Diskussion:Boethius/Archiv/2006

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titulierung als scholastiker u.a.

Ich habe einige Änderungen vorgenommen, von deren Notwendigkeit ich überzeugt bin. Die Bezeichnung als "erster scholastischer Philosoph" ist verwirrend und inhaltlich auf jeden Fall falsch. Im normalen Sprachgebrauch versteht man unter Scholastik ein Phänomen des Spätmittelalters mit Vorstufen im Hochmittelalter, keinesfalls im Frühmittelalter. Definiert man den Begriff Scholastik nicht in diesem Sinne historisch, sondern formal (in einem notwendigerweise sehr weiten Sinn), so wäre schon Proklos, ja Aristoteles selbst "Scholastiker". So oder so stimmt die Aussage "erster scholastischer Philosoph" nicht. Zweitens: Die Rezeptionsgeschichte ist natürlich kein Grund, Boethius dem Mittelalter zuzurechnen. Maßgeblich kann nur sein Selbstverständnis sein, und das ist sehr eindeutig antik. Drittens: Es ist nicht so, daß Boethius "einige theologische Traktate zugeschrieben werden", sondern an der Echtheit besteht schon seit dem 19. Jahrhundert kein Zweifel (Anecdoton Holderi). - Unrichtig ist auch, daß er "politisch nicht allzu sehr hervortrat" (schwammige Formulierung); politische Zurückhaltung wäre für den Magister officiorum schon vom Amt her unmöglich gewesen. Unzutreffend ist auch die Aussage, in der Consolatio philosophiae werde "die rationale Durchdringung der Glaubensinhalte gefordert" - davon ist in dem ganzen Werk keine Rede. Boethius hat diesbezüglich kein Programm entworfen, ebensowenig hat (wie behauptet) Bonaventura dieses aufgegriffen; der Einsatz philosophischer Argumentationsmittel im theologischen Diskurs war für beide selbstverständlich ebenso wie für zahllose andere spätantike und mittelalterliche Philosophen auch, aber das hat mit der Consolatio nichts zu tun. -- 141.84.28.154 22:07, 4. Feb 2006 (CET)

Soweit ich über die Sekundärliteratur informiert bin, ist es nicht unüblich, Boethius als "letzten antiken Philosoph und ersten Scholastiker" zu bezeichnen. Es ist weder verwirrend noch inhaltlich auf jeden Fall falsch. Zur Begründung: Boethius war einerseits, wie ja auch aus dem Artikel deutlich wird, mit Arbeiten zu Aristoteles beschäftigt und kannte daher die griechische Tradition und andererseits beschäftigte er sich aber auch mit dem christlichen Glauben. Ich empfehle hierzu die Lektüre des theologischen Traktats Nummer 5 gegen Nestorius und Eytuchen, indem er sich einerseits mit griechischer Begriffsgeschichte und andererseits mit christlichen Dogmen ausseinandersetzt und ganz nebenbei den Personenbegriff, der, und auch das widerspricht meinem Vorredner, durchaus auch über das Mittelalter hinaus, viel Beachtung fand. Er gilt heute als einer der ersten brauchbaren Begriffe für die Definition einer Person. Ansonsten bestätige ich aber das "Verwaistsein" des Artikels. Da ich gerade etwas an Boethius arbeite, werde ich versuchen hier etwas zu helfen, sobald möglich. --141.35.20.90 19:31, 12. Okt. 2009 (CEST)
Ob die Bezeichnung als "erster Scholastiker" berechtigt ist, dafür gibt es ein ganz einfaches Kriterium: Man finde ein renommiertes aktuelles (nicht rund ein Jahrhundert altes) Nachschlagewerk zur Philosophiegeschichte, in welchem im Abschnitt bzw. Artikel "Scholastik" sinngemäß steht: "Die Scholastik begann im 6. Jahrhundert mit Boethius". Wenn es Konsens der Scholastikforscher ist (oder zumindest Überzeugung einer ansehnlichen Minderheit unter ihnen), daß die Epoche der Scholastik im 6. Jahrhundert begonnen hat, dann schreiben wir das. Richtig ist, daß "erster Scholastiker" eine sehr saloppe und sehr schiefe Bezeichnung für Boethius ist, so wie man diese oder jene Persönlichkeit der Spätantike gern als "letzten Römer" bezeichnet. (Wenn man allerdings definiert: "Scholastiker = christlicher Philosoph, der sich mit Aristoteles beschäftigt", dann war Boethius Scholastiker, und dann war sein nur wenig jüngerer Zeitgenosse Johannes Philoponos ebenfalls Scholastiker. Nur findet man diese Scholastikerdefinition nicht in der Fachliteratur zur Scholastik.)
