Zellseneszenz

(Unten) MEFs, gealtert nach weiteren Passagen in Zellkultur. Die Zellen sind größer, flacher und exprimieren die Seneszenz-assoziierte β-Galaktosidase (SABG, blaue Bereiche), einen Marker für zelluläre Seneszenz.
Zelluläre Seneszenz (von lateinisch senescere = „alt werden, altern“) ist ein Phänomen, bei dem Zellen aufhören, sich zu teilen, und somit nicht mehr vermehrt werden.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In ihren Experimenten aus den frühen 1960er Jahren fanden Leonard Hayflick und Paul Moorhead heraus, dass normale menschliche fetale Fibroblasten in Kultur maximal etwa 50 Zellpopulationsverdopplungen erreichen, bevor sie aufhören, sich zu teilen.[1][2][3] Dieses Phänomen wird als replikative Seneszenz bezeichnet und tritt nach Erreichen der Hayflick-Grenze ein.
Hayflicks Entdeckung, dass die Zellteilungsfähigkeit normaler Zellen endlich ist, stürzte ein 60-jähriges Dogma in der Zellbiologie, das besagte, dass alle gezüchteten Zellen unsterblich sind. Hayflick fand heraus, dass die einzigen unsterblichen Kulturzellen Krebszellen sind.[4] Später kamen noch die Stammzellen hinzu, die sich ebenfalls unbegrenzt teilen können. Durch eine Immortalisierung von Zellen kann die Zellseneszenz in vitro vermieden werden.
Mechanismen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die zelluläre Seneszenz wird häufig durch zelleigene Tumorsuppressor-Mechanismen angestoßen. Bei der Entstehung von Krebs werden sie inaktiviert. Durch die Überwindung oder Umgehung dieser Tumorsuppressor-Mechanismen entziehen sich Krebszellen der Kontrolle des Zellzyklus, was zu genomischer Instabilität (veränderte Chromosomen) und unkontrolliertem Zellwachstum führt. MicroRNAs (miRNAs) haben sich als wesentliche Faktoren herausgestellt, die zur zellulären Seneszenz beitragen oder diese verhindern.[5]
Zelluläre Seneszenz kann durch eine Veränderung der DNA ausgelöst werden, die sich aus der Verkürzung der Chromosomenenden (Telomere) bei jedem Zellteilungsvorgang ergibt. In diesem Spezialfall spricht man von replikativer Seneszenz. Zellen können jedoch auch unabhängig von der Anzahl der Zellteilungen zur Seneszenz gebracht werden, zum Beispiel über DNA-Schäden als Reaktion auf Mutagene (Aktivierung von Onkogenen und Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen), erhöhte reaktive Sauerstoffspezies (ROS) und durch Zell-Zell-Fusion. Die Anzahl der seneszenten Zellen im Gewebe steigt während der normalen Alterung deutlich an.[6]
Obwohl sich alternde Zellen nicht mehr vermehren können, bleibt ihr Stoffwechsel aktiv und sie werden immunogener, denn es werden mehr Teile des Immunsystems aktiviert. Die Seneszenz-assoziierte β-Galaktosidase gilt zusammen mit CDK-Inhibitor 2A (CDKN2A) (cyclin dependent kinase inhibitor 2A, auch bekannt als p16) als guter Biomarker für zelluläre Seneszenz. Dies führt dennoch zu falsch positiven Signalen, da auch reifende Gewebe-Makrophagen seneszenz-assoziierte β-Galaktosidase zeigen, genauso wie T-Zellen CDKN2A exprimieren.[6] Die DNA-Reparatur blockiert solange den Fortschritt im Zellzyklus, bis DNA-Schäden, wie beispielsweise Doppelstrangbrüche (DSBs), repariert sind. Es wird vermutet, dass diese Doppelstrangbrüche wichtige Treiber des Alternsprozesses sind.[7]
Rolle der Telomere
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Mit jedem Zellzyklus verkürzen sich die chromosomalen Telomere bei jeder Teilung. Die Telomerverkürzung verändert zum Beispiel auch die Mechanismen beim alternativen RNA-Spleißen. Dadurch werden Toxine wie Progerin produziert, die einen Alterungsprozess durch Abbau und Funktionseinschränkungen von Geweben induzieren.[8] So wird (etwa beim Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndrom), das bei fehlerhaftem Spleißen statt dem Lamin A entstandene Progerin dauerhaft an die Kernmembran einer Zelle gebunden, und es kommt zu veränderter Kernmorphologie, erhöhtem DNA-Schaden, epigenetischen und metabolischen Veränderungen, fehlgeleitete Transkription und damit der Proteinsynthese, Funktionsstörung der Stammzellen, beschleunigter Seneszenz und Zelltod.[9]
Weitere Merkmale seneszenter Zellen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ein Senescence Associated Secretory Phenotype (SASP) bestehend aus entzündlichen Zytokinen, Wachstumsfaktoren und Proteasen ist ein weiteres charakteristisches Merkmal seneszenter Zellen.[10] Der SASP ist mit vielen altersbedingten Krankheiten verbunden, darunter Typ-2-Diabetes und Atherosklerose[6]. Dies hat Forscher motiviert, senolytische Medikamente (Senolytika) zu entwickeln, um seneszente Zellen abzutöten bzw. zu eliminieren und damit die Gesundheit älterer Menschen zu verbessern.[6] Der Kern der alternden Zellen ist gekennzeichnet durch seneszenzassoziierte Heterochromatin-Foci (SAHF) und DNA-Segmente mit Chromatinveränderungen, die die Seneszenz verstärken (DNA-SCARS).[11] Seneszente Zellen ermöglichen die Tumorunterdrückung, die Wundheilung und die embryonale und plazentare Entwicklung, obwohl sie eine pathologische Rolle bei altersbedingten Erkrankungen spielen.[12]
