Diskussion:Wilhelm Grothaus

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Letzter Kommentar: vor 6 Jahren von Saxonicus in Abschnitt Ergänzungen zum Artikel
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Der Artikel „Wilhelm Grothaus“ wurde im März 2015 für die Präsentation auf der Wikipedia-Hauptseite in der Rubrik „Schon gewusst?vorgeschlagen. Die Diskussion ist hier archiviert. So lautete der Teaser auf der damaligen Hauptseite vom 8.05.2015; die Abrufstatistik zeigt die täglichen Abrufzahlen dieses Artikels.

Ergänzungen zum Artikel[Quelltext bearbeiten]

Da ich den Artikel nicht in seiner Geschlossenheit ändern bzw. zerstören möchte, nutze ich nur die Diskussionsseite für nachfolgende Informationen zu Grothaus und den Ereignissen um den 17. Juni 1953 in Dresden. Als Literatur verwendete ich:

  • Heidi Roth; Der 17. Juni 1953 in Sachsen, Sonderausgabe für die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung; Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der Technischen Universität Dresden

Am 17. Juni 1953 kamen Arbeiter der Sachsenwerke auf den Hof des "VEB Sächsischer Brücken- und Stahlhochbau" genannt ABUS. Der Betrieb beschäftigte 1467 Mitarbeiter und produzierte hauptsächlich für die sowjetischen Reparationen. Die Sachsenwerker riefen "Brüder schließt Euch an", aber auch "ABUS raus", wobei sie Funktionäre des VEB ABUS attackierten. In dieser Situation soll Wilhelm Grothaus das erstmalig aufgetreten sein. Er arbeitete seit 1950 in der ABUS zuerst als Korrespondent und Kalkulator und seit Februar 1953 als kaufmännischer Sachbearbeiter in der Konstruktionsabteilung. Sein Monatslohn betrug 460,00 Mark und er gehörte der SED (Funktionsverbot), dem FDGB und der DSF an. Grothaus ermahnte die betriebsfremden Arbeiter zur Besonnenheit. Daraufhin wurde er beauftragt, mit der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) der ABUS zu verhandeln, die jedoch Verhandlungen ablehnte und die Arbeiter aufforderte, ihre Arbeit fortzusetzen. Die aufgebrachte Belegschaft konnte danach nur beruhigt werden, da sich Grothaus anbot, Vorschläge zur Einsetzung einer Kommission zu machen. Er nannte außerdem fünf Forderungen, die von der Belegschaft lautstark befürwortet wurden: 1. Rücktritt der Regierung, 2. freie und geheime Wahlen, 3. Freilassung der politischen Gefangenen, 4. Senkung der HO-Preise und 5. Aufhebung der Verschlechterung in der Sozialfürsorge. (S. 192f. und 538)

Wilhelm Grothaus äußerte sich in einem Interview des WDR, das am 17. Juni 1966 gesendet wurde: Ich bin auf eine große Drehbank gestiegen und habe zu den Versammelten, etwa 1600 Arbeitern, gesprochen, und dann war’s auch still. Die Arbeiter kannten mich ja alle und wussten auch, was ich wollte, mehr oder weniger. Ich habe den Arbeitern gesagt, dass nicht so entscheidend sei die Ursache des Kampfes in Berlin, die Frage der Normerhöhung, sondern dass wir diesen Kampf, der in Berlin noch das Gesicht eines Gewerkschaftskampfes trage, umgestalten müssten in einen politischen Kampf, und dass unsere Forderung nicht darauf hinauslaufen könne, eine Beseitigung der Normenerhöhungen zu verlangen, sondern dass die entscheidende Forderungen die seien, die grundsätzlich entscheidenden Forderungen: Beseitigung der Regierung, Sturz des kommunistischen Systems, Freilassung aller politischen Gefangenen, freie und geheime Wahlen und dann die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Die ganze Versammlung hat meinen Ausführungen unter großem Beifall zugestimmt, und auch in der Abstimmung zeigte sich, dass die gesamte Belegschaft hinter diesen Forderungen stand.“ (S. 193)

