Tractatulus de his qui ad ecclesias confugiunt

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Titelseite des Zweitdrucks des Tractatulus

Der Tractatulus de his qui ad ecclesias confugiunt, tam iudicibus secularibus quam ecclesie rectoribus et monasteriorum prelatis perutilis („Kleine Abhandlung über die, die in Kirchen flüchten, sehr nützlich sowohl für weltliche Richter als auch für Kirchenrektoren und Klostervorsteher“) ist eine zunächst anonym erschienene, vorreformatorische lateinische Schrift, die in ihrer zweiten Auflage als Werk Martin Luthers bezeichnet wurde. Sie behandelt Recht und Grenzen des Kirchenasyls. Der Erstdruck wird auf 1517 datiert, die Abfassung jedoch früher.

Entstehung und Textüberlieferung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anders als die späteren Druckschriften Luthers ist der Tractatulus nur in wenigen Exemplaren erhalten. Von der Lutherforschung wurde er jahrhundertelang nicht beachtet.[1] Gedruckt wurde er von Johann Weyssenburger in Landshut 1517 ohne Autorennennung[2] und erneut 1520[3] mit der Verfasserangabe „Doctoris Martini Luttherij Ordinarius[4] Vniuersitatis Wittenbergensis“. Ein weiterer Druck, ohne Verfasser- und Jahresangabe, erschien bei Jakob Köbel in Oppenheim.[5]

Karl Knaake, der den Tractatulus 1883 im ersten Band der Weimarer Ausgabe der Werke Luther edierte[6], hält die Verfasserangabe für zutreffend, sie sei zusätzlich gestützt durch die Einleitung eines Augustinuszitats mit der Formel secundum patrem nostrum s. Augustinum („laut unserem Vater St. Augustinus“), die den Verfasser als Augustiner erweist. Die späteren Bearbeiter der Weimarer Ausgabe ordnen den Tractatulus den „unechten oder zweifelhaften Lutherschriften“ zu.[7]

Über Entstehungszeit und -anlass sind nur Vermutungen möglich. Wenn Luther der Verfasser ist, spiegelt die Schrift sein 1501 begonnenes und 1505 zugunsten des Ordenseintritts abgebrochenes Jurastudium wider und dürfte vor seiner ausschließlichen Hinwendung zur Theologie (Studienbeginn Oktober 1508) entstanden sein. Knaake hält eine Veranlassung durch das Geschick des Erfurter Ratsherrn Heinrich Kellner für möglich, der vor dem aufgebrachten Volk in eine Kirche flüchtete und dort acht Wochen blieb, dann nach seiner Rückkehr ins eigene Haus festgenommen und im Juni 1510 hingerichtet wurde.

Die Schrift wird auch von denen als Indiz herangezogen, die Luthers Ordenseintritt im Juli 1505 für dadurch motiviert halten, dass er einen Mitstudenten im Streit getötet habe und sich der weltlichen Strafverfolgung habe entziehen wollen.[8]

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Schrift bejaht unter Berufung auf biblische, kirchliche und juristische Autoritäten die Unverbrüchlichkeit des Kirchenasyls. Der Zufluchtsuchende müsse für seinen Unterhalt mit Geld oder Arbeit selbst aufkommen. Straffällig gewordenen Klerikern und Ordensleuten könne der zuständige Obere die Immunität entziehen, sofern ihnen nicht, direkt oder als Haftfolge, der Tod drohe.

Digitalisate[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Moderne Ausgaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Karl Knaake: Kommentar und kritische Textausgabe in D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesammtausgabe, Band 1, Weimar 1883, S. 1–7
  • Martin Luther. Traktat über das kirchliche Asylrecht. Aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt und herausgegeben von Barbara Emme unter Mitarbeit von Dietrich Emme, Selbstverlag, Regensburg 1985 (Digitalisat); ohne den textkritischen Kommentar wieder abgedruckt in: Dietrich Emme: Gesammelte Beiträge zur Biographie des jungen Martin Luther. Hrsg. von Richard Niedermeier, Heimbach/Eifel 2016, S. 338–339; 344–349

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Knaake S. 1: „bisher [1883] dem Blick aller Forscher über ihn entgangen“
  2. Vollständiger Titel: Tractatulus de hijs qui ad ecclesias confugiunt tam iudicibus secularibus quam ecclesie rectoribus et monasteriorum prelatis perutilis
  3. Vollständiger Titel: Tractatulus Doctoris Martini Luttherij Ordinarius Universitatis Wittenbergensis: De his qui ad Ecclesias confugiunt: tarn iudicibus secularibus/quarn ecclesie Rectoribus/ et Monasteriorum Prelatis perutilis. Die Zahl 1519 auf dem Schmuckrahmen des Titelblatts hat druckökonomische Gründe (Emme S. 7, entsprechend Knaake).
  4. Dieser Grammatikfehler findet sich sowohl auf der Titelseite als auch am Textbeginn.
  5. Vollständiger Titel auf der Titelseite: Tractatutus [sic!] De his qui ad ecclesias confugiunt. Et de Judicibus qui in ecclesia: et eius atrio Civiles vel criminales causas tractant: placita tenent: et alia contra immunitates Ecclesiarum faciunt. Auf der ersten Textseite entspricht die Überschrift genau dem Titel von Weyssenburgers Erstdruck.
  6. Karl Knaake: Kommentar und kritische Textausgabe. In D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesammtausgabe, Band 1, Weimar 1883, S. 1–7, hier S. 1
  7. D. Martin Luthers Werke. (Weimarer Ausgabe) Band 61: Inhaltsverzeichnis zur Abteilung ‘Schriften’ Band 1–60 nebst Verweisen auf die Abteilungen ‘Deutsche Bibel’, ‘Briefwechsel’, ‘Tischreden’ , Weimar: Böhlau 1983, S. 173
  8. Diese These vertrat etwa Dietrich Emme (Neudruck: Dietrich Emme: Gesammelte Beiträge zur Biographie des jungen Martin Luther. Hrsg. und kommentiert von Richard Niedermeier, Heimbach/Eifel 2016). Sie fand wenig Akzeptanz und wurde vor allem von Otto Hermann Pesch entschieden zurückgewiesen (Otto Hermann Pesch: Warum ging Luther ins Kloster? Eine Polemik gegen eine neue alte Luther-Legende und ihre Anhänger, in: Catholica 39 (1985), S. 255–278).