Publicani

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Publicani, eingedeutscht Publikanen, waren allgemein diejenigen im alten Rom, die Staatsaufträge übernahmen. Im engeren Sinne zeichnete sich das Publikanen-Geschäft dadurch aus, dass der Interessent einen Auftrag ersteigerte, also zur Durchführung des Auftrages in Vorleistung ging. Zumeist schlossen sich dafür mehrere Publikanen zu einer Gesellschaft, einer societas publicanorum, zusammen.[1]

Im Deutschen unüblich ist die Bezeichnung der Publicani als Publikaner; damit werden vielmehr die Katharer bzw. ihnen nahestehende Gruppen des 12. Jahrhunderts bezeichnet.

Das System der privatwirtschaftlichen Tätigkeit im Auftrag des Staates, dessen Blütezeit vom zweiten vorchristlichen bis zum ersten nachchristlichen Jahrhundert anzusetzen ist, gab dem römischen Staat die Möglichkeit, weit ausgreifend zu handeln, ohne die stadtstaatlichen Verwaltungsstrukturen entsprechend anpassen zu müssen: Risiko und organisatorischer Aufwand lagen ganz bei Privatleuten. Als Verfahren mittelbarer staatlicher Herrschaft bettet sich das Publikanensystem daher in die gerade für die Anfangszeit des römischen Großstaates typische Verfahrensweise der indirect rule im Verhältnis zu den unterworfenen Gebieten ein.

Beziehen sich frühe Beispiele publikanischer Tätigkeit auf römische Bauprojekte, so sind die Publikanen nicht zuletzt deshalb in die Geschichte eingegangen, weil sie in manchen römischen Herrschaftsgebieten das Recht der Steuereintreibung hatten (sogenannte Steuerpacht). Unter günstigen Bedingungen bot diese Pacht hervorragende Renditen, das heißt, das eingesetzte Kapital konnte bisweilen um ein Vielfaches wieder hereingeholt werden. Während der römische Staat also kurzfristig und relativ risikolos in den Genuss von Geldmitteln kam, konnten die Publikanen mittelfristig große Gewinne einstreichen. Da die Senatoren in der späten Republik keine Handels- und Schiffsgeschäfte mehr ausüben durften (besonders nach der Lex Claudia de nave senatorum von 218 v. Chr.), begünstigte die römische Praxis der Staatspacht den wirtschaftlichen Aufstieg des Standes der equites (Ritter), deren publikanisch tätige Mitglieder auch bisweilen geradezu als eigener Stand bezeichnet wurden (ordo publicanorum). Der wirtschaftliche Aufstieg resultierte also nicht nur aus dem einbehaltenen, manchmal übermäßigem Anteil an den einzutreibenden Steuern, sondern auch aus der damit verbundenen Möglichkeit, sich wirtschaftlich zu betätigen, z. B. als Getreidehändler und Geldverleiher.

Auswüchse des Systems in der Provinz Asia

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Die Publikanen der römischen Provinz Asia organisierten beispielsweise auch den Handel mit kleinasiatischen Sklaven, die als Leibeigene ihrer Landesherren von diesen nach Italien verkauft wurden. Wegen ihrer Rücksichtslosigkeit waren sie bei der einheimischen Bevölkerung und den Kaufleuten verhasst.[2] König Mithridates von Pontos ließ im Ersten Mithridatischen Krieg nach antiken Quellen in der Vesper von Ephesos angeblich 80.000 Publicani und andere Italiker in der Provinz Asia töten – diese zweifellos übertriebene Zahl verdeutlicht, welchen Schock diese Nachricht in Rom auslöste – und versprach den Städten, die sich einer von ihm unterstützten Rebellion gegen die Römer anschlossen, fünf Jahre Steuerfreiheit.[3] Seit der Zeit Sullas gab es Versuche, die Steuern der Städte in den kleinasiatischen Provinzen direkt von den Provinzialverwaltungen einzutreiben. Nach Ende der Mithridatischen Kriege lebte die räuberische Verwaltungspraxis jedoch wieder auf. Lucius Licinius Lucullus versuchte mit geringem Erfolg, sie zu reformieren.[4] Erst Quintus Tullius Cicero gelang es als Statthalter der Provinz Asia um 60 v. Chr., einige verheerende Auswüchse des Systems, vor allem die Überbesteuerung, einzudämmen.

