enge, Entartung, Trunkenheit, Heuchelei, Lügen...“[5] Der Autor lässt den Erzähler Iwan erkennen: Das Glück als neuer Gutsbesitzer verdankt der Bruder Nikolai lediglich dem Umstand, dass „die Unglücklichen ihre Last schweigend tragen“.[6] Trotz solcher deutlichen Schuldsprüche stagniert schließlich die Verurteilung des Bruders. Beide sitzen auf dem neuen Gut beieinander – Bruder Nikolai kaut eine saure Stachelbeere nach der anderen und findet die Frucht schmackhaft – und beweinen ihre grauen Haare. Das Sterben steht anscheinend als nächster Tagesordnungspunkt auf dem Lebensprogramm.
Rezeption
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]23. März 1950, André Maurois bewundert anhand des Textes die Tschechowsche Prägnanz und nennt vergleichsweise weitschweifigere Autoren wie Maupassant und Thomas Hardy.[7]
Deutschsprachige Ausgaben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die Stachelbeeren in: Anton Pawlowitsch Tschechow: Die Dame mit dem Hündchen und andere Erzählungen. Mit Zeichnungen und einem Nachwort von Werner Berthel. Übersetzung Andras Karakas. Insel, 1977, 2. Aufl., 385 Seiten
Verwendete Ausgabe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die Stachelbeeren. Deutsch von Gerhard Dick. S. 352–364 in Wolf Düwel (Hrsg.): Anton Tschechow: Die Dame mit dem Hündchen. Meistererzählungen. (enthält noch: Die Gattin. Anna am Halse. Weißstirnchen. Der Mord. Ariadna. Das Haus mit dem Zwischenstock. Mein Leben. Die Bauern. Der Petschenege. In der Heimat. Auf dem Wagen. Bei Bekannten. Der Mensch im Futteral. Von der Liebe. Jonytsch. Ein Fall aus der Praxis. Herzchen. Das Neue Landhaus. Auf der Dienstreise. Zur Weihnachtszeit. In der Schlucht. Der Bischof. Die Braut). 612 Seiten. Rütten & Loening, Berlin 1967 (1. Aufl.)
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Peter Urban (Hrsg.): Über Čechov. 487 Seiten. Diogenes, Zürich 1988 (Diogenes-Taschenbuch 21244). ISBN 3-257-21244-5
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 13. Oktober 2014: Hörbuch, gesprochen von Bettina Reifschneider bei audible.de
- Der Text
- Крыжовник (Чехов) (russisch)
- online bei litmir.info (russisch)
- online bei Lib.ru/Klassiker (russisch)
- Tschechow-Bibliographie, Eintrag Erzählungen Nr. 562 (russisch)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ russ. Мелихово (усадьба)
- ↑ russ. Die Stachelbeeren. Entstehung der Erzählung
- ↑ Düwel in der Nachbemerkung der verwendeten Ausgabe, S. 593–594
- ↑ russ. Die Kleine Trilogie ( vom 20. März 2017 im Internet Archive) in der Russischen Staatsbibliothek
- ↑ Verwendete Ausgabe, S. 361, 4. Z.v.o.
- ↑ Verwendete Ausgabe, S. 361, 17. Z.v.u.
- ↑ Maurois, zitiert bei Urban, S. 220 Mitte