Urtinotherium

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Urtinotherium
Zeitliches Auftreten
Oberes Eozän bis Unteres Oligozän
37 bis 30 Mio. Jahre
Fundorte
  • Ostasien: nördliches China, Mongolei
  • Zentralasien: Kasachstan
  • Südosteuropa: Rumänien
Systematik
Säugetiere (Mammalia)
Höhere Säugetiere (Eutheria)
Laurasiatheria
Unpaarhufer (Perissodactyla)
Indricotheriidae
Urtinotherium
Wissenschaftlicher Name
Urtinotherium
Chow & Chiu, 1963

Urtinotherium ist eine ausgestorbene Gattung aus der ebenfalls erloschenen Familie der Indricotheriidae, die eng mit den heutigen Nashörnern verwandt war und teilweise riesige Formen ausbildete. Die Gattung lebte vom späten Eozän bis zum mittleren Oligozän vor etwa 37 bis 30 Millionen Jahren und war über Ost- und Zentralasien verbreitet, Einzelfunde stammen auch aus dem südöstlichen Europa. Insgesamt sind aber nur wenige Funde bekannt, beschrieben wurde Urtinotherium im Jahr 1963 von Chow Minchen und Chiu Chan-Siang anhand eines vollständigen Unterkiefers aus der Inneren Mongolei. Urtinotherium erreichte nicht ganz die gewaltigen Ausmaße von Paraceratherium, dem größten bekannten Landsäugetier, ist mit diesem aber eng verwandt.

Merkmale[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Urtinotherium war ein großer Vertreter der Indricotheriidae und erreichte nahezu die Ausmaße von kleineren Angehörigen der Gattung Paraceratherium. Gewichtsangaben variieren von 2,7 bis 6,1 t.[1] Die Form ist von wenigen Funden aus Ost- und Zentralasien beziehungsweise des südöstlichen Europas bekannt, ein umfassendes Skelett liegt nicht vor. Der Holotyp (Exemplarnummer IVPP V.2769) umfasst einen vollständigen Unterkiefer. Dieser war 72 cm lang und besaß damit eine etwas geringere Länge als jener von Paraceratherium, der bei großen Exemplaren insgesamt 83 cm maß. Er hatte eine keilartige Form und war sehr langgestreckt, der Unterkieferkörper wies nur eine relativ geringe Höhe auf, die hinter dem dritten Molaren bei 14,2 cm lag. Die Symphyse war massiv ausgebildet und reichte bis zum Beginn des zweiten Prämolaren. Die Gelenkenden ragten bis zu 35,4 cm auf. Der Unterkiefer besaß die vollständige Bezahnung früher Säugetiere. Dadurch bestand das Vordergebiss aus je drei Schneidezähnen und einem Eckzahn. Dabei war das innere Schneidezahnpaar nach vorn gerichtet und mit einer Kronenlänge von 4,9 cm deutlich vergrößert, so dass es eine dolchartige Form aufwies. Die anderen Schneidezähne und der Eckzahn waren dagegen auffallend kleiner. Zwischen jedem Zahn befand sich ähnlich wie bei seinem stammesgeschichtlich älteren Verwandten Juxia eine kleine Lücke. Aufgrund des Aufbaus des vorderen Gebisses kann der innere, verlängerte Schneidezahn als der einzige funktionale Zahn hier angesehen werden.[2] Die hintere Bezahnung, die durch ein ebenfalls kleines Diastema von der vorderen getrennt war, umfasste vier Prämolaren und drei Molaren. Diese ähnelten in ihrem Aufbau jenen von Paraceratherium mit kleinen Vomahl und großen Mahlzähnen. Letztere waren deutlich niederkronig und hatten nur wenig gefalteten Zahnschmelz. Die Größe der Zähne nahm nach hinten zu, der dritte Molar stellte mit einer Länge von 7,9 und einer Breite von 5,3 cm den größten Zahn dar. Die gesamte Länge Zahnreihe betrug 33 cm, die drei hinteren Backenzähne nahmen davon 61 % ein.[3][4]