Vor- und Nachteile des Systems

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Das System der Publikanen im Bereich der Steuer- bzw. Abgabenerhebung ermöglichte es der immer noch wie ein Stadtstaat organisierten Römischen Republik, in einer Phase schneller Expansion eine Zeitlang an ihrem alten Verwaltungssystem festzuhalten und den aufwändigen Aufbau einer große Teile des östlichen Mittelmeerraums umspannenden straffen Finanzverwaltung zunächst zu vermeiden. In modernen Kategorien würde man vom Outsourcing wichtiger Kernaufgaben einer staatlichen Verwaltung sprechen. Das System der Publikanen brachte jedoch auch große Nachteile mit sich, die letztlich dazu führten, dass es überwunden bzw. verändert werden musste:

Überbietung
Der Wettbewerb zwischen verschiedenen Bietern konnte leicht zu einer Übersteigerung führen, das heißt, zu Aufwendungen, die nachfolgend nicht mehr gedeckt werden konnten
Fehlende Nachhaltigkeit
Da das Steuereintreibungsrecht immer nur für eine gewisse Zeitspanne (lustrum) in einem bestimmten Raum galt, bestand bei den Nutznießern kein besonderes Interesse, die örtlichen Ressourcen über den Zeitraum hinaus zu schonen
Fehlende Flexibilität
Da der Publikan mit großen Geldmitteln auf eigenes Risiko in Vorleistung gegangen war, bestand für ihn die Notwendigkeit, die Steuern bzw. Abgaben unabhängig davon einzutreiben, ob die örtlichen Bedingungen diese Abgabenlast überhaupt erlaubten (z. B. bei Missernten, die in der von Regenfällen abhängigen Landwirtschaft der Provinz Asia nicht selten waren, oder bei erfolgreichen Überfällen von Piraten auf Schiffe)
Fehlende staatliche Kontrolle
Da das Publikanen-System anstelle staatlicher Strukturen funktionierte, ergab sich das Problem der fehlenden Missbrauchskontrolle durch den Staat
Eigendynamik des Systems
Das Verhalten der Publikanen als allmächtige „Herrscher“ vor Ort führte zu zahlreichen Konflikten mit der einheimischen Bevölkerung, für deren Kosten oft der römische Staat aufkommen musste.

Ähnliche Systeme

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Das römische System der Steuerpächter verbreitete sich im Mittelalter über die italienischen Stadtstaaten in vielen romanischen Ländern und auch im Rheinland. In Frankreich existierte es mit vergleichbaren Vor- und Nachteilen bis zur Französischen Revolution. Seit dem 16. Jahrhundert erfolgte die Steuereintreibung auch im Osmanischen Reich oft in Steuerpacht (iltizam, später malikâne) durch einen Steuerpächter (mültezim).

