Karl Schirdewan

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Karl Schirdewan, 1952

Karl Schirdewan (* 14. Mai 1907 in Stettin; † 14. Juli 1998 in Potsdam) war ein Politiker in der DDR. Er lebte ursprünglich in Schlesien, wo er in der Weimarer Republik KPD-Jugendfunktionär wurde, und nach dem Krieg in Bayern, bevor er nach Berlin ging. Dort stieg er rasch in der neuen SED auf. Er wurde ein führendes Mitglied des Zentralkomitees. Nach dem Tod Stalins 1953 sprach er sich für eine gewisse Kritik an der Stalinzeit aus und wich auch später von der offiziellen Parteilinie ab. 1958 endete seine Mitgliedschaft im Zentralkomitee.

Leben

Jugend

Sein leiblicher Vater ist unbekannt, seine Mutter, Josephine Aretz, überließ ihn der Pflegefamilie Schirdewan in Breslau.[1] Er schloss 1923 die Mittelschule ab, seinen Wunschberuf Buchhändler konnte er nicht erlernen. Schirdewan ging zunächst in einer Getreidehandlung in die Lehre und arbeitete später als Laufbursche, Bürogehilfe und Transportarbeiter.

Weimarer Republik und Nationalsozialismus

Schirdewan trat 1923 in den KJVD und 1925 in die KPD ein. Ende der 1920er Jahre wurde er Mitglied des Zentralkomitees (ZK) des Kommunistischen Jugendverbands Deutschland und dessen Bezirksvorsitzender in Schlesien. Mit der Leitung des Verlags Junge Garde übernahm er 1931 erstmals eine hauptamtliche Funktion innerhalb der Parteiorganisation.

Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 musste er in den Untergrund gehen. 1934 wurde er verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach Verbüßung dieser Strafe wurde er in KZ-Haft (KZ Sachsenhausen und KZ Flossenbürg) genommen und kam erst mit Kriegsende 1945 wieder frei.

Nachkriegskarriere

Karl Schirdewan (links) erhält 1955 den Vaterländischen Verdienstorden in Gold

Nach Kriegsende war Schirdewan kurzzeitig für die KPD in Bayern tätig, wechselte aber noch 1945 in die Parteizentrale nach Berlin. In der SBZ stieg er 1945 ins Zentralkomitee (ZK) der KPD auf, nach der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED arbeitete er in deren Vorstand bzw. Zentralkomitee. Schirdewan wurde 1947 Leiter einer Arbeitsgruppe zum „Studium der illegalen Parteigeschichte“, 1949 stellvertretender Leiter der Westkommission beim Parteivorstand der SED und 1950 Leiter der neugebildeten Westabteilung beim ZK der SED. Er leitete in dieser Funktion auch die Sozialdemokratische Aktion faktisch. Ab 1952 war er Erster Sekretär der SED-Landesleitung in Sachsen, anschließend Erster Sekretär der Bezirksleitung in Leipzig. Ab 1953 war er Mitglied des Politbüros. Im ZK nahm er verschiedene Sonderfunktionen wahr, so als Sekretär der Abteilung Leitende Organe und Kader (1953–1958) und Mitglied der Sicherheitskommission (1954–1957). Die 1950er Jahre waren der Höhepunkt von Karl Schirdewans politischer Karriere, er galt damals als zweiter Mann nach Walter Ulbricht. Am 6. Mai 1955 wurde Schirdewan der Vaterländische Verdienstorden in Gold verliehen.

Sturz

Schirdewan stand trotz dieser hohen Position Ulbricht kritisch gegenüber – laut zeitgenössischen Berichten sogar mit regelrechtem Hass. Nach eigener Aussage wurden seiner Meinung nach aus dem Aufstand am 17. Juni 1953 nicht die notwendigen Lehren gezogen. Nach dem Tode Stalins 1953 und der einsetzenden Entstalinisierung erhoffte sich Schirdewan in der DDR ebenfalls eine kritische Auseinandersetzung mit der Stalin-Ära, das wurde aber von Ulbricht unterdrückt. Außerdem trat Schirdewan für die Option eines vereinigten Deutschlands ein, er konnte sich aber innerhalb der SED mit diesen Vorstellungen nicht durchsetzen. Ihm wurde vorgeworfen, die Deutsche Frage zu einseitig zu beurteilen, der Parteilinie nicht ausreichend zu folgen und den ungarischen Volksaufstand 1956 zu verharmlosen.

Zusammen mit seinem Mitstreiter Ernst Wollweber verlor er nach der 35. Tagung des ZK der SED im Februar 1958 seine Posten. Die Anklagerede bei dieser Tagung hielt Erich Honecker.[2] Schirdewan wurde wegen „fraktioneller Tätigkeit“ aus dem Politbüro und dem Zentralkomitee der SED ausgeschlossen und strafversetzt. Er war von 1958 bis 1965 Leiter der Staatlichen Archivverwaltung (StAV).[3]

Nach 1989

Nach der Wende wurde er 1990 von der PDS rehabilitiert und in den Ältestenrat der Partei aufgenommen.[4] „Das Versagen der SED vor der Geschichte (so sein Lebensfazit) sei nicht zu überbieten [gewesen]“. Karl Schirdewan verstarb am 14. Juli 1998 in Potsdam.[5]

Er war verheiratet mit Gisela Schirdewan (geb. 1922) und hatte vier Kinder. Ihre Tochter Rosemarie Heise-Schirdewan war 1990 für die PDS Abgeordnete der Volkskammer. Der Politiker der Linken und Europaabgeordnete Martin Schirdewan ist sein Enkel.

Schriften

Literatur

Commons: Karl Schirdewan – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Insofern ist die Formulierung „er verlor früh seine Eltern“ im Munzinger-Archiv irreführend
  2. „Er war immer der beste seiner Klasse“. In: Der Spiegel. Nr. 1, 1967, S. 36–37 (online).
  3. Andreas Malycha, Peter Jochen Winters: Die SED. Geschichte einer deutschen Partei. C.H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-59231-7, S. 145.
  4. „Am 20. Januar 1990 von der Zentralen Schiedskommission der SED/PDS rehabilitiert.“ In: Schirdewan, Karl (eigtl.: Aretz). In: Biographische Datenbanken der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Abgerufen am 6. März 2019.
  5. Gestorben Karl Schirdewan. In: Der Spiegel. Nr. 30, 1998, S. 170 (online).
  6. Dazu die Rezension von Herbert Mayer: Der zweite Mann hinter Ulbricht. Karl Schirdewan: Ein Jahrhundert Leben: Erinnerungen und Visionen – Eine Rezension. In: Berliner LeseZeichen. Ausgabe 4/99, Edition Luisenstadt, 1999, archiviert vom Original am 30. April 2005; abgerufen am 6. März 2019.