Fossilfunde[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Überreste von Urtinotherium stammen überwiegend aus Ost- und Zentralasien, es liegen aber meist nur Kieferfragmente und isolierte Zähne vor, eher selten treten postcraniale Skelettelemente auf. Sie datieren in das Obere Eozän und Untere Oligozän und sind so zwischen 37 und 30 Millionen Jahre alt. Der Holotyp-Unterkiefer wurde Ende der 1950er Jahre in der Urtyn-Obo-Formation des frühen bis mittleren Oligozän in der Inneren Mongolei (China) gefunden.[3] Bedeutend sind auch Funde aus der chinesischen Provinz Yunnan. So stammen unter anderem aus dem Lunan-Becken einige isolierte Oberkieferzähne, die ins Untere Oligozän gestellt werden,[5][6] ebenso wie weitere Backenzähne des Oberkiefers aus Qujing und möglicherweise auch ein isolierter oberer zweiter Molar und einzelne Hand- und Fußknochen wie ein Mittelhandknochen und ein Sprungbein aus Loping.[7][8] Zudem kamen Funde in späteozänen Ablagerungen von Khoer-Dzam in der Mongolei zu Tage. Darüber hinaus konnten auch Funde in Form von isolierten äußeren und inneren Schneidezähnen sowie hinteren Backenzähnen des Unterkiefers aus Aksyir svita im Saissansee-Becken im östlichen Kasachstan entdeckt werden, die ebenfalls ein späteozänes Alter aufweisen.[9] Sein westlichstes Verbreitungsgebiet erreichte Urtinotherium wahrscheinlich in Südosteuropa, wo es in der früholigozänen Mera-Formation bei Fildu de Jos im Kreis Sălaj in Rumänien nachgewiesen wurde. Von hier stammt aus dem unteren Abschnitt der Formation ein etwa 30 cm langes Fragment des Schienbeins, dass aufgrund des Alters und der Größe, das im unteren Variationsbereich von Paraceratherium liegt, allgemein zu Urtinotherium gestellt wird.[10][11]

Systematik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Innere Systematik der Familie der Indricotheriidae nach Wang et al. 2016[12]
 Indricotheriidae 


 Pappaceras


   

 Forstercooperia



   

 Juxia


   

 Urtinotherium


   

 Paraceratherium





Vorlage:Klade/Wartung/Style

Urtinotherium ist eine Gattung aus der ausgestorbenen Familie der Indricotheriidae innerhalb der Überfamilie der Rhinocerotoidea. Die Indricotherien gehören somit zur näheren Verwandtschaft der heutigen Nashörner. Von diesen unterscheiden sich die Indricotheriidae durch die fehlende Hornbildung auf der Nase. Weitere anatomische Unterschiede betreffen unter anderem das vordere Gebiss. Die Indricotherien haben kurze, konische Schneidezähne, aus denen sich bei stammesgeschichtlich jüngeren Formen je ein Paar an großen dolchartig geformten Incisiven im Ober- und Unterkiefer entwickeln. Nashörner werden dagegen durch nur ein dolchartiges Paar im Unterkiefer und durch meißelartige Schneidezähne im oberen Gebiss charakterisiert.[13][14] Die Gattung Urtinotherium repräsentiert neben Paraceratherium eine der moderneren Formen der Indricotherien und entwickelte sich im späten Eozän. Vermutlich geht sie auf Juxia aus dem Mitteleozän Nordchinas zurück, mit dem sie die vollständige Säugetierbezahnung des Unterkiefers teilt. Unterschiede sind der deutlich größere Körperbau und die stärkere Spezialisierung des Vordergebisses bei Urtinotherium verbunden mit der Größenreduktion der äußeren beiden Schneidezahnpaare.[15] Aus Urtinotherium entwickelte sich später Paraceratherium, das größte bisher bekannte Landsäugetier. Dieses weist gegenüber Urtinotherium ein deutlich reduziertes Gebiss mit nur einem Schneidezahnpaar im Unterkiefer und dem Verlust des Eckzahns und des vordersten Prämolaren auf. Die jüngsten Funde dieses großen Nashornartigen stammen aus dem Mittleren Oligozän.[16][17]

