Wiener Justizpalastbrand

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Der Brand des Wiener Justizpalastes 1927, auch kurz die Julirevolte in Wien genannt, begann am 15. Juli 1927 als Unmutsäußerung gegen ein als skandalös empfundenes Urteil eines Geschworenengerichts und endete mit Polizeischüssen in die demonstrierende und das Justizgebäude angreifende Menge, welche 89 Todesopfer unter den Demonstranten forderten. Auch auf Seiten der Polizei starben fünf Menschen. Der Tag endete zudem mit hunderten Verletzten auf beiden Seiten.

Der Ablauf

Der Justizpalast 1881

Am Abend des 14. Juli 1927 verbreitete sich die Nachricht vom Schattendorfer Urteil. Der Prozess gegen die drei angeklagten Mitglieder der Frontkämpfervereinigung Deutsch-Österreichs, die im burgenländischen Schattendorf bei einem Zusammenstoß mit Sozialdemokraten zwei Menschen erschossen hatten (einen 40-jährigen kroatischen Hilfsarbeiter und ein 8-jähriges Kind), hatte mit dem Freispruch aller drei Angeklagten durch ein Geschworenengericht geendet.

Am Tag darauf wurde der Strom der Wiener Straßenbahn durch die Direktion der Städtischen Elektrizitätswerke abgeschaltet, so dass der öffentliche Verkehr in Wien lahmgelegt war. Dies geschah, um einen Proteststreik auszulösen. Die erste Marschkolonne, die den Ring erreichte, war die der E-Werker, welche vergebens versuchten, das Universitätshauptgebäude zu stürmen. Nach und nach füllte sich der Ring. Angriffe galten dem Polizeiwachzimmer in der Lichtenfelsgasse nahe dem Rathaus, ein weiterer verwüstete die Redaktion der „Wiener Neuesten Nachrichten“, welche nicht im Sinne der Demonstranten über das Urteil berichtet hatte.

Als die Menge den Kordon von Sicherheitskräften vor dem Parlamentsgebäude mit Steinwürfen attackierte, drängte berittene Polizei die Menge in die Parkanlage gegen den Justizpalast ab. Der Platz vor dem Haupteingang des Justizpalasts lag frei. Bald stand er als Symbol der als parteiisch empfundenen Justiz im Zentrum der Aufmerksamkeit der heranrückenden Demonstranten - obwohl im Justizpalast in erster Linie die Zivilgerichtsbarkeit angesiedelt war und obwohl das Urteil von einem Geschworenengericht, einer von den Sozialdemokraten immer geforderten Form der Laiengerichtsbarkeit, gefällt worden war.

Einige Angehörige des sozialdemokratischen Schutzbunds versuchten als Ordner auf die Menge mäßigend einzuwirken, hatten jedoch wenig Erfolg. Ab 12 Uhr hatten die ersten Protestierenden die Fensterscheiben im Erdgeschoss eingeschlagen und waren in das Gebäude eingestiegen, wo sie begannen, das Mobiliar und die vorhandenen Akten zu zerstören. Theodor Körner, später Bundespräsident, verlangte von den Wachebeamten des Justizpalastes die Herausgabe ihrer Waffen (meist ungeschliffene Paradesäbel), was von den um ihr Leben fürchtenden Beamten verweigert wurde. Körner brachte die Wachbeamten in Sicherheit, indem er sie als Verletzte getarnt auf Bahren heraustragen oder sie die Windjacken anwesender Schutzbündler überziehen ließ, damit sie unerkannt flüchten konnten. Ein Versuch Körners, die Menge durch eine Ansprache zu beruhigen, scheiterte. Währenddessen legte ein unerkannt gebliebener Eindringling im Gebäude Feuer.

Die Rolle von Johann Schober

Polizeipräsident war zu diesem Zeitpunkt der ehemalige und spätere Bundeskanzler Johann Schober. Schober stellte an den Wiener Bürgermeister Karl Seitz das Ansuchen, das Bundesheer gegen die Unruhen einzusetzen, da die damalige Polizei für derartige Aufgaben, wie sie am Justizpalast anstanden, nicht gut gerüstet war. Seitz verweigerte den Einsatz, ebenso der Heerminister Carl Vaugoin. Darüber, ob der Einsatz des Bundesheeres den Tag anders hätte ausgehen lassen, wurde seither oft spekuliert. Fraglich wäre die Loyalität des Heeres gewesen, andererseits hätte aber alleine schon ein Aufmarsch in Formation die Menge zum Zurückweichen veranlassen können.

