Kykladenidol

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Kykladenidol früher „Spedos-Typ“, Goulandris Museum Athen

Als Kykladenidol bezeichnet man Idole (in der Regel aus Marmor) aus der Jungsteinzeit und der Bronzezeit, die charakteristisch sind für die Kykladenkultur in der Zeit um 5000 v. Chr. bis 1600 v. Chr. Die ausgeprägtesten Formen werden dem 3. Jahrtausend v. Chr. zugerechnet. Derartige Objekte wurden auf zahlreichen ägäischen Inseln, vor allem den Kykladen sowie auf Kreta gefunden. Ähnliche Idole gleichen Alters fanden sich auch auf Zypern und der Iberischen Halbinsel sowie auf Malta und in Kleinasien.

Rund 230 Objekte werden im Goulandris Museum für Kykladenkunst in Athen ausgestellt, eine umfangreiche Sammlung hat auch das Archäologische Museum in Iraklio auf Kreta. In Deutschland unterhält das Badische Landesmuseum in Karlsruhe eine bedeutende Sammlung. Einzelne Exponate befinden sich im Louvre, Paris, im Britischen Museum in London und verschiedenen weiteren Museen und Privatsammlungen.

Entwicklung

Vorgänger

Die kanonischen Idole der frühen Bronzezeit vom Spedos-Typ und dessen Nachbarn haben noch im Neolithikum zwei sehr unterschiedliche Vorgänger (zur zeitlichen Einordnung siehe: Kykladenkultur).

Als ein Vorbild gelten kleine, abstrakte Figuren, deren Form nur begrenzt an Menschen erinnert. Sie sind zumeist nur zwischen fünf und wenig über zehn Zentimeter groß und werden nach dem Schulter- und dem Violinen-Typ unterschieden. Ersterer besteht aus einer stilisierten Schulterpartie mit einem Halsansatz. Letzterer kommt einer weiblichen Figur näher, mit Halsansatz und einem durch eine Taille gekennzeichnetem Körper. In einigen Fällen sind Arme durch Ritzungen angedeutet. Sie sind aus Marmor oder aus keramischem Material und wurden sowohl auf den Inseln der Kykladen als auch auf dem griechischen und dem kleinasiatischen Festland gefunden. Jürgen Thimme leitet sie von gefundenen Natursteinen ab, insbesondere solchen, die am Strand gefunden und vom Meer abgeschliffen wurden. Er sieht wegen der Fundsituation zusammen mit meeresbezogenen Grabbeigaben in ihnen eine Meeresgottheit, die er mit der „Großen Göttin“ (siehe: Mutterarchetyp) gleichsetzt.[1] Funde aus den 1990er Jahren in Akrotiri auf der Insel Santorin bestätigen diese These, da bearbeitete Idole dieses Typs zusammen mit völlig unbearbeiteten Natursteinen vergleichbarer Form gefunden wurden.[2]

Das andere Vorbild sind anatolische Figuren hockender oder kauernder Frauen mit üppigen Formen, bei denen erstmals die verschränkten Arme auftreten, die für die späteren Kykladenidole typisch sind. Die üppigen Formen weisen für Thimme auf ein Fruchtbarkeitssymbol hin, die Haltung auf eine Gebärsituation. Aus der Verwendung als Grabbeigaben und der Hockstellung der Leichname schließt er auf eine Religion des Kreislaufes, die im Begräbnis eine Rückkehr in den Schoß einer Erd- und Muttergottheit sieht.[3] Die verschränkten Arme würden dann auf eine Warte- und Abwehrphase hindeuten, in denen die Hochschwangere noch nicht loslassen und gebären kann. Er zieht eine Parallele zur Herakles-Sage, in der Alkmene den Helden erst gebären kann, als die bei ihr sitzende Eileithyia und die Moiren ihre verschränkten Arme lösen.[4]

Kanonische Idole

In der Grotta-Pelos-Kultur ab 3000 v. Chr. treten erstmals unmittelbare Vorläufer der kanonischen Idole auf. Sie haben bereits die schematisierten Gesichter, in denen nur noch die längliche Nase hervortritt, und ihre Beine erscheinen durch eine Kerbe getrennt. Die Funde aus dieser Zeit waren häufig schon bei der Herstellung oder kurz danach beschädigt und repariert worden, da die Künstler noch keine ausreichende Erfahrung hatten, welche Formen hinreichend stabil sind. Sie werden nach dem Plastirastyp und dem Lourostyp unterschieden. Der zweite ist stärker stilisiert, die Körperformen wirken aus dem Material herausgezogen. Einige Exemplare, die Übergangsformen zu den nachfolgenden Typen aufweisen, werden als Vorkanonische Idole zusammengefasst.