Grothaus hatte vorsorglich ein Streikkomitee gegründet, da er mit dem Eingreifen der Sowjets, aber nicht mit der Hilfe des Westens rechnete, und der Erfolg des Aufstandes wenig aussichtsreich sei. Im o.g. WDR-Interview sagte er: „Ich habe dann zusammenfassend gesagt, dass es nicht so entscheidend sei, und dass für uns die Frage gar nicht zu Erörterung stünde, ob dieser Kampf gewonnen würde oder nicht. Er würde in jedem Falle gewonnen werden. Und wenn der Erfolg auch nur der sei, dass wir der ganzen Öffentlichkeit in der Welt zeigen würden, was in Wirklichkeit hinter diesem ersten Arbeiter- und Bauernstaat der Welt verborgen war, und das, selbst wenn nicht mehr erreicht würde, lohne den Kampf und den Einsatz. Daraufhin wurde ein Gremium gewählt, die so genannte „Kommission“ – auch „Prüfungsausschuss“, die später von der SED, von der Staatssicherheit und dem Bezirksgericht als Streikleitung bezeichnet wurde. In die Kommission wurden 11 Mitglieder gewählt: Wilhelm Grothaus, Fritz Saalfrank, Erich Berthold, Herbert Müller, Udo Imme, Ingeborg Neumann, Josef Piesche, Werner Hentschel, Lothar Krausch, Aster, Struck. (S. 194)

Gegen 14 Uhr zogen 1000 Mann der ABUS-Belegschaft zum Sachsenwerk, wo Otto Buchwitz vor den Arbeitern auftreten wollte. Wilhelm Grothaus rief dazu auf, 14 Uhr Arbeit nieder zu legen und zu demonstrieren. Er forderte, keine Plakate mitzuführen: „Wir wollen als deutsche Arbeiter diszipliniert demonstrieren.“ Buchwitz versuchte die Arbeiter zu überzeugen, ihren Aufstand zu beenden. Sie sollten in ihre Abteilungen zurückkehren, um zu klären, was sie eigentlich wollen, um dann Delegationen zu bilden, die ihre Forderungen weiterleiten. Daraufhin ergriff Wilhelm Grothaus das Wort: „Ich bin ein alter Genosse und war Mitglied des NKFD. Heute ist seit langer Zeit zum ersten Mal wieder die Gelegenheit, seine Meinung frei und offen zum Ausdruck zu bringen.“ Nach begeisterten Zurufen der Arbeiter forderte er die Arbeiter auf, zu einen Demonstrationszug in die Stadt und zu einer Kundgebung auf dem Postplatz „Wenn wir jetzt demonstrieren, um der Bevölkerung zu zeigen, dass wir nicht mehr länger gewillt sind, den auf uns lastenden Druck zu ertragen, so muss das diszipliniert geschehen“ Buchwitz warnte: „Es dürfte Euch bekannt sein, ganz Deutschland ist besetzt von Besatzungstruppen“ Er weigerte sich, mit Grothaus zu verhandeln, dem er Verrat an der Arbeiterklasse vorwarf. Wilhelm Grothaus antwortete: „Du siehst doch, die ganze Arbeiterschaft will ja nichts, die will ja gar nichts vom Kommunismus wissen. Die Demonstration läuft, die halt ich nicht auf, da kann kommen, was will.“ Seit 14 Uhr stand Dresden unter Ausnahmezustand. Gegen 16 Uhr waren alle Zufahrten zum Postplatz gesperrt. Fritz Saalfrank kam von der Stadt zurück und berichtete Grothaus, dass sich der Demonstrationszug der ABUS- und Sachsenwerker aufgelöst hat und der Postplatz von den Sowjets besetzt wurde. Wilhelm Grothaus fuhr daraufhin nach Hause und wurde in der Nacht vom 17./18. Juni 1953 verhaftet. Er hatte sich nicht am Marsch in die Innenstadt beteiligt, da er nach den Diskussionen mit Buchwitz von der Kommissionen der ABUS und der Sachsenwerke den Auftrag erhalten hatte, eine Resolution zu verfassen, welche Buchwitz am nächsten Tag nach Berlin weiterleiten wollte. Außerdem organisierte er den Schutz des Betriebes für die Nacht. Saalfrank sollte in seinem Auftrag in die Stadt und ihm später von den Ereignissen berichten. (S. 199, 201 und 211)

