„Prospect Theory“ – Versionsunterschied

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Die '''{{lang|en|Prospect Theory}},''' im Deutschen auch '''Neue Erwartungstheorie''' genannt, wurde 1979 von [[Daniel Kahneman]] und [[Amos Tversky]] als eine psychologisch realistischere Alternative zu der [[Erwartungsnutzentheorie#Erwartungsnutzenfunktion|Erwartungsnutzentheorie]] vorgestellt.<ref name="Economist.com">[http://www.economist.com/ www.economist.com]</ref> Sie erlaubt die Beschreibung der Entscheidungsfindung in Situationen des Risikos. Dies sind Entscheidungen, in denen die [[Eintrittswahrscheinlichkeit]]en künftiger [[Umweltzustand|Umweltzustände]] bekannt sind. Sie basiert auf empirischen Untersuchungen zum Entscheidungsverhalten in Lotterien ''(gambles),'' in denen die Alternativen sich bezüglich der Eintretenswahrscheinlichkeit und des gewinnbaren monetären Wertes unterscheiden. Anwendung findet die ''{{lang|en|prospect theory}}'' (ursprünglich ''{{lang|en|lottery theory}}'') beispielsweise in der ökonomischen Entscheidungstheorie. Sie ist heute ein wesentlicher Bestandteil der [[Verhaltensökonomik]] (englisch ''{{lang|en|behavioural economics}}'').
Die '''{{lang|en|Prospect Theory}},''' im Deutschen auch '''Neue Erwartungstheorie''' genannt, wurde 1979 von [[Daniel Kahneman]] und [[Amos Tversky]] als eine psychologisch realistischere Alternative zu der [[Erwartungsnutzentheorie#Erwartungsnutzenfunktion|Erwartungsnutzentheorie]] vorgestellt.<ref name="Economist.com">[http://www.economist.com/ www.economist.com]</ref> Die Ökonomen erhielten im Jahr 2002 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für ihr vorgestelltes Konzept. Sie erlaubt die Beschreibung der Entscheidungsfindung in Situationen des Risikos. Dies sind Entscheidungen, in denen die [[Eintrittswahrscheinlichkeit]]en künftiger [[Umweltzustand|Umweltzustände]] bekannt sind. Sie basiert auf empirischen Untersuchungen zum Entscheidungsverhalten in Lotterien ''(gambles),'' in denen die Alternativen sich bezüglich der Eintrittswahrscheinlichkeit und des gewinnbaren monetären Wertes unterscheiden. Anwendung findet die ''{{lang|en|prospect theory}}'' (ursprünglich ''{{lang|en|lottery theory}}'') beispielsweise in der ökonomischen Entscheidungstheorie. Sie ist heute ein wesentlicher Bestandteil der [[Verhaltensökonomik]] (englisch ''{{lang|en|behavioral economics|}}'').

Die Prospect Theory beruht auf dem Verständnis, dass das individuelle Risikoverhalten je nach eingeschätzter Sicherheit eines auftretenden Ereignisses variiert. Demnach wird der ökonomische Erwartungsnutzen von vielen Individuen nicht als Entscheidungsgrundlage genutzt. Die Individuen verhalten sich risikoavers. Sie bevorzugen bei positiven Ereignissen sichere Zahlungen gegenüber höheren, aber unsicheren Gewinnen. Bei negativen Ereignissen hingegen handeln Individuen risikofreudig. In diesem Zusammenhang bevorzugen die Individuen gemäß der Prospect Theory einen unsicheren, hohen Verlust gegenüber einem sicheren, aber geringeren Verlust. Daraus folgt eine S-förmige Wertefunktion der Entscheider die im positiven Bereich konkav und im negativen Bereich konvex verläuft. Zusätzlich wirkt sich der sogenannte Endowment-Effekt auf das Verhalten aus, dieser besagt, dass Individuen Dinge die sich bereits in ihrem Besitz befinden deutlich höher wertschätzen als Dinge die ihnen nicht gehören.<ref>{{Literatur|Autor=W. Kroeber-Riel / A. Gröppel-Klein|Titel=Konsumentenverhalten|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Auflage=10|Verlag=Franz Vahlen GmbH|Ort=München|Datum=2013|Seiten=21|ISBN=978-3-8006-4618-0}}</ref>