Mit der Keros-Syros-Kultur der Periode Frühkykladisch-II (etwa 2500 v. Chr.) ist die kanonische Form erreicht. Aus dieser Zeit liegen die meisten Funde vor. Die Größe der Figuren variiert von nur rund 10 cm bis etwa 50 cm. Außergewöhnlich groß sind eine Figur mit 89 cm und eine mit 148 cm. Darüber hinaus wurden mehrere Köpfe von beinahe Lebensgröße gefunden, von denen unbekannt ist, ob sie je zu vollständigen Körpern gehörten. Typisch sind 20-35 cm. Nach den Fundorten und den stilistischen Merkmalen werden vier Hauptformen unterschieden, von denen der Kapsalatyp von Colin Renfrew als zeitlich erster, der Spedostyp und der Dokathismatatyp als gleichzeitig und der Chalandrianityp als Abschluss angesehen werden.[5] Signifikant weicht in der selben Zeit der Koumasatyp mit flachen, geschlossenen Formen ab, der nur auf Kreta gefunden wurde.

Die Idole vom Kapsalatyp sind an allen Teilen rundplastisch geformt, der Kopf ist eher plump, die Brüste sind deutlich und stehen weit auseinander. Die Schultern sind rund und nur wenig breiter als die Hüfte. Durch die leicht angezogenen Kniegelenke sind die Figuren eindeutig als liegend gekennzeichnet. Kein Idol diesen Typs hat ein eingeritztes Schamdreieck.[6]

Die häufigsten Funde sind solche vom Spedostyp. Er zeichnet sich aus durch rundliche Formen mit einem dicken Kopf. Die Wangen sind dessen breitester Teil, der Scheitel wirkt meist horizontal abgeschnitten. Die geraden Schultern bei einer schmalen Taille ergeben einen trapezförmigen Oberkörper. Die Schenkel sind wieder breiter als die Taille. Nur bei wenigen großen Figuren diesen Typs ist ein Schamdreieck eingeritzt. Relativ häufig kommen schwangere Frauen vor.

Der gleichzeitige Dokathismatatyp zeichnet sich durch eine elegante Kombination von geometrischen und geschwungenen Formen aus. Während der Oberkörper hier wie mit dem Lineal konstruiert wirkt, sind Hals und Kopf langgestreckt und die Kopfform läuft nach oben hin auseinander. Die Brüste sind klein und stehen weit auseinander, fast alle Figuren dieser Form haben ein eingeritztes Schamdreieck.

Der zeitlich späteste Chalandrianityp ist gekennzeichnet durch harte geometrische Formen. Die Brust ist fast quadratisch, die Schultern sehr gerade und die breiteste Stelle der Figur. Von ihnen bis zu den schmalen Füßen bildet der Umriss des Idols ein Dreieck. Ebenfalls dreieckig ist der stark stilisierte Kopf.

Die kretischen Figuren vom Koumasatyp sind klein und weisen einen geometrischen Umriss und eine flache Oberfläche auf. Damit wirken sie sehr stilisiert. Sie gelten als minoische Nachahmung der kykladischen Idole; aufgrund der großen Ähnlichkeit mit dem Dokathismata- und dem Chalandrianityp wird eine eher späte Entstehungszeit angenommen.

Nachkanonische Figuren

Mit der Kastri-Kultur am Ende der Periode Frühkykladisch-II oder dem Anfang von Frühkykladisch-III rund um 2200 v. Chr. lösen sich die strengen Formen der kanonischen Zeit auf. Die Armhaltung wird variiert, mal greift ein Arm diagonal über den Oberkörper, während der andere horizontal liegt. Auch sind die Arme zuweilen nicht mehr verschränkt, sondern die Hände berühren sich wie in einigen vorkanonischen Stilen vor der Brust. Auch die verwendeten Materialien werden vielfältiger. Neben Marmor und einem schwarzen Stein sind aus dieser Zeit zudem erstmals zwei Figuren aus einem Metall, hier aus Blei, bekannt geworden.

Sonderformen

Nur sehr wenige Kykladenfiguren weichen vom typischen Muster der stehenden oder gerade liegenden weiblichen Figur ab. Ein paar wenige Figuren sind männlich. Den künstlerische Höhepunkt stellen aber die ausnahmsweise vorkommenden Figurengruppen oder Figuren in besonderen Tätigkeiten dar. Sie werden alle der kanonischen Zeit und dem Spedostyp zugerechnet.