Vom 17. bis 23. Juli 1953 fand der Schauprozess vor dem 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Dresden statt. Neben Wilhelm Grothaus waren folgende Personen angeklagt:

  • Fritz Saalfrank (* 1909, 44 Jahre alt), Sohn eines Lebensmittelhändlers, Speditionskaufmann, 1931–1945 NSDAP-Mitglied und SA-Mitglied (zuletzt im Rang SA-Obergruppenführer), im Zweiten Weltkrieg Hauptmann und Bataillonskommandeur an der Ostfront – verwundet, mehrfach ausgezeichnet, 1946–1952 Montagearbeiter bei ABUS, danach kaufmännischer Sachbearbeiter, seit 1951 FDGB-Mitglied. Im Prozess des Bezirksgerichts Dresden war Saalfrank neben Grothaus der zweite Hauptangeklagte. Die von SED gleichgeschaltete Presse schlachtete Saalfranks Biografie propagandistisch aus, um den angeblichen „faschistischen Charakter“ des Aufstandes vom 17. Juni 1953 zu beweisen. Er wurde zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt, die er im Zuchthaus Waldheim absaß.
  • Erich Berthold (* 1902, 51 Jahre alt), 1933–1945 NSDAP- und SA-Mitglied, im Zweiten Weltkrieg Hauptfeldwebel, bis 1948 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, 1949–1952 Dreher bei ABUS, danach Technologe, 1951–1953 Vorsitzender einer Abteilungsgewerkschaftsleitung, im Juni 1953 Gewerkschaftsvertrauensmann.
  • Herbert Müller (* 1925, 28 Jahre alt), seit 1951 Maschinenschlosser bei ABUS, später technischer Angestellter, Mitglied des FDGB, der DSF und der Betriebssportgemeinschaft.
  • Udo Imme (* 1929, 24 Jahre alt), arbeitete nach seinem Studienabschluss (1952) als Konstrukteur und Montageingenieur bei ABUS. Er war FDGB- und DSF-Mitglied und in der Kammer der Technik organisiert.
  • Ingeborg Neumann (* 1929, 24 Jahre alt), arbeitete seit Januar 1953 als technische Sachbearbeiterin bei ABUS, 1940–1944 BDM-Mitglied, 1944–1945 NSDAP-Mitglied, seit 1947 SED-Mitglied.
  • Josef Piesche (* 1898, 55 Jahre alt), war seit 1952 Maschinenschlosser und Vorarbeiter bei ABUS. Er verbüßte von 1943 bis 1945 eine Strafe nach dem Heimtückegesetz und war seit 1951 FDGB-Mitglied. Er wurde am 19. Juni 1953 verhaftet, jedoch nicht angeklagt.
  • Walter Hentschel (* 1903, 50 Jahre alt), war seit 1949 kaufmännischer Angestellter bzw. Buchhalter bei ABUS. Während der NS-Zeit SA-Mann, seit 1945 Mitglied des FDGB und der DSF. Er wurde im Juli 1953 nicht wegen den Ereignissen am 17. Juni 1953 angeklagt.
  • zu dem FDGB-Mitglied Lothar Krausch, der am 4. Juli 1953 verhaftet, jedoch nicht angeklagt wurde, und zu dem wahrscheinlichen SED-Mitglied Aster sowie dem Betriebsmaler Stuck, die beide nicht verhaftet wurden, existieren keine weiteren biografischen Daten. (S. 195)