Die Erstbeschreibung von Urtinotherium erfolgte 1963 durch Chow Minchen und Chiu Chan-siang anhand des Unterkiefers aus der Urtyn-Obo-Formation, der 1959 während einer chinesisch-sowjetischen Expedition entdeckt worden war. Er gehört zu den am besten erhaltenen Unterkiefern der Indricotherien überhaupt. Als Art benannten die Autoren U. incisivum. Der Gattungsname setzt sich dabei aus der Bezeichnung für die gleichnamige Fundstelle und dem griechischen Wort θηρίον (thērion) für „Tier“ zusammen. Der Artenarme bezieht sich auf die verlängerten Schneidezähne (lat. Dens incisivus).[3] Die ersten aufgefundenen Reste stammen bereits aus dem Jahr 1958 und wurden im Lunan-Becken in Yunnan entdeckt, von Chow Minchen damals aber zur Art Indricotherium parvum gestellt. Die Beschreibung beruhte auf mehreren Oberkieferzähnen, auf deren geringen Größe das dem Lateinischen entlehnte Artepitheton anspielt (von parvus für „klein“). Aufgrund der wenig molarisierten vorderen Backenzähne und den deutlich niedrigen Zahnkronen sah der Erstbeschreiber die Art als besonders ursprünglich innerhalb der Gattung Indricotherium (heute Paraceratherium) an.[5] Im Jahr 1989 wurde Indricotherium parvum mit U. incisivum synonymisiert, ebenso wie Indricotherium qujingensis, dessen Benennung aus dem Jahr 1978 auf isolierten oberen Backenzähnen aus Qujing, ebenfalls Yunnan, basiert, die bezogen auf die Größe nur wenig von denen von Indricotherium parvum abweichen.[18] Einige Wissenschaftler wiesen im Jahr 2007 darauf hin, dass Indricotherium parvum vor Urtinotherium incisivum eingeführt worden war. Der Prioritätsregel der zoologischen Nomenklatur folgend müsste demnach die Typusart Urtinotherium parvum lauten.[19]

Neben der Typusart wird gelegentlich auch U. intermedium als eigenständige Art geführt.[19][20] Deren Beschreibung stammt von Chiu Chan-siang unter der Bezeichnung Indricotherium intermedium aus dem Jahr 1962 unter Berufung auf einen oberen Mahlzahn und einen Mittelhandknochen aus Loping im östlichen Yunnan.[8] Teilweise wird auch Turpanotherium als identisch mit Urtinotherium gesehen. Diese Gattung basiert auf Indricotherium yagouense, einem kleineren Vertreter der späten Indricotherien, der aber durch höherkronige Molaren und durch das Fehlen der oberen Schneidezähne ausgezeichnet ist. Die Beschreibung erfolgte 2004 ebenfalls durch Chiu Chan-siang und Forscherkollegen auf Grundlage eines vollständigen Schädels ohne Unterkiefer, der im unteren Teil der Jaozigou-Formation nahe Yagou im Linxia-Becken in der chinesischen Provinz Gansu entdeckt worden war. Das Alter der Funde dort wird mit dem Oberen Oligozän angegeben.[21] Die hochkronigen Backenzähne von Indricotherium yagouense veranlassten Chiu und seinen Kollegen Wang Ban-Yue im Jahr 2007 dazu, die neue Gattung Turpanotherium einzuführen, zusätzlich etablierten sie dabei noch die neue Art Turpanotherium elegans, der ein Unterkiefer und einzelne Gliedmaßenknochen aus der Turpan-Senke zugrunde liegt.[19][22] Im Jahr 2013 synonymisierte Donald R. Prothero Turpanotherium aufgrund nahezu identischer Molarengrößen provisorisch mit Urtinotherium, verwies aber gleichzeitig auf den Bedarf an notwendig neuen, durchzuführenden Studien.[17]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Zhan-Xiang Qiu und Ban-Yue Wang: Paracerathere fossils of China. Palaeontologia Sinica 193 (New Series C, 29), 2007, S. 1–396 (S. 247–386 in Englisch)
  • Donald R. Prothero: Rhino giants: The palaeobiology of Indricotheres. Indiana University Press, 2013, S. 1–141 (S. 81) ISBN 978-0-253-00819-0

