Tocharische Sprachen

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Die ausgestorbene tocharische Sprache (siehe auch Tocharer) gehört zur indogermanischen Sprachfamilie und wurde in der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausend n. Chr. im Tarimbecken im heutigen Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang im äußersten Nordwesten Chinas gesprochen.

Tocharisches Manuskript aus dem Bestand der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin

Seit 1890 wurden ungefähr 7.000 Handschriftfragmente vorwiegend aus dem 5. bis 8. Jahrhundert entdeckt, die zu 90 % Übersetzungen und Bearbeitungen buddhistischer Sanskritwerke und wie die Originaltexte in der nordindischen Silbenschrift Brahmi geschrieben sind. C14 Datierungen zeigen jedoch, daß noch im 12. Jahrhundert Tocharische Texte abgeschrieben worden sind. 1908 gelang es den deutschen Sprachwissenschaftlern Emil Sieg und Wilhelm Siegling erstmals, die Manuskripttexte zu lesen und ihre Sprache als indogermanisch zu identifizieren.

Sie schlugen den Namen „Tocharisch“ vor und differenzierten die beiden Varianten A und B. Nur in Tocharisch B liegen neben religiösen Texten auch Gebrauchstexte vor (Aufzeichnungen von Klöstern, Handelsdokumente, medizinische Texte). Dies führte zu der Theorie, Tocharisch A sei zum Zeitpunkt der Entstehung der Quellen eine „tote“, rein liturgische Sprache gewesen, Tocharisch B die lebende Alltagssprache.

Nach einer anderen Theorie bilden die beiden Varianten räumlich getrennte Dialekte, wobei Ost-Tocharisch (A) in der Oase Turfan gesprochen worden sei, West-Tocharisch (B) dagegen vorwiegend in der Region um Kucha. (Zum Zusammenhang von Tocharisch und Kuschan siehe unten).

Die Existenz einer dritten Variante des Tocharischen, Tocharisch C genannt, kann in Spuren aus Lehnwörtern in Prakrit-Texten aus der Region um Loulan abgeleitet werden.

Das Tocharische bildet einen eigenen Zweig innerhalb der indogermanischen Sprachfamilie und weist keine enge Verwandtschaft zu den ihm benachbarten indogermanischen Sprachen auf. Auffällig ist, dass es - obwohl es die am weitesten östlich beheimatete indogermanische Sprache ist - zur westlichen Gruppe der Kentumsprachen gehört, nicht zu den östlichen Satem-Sprachen: So heißt das für die Unterscheidung maßgebliche Zahlwort hundert auf Tocharisch A und B känt bzw. kante (vgl. Lateinisch centum, Sanskrit satám). Die Entdeckung, dass das Tocharische eine indogermanische Sprache ist, hat viel dazu beigetragen, dass die Einteilung in Kentum-Sprachen und Satem-Sprachen sehr stark an Bedeutung verloren hat.

Phonologisch unterscheidet sich das Tocharische von nahezu allen anderen indogermanischen Sprachen durch das Zusammenfallen aller Plosive in den drei stimmlosen Plosiven p, t und k.

Grammatisch entspricht das Verb mit der Stammbildung und den Personalendungen deutlich der indogermanischen Struktur; das Substantiv weist Spuren von fünf Kasus auf (Nominativ, Genitiv, Akkusativ, Ablativ und Vokativ) und kennt bei den Numeri neben Singular und Plural auch einen Dual und einen Paral, das Westtocharische außerdem den Distributiv (auch Plurativ genannt).

Der Wortschatz weist Einflüsse des Iranischen und des Sanskrit (vor allem durch die Übernahme buddhistischer Begriffe) auf. Geringeren Einfluss hatte die chinesische Sprache (Gewichtsbezeichnungen und ein Monatsname). Es gab Spekulationen , dass es sich bei den Tocharern um die bei Herodot so genannten Königsskythen handelt.

