Venedig-Kommission
Die Venedig-Kommission (Europäische Kommission für Demokratie durch Recht) ist eine Einrichtung des Europarates, die Staaten verfassungsrechtlich berät. Eigenen Angaben zufolge spielt sie „eine führende Rolle, wenn es gilt, in Osteuropa Verfassungen auszuarbeiten, die den Normen des europäischen Verfassungsrechtsbestands entsprechen“.[1]
Gründung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Kommission wurde am 10. März 1990 vom Ministerkomitee des Europarates gegründet. Im Jahr 1989 waren die Mauer und der Eiserne Vorhang gefallen; zahlreiche mitteleuropäische Länder des Ostblocks hatten ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion errungen (Revolutionen im Jahr 1989). Sitz ist Straßburg.[2]
Mitglieder
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Kommission hat 61 Vollmitglieder. Ihr liegt ein erweitertes Abkommen des Europarats zugrunde, so dass auch Staaten, die nicht zum Europarat gehören, Vollmitglieder werden können. Alle 47 Mitgliedstaaten des Europarats sind Mitglieder der Kommission, außerdem Algerien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Israel, Kasachstan, Kirgisistan, die Republik Korea, Marokko, Mexiko, Peru, Tunesien und die USA.
Belarus ist assoziiert, Argentinien, der Heilige Stuhl, Japan, Kanada und Uruguay sind Beobachter, Südafrika und die Palästinensische Autonomiebehörde haben einen besonderen Kooperationsstatus.[3]
Die Kommissionsmitglieder sind Fachleute für Verfassungs- und Völkerrecht, Verfassungsrichter, Mitglieder nationaler Parlamente und hohe Beamte. Diese werden von den Mitgliedsstaaten für eine Amtszeit von vier Jahren ernannt. Sie handeln jedoch als unabhängige Experten und nicht auf Weisung ihrer nationalen Regierung. Präsident ist Gianni Buquicchio.[4]
Tätigkeit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zu den Tätigkeiten der Kommission zählen:
- Begutachten nationaler Verfassungsentwürfe
- z. B. Georgien, Albanien, Russland, Serbien, Ukraine, Ungarn, zum Konflikt um Transnistrien und zu verfassungsrechtlichen Fragen in Bosnien-Herzegowina,
- Beobachten von Wahlen und Referenden wie in Georgien,[5] Armenien und Moldawien,
- Zusammenarbeit mit den Verfassungsgerichten sowie
- Gutachten, Studien und Seminare über Staatsrecht.
Gestützt auf ihre Erfahrungen veröffentlicht die Venedig-Kommission immer wieder Zusammenstellungen (so genannte Compilations) zu den drei Themenbereichen Demokratische Institutionen und Menschenrechte, Justiz sowie Wahlen, Volksabstimmungen und politische Parteien.Grosse Beachtung fand auch die 2016 von ihr veröffentlichte "Rule of Law Checklist"[6]. Diese umfangreiche Broschüre enthält eine Auflistung von Kriterien, die bei der Beurteilung helfen, ob es sich bei einem Staat um einen Rechtsstaat handelt respektive ob ein von einem Staatsorgan an den Tag gelegtes Verhalten rechtsstaatlich ist.
Ende Mai 2024 forderte die Kommission von Georgien die Rücknahme des Gesetzes über „ausländische Agenten“.[7][8]
Veröffentlichungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Kommission gibt seit 1993 die Zeitschrift Bulletin on Constitutional Case-Law heraus, die drei Mal jährlich erscheint. Sie betreibt außerdem eine Datenbank mit Urteilen von Verfassungsgerichten aus aller Welt (CODICES).[9] Am 19. Oktober 2002 beschloss die Kommission in Venedig Leitlinien für einen Verhaltenskodex bei Wahlen.[10] Unter anderem soll das Wahlrecht im Zeitraum von unter einem Jahr vor einer Wahl nicht verändert werden.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Wolfgang Hoffmann-Riem: „Soft Law“ und „Soft Instruments“ in der Arbeit der Venedig-Kommission: Zur Wirkungsmacht einer beratenden Einrichtung. In: Festschrift für Brun-Otto Bryde. Mohr-Siebeck, Tübingen 2012, ISBN 978-3-16-152197-3, S. 595–630.
- Lauri Bode-Kirchhoff: Warum der Weg von Luxemburg nach Straßburg über Venedig führt: die Venedig-Kommission als Bindeglied zwischen EU und EMRK. In: Kanstantsin Dzehtsiarou et al. (Hrsg.): Human Rights Law in Europe. The Influence, Overlaps and Contradictions of the EU and the ECHR. Routledge, London / New York 2014, ISBN 978-0-415-82599-3, S. 55–72 (englisch: Why the Road from Luxembourg to Strasbourg leads through Venice: the Venice Commission as a link between the EU and the ECHR.).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- venice.coe.int – Offizielle Webseite (Startseite auf englisch)
- Über uns. venice.coe.int (deutsch)
- https://www.venice.coe.int/WebForms/pages/?p=04_Compilations&lang=EN - Liste aller so genannten "Compilations"
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ venice.coe.int ( vom 16. November 2006 im Internet Archive)
- ↑ venice.coe.int
- ↑ Mitgliedsländer. Venice Commission, abgerufen am 3. Dezember 2018.
- ↑ venice.coe.int
- ↑ Comments on the election code an the electoral administritation ( vom 19. Januar 2005 im Internet Archive)
- ↑ Venedig-Kommission: Rule of Law Checklist. 2016, abgerufen am 23. August 2024.
- ↑ Sarah Vojta, dpa, AFP: Georgien: Europarat fordert georgische Regierung zu Rücknahme von Gesetz auf. In: Die Zeit. 22. Mai 2024, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 22. Mai 2024]).
- ↑ Alexandra Brzozowski, übersetzt von Carmen Diaz Rodriguez, bearbeitet von Alice Taylor: Venedig-Kommission fordert Rücknahme des Gesetzes über „ausländische Agenten“ EURACTIV Deutschland, 22. Mai 2024.
- ↑ codices.coe.int
- ↑ Venedig-Kommission: Verhaltenskodex für Wahlen.