Raymond Federman

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 8. Oktober 2009 um 21:58 Uhr durch Bernardoni (Diskussion | Beiträge) (→‎Leben). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Raymond Federman (* 15. Mai 1928 in Montrouge, Frankreich; † 6. Oktober 2009[1] in San Diego) war ein französisch-amerikanischer Schriftsteller und Gelehrter.

Raymond Federman, Köln, Buchhandlung Bittner, 20. Juni 2006
Datei:Federmann bei bittner.mpg.OGG
Raymond Federman während einer Lesung in der Kölner Buchhandlung Bittner am 20. Juni 2008

Leben

Raymond Federman war jüdischer Herkunft und wuchs in Frankreich auf. Als die französische Polizei im Auftrag der deutschen Besatzungsmacht am 16. und 17. Juli 1942 bei einer groß angelegten Razzia in Paris fast 13.000 jüdische Bürger verhaftete, drangen Polizisten auch in die Wohnung der Familie Federman ein. Federmans Mutter versteckte ihren 14jährigen Sohn spontan in einem Schrank. Während Federmans Eltern und seine beiden Schwestern in Auschwitz ermordet werden, überlebte Raymond Federman. Nach seiner Emigration in die USA 1947 lebte er dort anfänglich als Gelegenheitsarbeiter und Jazz-Saxofonist. 1951 meldete er sich aufgrund der Aussicht, danach ein Stipendium für ein Studium zu erhalten, zum Militärdienst in der US Army und sollte als Fallschirmjäger im Korea-Krieg eingesetzt werden. Dazu kam es jedoch nicht, da er wegen seiner Französisch-Kenntnisse in Tokio bei einer Übersetzerkompanie der Armee blieb. 1953 wurde er amerikanischer Staatsbürger und nahm 1954 an der Columbia-Universität ein Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft auf. Dieses schloss er 1958 mit einem Master of Arts ab und unterrichtete in den folgenden Jahren (1959 bis 1964) an der Universität von Santa Barbara. 1963 promovierte er an der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA) mit einer Dissertation über Samuel Beckett, dem er freundschaftlich verbunden war. Von 1964 an arbeitete Federman als Dozent an der State University of New York in Buffalo. Auch als er später als freier Schriftsteller leben konnte, hatte er mehrfach Gastprofessuren inne und hielt Vorlesungen an amerikanischen wie europäischen Hochschulen. [2]

Raymond Federman verstarb nach langem Krebsleiden am 6. Oktober 2009.

Werk

Für Raymond Federman blieb das Überleben des Holocaust ein zentraler Impuls für seine literarische Praxis. Insbesondere in seinem Roman „Die Stimme im Schrank" thematisierte er seine „wirkliche Geburt" (Federman). Doch auch die Vielzahl seiner anderen Werke kreist um das Lebensthema von Schuld und Verlassenheit – warum ausgerechnet er (und nicht seine Schwestern) von der Mutter versteckt wurde und er daher den Holocaust überlebte. Raymond Federman verfasste seine Werke (Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays) in Französisch wie Englisch und übersetzte sie gelegentlich auch selbst. Raymond Federman, der erst mit 20 Jahren Englisch lernte, empfindet seine Zweisprachigkeit als Bereicherung für sein literarisches Schaffen. Obwohl er das Englische als Literatursprache bevorzugte, verfasste er zwei seiner Romane zunächst auf Französisch und übersetzte sie erst anschließend ins Englische: La Fourrure de ma tante Rachel (1996) und Mon corps en neuf parties (2002). An der Übersetzung von La Fourrure de ma tante Rachel arbeitete er zwei Jahre lang intensiv mit der Übersetzerin Patricia Privat-Standley zusammen, wie er in einem Interview mit Alyson Waters 2001 erläuterte. Federman veröffentlichte zudem ein bilinguales Werk The Voice in the Closet/La voix dans le cabinet de débarras (1979). Federman erhielt 1986 den American Book Award für sein Werk Smiles on Washington Square. Unmittelbar mit seinem Roman-Erstling „Double or Nothing“ (Alles oder Nichts) wurde Federman international bekannt. In diesem Werk verband der Autor konkrete Poesie und Prosa. Während seiner Poetik-Vorlesungen 1990 in Hamburg kreierte Federman den Begriff der 'Surfiction'. Mit diesem Begriff bezeichnete er Literatur, welche die Frage von konstruierter bzw. imaginierter Wirklichkeit thematisiert. Mit Texten, die Federman zu dieser Gattung zählte, arbeitete er von 1993 an über viele Jahre hinweg eng mit dem Aachener Jazz-Ensemble ART DE FAKT zusammen.