Die Hauptangeklagten Grothaus und Saalfrank wurden in der Presse, als der „Verräter an den Interessen der Arbeiterklasse“ und der „typische Faschist“ dargestellt. Das MfS stützte sich in seinem Bericht auf einen Bericht von Otto Buchwitz über die Versammlung der streikenden Arbeiter im Sachsenwerk. Er behauptete, die Beschuldigten hätten bewusst und vorsätzlich umstürzlerische Versuche zum Sturz der Regierung gewollt. Das MfS machte deswegen vor allem Grothaus „für den Streik, für die provokatorische Demonstration, den großen Produktionsausfall im Betrieb und für die weiteren terroristischen Verbrechen, die sich am 17. Juni 1953 über den gesamten Kreis Dresden erstreckten“ verantwortlich. Sie stilisierten ihn als „ausgesprochenen Feind der fortschriftlichen Entwicklung in der DDR und der Partei der Arbeiterklasse“. Der Prozess vom 17. bis 23. Juli 1953 konzentrierte sich hauptsächlich auf Grothaus und Saalfrank. Staatsanwalt Lindner beantragte für die Angeklagten Neumann, Berthold und Müller, das Verfahren einzustellen. Für Grothaus wurden 15 Jahre Zuchthaus beantragt, für Saalfrank und Imme je 10 Jahre. Der Verteidiger Dr. Jahrreiss erreichte für den Angeklagten Imme einen Freispruch wegen erwiesener Unschuld. Der Verteidiger von Grothaus, Dr. Gustav Hodum, der im Februar 1954 selbst angeklagt wurde, forderte für seinen Mandanten ebenfalls einen Freispruch. Wilhelm Grothaus äußerte sich in seinen Schlusssatz: „Ich habe die Arbeiter zu Ruhe und Disziplin aufgefordert und habe 35 Jahre lang für die Interssen der Arbeiterschaft gekämpft. Ich bitte, ein gerechtes Urteil zu sprechen.“ Zeugen bestätigten, dass Grothaus für Besonnenheit sorgte. Trotzdem wurde er am 23. Juli 1953 zur Höchststrafe verurteilt (Verbrechen nach § 125 StGB – Gefährdung öffentlicher Sicherheit und Ordnung). Dr. Hodum beantragte Berufung. (S. 539 und 540)

Wilhelm Grothaus traf das Urteil besonders hart, da er sein ganzes Leben in der Arbeiterbewegung, in der Partei und der Gewerkschaft gestanden und gekämpft hatte , besonders aktiv an der Bekämpfung des Faschismus beteiligt war und in der DDR den Staat sah, für den er Leben, Gesundheit und Familie eingesetzt hatte. Sein Schicksal ist besonders tragisch und aufschlussreich für den Umgang der SED mit ihren eigenen Mitgliedern und Funktionären. Als anerkanntes Opfer des Faschismus wurde er nach dem 17. Juni 1953 als faschistischer Provokateur verteufelt. Er musste für Jahre ins Zuchthaus, zuerst nach Waldhein, dann nach Torgau und Leipzig. Alle Bemühungen seiner Ehefrau und einer ehemaligen Arbeitskollegin, Grothaus in den folgenden Jahren per Gnadenerlass oder durch Kassation des Urteils frei zu bekommen, scheiterten. Seine Strafe wurde lediglich „per Gnadenerlass des Staatspräsidenten“ im Oktober 1956 auf 10 Jahre herabgesetzt. Der Stellvertreter der Obersten Staatsanwalts der DDR, der die „Gnadensache Wilhelm Grothaus“ damals bearbeitete und befürwortete, begründete die Reduzierung des Strafmaßes auf zehn Jahre damit, dass „dem Gesuch der aus Westdeutschland schreibenden Ehefrau einerseits Genüge getan wird und andererseits auch die Tat, die am 17. Juni 1953 von ihm begangen wurde, keinesfalls eine Strafe von 15 Jahren rechfertigt.“ Erst 1960, kurz vor seinem 67. Geburtstag erlangte Wilhelm Grothaus seine Freiheit. (S. 541)

Saxonicus (Diskussion) 05:10, 28. Mai 2017 (CEST)Beantworten