Daher forderte Schober, der in seiner Position gegen eine rasende Menge, die das Gerichtsgebäude stürmte und anzündete, zweifellos eine Entscheidung zu treffen hatte, Gewehre aus Heeresbeständen an, mit welchen er die Polizei ausrüstete. Hierbei kündigte er an, bei weiterer Behinderung der Feuerwehr - welcher der Zugang vor das Gebäude verwehrt und deren Schläuche durchschnitten wurden - den Platz mit Waffengewalt räumen zu lassen. Versuche Seitz' und Julius Deutschs, durch ihren persönlichen Einsatz die Menge zum Abzug zu bewegen, hatten ebenso wenig Erfolg wie der Einsatz Körners.

Die Schüsse, die Opfer, die Bewertung

Dann fielen die ersten Schüsse, zunächst in die Luft, sodann in die Menge, welche gegen die Vorstädte zurückzuweichen begann. Der Tag endete nach Polizeiangaben mit 89 toten Demonstranten, vier toten Sicherheitswachbeamten und einem toten Kriminalbeamten. 120 Polizisten erlitten schwere, 480 leichte Verletzungen, während 548 Zivilisten verwundet wurden. Das völlig vergiftete politische Klima war nach allgemeiner Ansicht ein erster Schritt in den Bürgerkrieg Mitte der 30er Jahre.

Gedenken

Auf dem Wiener Zentralfriedhof befindet sich eine Gedenkstätte für die Opfer des 15. und 16. Juli 1927.

Heimito von Doderer verarbeitete die Ereignisse der Julirevolte in seinem Roman Die Dämonen.

Zum 80. Jahrestag der Ereignisse wurde am 11. Juli 2007 in der Halle des Justizpalastes eine Gedenktafel mit einem Text von und durch Bundespräsident Heinz Fischer enthüllt:

"Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des Republikanischen Schutzbundes und der Frontkämpfervereinigung im burgenländischen Ort Schattendorf am 30. Jänner 1927 wurden zwei unschuldige Menschen getötet. Die Täter wurden freigesprochen. Im Zuge einer gewaltsamen Demonstration gegen dieses Urteil wurde der Justizpalast in Brand gesetzt. Die Polizei erhielt Schießbefehl, und 89 Personen kamen ums Leben. Die Ereignisse dieser Zeit, die schließlich im Bürgerkrieg des Jahres 1934 mündeten, sollen für alle Zeiten Mahnung sein."

Literatur

  • Norbert Leser u. Paul Sailer-Wlasits: 1927 - Als die Republik brannte. Von Schattendorf bis Wien, Wien/Klosterneuburg 2002
  • Heinrich Drimmel: Vom Umsturz zum Bürgerkrieg, Amalthea, Wien 1985, ISBN 3-85002-206-4
  • Josef Hindels: 15. Juli 1927, 1977.
  • Sigrid Kiyem: Der Wiener Justizpalastbrand am 15. Juli 1927. Darstellung in Quellen und Medien, 2001.
  • Karin Masek: Schattendorf und der Justizpalastbrand 1927 im Spiegel der Wiener Tagespresse, 2004.
  • Gerald Stieg: Frucht des Feuers. Canetti, Doderer, Kraus und der Justizpalastbrand, 1990.
  • Die Schreckenstage von Wien. Geschichte und Darstellung der Wiener Julirevolte 1927. Wien: Wiener Allgemeine Zeitungs- u. Verlags- A.G., 1927. 62 S., (1 Bl.)
  • Garscha, Winfried R., & McLoughlin, Finbarr ('Barry'): Wien 1927 - Menetekel für die Republik. Berlin: Dietz, 1987.
  • Thomas Köhler, Christian Mertens (Hrsg.): Justizpalast in Flammen. Ein brennender Dornbusch - Das Werk von Manès Sperber, Heimito von Doderer und Elias Canetti angesichts des 15. Juli 1927. 2006. ISBN 978-3-486-57937-6