Richtlinie (EU) 2019/633 über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette

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Richtlinie (EU) 2019/633

Titel: Richtlinie (EU) 2019/633 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette
Geltungsbereich: EU
Rechtsmaterie: Zivilrecht und Verwaltungsrecht
Grundlage: AEUV, insbesondere Artikel 43 Absatz 2
Inkrafttreten: 30. April 2019
In nationales Recht
umzusetzen bis:
1. November 2021
Umgesetzt durch: Unionsmitgliedstaaten
Fundstelle: ABl. L 111 vom 25.4.2019, S. 59
Volltext Konsolidierte Fassung (nicht amtlich)
Grundfassung
Regelung muss in nationales Recht umgesetzt worden sein.
Hinweis zur geltenden Fassung von Rechtsakten der Europäischen Union

Die Richtlinie (EU) 2019/633 (auch UTP-RL[1][2]) dient dazu, unlautere Handelspraktiken (uHP)[3] in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette zu verhindern.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Problematik der Anwendung unlauterer Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette ist seit langem bekannt. Bereits im 19. Jahrhundert entstanden bäuerliche Einkaufsgemeinschaften, Vermarktungsgenossenschaften (z. B. Friedrich Wilhelm Raiffeisen, Franz Michael Felder etc.) und andere Vereinigungen, um missbräuchliche Praktiken großer Handelsunternehmen und von Einkäufern bzw. Zwischenhändlern zu verhindern bzw. Alternativen für die Lebensmittel produzierenden Bauern dazu aufzubauen. Lange Zeit wurde das Problem nur auf Ebene der Unionsmitgliedstaaten zu lösen versucht (z. B. Nahversorgergesetz in Österreich[4]).

Um ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen den Beteiligten der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette zu erreichen, hat die Europäische Kommission seit 2009 Informationen veröffentlicht und Empfehlungen ausgesprochen, um die Problematik aufzuzeigen.[5] Daraufhin forderte das Europäische Parlament in einer Entschließung vom 7. Juni 2016[6] die Kommission auf, einen Rechtsvorschlag auszuarbeiten. Der Rat der Europäischen Union folgte mit einer Schlussfolgerung vom 12. Dezember 2016. Die Kommission ist daraufhin tätig geworden und es wurden öffentliche Konsultationen etc. durchgeführt und schlussendlich 2018 ein Vorschlag für eine Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette vorgelegt.

Ziele und Zweck der Richtlinie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ziele und Zweck der Richtlinie ist es, unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette zu verhindern. In der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette bestehen oft erhebliche Ungleichgewichte in Bezug auf die Verhandlungsmacht von Lieferanten und Käufern von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen. Diese Ungleichgewichte bei der Verhandlungsmacht haben mit hoher Wahrscheinlichkeit unlautere Handelspraktiken zur Folge, wenn bei einem Verkauf größere und mächtigere Handelspartner versuchen, bestimmte für sie vorteilhafte Praktiken oder vertragliche Vereinbarungen durchzusetzen. Solche Praktiken können beispielsweise gröblich von der guten Handelspraxis abweichen, gegen das Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs verstoßen und einem Handelspartner einseitig von einem anderen aufgezwungen werden; oder das wirtschaftliche Risiko auf unbegründete und unverhältnismäßige Art und Weise von einem Handelspartner auf einen anderen abwälzen; oder einem Handelspartner in einem erheblichen Missverhältnis zueinander stehende Rechte und Pflichten auferlegen. Bestimmte Praktiken könnten offensichtlich unlauter sein, selbst wenn beide Parteien zustimmen.[7]

Die Richtlinie unterscheidet dabei zwischen absolut verbotenen Handelspraktiken (Artikel 3 Abs. 1) und relativ verbotenen (Artikel 3 Abs. 2). Relativ verbotene Handelspraktiken können, wenn diese zuvor klar und eindeutig in der Liefervereinbarung oder in einer Folgevereinbarung zwischen dem Lieferanten und dem Käufer vereinbart wurden, zulässig sein. Die Unionsmitgliedstaaten können jedoch auch relativ verbotene Handelspraktiken im nationalen Gesetz als absolut verbotene normieren.[8]

Bestimmungen aus der Richtlinie (EU) 2019/633[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Weiteren werden ausgesuchte, spezielle Bestimmungen aus der Richtlinie (EU) 2019/633 aufgezeigt. Diese Aufzählungen sind nicht vollständig.