== Abgrenzung ==
== Abgrenzung ==
Seit ca. 1940 gingen wirtschaftswissenschaftliche Theorien vorwiegend von einem rationalen Menschen aus, der seine Entscheidungen auf der Grundlage von Informationen so trifft, dass Kosten minimiert und der Nutzen für ihn maximiert wird ''([[Homo oeconomicus]]).'' Der ''[[The Economist|Economist]]'' verwendet die Metapher des „[[Figuren im Star-Trek-Universum#Commander Spock|Mr Spock]]“<ref name="Economist99">[http://www.economist.com/node/268946 ''Irrationality Rethinking thinking''] auf Economist.com vom 16. Dezember 1999.</ref><ref name="Economist03">''Economist:'' [http://www.economist.com/node/1763775 ''Behaviourists at the gates;''] 8. Mai 2003.</ref> als absolut logisch denkenden Akteur. Statistische Untersuchungen belegen diese Betrachtung in einigen Bereichen, während andere sich der Erklärung entziehen.
Seit ca. 1940 gingen wirtschaftswissenschaftliche Theorien vorwiegend von einem rationalen Menschen aus, der seine Entscheidungen auf der Grundlage von Informationen so trifft, dass Kosten minimiert und der Nutzen für ihn maximiert wird ''([[Homo oeconomicus]]).'' Der ''[[The Economist|Economist]]'' verwendet die Metapher des „[[Figuren im Star-Trek-Universum#Commander Spock|Mr Spock]]“<ref name="Economist99">[http://www.economist.com/node/268946 ''Irrationality Rethinking thinking''] auf Economist.com vom 16. Dezember 1999.</ref><ref name="Economist03">''Economist:'' [http://www.economist.com/node/1763775 ''Behaviourists at the gates;''] 8. Mai 2003.</ref> als absolut logisch denkenden Akteur. Statistische Untersuchungen belegen diese Betrachtung in einigen Bereichen, während andere sich der Erklärung entziehen.

Der Homo Oeconomicus wird in der Verhaltensökonomie als ein großer Mythos bezeichnet. Der Homo Oeconomicus stellt die zentralen Annahmen der klassischen Ökonomie dar. Demnach ist er rational, maximiert stets seinen Eigennutzen, ist frei von Emotionen und macht niemals einen Fehler in der Informationsaufnahme und - verarbeitung. Das Modell des Homo Oeconomicus ist zwar unrealistisch und nicht vereinbar mit der Realität, dennoch hat dieses vereinfachte Menschenbild der modernen Nationalökonomie die enormen Fortschritte bei der Ausarbeitung ökonomischer Theorien und Modelle ermöglicht. Das Problem ist, dass Menschen mit irrationalen und unberechenbaren Charaktereigenschaften keine verwertbaren Ereignisse ermöglichen. Das nützliche an Modellen ist ihre Vereinfachung der Realität und ihre Reduktion auf wenige Annahmen. Ein solches vereinfachtes Modell ist das des Homo Oeconomicus. Würde man unterstellen, alle Menschen seien irrational, so wären jegliche wirtschaftstheoretische und politische Modellbildung unmöglich, man müsste dann auch jeden Versuch planvoller Wirtschaftspolitik einstellen. Nach der Theorie ist der Menschen der klassischen Ökonomie ein perfekter, kalter Rechenautomat ohne Emotionen.<ref>{{Literatur|Autor=H. Beck|Titel=Behavioral Economics|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Auflage=1|Verlag=Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH|Ort=Wiesbaden|Datum=2014|Seiten=1-2|ISBN=978-3-658-03367-5}}</ref>


