„Glymphatisches System“ – Versionsunterschied

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== Hauptsächlich aktiv im Schlaf ==
== Hauptsächlich aktiv im Schlaf ==
Der Vergleich des Transports bei wachen und schlafenden Tieren zeigte einen Rückgang um etwa 95 % im Wachzustand. Es zeigte sich weiter, dass im [[Schlaf]] das Volumen des Zellzwischenraums durch Schrumpfung der Zellkörper vergrößert war, mit einem Anteil am Gesamtvolumen von etwa 24 % im Vergleich zu etwa 14 % im Wachzustand. Im Schlaf war daher >60 % mehr Raum für den Flüssigkeitstransport vorhanden. [[Noradrenalin]], ein Hauptmodulator des Wachheitsniveaus, erwies sich auch als möglicher Regler des Volumens des Zellzwischenraums und damit der Effektivität des ''glymphatischen Systems''.<ref name="PMID24136970">L. Xie, H. Kang, Q. Xu, M. J. Chen, Y. Liao, M. Thiyagarajan, J. O'Donnell, D. J. Christensen, C. Nicholson, J. J. Iliff, T. Takano, R. Deane, M. Nedergaard: ''Sleep drives metabolite clearance from the adult brain.'' In: ''Science.'' Band 342, Nummer 6156, Oktober 2013, S.&nbsp;373–377, {{DOI|10.1126/science.1241224}}, PMID 24136970, {{PMC|3880190}}.</ref><ref name="PMID25947369"/><ref name="PMID26594659">A. R. Eugene, J. Masiak: ''The Neuroprotective Aspects of Sleep.'' In: ''MEDtube science.'' Band 3, Nummer 1, März 2015, S.&nbsp;35–40, PMID 26594659, {{PMC|4651462}} (Review).</ref>
Der Vergleich des Transports bei wachen und schlafenden Tieren zeigte einen Rückgang um etwa 95 % im Wachzustand. Es zeigte sich weiter, dass im [[Schlaf]] das Volumen des Zellzwischenraums durch Schrumpfung der Zellkörper vergrößert war, mit einem Anteil am Gesamtvolumen von etwa 24 % im Vergleich zu etwa 14 % im Wachzustand. Im Schlaf war daher >60 % mehr Raum für den Flüssigkeitstransport vorhanden. [[Noradrenalin]], ein Hauptmodulator des Wachheitsniveaus, erwies sich auch als möglicher Regler des Volumens des Zellzwischenraums und damit der Effektivität des ''glymphatischen Systems''.<ref name="PMID24136970">L. Xie, H. Kang, Q. Xu, M. J. Chen, Y. Liao, M. Thiyagarajan, J. O'Donnell, D. J. Christensen, C. Nicholson, J. J. Iliff, T. Takano, R. Deane, M. Nedergaard: ''Sleep drives metabolite clearance from the adult brain.'' In: ''Science.'' Band 342, Nummer 6156, Oktober 2013, S.&nbsp;373–377, {{DOI|10.1126/science.1241224}}, PMID 24136970, {{PMC|3880190}}.</ref><ref name="PMID25947369"/><ref name="PMID26594659">A. R. Eugene, J. Masiak: ''The Neuroprotective Aspects of Sleep.'' In: ''MEDtube science.'' Band 3, Nummer 1, März 2015, S.&nbsp;35–40, PMID 26594659, {{PMC|4651462}} (Review).</ref>

== Schutzfunktionen ==
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== Literatur ==
== Literatur ==

Version vom 22. Februar 2017, 14:49 Uhr

Glymphatisches System der Wirbeltiere

Das glymphatische System (Neubildung / Neologismus aus Glia und lymphatisches System) ist ein Entsorgungssystem für Abfallstoffe im Zentralnervensystem (ZNS: Gehirn und Rückenmark) der Wirbeltiere. Ähnlich dem lymphatischen System, das das ZNS nicht mit umfasst und außerhalb an der Hirnhaut endet, ist das glymphatische System ein fließendes Kreislaufsystem zum Abtransport von überflüssigem und schädlichem Material.

Der Name glymphatisches System wurde von einer Forschergruppe um Maiken Nedergaard (Rochester NY / Kopenhagen) 2013 eingeführt, nachdem diese durch neuartige Nachweismethoden das System erstmals als eine funktionelle Einheit beschreiben konnte.

