Fatawa-i-Alamgiri

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Fatawa-i-Alamgiri („Rechtsgutachten Alamgirs“) oder Fatawa al-Hindiyya („Indische Rechtsgutachten“) ist eine im Jahr 1674 in Delhi abgeschlossene[1] hanafitische Sammlung des islamischen Rechts (Scharia) des sunnitischen Islams. Die bedeutende Fatwasammlung wurde auf Aufforderung des Mogul-Herrschers und muslimischen Gelehrten Aurangzeb (1618–1707; reg. 1658–1707; auch bekannt als Alamgir) von einer Gruppe von Gelehrten unter Leitung von Shaykh Nizam Burhanpuri (gest. 1681)[2] zusammengestellt. Sie ersetzte das Fatawa-i-Firoz Shahi bzw. Fiqh-i-Firoz Shahi aus der Zeit von Firuz Schah Tughluq (1309–1388; 1351 bis 1388 Sultan von Delhi).[3]

Mogul-Herrscher Aurangzeb verrichtet das Gebet.

Das Werk gilt bis heute in Südasien als äußerst einflussreich.[4] Es ist eine Sammlung von hanafitischen Rechtsgutachten in arabischer Sprache. Sie stammt überwiegend von einer Gruppe hanafitischer Gelehrter aus Indien. Die Sammlung gilt als eine der wertvollsten Quellen für die Kenntnis der islamischen Institutionen in der späteren Mogul-Zeit.[5] Sie umfasst mehrere Bände und war eine der umfangreichsten der islamischen Rechtswissenschaft ihrer Zeit. Sie diente als Grundlage von Recht und Lehre, welche Aurangzeb seinem ganzen Reich auferlegte. Das Werk ist von Bedeutung für heutige Hanafi-Studenten, es entstand vor der Spaltung in Deobandi und Barelwi unter den Hanafiten des indischen Subkontinents.[6] Der chinesische Islamwissenschaftler Wu Yungui merkt an, dass einige indische muslimische Gelehrte die Zusammenstellung für zu sehr mit den Zielsetzungen des Mogulkaisers übereinstimmend hielten und dass sie das ganze Spektrum der hanafitischen Rechtsschule (madhhab) nicht vollständig aufzeigen könne.[7] Die muslimische Gelehrte Aisha Bewley ordnet das Werk folgendermaßen ein:

„The sections dealing with worship are classical in pattern, while those dealing with criminal and civil law are more pragmatic. A source for Muslim law in India.[8]

„Während die der Gottesverehrung gewidmeten Abschnitte ein klassisches Muster aufweisen, sind jene, die sich mit dem Straf- und Zivilrecht befassen, pragmatischer. Eine Quelle für das muslimische Recht in Indien.“

Die Schiiten wurden darin zu abtrünnigen Häretikern erklärt.[9]

Die Hindus akzeptierten die Fatawa-i-Alamgiri nicht. Im kolonialen britischen Rechtssystem geriet der Glaube an "Präzedenzfälle" (legal precedent) in Konflikt mit der Missachtung von "Präzedenzfällen" im anglo-muhammadischen Rechtssystem, was koloniale Beamte dazu brachte, den Maulavis (d. h. den muslimischen religiösen Gelehrten) zu misstrauen. Die britischen Kolonialbeamten reagierten darauf mit der Schaffung einer Bürokratie, die separate Gesetze für muslimische Sekten und für Nicht-Muslime wie die Hindus in Südasien schuf.[10] Diese Bürokratie erließ gestützt auf die Fatawa-i-Alamgiri eine Reihe von separaten religiösen Gesetzen für Muslime und allgemeine Gesetze für Nicht-Muslime (Hindus, Buddhisten, Jainas, Sikhs), von denen die meisten im unabhängigen Indien nach 1947 angenommen wurden.[11]

Ausgaben und Übersetzungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erste englische Übersetzungen hatten eine persische Übersetzung zur Grundlage. Teile wurden von Charles Hamilton[12] und William Jones ins Englische übersetzt. Eine Teilübersetzung von Neil Baillie erschien 1865 unter dem Titel A Digest of Mohummudan Law. 1873 veröffentlichte Shama Churun Sircar eine Teilübersetzung unter dem Titel The Muhammadan Law: Being a Digest of the Law Applicable Especially to the Sunnís of India.[13] Eine Urdu-Übersetzung des Werkes stammt von Shaykh Syed Ameer Ali.[14]

