Ersatzhandlung

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Ersatzhandlung (engl. redirection activity) ist ursprünglich ein Begriff aus der Psychoanalyse und beschreibt eine Handlung, die an die Stelle der ursprünglich angestrebten tritt, wenn diese durch Verdrängung oder äußere Hemmung nicht ausgeführt werden kann. Der Trieb oder das Bedürfnis, das hinter der angestrebten Handlung steht, verschiebt sich in ein anderes, dem ursprünglichen Ziele oftmals grundverschiedenes Handlungsziel, auch Ersatzbefriedigung genannt. Ersatzhandlungen können nach diesem Verständnis auch bewusst gesetzt werden, um etwa einen ungewollten Triebimpuls zu kontrollieren.

Auch über die Psychoanalyse hinaus stieß das Phänomen der Ersatzhandlung in der psychologischen Forschung auf Interesse. Der Gestaltpsychologe Kurt Lewin und seine Schülerinnen und Mitarbeiter, v. a. Wera Mahler und Käte Lissner, haben in ihren Berliner Untersuchungen zur Willens- und Affektpsychologie experimentell untersucht, wie Ersatzhandlungen beschaffen sein müssen, um einen höheren oder geringeren Ersatzwert zu haben. Ausgangspunkt dieser Untersuchungen war der Ovsiankina-Effekt, also die Tendenz zur Wiederaufnahme unterbrochener Handlungen.[1] Es wurde experimentell überprüft, welche Arten von Handlungen (unterschiedlichen Realitätsgrades) besonders geeignet waren, die Wiederaufnahmetendenz hintanzuhalten, also als Ersatz für die tatsächliche Vollendung der unterbrochenen Handlung dienen konnten. Die US-amerikanische Gestaltpsychologin Mary Henle führte diese Untersuchungen unmittelbar in der Lewin'schen Forschungstradition fort.[2] Bis heute beschäftigt das Thema die psychologische Grundlagenforschung (Motivations- und Handlungsforschung)[3] wie auch die angewandte Forschung zur Verbraucherpsychologie[4].

  • Sigmund Freud (1909): Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose. elektronische Version (PDF; 371 kB)
  • Kurt Lewin (1932/2009): Ersatzhandlung und Ersatzbefriedigung (1932). In Gestalt Theory 31(3–4), 341–343. elektronische Version (Memento des Originals vom 21. Februar 2014 im Internet Archive) (PDF; 1,2 MB)
  • Wera Mahler (1933): Ersatzhandlungen verschiedenen Realitätsgrades. Psychologische Forschung 18(1/2), 27–89.
  • Käte Lissner (1933): Die Entspannung von Bedürfnissen durch Ersatzhandlungen. Psychologische Forschung, 18(1), 218–250.
  • Mary Henle (1942): An Experimental Investigation of Dynamic and Structural Determinants of Substitution. Durham, N.C.: Duke University Press.
  • Mary Henle (1944): The Influence of Valence on Substitution (1944). The Journal of Psychology: Interdisciplinary and Applied. Volume 17, Issue 1, 11–19.
  • Rudolf Sommer: Consumer’s Mind. Die Psychologie des Verbrauchers (Edition Horizont). Deutscher Fachverlag, Frankfurt/M. 2007, ISBN 978-3-86641-059-6.
Wiktionary: Ersatzhandlung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. siehe dazu B. Lindorfer und G. Stemberger (2012), Unfinished Business – Die Experimente der Lewin-Gruppe zu Struktur und Dynamik von Persönlichkeit und psychologischer Umwelt in Phänomenal 1–2/2012, S. 63–70. elektronische Version (PDF; 1,1 MB)
  2. Siehe Henle 1942 und 1944 in der Literatur.
  3. Sammelbericht zu neueren Forschungen: Peter M. Gollwitzer und Christine Liu: Wiederaufnahme. In: Enzyklopädie der Psychologie, Teilband Motivation, Volition und Handlung, Göttingen: Hogrefe 1995, 209–240. elektronische Version (Memento des Originals vom 21. Februar 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/kops.ub.uni-konstanz.de (PDF; 1,2 MB)
  4. vgl. dazu Sommer 2007, "Consumer’s Mind", siehe Literatur.