Trotz einiger skeptischer Kommentare hat sich das Interesse an der Entdeckung schnell etabliert, insbesondere wegen ihrer Bedeutung für Vorgänge während des Schlafs und bei der Entstehung und Vorbeugung neurodegenerativer Erkrankungen wie der Alzheimer-Krankheit, der Parkinson-Krankheit, der amyotrophen Lateralsklerose (ALS), etc.

Kreislauf

Die Arterien des ZNS haben ab ihrem Eintritt durch die Hirnhaut rund um ihre Außenwand einen zusätzlichen, sehr engen Gefäßraum, einen so genannten perivaskulären Raum (Spatium perivasculare), der für die Blutgefäße im ZNS die Bezeichnung Virchow-Robin-Raum trägt. Durch diesen Raum gelangt in einem ständigen Strom - angetrieben durch die vom Pulsschlag ausgelösten Wellenbewegungen der Arterienwände - ein kleiner Teil der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) aus dem Zwischenraum zwischen Schädeldecke und Gehirn (Subarachnoidalraum oder äußerer Liquorraum) in alle Bereiche des ZNS.

Astrozyten und Anlagerung ihrer Fortsätze an einer Ader

Der Transportraum entlang der Arterien wird seinerseits eng umschlossen von Fortsätzen der Astrozyten (Sternzellen), die die Mehrheit der Gliazellen bilden. Sie nehmen vorbeifließenden Liquor auf und leiten ihn weiter in den gesamten Zellzwischenraum (Interstitium) in Gehirn und Rückenmark.

Die auf diese Weise laufend angereicherte Flüssigkeit im Zellzwischenraum (Interstitialflüssigkeit) sickert ihrerseits von den arterienahen Bereichen quer durch das Gewebe bis hin zu Venengeflechten, von wo aus sie wieder durch perivaskuläre Räume - diesmal entlang der Außenwände von Venen - das Gehirn verlässt und ab der Hirnhaut in Gefäße des lymphatischen Systems eingespeist wird. Auf dem Weg durch das Gewebe werden Abfallstoffe aufgenommen, die dann nach dem Transport über perivaskuläre Räume, lymphatisches System und schließlich den allgemeinen Blutkreislauf am Ende in Leber und Niere aufgearbeitet oder entsorgt werden.[1][2]

Hintergrund

Zum besonderen Schutz des ZNS vor unkontrolliertem Eindringen großer Moleküle (Makromoleküle) und ihrem internem Durchdringen von Gefäßwänden bestehen die Blut-Hirn-Schranke, die Blut-Liquor-Schranke und die Aussperrung des lymphatischen Systems. Die Entsorgung von Abfallstoffen kann deshalb hier bei weitem nicht so ablaufen wie im übrigen Körper. Verschärft wird die Situation noch durch den ungewöhnlich hohen, durchschnittlichen Stoffwechsel im ZNS. Es gab deshalb seit langem Vorschläge und auch Anzeichen für ein hier vorhandenes besonderes Entsorgungssystem.

Bereits 1968 wurde angenommen, dass der Virchow-Robin-Raum ein dem lymphatischen System entsprechender Transportweg sein könne. 1985 wurde diese Annahme bestätigt durch die Aufzeichnung der Ausbreitung spezieller markierter Proteine. Der Abfluss von markierten Proteinen aus dem Zellzwischenraum wurde dann 1988 nachgewiesen.[3]

Nachweismethoden

Nach der Injektion von fluoreszenzmarkierten und radiomarkierten Molekülen verschiedener Größe in den Liquor der Cisterna cerebellomedullaris von Mäusen wurden Eintritt, Verbreitung und Ausscheidung der Substanzen im Gehirn in Echtzeit aufgezeichnet. Dies gelang, indem die oberste Schicht des Cortex durch ein geschlossenes Beobachtungsfenster mit Zwei-Photonen-Mikroskopie in einer Tiefe von 60 und 120 μm gescannt wurde. Große Moleküle, hier Fluorescein Isothiocyanate–Dextran-2000 (FITC-d2000) mit der Molekülmasse von 2000 Kilodalton (kDa), gelangten zwar in den Virchow-Robin-Raum, aber nicht in den Zellzwischenraum (Interstitium). Kleinere Moleküle, hier Alexa Fluor 594 Hydrazid (A594) mit 759 Da und Texas Red–Dextran-3 (TR-d3) mit 3 kDa, breiteten sich dagegen auch im Zellzwischenraum aus, wobei das leichtere A594 deutlich schneller war. Der Transport in tieferen Schichten wurde durch spätere histologische Untersuchungen nachgewiesen.