Von der Richtlinie betroffene Einrichtungen und Personen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Um unlautere Handelspraktiken in Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette zu verhindern, gilt diese Richtlinie nicht nur für Unternehmen (natürliche und juristische Personen) in der Europäischen Union (EU), sondern auch für Unternehmen aus Drittstaaten, welche die Lebensmittelversorgungskette in der EU beliefern wollen, sowie auch staatliche Einrichtungen.[9] Dies hat den Grund darin, dass unlautere Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette zu Einkommensunsicherheit, Lebensmittelverschwendung, niedrigen Lebensmittelstandards und moderner Sklaverei, und zwar sowohl in der EU als auch über ihre Grenzen hinaus führen können.[10] Die Richtlinie gilt nicht für Handelsbeziehungen zwischen Unternehmen und Privatpersonen.

Wegen der unterschiedlichen Marktmacht von produzierenden und kaufenden Marktteilnehmern bestehen Jahresumsatzschwellenwerte, ab denen eine unlautere Handelspraktik verboten ist.[11]

Besonderheiten des Agrar- und Lebensmittelerzeugungssektors[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neben den für alle Unternehmen bestehenden Geschäftsrisiken kommen in der landwirtschaftlichen Erzeugung aufgrund ihrer Abhängigkeit von biologischen Prozessen und wegen ihrer Anfälligkeit für Witterungsverhältnisse weitere Geschäftsrisiken besonders stark zum Tragen. Diese Unsicherheit wird noch dadurch verschärft, dass Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse mehr oder weniger leicht verderblich und saisonabhängig sind.[12]

Mindeststandard[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Durch die RL 2019/633 soll ein Mindeststandard zum Schutz vor unlauteren Handelspraktiken eingeführt werden, um solche Praktiken einzudämmen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit negative Auswirkungen auf den Lebensstandard der landwirtschaftlichen Bevölkerung haben. Gemäß dem mit dieser Richtlinie verfolgten Konzept der Mindestharmonisierung können die Mitgliedstaaten nationale Vorschriften für unlautere Handelspraktiken erlassen oder beibehalten, die über die in dieser Richtlinie aufgeführten Praktiken hinausgehen.[7]

Rechtsbehelfe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Um die Vorgaben der Richtlinie 2019/633 durchsetzen zu können, müssen die Unionsmitgliedstaaten eine oder mehrere Durchsetzungsbehörden[13] bestimmen. Bei dieser können sich Betroffene vertraulich beschweren.[14]

Zusätzlich können die Unionsmitgliedstaaten alternative Streitbeilegungsverfahren vorsehen (z. B. Mediation).[15]

Anwendungszeitraum[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die aus der Richtlinie (EU) 2019/633 gewährleisteten Rechte gelten ab dem 1. November 2021.

Geltungsbereich der Richtlinie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Geltungsbereich der Richtlinie (EU) 2019/633 vom 17. April 2019 erstreckt sich auf die Unionsmitgliedstaaten, indirekt aber auch auf die Mitgliedstaaten des EWR: Island, Liechtenstein bzw. Norwegen[16] und alle anderen Drittstaaten, nicht aber zwischen diesen.

Rechtsgrundlage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Erlass der Richtlinie (EU) 2019/633 wurde insbesondere auf Artikel 43 Abs. 2 AEUV gestützt (Gestaltung und Durchführung der Gemeinsamen Agrarpolitik).[17] Die Richtlinie wurde vom Rat und dem Europäischen Parlament im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens erlassen.