Schriften

  • Journey into Chaos : Samuel Beckett's Early Fiction (1965)
  • Among the Beasts / Parmi Les Monsters (1967)
  • Samuel Beckett, His Works and His Critics: An Essay in Bibliography (1970) with John Fletcher
  • Double or Nothing (1971), dt. Alles oder nichts : Roman, Nördlingen: Greno, 1986. Deutsch von Peter Torberg
  • Amer Eldorado (1974)
  • Me Too (1975)
  • Surfiction: Fiction Now and Tomorrow (1975) editor
  • Take It Or Leave It (1976), dt. Take it or leave it : eine übertriebene Geschichte aus zweiter Hand, im Stehen oder Sitzen laut zu lesen - Frankfurt am Main : Rogner und Bernhard bei Zweitausendeins, 1998. Deutsch von Peter Torberg
  • The Voice in the Closet/La voix dans le cabinet de débarras (1979), bilinguales Werk - Selbstübersetzung, in Deutschland erschien eine dreisprachige Ausgabe: Die Stimme im Schrank, Hamburg : Kellner, 1989- Deutsch von Peter Torberg und Sylvia Morawetz
  • The Twofold Vibration (1982), dt. Die Nacht zum 21. Jahrhundert oder aus dem Leben eines alten Mannes : Roman, Nördlingen : Greno, 1988, Neuausgabe: Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1991.
  • To Whom It May Concern (1990), dt. Betrifft: Sarahs Cousin : Roman, Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1991. Deutsch von Peter Torberg
  • Now Then / Nun denn (1992) poems. Deutsch von Peter Torberg
  • Critifiction: Postmodern Essays (1993)
  • Smiles on Washington Square (1995), dt. Eine Liebesgeschichte oder sowas : Roman, Nördlingen : Greno, 1987, [2. Aufl.]. - [Frankfurt (Main)] : Suhrkamp, 1995. Deutsch von Peter Torberg
  • The Supreme Indecision of the Writer: The 1994 Lectures in Turkey. (1995)
  • A Voice within a voice. Federman translating / Translating Federman (1996)
  • La Fourrue de ma tante Rachel (1996)
  • Loose Shoes (2001), Offene Schuhe : eine Art Lebensgeschichte, Berlin : Weidler, 2002.
  • Aunt Rachel's Fur (2001), Selbstübersetzung von La Fourrure de ma tante Rachel, dt. Der Pelz meiner Tante Rachel : ein improvisierter Roman ..., Aus dem Franz. von Thomas Hartl. - 1. Aufl.. - Leipzig : Faber und Faber, 1997.
  • Mon corps en neuf parties (2002)
  • The Song of the Sparrow (2002)
  • Here and Elsewhere: Poetic Cul de Sac (2003)
  • The Precipice and Other Catastrophes (2003)
  • My Body in Nine Parts (2005), Selbstübersetzung von Mon corps en neuf parties / Raymond Federman. Photos de Steve Murez. - Berlin : Weidler, 2002.
  • Mein Körper in neun Teilen, Matthes & Seitz Berlin, 2008, ISBN 978-3-88221-706-3. Deutsch von Peter Torberg
  • Spieltexte = Playtexts / Raymond Federman. Aus dem Amerikan. von Peter Torberg. Fototeil: Renate von Mangoldt. Literarisches Colloquium Berlin ; Berliner Künstlerprogramm des DAAD. - Berlin : LCB, 1990
  • Surfiction: Der Weg der Literatur : Hamburger Poetik-Lektionen, Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1992. Deutsch von Peter Torberg
  • Eine Version meines Lebens : die frühen Jahre , - Augsburg : Maro-Verl., 1993. Deutsch von Peter Torberg
  • The Twilight of the Bums with George Chambers, dt. Penner-Rap, Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1998. Deutsch von Peter Torberg
  • 99 hand-written poems = 99 poèmes faits-à-la-main - Berlin : Weidler, 2001
  • Amer Eldorado 2/001 : récit exagéré à lire à haute voix assis debout ou couché, Berlin : Weidler, 2001.
  • Pssst! - Geschichte einer Kindheit. Aus dem Franz. von Andrea Spingler. Bonn: Weidle, 2008

Literatur

  • Larry McCaffery, Thomas Hartl u. Doug Rice (Ed.): Federman A to X-X-X-X. A Recyclopedic Narrative. San Diego: San Diego U P, 1998.
  • Waters, Alyson/Federman, Raymond: Interview with Raymond Federman. Pour commencer parlons d’autre chose. In: Sites 5:2, 2001 S. 242-248.


Einzelnachweise

  1. Artikel in der "The Buffalo News"
  2. Tonspuren: Ich habe keine Geschichte. Die Geschichte ist mein Leben., Eine Hommage von Wolfgang Ritschl zum 80. Geburtstag von Raymond Federman, 2. Mai 2008

Vorlage:PND