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Shijie Li, Qigao Jiangzuo und Tao Deng: Body mass of the giant rhinos (Paraceratheriinae, Mammalia) and its tendency in evolution. Historical Biology, 2022, doi:10.1080/08912963.2022.2095908
  2. Demberelyin Dashzeveg: A new Hyracodontid (Perissodactyla, Rhinocerotoidea) from the Ergilin Dzo formation (Oligocene Quarry 1) in Dzamyn Ude, Eastern Gobi Desert, Mongolia. American Museum Novitates 3178, 1996, S. 1–12
  3. a b c Chow Minchen und Chiu Chan-Siang: New genus of giant rhinoceros from oligocene of inner Mongolia. Vertebrata Palasiatica 7 (3), 1963, S. 230–239
  4. Qi Tao: A new species of Dzungariotherium (Perissodactyla, Mammalia). Vertebrata Palasiatica 27 (4), 1989, S. 301–305
  5. a b Chow Minchen: Some Oligocene mammals from Lunan, Yunnan. Vertebrata Palasiatica 2 (4), 1958, S. 263–267
  6. Chow Minchen, Chang Yu-Ping und Ting Su-Yin: Some Early Tertiary Perissodactyla from Lunan Basin, E. Yunnan. Vertebrata Palasiatica 12 (4), 1974, S. 262–273
  7. Chow Minchen und Xu Yu-xuan: Indricotherium from Hami basin, Sinkiang. Vertebrata Palasiatica 3 (2), 1959, S. 93–96
  8. a b Chiu Chan-Siang: Giant rhinoceros from Loping, Yunnan, and discussion on the taxonomic characters of Indricotherium grangeri. Vertebrata Palasiatica 6 (1), 1962, S. 57–71
  9. Bolat Uapovich Bayshashov und Spencer George Lucas: The giant rhinoceros Urtinotherium from the Upper Eocene of the Zaisan basin, Kazakhstan. Selevinia (Kazakhstansky zoologichesky churnal - The Zoological Journal of Kazakhstan) 1-4, 2001, S. 185–187.
  10. Vlad A. Codrea und Nicolae Şuraru: New remains of indricotheriin (Perissodactyla, Mammalia) in the Lower Oligocene at Fildu de Jos (Sălaj District, Nw Transylvania). Romanian Journal of Paleontology 76, 1995, S. 81–87
  11. Vlad A. Codrea: Rinoceri și Tapiri Terțiari din România. Presa Universitara Clujeana, Cluj-Napoca, 2000, Französischer Abstract S. 145–147
  12. Haibing Wang, Bin Bai, Jin Meng und Yuanqing Wang: Earliest known unequivocal rhinocerotoid sheds new light on the origin of Giant Rhinos and phylogeny of early rhinocerotoids. Scientific Reports 6, 2016, S. 39607 doi:10.1038/srep39607
  13. Leonard B. Radinsky: The families of the Rhinocerotoidea (Mammalia, Perissodactyla). Journal of Mammalogy 47 (4), 1966, S. 631–639
  14. Leonard B. Radinsky: A review of the Rhinocerotoid Family Hyracodontidae (Perissodactyla). Bulletin of the American Museum of Natural History 136 (1), 1967, S. 1–47
  15. Chow Minchen und Chiu Chan-Siang: An eocene giant rhinoceros. Vertebrata Palasiatica 8 (3), 1964, S. 264–268
  16. Donald R. Prothero, Earl Manning und C. Bruce Hanson: The phylogeny of the Rhinocerotoidea (Mammalia, Perissodactyla). Zoological Journal of the Linnean Society 87, 1986, S. 341–366
  17. a b Donald R. Prothero: Rhino giants: The palaeobiology of Indricotheres. Indiana University Press, 2013, S. 1–141 (S. 81) ISBN 978-0-253-00819-0
  18. Spencer George Lucas und Jay C. Sobus: The systematics of Indricotheres. In: Donald R. Prothero und R. Schoch (Hrsg.): The evolution of Perissodactyls. New York, Oxford Univ. Press., 1989, S. 358–378
  19. a b c Zhan-Xiang Qiu und Ban-Yue Wang: Paracerathere fossils of China. Palaeontologia Sinica 193 (New Series C, 29), 2007, S. 1–396 (S. 247–386 in Englisch)
  20. Wang Hai-Bing, Bai Bin, Gao Feng, Huang Wang-Chong und Wang Yuan-Qing: New eggysodontid (Mammalia, Perissodactyla) material from the Paleogene of the Guangnan Basin, Yunnan Province, China. Vertebrata Palasiatica 51 (4), 2013, S. 305–320
  21. Qiu Zhan-Xiang, Wang Ban-Yue und Deng Tao: Indricotheres (Perissodactyla, Mammalia) from Oligocene in Linxia Basin, Gansu, China. Vertebrata Palasiatica 42 (3), 2004, S. 177–192
  22. Deng Tao, Qiu Zhan-Xiang, Wang Ban-Yue, Wang Xiao-Ming und Hou Su-Kuan: Late Cenozoic biostratigraphy of the Linxia Basin, Northwestern China. In: Wang Xiaoming, Lawrence J. Flynn und Mikael Fortelius (Hrsg.): Fossil Mammals of Asia. Neogene biostratigraphy and chronology. Columbia University Press, New York, 2013, S. 243–270

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]