Rezeption

Die ersten kykladischen Figuren wurden bereits um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert gefunden. Nur wenige genossen die Wertschätzung der damaligen Kunstwelt. Die beiden oben abgebildeten Harfenspieler von der Insel Santorin fanden bereits 1853 den Weg in die Sammlung des Großherzogs von Baden, Friedrichs I., die traditionellen Figuren galten damals aber noch als „unbeholfene Erstlingswerke der Rundplastik in Stein“[7]. Ein anderes Urteil lautete: „Wir mögen nicht jene kleinen [...] Scheusale aus Marmorsplittern anführen, die an verschiedenen Orten, namentlich auf den Inseln gefunden worden sind.“[8]

Dies änderte sich erst mit dem Aufkommen der abstrakten Kunst im 20. Jahrhundert. Die Kykladenidole wurden wieder entdeckt: „Technisch und stilistisch überraschen die kykladischen Werke durch die Wahl des edlen Materials und die Sicherheit seiner Bearbeitung, die raffinierte und meisterhafte Gliederung räumlicher Gebilde“ sowie „eminent plastischen Charakter“. [9]

Künstler, die sich der Moderne verpflichtet fühlten, griffen die prähistorische Bildsprache auf und schufen Werke in der Tradition der Kykladenidole. Hans Arp reiste nach Griechenland und studierte die Kykladenkultur vor Ort. Auch Constantin Brâncuşi orientierte sich bei seinen Plastiken an den wiederentdeckten Vorbildern.

Seit den 1960er Jahren war die Wertschätzung der Kykladenidole so weit entwickelt, dass auf den internationalen Kunstmärkten Fälschungen auftraten.[10] Außerdem fanden auf allen Inseln zahlreiche Raubgrabungen statt. Der Markt brach nach der Aufdeckung der Fälschungen zunächst zusammen, und auch die illegalen Grabungen ließen in der Folge nach.

Gleichzeitig erreichte die wissenschaftliche Erforschung der Figuren einen Höhepunkt. Maßgeblich war 1976 die Ausstellung Kunst und Kultur der Kykladeninseln im 3. Jahrtausend vor Christus im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe. Zur Vorbereitung der Ausstellung wurden Veröffentlichungen verschiedenster Disziplinen, von der Archäologie über die Kunstgeschichte bis hin zur Geologie und zur Geografie, zusammengetragen. Mit Ausnahme der griechischen Sammlungen stellten fast alle großen Museen der Welt und viele Privatsammler ihre Stücke zur Verfügung für eine Ausstellung, die in dieser Form einmalig bleiben wird. Der Katalog führt 581 Exponate auf und ist bis heute die beste Zusammenstellung griechischer Kunst der Bronzezeit.

Fundorte

Commons: Kykladenidole und verwandte Exponate – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

  • Kunst und Kultur der Kykladeninseln im 3. Jahrtausend vor Christus. Badisches Landesmuseum Karlsruhe. Ausstellung [...] im Karlsruher Schloss vom 25. Juni - 10. Oktober 1976. Hrsg. vom Badischen Landesmuseum, Karlsruhe 1976. ISBN 3-7880-9568-7
  • H. Matthäus: Ein Kykladenidol in Marburg. Bemerkungen zur Chronologie der kykladischen Frühbronzezeit. AA 1980, 149-165.
  • Marie-Louise und Hans Erlenmayer, Von der frühen Bildkunst der Kykladen, in: Vereinigung der Freunde Antiker Kunst, Antike Kunst, 8. Jahrgang 1965, Heft 2, Urs Graf Verlag, Olten, Schweiz, S. 59-71
  • Jürgen Thimme: Die religiöse Bedeutung der Kykladenidole. in: Vereinigung der Freunde Antiker Kunst, Antike Kunst, 8. Jahrgang 1965, Heft 2, Urs Graf Verlag, Olten, Schweiz, S. 72-86

Quellennachweise

  1. Thimme, S.82
  2. Panayiota Sotirakopoulou, The Early Bronce Age Stone Figurines From Akrotiri on Thera and Their Significance for the Early Cycladic Settlement, in: The British School of Athens, The Annual of the British School of Athens, No 93/1998, Athen, ISSN 0068-2454
  3. Thimme S.74
  4. Thimme S.80
  5. Kunst und Kultur der Kykladeninseln S. 452
  6. Alle Beschreibungen nach Kunst und Kultur der Kykladeninseln, 1976
  7. A. Milchhoefer, Die Anfänge der Kunst in Griechenland (1883), S. 142 – zitiert nach Erlenmayer 1965
  8. J. Overbeck, Geschichte der griechischen Plastik (1857) S. 41 – zitiert nach Erlenmayer 1965
  9. K. Schefold, Meisterwerke griechischer Kunst, 1960, S.2 – zitiert nach Erlenmayer 1965
  10. Josef Riederer, Fälschungen von Marmor-Idolen und -Gefäßen der Kykladenkultur, in: Kunst und Kultur der Kykladeninseln, 1976, S. 94-96