Ähnlich steht es mit dem "letzten antiken Philosophen". Wenn Boethius (gestorben spätestens 526) der "letzte antike Philosoph" war, dann waren logischerweise Simplikios († um 560), Damaskios († nach 538) und Johannes Philoponos († um 570) keine Philosophen, denn die antike Philosophie endete ja mit dem Tod des Boethius spätestens 526. Fragt sich nur: Wenn sie keine Philosophen waren, was waren sie dann? Kurzum: die Aussage "Der letzte antike Philosoph war zugleich der erste Scholastiker" eignet sich vielleicht als Überschrift für einen Feuilletonartikel. Unsere Qualitätsansprüche sind höher.
Wenn du den verwaisten Artikel überarbeiten willst, ist das erfreulich. Besonders erfreulich ist es, wenn es dir gelingt, einen Eindruck von der Persönlichkeit und Leistung des Boethius zu vermitteln und dabei gänzlich ohne die abgedroschenen Klischees vom Typus "der erste x" und "der letzte y" auszukommen. Nwabueze 23:38, 12. Okt. 2009 (CEST)
"der letzte römer, der erste scholastiker" ist ein bonmot von martin grabmann (scholastische methode I, 148). weil es so schön klingt, führen es auch aktuelle bücher hin und wieder als zitat an; beierwaltes zb (denken des einen, 319) nennt das treffend eine "vielleicht allzu griffige formulierung" - warum, hat nwabueze ja schon ausgeführt. in den artikel kann diese formulierung allenfalls mit zitation und relativierung. Ca$e 09:58, 13. Okt. 2009 (CEST)
Wobei noch zu ergänzen ist: Grabmanns gewaltige Verdienste seien ungeschmälert, aber seine Formulierungen von 1909 (!) wären heute undenkbar und sind alles andere als wikitauglich. Sie kommen ausschließlich für den Rezeptionsabschnitt in Betracht. Grabmann bezeichnet Boethius nicht nur als letzten Römer und ersten Scholastiker, sondern a.a.O auch als "ritterliche Gestalt" (wobei er aber nicht an einen römischen Ritter, sondern an einen mittelalterlichen denkt). Er weist darauf hin, daß Boethius "Irrlehren" bekämpft habe, usw.
Die Formulierung ganz oben (Beitrag vom 4.2.2006) Die Bezeichnung [des Boethius] als "erster scholastischer Philosoph" ist verwirrend und inhaltlich auf jeden Fall falsch stammt von mir (damals noch unter IP). Dagegen wendet jetzt eine IP ein, es sei weder verwirrend noch inhaltlich auf jeden Fall falsch. Zur Begründung meiner Feststellung folgende Zitate aus Grabmanns "Geschichte der scholastischen Methode":
1. S. 148 Boethius, der letzte Römer, der erste Scholastiker
2. S. 176: Krieg nennt deswegen Boethius mit Recht den "ersten Scholastiker" (Bezugnahme auf eine Arbeit von Krieg von 1884; dort taucht die Bezeichnung offenbar erstmals auf)
3. S. 214: im 11. Jahrhundert, am Vorabend der Scholastik
4. S. 259: Derjenige, der ... das männlich ernste und kühne, von der Begeisterung des kindlichen Glaubens getragene und von der zartesten Liebe beseelte Ringen nach dem Vollbesitz der christlichen Wahrheit eröffnete, war Anselm von Canterbury, der wahre und eigentliche Vater der Scholastik. Anselm von Canterbury, geboren am 6. Mai 1033 ...