Die ''{{lang|en|Prospect Theory}}'' ersetzt dieses strikt rationale Modell durch ein Modell, in dem die [[Rationalität]] unter anderem durch [[kognitive Verzerrung]]en (s.&nbsp;u.) modifiziert wird. Gegenüber anderen Modellen der Verhaltensökonomik hat es den Vorteil, dass man dieses Verhalten mathematisch modellieren kann.
Die ''{{lang|en|Prospect Theory}}'' ersetzt dieses strikt rationale Modell durch ein Modell, in dem die [[Rationalität]] unter anderem durch [[kognitive Verzerrung]]en (s.&nbsp;u.) modifiziert wird. Gegenüber anderen Modellen der Verhaltensökonomik hat es den Vorteil, dass man dieses Verhalten mathematisch modellieren kann.
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<math>v</math> ist eine so genannte Wertfunktion, die einem Resultat einen Wert bzw. Nutzen zuordnet. Sie schneidet den Referenzpunkt (0;0), ist S-förmig und gewichtet, wie ihre Asymmetrie nahelegt, bei gleicher Varianz in absoluten Werten, Verluste stärker als Gewinne ''(loss aversion).'' Im Gegensatz zur Erweiterten Nutzentheorie werden nur Verluste und Gewinne, nicht aber absolute Beträge gemessen. Die Funktion <math>w</math> wird Wahrscheinlichkeits-Gewichtungsfunktion genannt und drückt aus, dass Individuen unwahrscheinliche Ergebnisse überbewerten und mittel- bis hochwahrscheinliche Ergebnisse unterbewerten.
<math>v</math> ist eine so genannte Wertfunktion, die einem Resultat einen Wert bzw. Nutzen zuordnet. Sie schneidet den Referenzpunkt (0;0), ist S-förmig und gewichtet, wie ihre Asymmetrie nahelegt, bei gleicher Varianz in absoluten Werten, Verluste stärker als Gewinne ''(loss aversion).'' Im Gegensatz zur Erweiterten Nutzentheorie werden nur Verluste und Gewinne, nicht aber absolute Beträge gemessen. Die Funktion <math>w</math> wird Wahrscheinlichkeits-Gewichtungsfunktion genannt und drückt aus, dass Individuen unwahrscheinliche Ergebnisse überbewerten und mittel- bis hochwahrscheinliche Ergebnisse unterbewerten.

Zwei Besonderheiten zeichnen die S-förmige Wertefunktion aus. Sie verläuft konkav im Bereich der Gewinne und konvex im Bereich der Verluste, außerdem ist sie steiler im Verlustbereich als im Gewinnbereich. Steigt der Gewinn von 20 auf 40, so steigt die Wertschätzung von v(20) auf v(40), steigt der Gewinn von 220 auf 240, so steigt die Wertschätzung von v(220) auf v(240), wobei der Anstieg der Wertschätzung im zweiten Fall deutlich geringer ist als im ersten Fall. Die absolute Differenz zwischen zwei Gewinnen spielt also eine umso geringere Rolle, je größer der Gewinn bereits ist. In diesem Fall erhöht sich der persönliche Nutzen von 20 auf 40 mehr als von 220 auf 240. Dies spiegelt sich in der Krümmung im Gewinnbereich wieder. Der konvexe Verlauf im Bereich der Verluste, stellt sicher, dass das gleiche Phänomen auch im Verlustbereich auftritt. Demnach wird ein Verlust von 100 auf 50 als schlecht bewertet, steigt der Verlust von 200.000 auf 200.050 macht diese Differenz jedoch keinen großen Unterschied mehr. Die Funktion verläuft steiler im Verlustbereich als im Gewinnbereich, da die Menschen Verluste höher gewichten als Gewinne.<ref>{{Literatur|Autor=H. Beck|Titel=Behavioral Economics|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Auflage=1|Verlag=Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH|Ort=Wiesbaden|Datum=2014|Seiten=131-132|ISBN=978-3-658-03367-5}}</ref>


== Erklärungsversuch: kognitive Verzerrungen ==
== Erklärungsversuch: kognitive Verzerrungen ==
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Die Theorie basiert auf den experimentellen Arbeiten von Kahneman und Tversky. Kahneman wurde 2002 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet, Tversky war zu diesem Zeitpunkt schon verstorben.<ref name="Economist.com" /> Sie deckten in ihren psychologischen Experimenten die folgenden Wahrnehmungsverzerrungen und Ursachen auf:<ref>''The Economist.'' 24.–30. Mai 2003.</ref>
Die Theorie basiert auf den experimentellen Arbeiten von Kahneman und Tversky. Kahneman wurde 2002 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet, Tversky war zu diesem Zeitpunkt schon verstorben.<ref name="Economist.com" /> Sie deckten in ihren psychologischen Experimenten die folgenden Wahrnehmungsverzerrungen und Ursachen auf:<ref>''The Economist.'' 24.–30. Mai 2003.</ref>

Gemäß der Prospect Theory wird ein absoluter Gewinn oder eine absolute Preissteigerung von 20 auf 40 höher bewertet, als eine absolute Steigerung 220 auf 240. Hierzu gehört ebenfalls das betriebswirtschaftliche Einkalkulieren von nicht entscheidungsrelevanten früheren Aufwendung, die sogenannten ,, sunk costs". Investiert man beispielsweise sehr viel Geld in die Reparatur eines Gebrauchtwagens, so möchte man günstigere Autoangebote nicht mehr wahrnehmen. Auch die finanzielle Illusion gehört zur ökonomischen Irrationalität. Man wechselt wegen eines Preisnachteils von fünf Euro bei einem Kauf von Turnschuhen den Laden. Jedoch wechselt man bei einem gleich hohen Preisnachlass den Laden nicht, wenn es sich um den Kauf eines Fernsehers handelt.<ref>{{Literatur|Autor=V. Trommsdorff|Titel=Konsumentenverhalten|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Auflage=7|Verlag=W. Kohlhammer GmbH|Ort=Stuttgart|Datum=2009|Seiten=259|ISBN=978-3170201552}}</ref>