Die aktive Rolle der Astrozyten durch die Beteiligung ihres Wasserkanals Aquaporin-4 (AQP4) an ihren Kontaktstellen zu den Arterien wurde nachgewiesen durch Kontrollversuche mit transgenen Mäusen, denen AQP4 fehlte. Bei letzteren war der Einstrom der markierten Moleküle verlangsamt und ihre Auswaschung aus dem Gehirn um etwa 70 % reduziert.[4][3][5]

Die Kreislauffunktion des glymphatisches Systems wurde wenig später auch mittels kontrastmittelbasierter Magnetresonanztomographie (MRT) bei Ratten nachgewiesen.[6][1]

Hauptsächlich aktiv im Schlaf

Der Vergleich des Transports bei wachen und schlafenden Tieren zeigte einen Rückgang um etwa 95 % im Wachzustand. Es zeigte sich weiter, dass im Schlaf das Volumen des Zellzwischenraums durch Schrumpfung der Zellkörper vergrößert war, mit einem Anteil am Gesamtvolumen von etwa 24 % im Vergleich zu etwa 14 % im Wachzustand. Im Schlaf war daher >60 % mehr Raum für den Flüssigkeitstransport vorhanden. Noradrenalin, ein Hauptmodulator des Wachheitsniveaus, erwies sich auch als möglicher Regler des Volumens des Zellzwischenraums und damit der Effektivität des glymphatischen Systems.[7][1][8]

Schutzfunktionen

Seit etwa 2008 hat sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass Proteinfehlfaltungserkrankung (wie Alzheimer, etc) nicht nur zu Problemen innerhalb von Zellen führen sondern in bedeutendem Maße auch im Zellzwischenraum.[9] Die Bedeutung des glymphatischen System für den Abtransport fehlgefalteter Proteine aus dem Gehirn ist deshalb von Anfang an erkannt worden und seitdem Gegenstand intensiver Forschung. Dies betrifft alle der bekannten und weitverbreiteten neurodegenerative Erkrankungen.[1]

Literatur

  • J.J. Iliff, A.S. Thrane, M. Nedergaard: The Glymphatic System and Brain Interstitial Fluid Homeostasis, in: Louis R. Caplan, José Biller, Megan C. Leary, Eng H. Lo, Ajith J Thomas, Midori Yenari, John H. Zhang (Hrsg.): Primer on Cerebrovascular Diseases, Academic Press, San Diego/USA, zweite Ausgabe 2017, ISBN 978-0-12-803059-2, S. 17-25. Google Books Vorschau.
  • P. Venkat, M. Chopp, J. Chen: New insights into coupling and uncoupling of cerebral blood flow and metabolism in the brain. In: Croatian medical journal. Band 57, Nummer 3, Juni 2016, S. 223–228, PMID 27374823, PMC 4937223 (freier Volltext) (Review).
  • K. Hitscherich, K. Smith, J. A. Cuoco, K. E. Ruvolo, J. D. Mancini, J. R. Leheste, G. Torres: The Glymphatic-Lymphatic Continuum: Opportunities for Osteopathic Manipulative Medicine. In: The Journal of the American Osteopathic Association. Band 116, Nummer 3, März 2016, S. 170–177, doi:10.7556/jaoa.2016.033, PMID 26927910 (Review).
  • N. A. Jessen, A. S. Munk, I. Lundgaard, M. Nedergaard: The Glymphatic System: A Beginner's Guide. In: Neurochemical research. Band 40, Nummer 12, Dezember 2015, S. 2583–2599, doi:10.1007/s11064-015-1581-6, PMID 25947369, PMC 4636982 (freier Volltext) (Review).
  • T. Brinker, E. Stopa, J. Morrison, P. Klinge: A new look at cerebrospinal fluid circulation. In: Fluids and barriers of the CNS. Band 11, 2014, S. 10-25, doi:10.1186/2045-8118-11-10, PMID 24817998, PMC 4016637 (freier Volltext) (Review).
  • A. R. Mendelsohn, J. W. Larrick: Sleep facilitates clearance of metabolites from the brain: glymphatic function in aging and neurodegenerative diseases. In: Rejuvenation research. Band 16, Nummer 6, Dezember 2013, S. 518–523, doi:10.1089/rej.2013.1530, PMID 24199995 (Review).