Da zieht nun der nachdenkliche Leser Bilanz. Die Scholastik hatte also einen "wahren Vater", der am 6. Mai 1033 geboren wurde, und außerdem gab es den "ersten Scholastiker", der 526 gestorben ist. Soll man daraus folgern, daß die Zeit rückwärts lief, oder eher, daß Boethius dann eben der unwahre Vater der Scholastik war? So oder so läuft es auf meine Feststellung von oben hinaus: Die Bezeichnung als "erster scholastischer Philosoph" ist verwirrend und inhaltlich auf jeden Fall falsch. Verwirrend, weil der Vater eines im 6. Jahrhundert bereits lebendigen Kindes erst 1033 geboren wurde; falsch, weil, wenn Anselm der wahre Vater der Scholastik war, Boethius nur ein unwahrer Vater von ihr gewesen sein kann. Wird jetzt meine Abneigung gegen das saloppe Formulieren und gegen Klischees aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in einem Wikiartikel verständlicher? Abgesehen davon, daß Martin Grabmann ein bedeutender Gelehrter war, hat er selbst öfters kühne, von der Begeisterung des kindlichen Glaubens getragene Formulierungen gewählt im Jahr 1909. Darin kann er für Wikipedianer von 2009 kein Vorbild sein. Die 100 seither vergangenen Jahre machen viel aus. Nwabueze 15:15, 13. Okt. 2009 (CEST)
sehr schön gesagt! grüße, Ca$e 16:08, 13. Okt. 2009 (CEST)
Hier nochmal die "IP". Das mag chronologisch alles stimmen was du sagst, auch dass dieses Zitat unheimlich alt und natürlich etwas vereinfachend ist. Ich empfehle aber dennoch die erwähnte Lektüre. Es handelt sich bei Boethius nicht um DEN letzten Antiken und DEN ersten Scholastiker sondern als einen der ersten mir bekannten, dem widerspricht die Literatur glaube ich auch nicht, der antike und scholastische Tradition, wenigstens der Sache nach, wenn schon nicht der "chronologischen Eintaktung, eng führt. Und dass Zeiteinteilungen nun nicht immer das gelbe vom Ei sind, weil sie selbst vereinfachen brauch ich euch ja auch alle nicht zu sagen. Von daher möchte ich gerne schon dabei stehen bleiben und euch zumindest mal die Lektüre nahe legen. (Also gemeint ist Opusc. V)
Und freilich, wir sind hier in der Diskussion und nicht dort wo sich ein Leser verwirren lassen muss. Ich find es schön, dass hier nach so langer Zeit wieder etwas Wind reinkommt. Eventuelle Edierungen spreche ich grundsätzlich ab. Was ich so aus anderen Artikeln mitbekommen habe über Löschen - Wiederherstellen - Löschen - usf. ist nicht so das Gelbe vom Ei. Also fühlt euch nicht gleich provoziert, wenn ich hier mal eine andere Meinung äußere. Ich will sie freilich auch begründen. Und ein Profil leg ich mir dann sicher auch mal zu. --141.35.20.90 16:57, 15. Okt. 2009 (CEST)
Auf jeden Fall ist es für die Diskussion sehr hilfreich, wenn du dir einen Benutzeraccount zulegst. Meine obige Kritik am Verwirrenden (im ersten Beitrag dieses threads) bezog sich auf eine längst nicht mehr existierende Altfassung der Einleitung. Zum Hintergrund: Beim Artikel Scholastik gab es mal eine ähnliche Diskussion, nachdem dort versucht worden war, die Einleitung anhand eines Nachschlagewerks von 1911 (!) umzuschreiben. Scholastik und Boethius sind zwei Themen, zu denen es Unmengen von neuerer und neuester Literatur gibt. Wenn wir in solchen Artikeln über zentrale Themen und berühmte Persönlichkeiten einen rund ein Jahrhundert alten Forschungsstand wiedergeben, bloß weil ein Artikelautor zufällig gerade ein Werk von 1909 oder 1911 zur Hand hatte, dann blamiert sich Wikipedia. Wenn die Information aus Tertiärliteratur stammt, etwa aus einem Artikel in einem vor einigen Jahrzehnten erschienenen allgemeinen Lexikon, dessen Autor sich auf schon damals längst veraltete Literatur stützte, macht das die Sache nicht besser.