=== [[Vermessenheitsverzerrung]] ===
=== [[Vermessenheitsverzerrung]] ===

Version vom 2. Mai 2017, 22:12 Uhr

Die Prospect Theory, im Deutschen auch Neue Erwartungstheorie genannt, wurde 1979 von Daniel Kahneman und Amos Tversky als eine psychologisch realistischere Alternative zu der Erwartungsnutzentheorie vorgestellt.[1] Die Ökonomen erhielten im Jahr 2002 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für ihr vorgestelltes Konzept. Sie erlaubt die Beschreibung der Entscheidungsfindung in Situationen des Risikos. Dies sind Entscheidungen, in denen die Eintrittswahrscheinlichkeiten künftiger Umweltzustände bekannt sind. Sie basiert auf empirischen Untersuchungen zum Entscheidungsverhalten in Lotterien (gambles), in denen die Alternativen sich bezüglich der Eintrittswahrscheinlichkeit und des gewinnbaren monetären Wertes unterscheiden. Anwendung findet die prospect theory (ursprünglich lottery theory) beispielsweise in der ökonomischen Entscheidungstheorie. Sie ist heute ein wesentlicher Bestandteil der Verhaltensökonomik (englisch behavioral economics).

Die Prospect Theory beruht auf dem Verständnis, dass das individuelle Risikoverhalten je nach eingeschätzter Sicherheit eines auftretenden Ereignisses variiert. Demnach wird der ökonomische Erwartungsnutzen von vielen Individuen nicht als Entscheidungsgrundlage genutzt. Die Individuen verhalten sich risikoavers. Sie bevorzugen bei positiven Ereignissen sichere Zahlungen gegenüber höheren, aber unsicheren Gewinnen. Bei negativen Ereignissen hingegen handeln Individuen risikofreudig. In diesem Zusammenhang bevorzugen die Individuen gemäß der Prospect Theory einen unsicheren, hohen Verlust gegenüber einem sicheren, aber geringeren Verlust. Daraus folgt eine S-förmige Wertefunktion der Entscheider die im positiven Bereich konkav und im negativen Bereich konvex verläuft. Zusätzlich wirkt sich der sogenannte Endowment-Effekt auf das Verhalten aus, dieser besagt, dass Individuen Dinge die sich bereits in ihrem Besitz befinden deutlich höher wertschätzen als Dinge die ihnen nicht gehören.[2]

Abgrenzung

Seit ca. 1940 gingen wirtschaftswissenschaftliche Theorien vorwiegend von einem rationalen Menschen aus, der seine Entscheidungen auf der Grundlage von Informationen so trifft, dass Kosten minimiert und der Nutzen für ihn maximiert wird (Homo oeconomicus). Der Economist verwendet die Metapher des „Mr Spock[3][4] als absolut logisch denkenden Akteur. Statistische Untersuchungen belegen diese Betrachtung in einigen Bereichen, während andere sich der Erklärung entziehen.

Der Homo Oeconomicus wird in der Verhaltensökonomie als ein großer Mythos bezeichnet. Der Homo Oeconomicus stellt die zentralen Annahmen der klassischen Ökonomie dar. Demnach ist er rational, maximiert stets seinen Eigennutzen, ist frei von Emotionen und macht niemals einen Fehler in der Informationsaufnahme und - verarbeitung. Das Modell des Homo Oeconomicus ist zwar unrealistisch und nicht vereinbar mit der Realität, dennoch hat dieses vereinfachte Menschenbild der modernen Nationalökonomie die enormen Fortschritte bei der Ausarbeitung ökonomischer Theorien und Modelle ermöglicht. Das Problem ist, dass Menschen mit irrationalen und unberechenbaren Charaktereigenschaften keine verwertbaren Ereignisse ermöglichen. Das nützliche an Modellen ist ihre Vereinfachung der Realität und ihre Reduktion auf wenige Annahmen. Ein solches vereinfachtes Modell ist das des Homo Oeconomicus. Würde man unterstellen, alle Menschen seien irrational, so wären jegliche wirtschaftstheoretische und politische Modellbildung unmöglich, man müsste dann auch jeden Versuch planvoller Wirtschaftspolitik einstellen. Nach der Theorie ist der Menschen der klassischen Ökonomie ein perfekter, kalter Rechenautomat ohne Emotionen.[5]

Die Prospect Theory ersetzt dieses strikt rationale Modell durch ein Modell, in dem die Rationalität unter anderem durch kognitive Verzerrungen (s. u.) modifiziert wird. Gegenüber anderen Modellen der Verhaltensökonomik hat es den Vorteil, dass man dieses Verhalten mathematisch modellieren kann.

