Hamburgische Dramaturgie

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Die Hamburgische Dramaturgie ist ein Werk von Gotthold Ephraim Lessing über das Drama aus dem Jahr 1767. Es ist nicht als einheitliches, systematisches Buch konzipiert, sondern als eine Reihe von Theaterkritiken, die Lessing als Dramaturg des Deutschen Nationaltheaters in Hamburg verfasste, wobei er die Notwendigkeit sah, bei der Aufführung von Dramen neue Wege zu gehen. Neben Erläuterungen zu aktuellen Stücken, die heute eher nur noch von historischem Interesse sind, ist die Hamburgische Dramaturgie daher vor allem durch ihre grundsätzlichen Überlegungen zur Poetik, genauer: zur Dramentheorie von großer Bedeutung. Bis in Lessings Zeiten hinein galt das Augenmerk der Literaturtheoretiker im Bereich des Dramas der Einhaltung der formalen Regeln, insbesondere der Drei Einheiten, nämlich der Einheit der Handlung, des Ortes und der Zeit. Dies war charakteristisch für das Barocktheater, das für das Zeitalter des Absolutismus kennzeichnend war und dessen striktes Ordnungssystem widerspiegelt. Dem (meist adligen) Publikum wurden auf der Bühne oft Haupt- und Staatsaktionen vorgeführt, wobei sich die Dramenhelden nicht selten durch übergroße Tugenden der Fürsten und Märtyrer oder Laster ihrer Gegenspieler auszeichneten.

In der Hamburgischen Dramaturgie nun postuliert Lessing, sich auf Aristoteles berufend, dass die erste Wirkung der Tragödie auf den Zuschauer das Mitleiden sein müsse. Damit wendet er sich gegen die bisherige Dramenpoetik, die, ebenfalls Aristoteles für sich in Anspruch nehmend, Mitleid und Schrecken als wesentliche Wirkung betonen. Lessing erklärt, man habe Aristoteles falsch verstanden, der „phobos“ des Aristoteles, der von den bisherigen Dramentheoretikern „Schrecken“ genannt werde, müsse in Wahrheit als Furcht, nämlich als die mitfühlende Angst, das, was auf der Bühne geschieht, könne auch einem selbst widerfahren, interpretiert werden. Damit sei der Begriff der Furcht untrennbar mit dem des Mitleid(en)s (eleos) verbunden. Somit werden diese Vorstellungen zum Kernelement dessen, was man als die Katharsis-Lehre des Dramas bezeichnet: Durch das Mitfühlen solle im Zuschauer eine Wandlung vor sich gehen, die ihn tugendhafter mache. Daher ergibt sich für ihn die Notwendigkeit, dass die Helden der Dramen als „vom gleichen Schrot und Korne“ wie der Zuschauer sein solle. Dies gelte grade auch bei der Darstellung von Monarchen: „Wenn wir mit Königen Mitleide haben, so haben wir es mit ihnen als Menschen, und nicht als mit Königen“ - eine durchaus revolutionäre Vorstellung in der damaligen Zeit.

Aristoteles dient ihm im Übrigen nicht deswegen als Vorbild, weil er ein hohes Ansehen genieße, sondern weil sein Theoriengebäude vernünftig sei; eine Haltung, die ganz dem Zeitalter der Aufklärung entspricht. Entscheidend ist nach Lessing die Einheitlichkeit, Natürlichkeit und Wahrscheinlichkeit der Handlung. Verwickelte Episoden und romanhafte Wendungen, wie sie das Barocktheater kannte, lehnte er daher ab.

Lessings Neuinterpretation der aristotelischen Dramentheorie bewirkte einen fruchtbaren Wandel bei der Konzeption von Bühnenstücken. An die Stelle opulenter Schauspiele mit grellen Charakteren traten zunehmend bürgerliche Stücke, in denen sich der Zuschauer leichter wiederfinden konnte; das bürgerliche Drama löste das barocke Drama ab.