Notaufnahmelager Marienfelde
Das Notaufnahmelager Marienfelde in Berlin-Marienfelde war eines von drei Lagern, das nach dem Bundesnotaufnahmegesetz das Notaufnahmeverfahren für Deutsche aus der DDR und Ost-Berlin abwickelte.
Geschichte des Notaufnahmelagers
Nach der Auflösung der letzten sowjetischen Speziallager Sachsenhausen, Buchenwald und Bautzen, zogen seit 1948 zunehmend Menschen aus der damaligen Sowjetischen Besatzungszone in die Westzonen bzw. nach West-Berlin. Speziell für Berlin war dieser Zustrom angesichts der katastrophalen Versorgung mit Wohnraum ein großes Problem. Zu ihrer Betreuung wurde am 18. Januar 1950 die Notaufnahmestelle in der Kuno-Fischer-Straße, in Berlin-Charlottenburg eröffnet. Sie wurde im August 1953 von dem neu gebauten zentralen Notaufnahmelager in Marienfelde abgelöst.
Mit der Übernahme des Bundesnotaufnahmegesetzes in West-Berlin mit Wirkung ab 4. Februar 1952 kam die Planung eines zentralen Notaufnahmelagers des Bundes im Westteil der Stadt langsam in Fahrt.
Ab Mai 1952 verschärfte sich für West-Berlin das Flüchtlingsproblem dramatisch. Der Grenzsicherungsbeschluss der DDR vom 26. Mai 1952 führte dazu, dass die Fluchtwege über die innerdeutsche Grenze und der Grenze zwischen der DDR und West-Berlin schnell versperrt waren. Nur die innerstädtische Sektorengrenze zwischen West- und Ost-Berlin war noch relativ unkontrolliert passierbar. Die städtischen Einrichtungen zur Aufnahme der Flüchtlinge waren überfüllt. Der damalige Berliner Senator für Sozialwesen, Otto Friedrich Bach, führte nach eigenen Angaben einen „Zweifrontenkampf gegen Flüchtlingsnot und Bonner Bürokratie“ bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme.
Am 30. Juli 1952 wurde der Grundstein für das Notaufnahmelager Marienfelde gelegt. Das Gelände an der Marienfelder Allee war Eigentum des Bundes. Die Nähe zum Flughafen Tempelhof und die Anbindung an die S-Bahn waren wahrscheinlich mitbestimmende Faktoren für die Standortwahl.
Der erste Teilabschnitt des Lagers mit zehn Wohnblocks für etwa 2.000 Flüchtlinge wurde am 14. April 1953 eingeweiht. Der Betrieb im Lager begann erst im August 1953 auf dem Höhepunkt einer Flüchtlingswelle als Nachklang des 17. Juni 1953.
Bis 1961 wurde das Lager ständig ausgebaut, war aber dennoch fast immer überbelegt.
Schlagartig gingen die Flüchtlingszahlen nach dem 13. August 1961 durch den Bau der innerstädtischen Grenzsicherungsanlagen auf Nahe Null zurück. Teile des Lagers wurden für Wohnzwecke freigegeben.
Das Lager blieb bestehen, um weiter Flüchtlinge und vor allem Übersiedler aus der DDR und später auch Aussiedler aus anderen Staaten aufzunehmen.
1989 schwoll dann der Flüchtlingsstrom wieder dramatisch an. Die Ausreisemöglichkeiten aus der DDR wurden besser, wodurch die Zahl der Flüchtlinge stieg. Nach dem 9. November 1989 kam es dann zu einem großen Ansturm auf das Lager in Marienfelde. Es wurden Fabrikgebäude in der Nähe angemietet, um mit dem Flüchtlingsstrom fertig zu werden.
Ab 30. Juni 1990 wurde es ruhiger im Lager. 1993 verließen die letzten Flüchtlinge und Übersiedler das Notaufnahmelager Marienfelde. Danach wird das Lager als Zentrale Aufnahmestelle des Landes Berlin für Aussiedler betrieben. Am 31. Dezember 2008 wurde die Aufnahmestelle geschlossen. Die Gedenkstätte mit ihrem angeschlossenen Museum bleibt weiterhin bestehen.