Eine moderne sechsbändige arabische Ausgabe (Al-fatāwā al-hindīya) erschien in Beirut.[15]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise und Fußnoten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Mouez Khalfaoui (2008): achevée en 1674 à Delhi.
  2. vgl. „Nizam Burhanpuri, Mulla“, in: Nabi Hadi: Dictionary of Indo-Persian Literature. 1995, S.463 f.
  3. vgl. Muhammad Basheer Ahmad, S. 40 ff. (Regulations issued by the King)
  4. oxfordislamicstudies.com: Fatawa al-Alamgiriyya – abgerufen am 5. Juli 2018
  5. "one of the most valuable sources for our knowledge of Islamic institutions in later Moghul times" (Annemarie Schimmel: Islamic Literatures of India. 1973 (A History of Indian Literature), S. 44)
  6. Fatawa Al-Hindiyyah Al-Ma'arufah (kitaabun.com) - abgerufen am 5. Juli 2018
  7. Wu Yungui: Alamuji'er jiaofa huibian - norislam.com (abgerufen am 5. Juli 2018)
  8. Aisha Bewley: Glossary of Islamic Terms. London: Ta-Ha Publishers 1998 (Online), S. 169
  9. vgl. dailytimes.com.pk: Conundrum of religious violence — II —Sameera Rashid: “Fatawa-e-Alamgiri, which had apostatised the Shias as heretics”.
  10. David Arnold und Peter Robb: Institutions and Ideologies: A SOAS South Asia Reader. Psychology Press (1993/2005), S. 171–176 (Online-Teilansicht)
  11. vgl. J. Duncan Derrett: Religion, Law and State in India. 1999 Oxford University Press, ISBN 978-0195647938
  12. Charles Hamilton, The Hedaya, Or Guide: A Commentary on the Mussulman Laws, Allen & Co, London 1870 Online-Teilansicht
  13. Digitalisat
  14. siehe archive.org; vgl. Buchhandelslink
  15. Malībārī, Zain-ad-Dīn Ibn-Ġazzāl Ibn-Zain-ad-Dīn, al-: Al-fatāwā al-hindīya fī maḏhab al-imām al-ʿaẓam Abī Ḥanīfa an-Nuʿmān / taʾlīf aš-šaiḫ Naẓẓām wa-ǧamāʿa min ʿulamāʾ al-Hind al-aʿlām wa-bi-hāmišihī fatāwā Qādīḫān wa-'l-Fatāwā al-bazzāzīya. Bairūt : Dār at-turāṯ al-ʿarabī, 1980. 6 Bände (SUB GÖ)

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Jamal Malik: "Islam in South Asia: A Short History." (Themes in Islamic Studies) 2008 (Online-Teilansicht)
  • Alan M. Guenther: Hanafi Fiqh in Mughal India: The Fatāwá-i 'Ālamgīrī In: India's Islamic Traditions, 711–1750, ed. Richard Eaton. Oxford in India Readings. Themes in Indian History, 207–230. New Delhi: Oxford University Press of India, 2003.
  • Moez Kalfaoui: „Text und Kontext : die Normen des Zusammenlebens zwischen Muslimen und Nichtmuslimen anhand der Fatawa Alamgiri.“ – In: Mahnung und Warnung (2006), S. 116–130
  • Stephan Conermann: Das Mogulreich. Geschichte und Kultur des muslimischen Indien. (= Beck'sche Reihe 2403 C. H. Beck Wissen). Beck, München 2006, ISBN 3-406-53603-4.
  • Mouez Khalfaoui: L'islam indien. Pluralité ou pluralisme. Le cas d'al-Fatāwā al-Hindiyya (= Publications universitaires européennes. Sér. 27: Etudes asiatiques et africaines 103). Peter Lang Verlag, Frankfurt 2008, ISBN 978-3-631-57530-7 (Zugleich: Erfurt, Univ., Diss., 2007). Online-Teilansicht
  • Muhammad Basheer Ahmad: The Administration of Justice in Medieval India. The Aligarh University. 1941 Digitalisat

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fatawa-i-Alamgiri (Alternativbezeichnungen des Lemmas)
al-Fatāwā al-ʿĀlamgīriyya; Fatawa-e-Alamgiri; Fatawa-i-Hindiya; Fatawa-i Hindiyya; Fatawa-e-Alamgiri; Fatawa-i-Alamgiri; Al-Fatāwā al-Hindiyya al-‘Ālamğīriyya; Fatawa-i’Alamqiri; Fatawa Alamgiri; Al-fatāwa-l-hindīya-l-ʿĀlamġīrīya; Fatawa al-Hindiyya; Al-Fatawa al-'Alamgiriyya; Al-Fatāwā al-Hindiyya al-‘Ālamğīriyya; fatāwā al-hindīyya; Al-Fatawa Al-Hindiyyah; Fatawa Alamgiri; Fatawa Aalamgeeri; Fatawa-i-Hindiya; Fatāwá-i ‘Ālamgīrī; fatawa-i alamgiri; Fataawa al Hindiyya; Fatawa Hindiyya/Fatawa-yi 'alamgiri, al-Fatawa al-Hindiyya [Fatwas of India]