Organismen ohne Seneszenz
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zelluläre Seneszenz wird nicht bei allen eukaryotischen Organismen beobachtet. In den Arten, in denen zelluläre Seneszenz beobachtet wird, werden die Zellen post-mitotisch, das heißt, sie replizieren nicht mehr. Sie sind damit in einem Zustand replikativer Seneszenz. Wie und warum einige Zellen bei einigen Arten post-mitotisch werden, war Gegenstand vieler Forschungen und Spekulationen, es wird aber angenommen, dass sich zelluläre Seneszenz u. a. entwickelt hat, um den Beginn und die Ausbreitung von Krebs zu verhindern. Somatische Zellen, die sich häufig geteilt haben, weisen aufgrund von Kopierfehlern mehr DNA-Mutationen auf und laufen daher eher Gefahr, sich zu Krebszellen zu entwickeln, wenn sich die Teilung fortsetzt. Die alternden Zellen scheinen zudem einen immunogenen Phänotyp zu entwickeln, der es dem Immunsystem ermöglicht, sie zu erkennen und zu eliminieren.[13]
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ M. Collado, M. A. Blasco, M. Serrano: Cellular senescence in cancer and aging. In: Cell. Band 130, Nummer 2, Juli 2007, S. 223–233, doi:10.1016/j.cell.2007.07.003, PMID 17662938 (Review).
- ↑ M Hayat: Tumor dormancy, quiescence, and senescence, Volume 2: Aging, cancer, and noncancer pathologies. Springer, 2014, S. 188 (englisch).
- ↑ T Tollefsbol: Epigenetics of Aging. Springer, 2010, ISBN 978-1-4419-0638-0, S. 227 (englisch).
- ↑ J. W. Shay, W. E. Wright: Hayflick, his limit, and cellular ageing. In: Nature reviews. Molecular cell biology. Band 1, Nummer 1, 10 2000, S. 72–76, doi:10.1038/35036093, PMID 11413492.
- ↑ M. Neault, F. Couteau u. a.: Molecular Regulation of Cellular Senescence by MicroRNAs: Implications in Cancer and Age-Related Diseases. In: International review of cell and molecular biology. Band 334, 2017, S. 27–98, doi:10.1016/bs.ircmb.2017.04.001, PMID 28838541 (Review).
- ↑ a b c d B. G. Childs, M. Durik u. a.: Cellular senescence in aging and age-related disease: from mechanisms to therapy. In: Nature medicine. Band 21, Nummer 12, Dezember 2015, S. 1424–1435, doi:10.1038/nm.4000, PMID 26646499, PMC 4748967 (freier Volltext) (Review).
- ↑ A. Noda, S. Mishima, Y. Hirai, K. Hamasaki, R. D. Landes, H. Mitani, K. Haga, T. Kiyono, N. Nakamura, Y. Kodama: Progerin, the protein responsible for the Hutchinson-Gilford progeria syndrome, increases the unrepaired DNA damages following exposure to ionizing radiation. In: Genes and environment : the official journal of the Japanese Environmental Mutagen Society. Band 37, 2015, S. 13, doi:10.1186/s41021-015-0018-4, PMID 27350809, PMC 4917958 (freier Volltext).
- ↑ K. Cao, C. D. Blair, D. A. Faddah, J. E. Kieckhaefer, M. Olive, M. R. Erdos, E. G. Nabel, F. S. Collins: Progerin and telomere dysfunction collaborate to trigger cellular senescence in normal human fibroblasts. In: The Journal of clinical investigation. Band 121, Nummer 7, Juli 2011, S. 2833–2844, doi:10.1172/JCI43578, PMID 21670498, PMC 3223819 (freier Volltext).
- ↑ Davor Lessel, Christian Kubisch: Genetisch bedingte Syndrome mit Zeichen einer vorzeitigen Alterung. In: Deutsches Ärzteblatt. Band 116, Heft 29 f., 22. Juli 2019, S. 489–496, hier: S. 491–493.
- ↑ N. Malaquin, A. Martinez, F. Rodier: Keeping the senescence secretome under control: Molecular reins on the senescence-associated secretory phenotype. In: Experimental Gerontology. Band 82, 09 2016, S. 39–49, doi:10.1016/j.exger.2016.05.010, PMID 27235851 (Review).
- ↑ F. Rodier, J. Campisi: Four faces of cellular senescence. In: Journal of Cell Biology. Band 192, Nummer 4, Februar 2011, S. 547–556, doi:10.1083/jcb.201009094, PMID 21321098, PMC 3044123 (freier Volltext) (Review).
- ↑ D. G. Burton, V. Krizhanovsky: Physiological and pathological consequences of cellular senescence. In: Cellular and molecular life sciences : CMLS. Band 71, Nummer 22, November 2014, S. 4373–4386, doi:10.1007/s00018-014-1691-3, PMID 25080110, PMC 4207941 (freier Volltext) (Review).
- ↑ D. G. Burton, R. G. Faragher: Cellular senescence: from growth arrest to immunogenic conversion. In: Age. Band 37, Nummer 2, 2015, S. 27, doi:10.1007/s11357-015-9764-2, PMID 25787341, PMC 4365077 (freier Volltext) (Review).