Wortbeispiele:

Deutsch Tocharisch A Tocharisch B Griechisch Hethitisch
Feuer pur powar pyr pahhur
Vater pacar pacer patēr
Mutter macar macer mátēr
Bruder pracar procer phrātēr
Tochter ckacar tkacer thygatēr
Hund ku ku kýōn
Erde tkarn tkern chthōn tekan

Die Bezeichnung „Tocharisch“ wurde von Sieg und Siegling vorgeschlagen. Sie bezieht sich auf das Volk der Arshoi (Eigenbezeichnung), das in griechischen und lateinischen Quellen als tócharoi bzw. Tochari erwähnt wird. Es soll im 2. Jahrhundert v. Chr. am Oberlauf des Flusses Oxus (heute Amudarja) gelebt haben, nachdem es aus seinem vorherigen Siedlungsgebiet in Gansu (unmittelbar östlich von Xinjiang) vertrieben worden war.

Diese ethnische Zuordnung ist jedoch spekulativ: Sie basiert auf einer Angabe in einem in einer Turksprache verfassten buddhistischen Text, wonach dieser aus der Sprache twgry übersetzt worden sein soll; da der gleiche Text ansonsten nur in Tocharisch A vorliegt, lag die Annahme nahe, dass twgry eben jenes Tocharisch A bezeichnet. Der Schluss, twgry sei die Sprache der tócharoi gewesen, basiert jedoch allein auf der phonetischen Ähnlichkeit beider Namen. Spätere Schriftquellen der ethnisch-tocharischen Oberschicht sind in einer iranischen Sprache verfasst, über ihre ursprüngliche Sprache ist nichts bekannt.

In einer zweisprachigen Quelle (Tocharisch B und Sanskrit) entspricht das Sanskrit-Wort tokharika offenbar dem Tocharisch-B-Wort kucanne. Dies führte zu der Annahme, das Tocharische sei tatsächlich die Sprache des indogermanischen Nomadenstamms der Kuschan (ein Zweig der Yuezhi) gewesen, die daher auch als „echte Tocharer“ bezeichnet werden – Gegensatz zu den arshoi bzw. tócharoi, die demnach „falsche Tocharer“ wären.

Angesichts der verwirrenden Benennungen wurde vor allem in der englischsprachigen Literatur vorgeschlagen, die Bezeichnungen Tocharisch A und B durch Turfanisch (Turfanian) (nach der Oase Turfan) bzw. Kuchisch (Kuchean) (nach Kucha) zu ersetzen. Da die Zuordnung der beiden Varianten zu diesen zwei verschiedenen Regionen jedoch ebenfalls spekulativ ist, hat sich dieser Vorschlag bisher nicht durchgesetzt und die Begriffsverwirrung eher noch vergrößert.

Literatur

  • Emil Sieg, Wilhelm Siegling: Tocharisch, die Sprache der Indoskythen. Vorläufige Bemerkungen über eine bisher unbekannte indogermanische Literatursprache. Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. 1908, 39. Akademie der Wissenschaften, Berlin 1908, 1916.
  • "Tokharian Pratimoksa Fragment Sylvain Levi". The Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland. 1913, pp. 109-120.
  • Mallory, J.P. and Victor H. Mair. The Tarim Mummies. London: Thames & Hudson, 2000. (ISBN 0-500-05101-1)
  • Schmalsteig, William R. "Tokharian and Baltic." Lituanus. v. 20, no. 3, 1974.
  • Krause, Wolfgang and Werner Thomas. Tocharisches Elemantarbuch. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag, 1960.
  • Tamai, Tatsushi. "[1]". “Paläographische Untersuchung und C14-Prüfung. Digitalisierung der chinesischen, tibetischen, syrischen und Sanskrit-Texte der Berliner Turfansammlung, 02. 06. 2005 – Berlin”.
  • Malzahn, Melanie (Ed.). Instrumenta Tocharica. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag, 2007. (ISBN 978-3-8253-5299-8)

Weblinks