Die Erinnerungsstätte
Auf Initiative von ehemaligen Flüchtlingen, Mitarbeitern des Notaufnahmelagers sowie interessierten Wissenschaftlern gründete sich 1993 der Verein Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde e.V. mit dem Ziel, die Geschichte des Notaufnahmelagers und der deutsch-deutschen Fluchtbewegung zu erforschen, zu dokumentieren und einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Im selben Jahr eröffnete der Verein auf dem Lagergelände eine kleine Ausstellung, die über den historischen Ort, das Aufnahmeverfahren sowie Ursachen und Verlauf von Flucht und Ausreise informierte. 1998 stufte die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde als Gedenkstätte von gesamtstaatlicher Bedeutung ein.
Im April 2005 wurde die seit 1993 bestehende Ausstellung durch die inhaltlich und gestalterisch komplett überarbeitete und erweiterte Dauerausstellung „Flucht im geteilten Deutschland“ abgelöst. Ermöglicht wurde das Projekt durch die finanzielle Förderung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Stiftung Deutsche Klassenlotterie.
Die neue Ausstellung bietet auf rund 450 m² mit über 900 Exponaten und zahlreichen Zeitzeugenberichten ein umfassendes und differenziertes Bild der deutsch-deutschen Fluchtbewegung und beleuchtet damit einen zentralen Aspekt der deutschen Teilung und ihrer Auswirkungen. Beide Seiten der Grenze werden dabei in den Blick genommen und in ihrer Beziehung zueinander dargestellt: Die Motive, die die Menschen dazu bewegten, die DDR zu verlassen, verdeutlichen den Zugriff des diktatorischen Staates bis ins alltägliche Leben des Einzelnen; der weitere Lebensverlauf nach der Flucht – vom Notaufnahmeverfahren bis zur gelungenen (oder gescheiterten) Integration – veranschaulicht die Chancen und Probleme im Westen und die Bedeutung, die die Flüchtlinge aus der DDR für die bundesrepublikanische Politik und Gesellschaft hatten.
Neben der Dauerausstellung zeigt die Erinnerungsstätte regelmäßig Sonderausstellungen und arbeitet an der kontinuierlichen Erweiterung ihrer Sammlung. Sammlungsschwerpunkte bilden die materielle Überlieferung des Ortes und lebensgeschichtliche Zeugnisse von Zeitzeugen, die Aufschluss über die Verfolgungserfahrungen in der DDR sowie über die Aufnahme und die Integrationserfahrungen in der Bundesrepublik geben. Darüber hinaus baut die Erinnerungsstätte seit 1996 ein Zeitzeugenarchiv auf, das bereits einen Bestand von über hundert Ton- und Videointerviews mit ehemaligen DDR-Flüchtlingen und Übersiedlern umfasst.
Am 11. September 2008 beschloss das Abgeordnetenhaus von Berlin, zum Jahrestag des Falls der Berliner Mauer am 9. November 2008 die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde und die Gedenkstätte Berliner Mauer in der landeseigenen Stiftung Berliner Mauer zusammenzufassen.
Literatur
- Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde e.V. (Hrsg.): 1953-2003 50 Jahre Notaufnahmelager Marienfelde.
- Bettina Effner und Helge Heidemeyer (Hrsg.): Flucht im geteilten Deutschland. Berlin 2005.
- Helge Heidemeyer: Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR 1945/1949-1961. Die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik bis zum Bau der Berliner Mauer. Düsseldorf 1994.
- Günter Köhler: Notaufnahme. Berlin 1991.
- Damian van Melis und Henrik Bispinck (Hrsg.): Republikflucht“. Flucht und Abwanderung aus der SBZ/DDR 1945 bis 1961. München 2006.
- Elke Kimmel: Das Notaufnahmeverfahren. In: Deutschland Archiv. Jg. 2006, Nr. 6, S. 1023-1032.
- Charlotte Oesterreich: Die Situation in den Flüchtlingslagern für DDR-Zuwanderer in den 1950er und 1960er Jahren. "Die aus der Mau-Mau-Siedlung". Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2008, ISBN 978-3-8300-3498-8.
- Julia Franck: Lagerfeuer, Roman, 2003
- Elke Kimmel: "...war ihm nicht zuzumuten, länger in der SBZ zu bleiben". DDR-Flüchtlinge im Notaufnahmelager Marienfelde, hrsg. von der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, Berlin 2009, Metropol-Verlag, ISBN 978-3-940938-36-7 [1]
Weblinks
- Commons: Notaufnahmelager Marienfelde – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
- Homepage der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde
- Zentrale Aufnahmestelle des Landes Berlin für Aussiedler (ZAB)
- Eintrag 09097759 in der Berliner Landesdenkmalliste
Koordinaten: 52° 25′ 13″ N, 13° 22′ 0″ O