Daher besteht hier eine gewisse, hoffentlich verständliche Empfindlichkeit gegenüber solchen Bestrebungen. Wir legen großen Wert darauf, uns auf die aktuellste wissenschaftliche Spezialliteratur zu stützen und zu berufen. Und Fakt ist: nach der in der heutigen Fachliteratur herrschenden Terminologie war Boethius ganz, ganz eindeutig kein Scholastiker, aus dem einfachen Grund, weil es laut herrschender Definition von Scholastik vor dem Hochmittelalter keine Scholastik gab. Niemand bestreitet die breite Boethius-Rezeption im Mittelalter und daß er scholastische Vorgehensweisen in gewisser Weise vorwegnahm oder die Anregung dazu von ihm stammte. Das kann und soll im Rezeptionsteil behandelt werden, gern auch in aller Breite. Aber das macht nicht Boethius selbst zum Scholastiker. Wenn Proklos im 5. Jahrhundert Denkweisen von Hegel vorwegnimmt, ist es deswegen nicht statthaft und wäre für unsere Leser nicht hilfreich, ihn als "Hegelianer" zu bezeichnen. Es ist in der neueren Fachliteratur und auch bei uns guter Brauch, daß Begriffe möglichst auf diejenigen Epochen und Kulturkreise beschränkt werden sollten, zu denen sie von Haus aus gehören. Ein diese Regel ignorierender salopper Sprachgebrauch im Stil mancher Sachbuchautoren hat hier keinen Platz. Nwabueze 02:09, 16. Okt. 2009 (CEST)
Keine Frage. Apropos Hegel. Mir fiel da ein ähnliches Beispiel ein. Es wäre genauso falsch zu meinen Heraklit hätte Hegels Dialektik "vorweggenommen". Auch das las ich mal irgendwo. In diesem Sinne denke ich haben wir das jetzt alles klar gemacht. Bleiben wir bei "Boethius steht am Übergang zwischen Antike und Mittelalter". Ich denke das ist als Ergebnis exakt genug. Diese kleine Metadiskussion kann dann meinetwegen auch wieder hier verschwinden. Sobald ich ein Profil hab, kann man sicher auch irgendwie fachliches privat weiter bequatschen, bevor die Diskussionsseite explodiert. --141.35.120.160 15:48, 16. Okt. 2009 (CEST)
Archivierung dieses Abschnittes wurde gewünscht von: Victor Eremita 15:04, 16. Jan. 2011 (CET)

Artikel teilweise überarbeitet und übersichtlicher gegliedert

Den Hinweis auf die Namensform Boetius habe ich entfernt, da sie sich nur in einigen Handschriften findet, sicher nicht authentisch ist und daher in der modernen Literatur auch nicht vorkommt, daher überflüssig. Außerdem habe den Bereich "Leben" und "wissenschaftliche Tätigkeit" übersichtlicher aufgeteilt. Die falsche Behauptung, in der Isagoge werde der Inhalt des Universalienstreits behandelt, habe ich entfernt; es steht ja schon im Widmungsbrief der Isagoge (Aristoteles Latinus I 6-7 S.5), daß der Verfasser gerade dies nicht gewollt hat. Auf die Frage des Lebensendes des Boethius bin ich ausführlicher eingegangen, denn diesbezüglich gab es in den verschiedenen älteren Versionen des Artikels völlig gegensätzliche Auffassungen, ohne daß das je diskutiert worden ist, und die Formulierungen klangen etwas nach POV. Die Behauptung in der bisherigen Fassung, daß die Consolatio eine Abkehr vom Christentum bedeute, ist keineswegs einhellige Ansicht der Forschung, daher habe ich sie zwar beibehalten, aber etwas vorsichtiger formuliert. --141.84.131.63 20:38, 15. Mär 2006 (CET)

Archivierung dieses Abschnittes wurde gewünscht von: Victor Eremita 15:04, 16. Jan. 2011 (CET)