Allgemeines
  • Géza Alföldy: Römische Sozialgeschichte. 4. Aufl. Steiner, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-515-09841-0 (EA Wiesbaden 1984).
  • Géza Alföldy: Die römische Gesellschaft. Struktur und Eigenart. In: Ders. (Hrsg.): Die römische Gesellschaft. Ausgewählte Beiträge (Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigraphische Studien; 1). Steiner, Stuttgart 1986, ISBN 3-515-04610-0, S. 41–68.
  • Jochen Bleicken: Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches Bd. 1 (UTB für Wissenschaft). 4. Aufl. Schöningh, Paderborn 1995, ISBN 3-8252-0838-9.
  • Peter Brunt: Social Conflicts in the Roman Republic. Hogarth Books, London 1986, ISBN 0-7012-0730-2 (EA London 1971).
  • Karl Christ: Grundfragen der römischen Sozialgeschichte. In: Werner Eck, Hartmut Galsterer, Hartmut Wolff (Hrsg.): Studien zur Sozialgeschichte. Festschrift Friedrich Vittinghoff (Kölner Historische Abhandlungen; 28). Böhlau, Köln 1980, ISBN 3-41201180-0, S. 197–228.
  • Werner Dahlheim: Gewalt und Herrschaft. Das provinziale Herrschaftssystem der römischen Republik. DeGruyter, Berlin 1977, ISBN 3-11-006973-3.
  • Francesco De Martino: Storia economia di Roma antica. La Nuova Italia, Florenz 1980 (2 Bde.)
    • deutsch: Wirtschaftsgeschichte des Alten Rom. 3. Aufl. Beck, München 1991, ISBN 3-406-30619-5.
  • Walter Eder (Hrsg.): Staat und Staatlichkeit in der römischen Republik. Akten eines Symposions, 12.-15. Juli 1988 FUB. Steiner, Stuttgart 1990, ISBN 3-515-05539-8.
  • Walter Hörberg: Die römische Provinzialverwaltung auf Sizilien und deren Prinzipien bis zum Ende der Republik. Dissertation Universität Erlangen 1966.
  • Keith Hopkins: Sociological Studies in Roman History. CUP, Cambridge 1981/83.
  1. Conqueros and slaves. 1981.
  2. Reath and renewal. 1983, ISBN 0-521-24991-0.
  • Helmuth Schneider: Wirtschaft und Politik. Untersuchungen zur Geschichte der späten römischen Republik (Erlanger Studien; 3). Palm & Enke, Erlangen 1974 (zugl. Dissertation Universität Marburg 1973)
  • Helmuth Schneider (Hrsg.): Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der römischen Kaiserzeit (Wege der Forschung; 552). Wissenschaftliche Buchgemeinschaft, Darmstadt 1981, ISBN 3-534-07806-3.
  • Helmuth Schneider (Hrsg.): Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der späten Römischen Republik (Wege der Forschung; 413). Wissenschaftliche Buchgemeinschaft, Darmstadt 1976, ISBN 3-534-06388-0.
Speziell zu den „Publicani“
  • Ernst Badian: Publicans and sinners. Private enterprise in the service of the Roman Republic. University Press, Ithaca 1983, ISBN 0-8014-9241-6.
    • deutsch: Zöllner und Sünder. Unternehmer im Dienst der römischen Republik. Wissenschaftliche Buchgemeinschaft, Darmstadt 1997, ISBN 3-534-13143-6.
  • Maria Rosa Cimma: Ricerche sulle società di publicani. Giuffrè, Mailand 1981.
  • Konrad Dietrich: Die rechtlichen Grundlagen der Genossenschaften der römischen Staatspächter. Verlag Klinkicht, Meissen 1898/99. (zugl. Jahresbericht der Fürsten- und Landesschule St. Afra)
  1. Die rechtliche Natur des societates publicanorum. 1898.
  2. Fortsetzung und Ende. 1899.
  • Ulrike Malmendier: Societas publicanorum. Staatliche Wirtschaftsaktivitäten in den Händen privater Unternehmer (Forschungen zum römischen Recht; 49). Böhlau, Köln 2002, ISBN 3-412-12201-7 (zugl. Dissertation, Universität Bonn 2001).

Einzelnachweise

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  1. Peter Lichtenberger: WIRTSCHAFT - Das römische Steuersystem - Die Steuererhebung. In: imperium-romanum.com. Abgerufen am 5. Februar 2018: „In den Provinzen der republikanischen Zeit wurden die Steuern durch publicani (Steuerpächter) eingehoben. Meistens handelte es sich dabei um Männer aus dem Ritterstand, die sich zu einer societas publicanorum (Pachtgesellschaft) zusammengeschlossen hatten.“
  2. Michael Rostovtzeff: Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt. Band 2, Darmstadt 1998, S. 618 f., 645.
  3. Charles Adams: For Good and Evil: The Impact of Taxes on the Course of Civilization. Rowman & Littlefield 1993, S. 91 f.
  4. Plutarch: Leben des Lucullus 4,1.