Einzelnachweise

  1. a b c d N. A. Jessen, A. S. Munk, I. Lundgaard, M. Nedergaard: The Glymphatic System: A Beginner's Guide. In: Neurochemical research. Band 40, Nummer 12, Dezember 2015, S. 2583–2599, doi:10.1007/s11064-015-1581-6, PMID 25947369, PMC 4636982 (freier Volltext) (Review).
  2. D. Raper, A. Louveau, J. Kipnis: How Do Meningeal Lymphatic Vessels Drain the CNS? In: Trends in neurosciences. Band 39, Nummer 9, September 2016, S. 581–586, doi:10.1016/j.tins.2016.07.001, PMID 27460561, PMC 5002390 (freier Volltext) (Review).
  3. a b T. Brinker, E. Stopa, J. Morrison, P. Klinge: A new look at cerebrospinal fluid circulation. In: Fluids and barriers of the CNS. Band 11, 2014, S. 10-25, doi:10.1186/2045-8118-11-10, PMID 24817998, PMC 4016637 (freier Volltext) (Review).
  4. J. J. Iliff, M. Wang, Y. Liao, B. A. Plogg, W. Peng, G. A. Gundersen, H. Benveniste, G. E. Vates, R. Deane, S. A. Goldman, E. A. Nagelhus, M. Nedergaard: A paravascular pathway facilitates CSF flow through the brain parenchyma and the clearance of interstitial solutes, including amyloid β. In: Science translational medicine. Band 4, Nummer 147, August 2012, S. 147ra111, doi:10.1126/scitranslmed.3003748, PMID 22896675, PMC 3551275 (freier Volltext).
  5. N. N. Haj-Yasein, G. F. Vindedal, M. Eilert-Olsen, G. A. Gundersen,.. Skare, P. Laake, A. Klungland, A. E. Thorén, J. M. Burkhardt, O. P. Ottersen, E. A. Nage: Glial-conditional deletion of aquaporin-4 (Aqp4) reduces blood-brain water uptake and confers barrier function on perivascular astrocyte endfeet. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. Band 108, Nummer 43, Oktober 2011, S. 17815–17820, doi:10.1073/pnas.1110655108, PMID 21990350, PMC 3203818 (freier Volltext).
  6. J. J. Iliff, H. Lee, M. Yu, T. Feng, J. Logan, M. Nedergaard, H. Benveniste: Brain-wide pathway for waste clearance captured by contrast-enhanced MRI. In: The Journal of clinical investigation. Band 123, Nummer 3, März 2013, S. 1299–1309, doi:10.1172/JCI67677, PMID 23434588, PMC 3582150 (freier Volltext).
  7. L. Xie, H. Kang, Q. Xu, M. J. Chen, Y. Liao, M. Thiyagarajan, J. O'Donnell, D. J. Christensen, C. Nicholson, J. J. Iliff, T. Takano, R. Deane, M. Nedergaard: Sleep drives metabolite clearance from the adult brain. In: Science. Band 342, Nummer 6156, Oktober 2013, S. 373–377, doi:10.1126/science.1241224, PMID 24136970, PMC 3880190 (freier Volltext).
  8. A. R. Eugene, J. Masiak: The Neuroprotective Aspects of Sleep. In: MEDtube science. Band 3, Nummer 1, März 2015, S. 35–40, PMID 26594659, PMC 4651462 (freier Volltext) (Review).
  9. A. Schneider, M. Simons: Exosomes: vesicular carriers for intercellular communication in neurodegenerative disorders. In: Cell and tissue research. Band 352, Nummer 1, April 2013, S. 33–47, doi:10.1007/s00441-012-1428-2, PMID 22610588, PMC 3602607 (freier Volltext) (Review).