Aufbau der Richtlinie (EU) 2019/633[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Richtlinie (EU) 2019/633 vom 17. April 2019 hat folgenden Aufbau:

  • Erwägungsgründe
  • Artikel 1 (Gegenstand und Anwendungsbereich)
  • Artikel 2 (Begriffsbestimmungen)
  • Artikel 3 (Verbot unlauterer Handelspraktiken)
  • Artikel 4 (Benannte Durchsetzungsbehörden)
  • Artikel 5 (Beschwerden und Vertraulichkeit)
  • Artikel 6 (Befugnisse der Durchsetzungsbehörden)
  • Artikel 7 (Alternative Streitbeilegung)
  • Artikel 8 (Zusammenarbeit zwischen den Durchsetzungsbehörden)
  • Artikel 9 (Nationale Vorschriften)
  • Artikel 10 (Berichterstattung)
  • Artikel 11 (Ausschussverfahren)
  • Artikel 12 (Bewertung)
  • Artikel 13 (Umsetzung)
  • Artikel 14 (Inkrafttreten)
  • Artikel 15 (Adressaten)

Umsetzung der Richtlinie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diese Richtlinie wurde am 17. April 2019 unterzeichnet und ist am 30. April 2019 in Kraft getreten.[18] Die Richtlinie war gemäß Artikel 13 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2019/633 bis zum 1. Mai 2021 von den Unionsmitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen und die in der Richtlinie genannten Maßnahmen waren bis längstens ab 1. November 2021 innerstaatlich anzuwenden.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Unfair Trading Practices. Richtlinie (EU) 2019/633 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette (ABl. EU Nr. L 111, 59).
  2. engl.: Directive (EU) 2019/633 of the European Parliament and of the Council of 17 April 2019 on unfair trading practices in business-to-business relationships in the agricultural and food supply chain.
  3. Siehe zu diesem Begriff Artikel 3 der RL 2019/633.
  4. BGBl. Nr. 392/1977, heute als Faire-Wettbewerbsbedingungen-Gesetz bezeichnet. Die Vorschriften der Unionsmitgliedstaaten zur Eindämmung solcher unlauteren Handelspraktiken sind jedoch – sofern überhaupt vorhanden - sehr unterschiedlich.
  5. Mitteilung der Kommission vom 28. Oktober 2009 über die Verbesserung der Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette in Europa. Mitteilung der Kommission vom 15. Juli 2014 gegen unlautere Handelspraktiken zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette. Bericht der Kommission vom 29. Januar 2016 über unlautere Handelspraktiken zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette.
  6. ABl. C 86 vom 6.3.2018, S. 40.
  7. a b Erwägungsgrund 1 der RL 2019/633.
  8. Siehe hierfür z. B. § 20 Agrarorganisationen- und Lieferketten-Gesetz (AgrarOLkG) in Deutschland).
  9. Siehe Erwägungsgründe 11 und 12 der RL 2019/633.
  10. Stellungnahme des Entwicklungsausschusses für den Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung des Europäischen Parlaments, Webseite: europarl.europa.eu vom 26. September 2018, S. 3.
  11. Siehe Artikel 1 Abs. 2 und Erwägungsgründe 14 bis 22 der RL 2019/633.
  12. Erwägungsgrund 6 der Rl 2019/633.
  13. In Österreich z. B. als Erstanlaufstelle für Beschwerden betreffend Handelspraktiken im Zusammenhang mit dem Verkauf von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen benannt.
  14. Siehe Artikel 5, 6, 8 und 10 der RL 2019/633.
  15. Siehe Artikel 7 der RL 2019/633.
  16. Siehe Langtitel der Richtlinie.
  17. Artikel 43 AEUV besteht bereits seit der erste Grundfassung (damals Artikel 43 EGV) des EWG-Vertrags und wurde durch den Vertrag von Lissabon wesentlich verändert. Siehe auch: Antonius Opilio: EUV | EGV | AEU : Synopse der Verträge zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft bzw. Union, Dornbirn 2008, 2. Auflage, EDITION EUROPA Verlag, S. B-90 ff.
  18. Artikel 14 Richtlinie (EU) 2019/633.