Das mathematische Modell

Wertfunktion

Von der Empirie ausgehend, beschreibt die Theorie, wie Individuen erwartete Gewinne bzw. Verluste bewerten. Entscheidungsprozesse werden in zwei Stufen gegliedert: editing (etwa: Bearbeitung) und evaluation (Bewertung). Zunächst werden die möglichen Resultate heuristisch geordnet: Ähnlichkeiten und Referenzpunkte werden festgelegt, so dass niedrige Ergebnisse als Verluste, höhere als Gewinne angesehen werden. Danach werden, ausgehend von den potentiellen Resultaten und ihren Eintrittswahrscheinlichkeiten, diesen Punkten Werte (Nutzen) zugeordnet. Die Alternative mit dem höchsten Nutzen wird dann gewählt.

Die einfachste Form der Formel, die Kahneman und Tversky für die Bewertungsphase angeben lautet:


wobei die potentiellen Resultate und ihre jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten abbilden.

ist eine so genannte Wertfunktion, die einem Resultat einen Wert bzw. Nutzen zuordnet. Sie schneidet den Referenzpunkt (0;0), ist S-förmig und gewichtet, wie ihre Asymmetrie nahelegt, bei gleicher Varianz in absoluten Werten, Verluste stärker als Gewinne (loss aversion). Im Gegensatz zur Erweiterten Nutzentheorie werden nur Verluste und Gewinne, nicht aber absolute Beträge gemessen. Die Funktion wird Wahrscheinlichkeits-Gewichtungsfunktion genannt und drückt aus, dass Individuen unwahrscheinliche Ergebnisse überbewerten und mittel- bis hochwahrscheinliche Ergebnisse unterbewerten.

Zwei Besonderheiten zeichnen die S-förmige Wertefunktion aus. Sie verläuft konkav im Bereich der Gewinne und konvex im Bereich der Verluste, außerdem ist sie steiler im Verlustbereich als im Gewinnbereich. Steigt der Gewinn von 20 auf 40, so steigt die Wertschätzung von v(20) auf v(40), steigt der Gewinn von 220 auf 240, so steigt die Wertschätzung von v(220) auf v(240), wobei der Anstieg der Wertschätzung im zweiten Fall deutlich geringer ist als im ersten Fall. Die absolute Differenz zwischen zwei Gewinnen spielt also eine umso geringere Rolle, je größer der Gewinn bereits ist. In diesem Fall erhöht sich der persönliche Nutzen von 20 auf 40 mehr als von 220 auf 240. Dies spiegelt sich in der Krümmung im Gewinnbereich wieder. Der konvexe Verlauf im Bereich der Verluste, stellt sicher, dass das gleiche Phänomen auch im Verlustbereich auftritt. Demnach wird ein Verlust von 100 auf 50 als schlecht bewertet, steigt der Verlust von 200.000 auf 200.050 macht diese Differenz jedoch keinen großen Unterschied mehr. Die Funktion verläuft steiler im Verlustbereich als im Gewinnbereich, da die Menschen Verluste höher gewichten als Gewinne.[6]

Erklärungsversuch: kognitive Verzerrungen

In der Theorie wird die These vertreten, dass häufig auftretende kognitive Verzerrungen (biases) das Verhalten unter Ungewissheit beeinflussen. Insbesondere sollen Menschen stärker durch Verluste als durch Gewinne motiviert werden und demnach mehr Energie in die Vermeidung von Verlusten als in die Erzielung von Gewinnen investieren.[1]

Die Theorie basiert auf den experimentellen Arbeiten von Kahneman und Tversky. Kahneman wurde 2002 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet, Tversky war zu diesem Zeitpunkt schon verstorben.[1] Sie deckten in ihren psychologischen Experimenten die folgenden Wahrnehmungsverzerrungen und Ursachen auf:[7]

Gemäß der Prospect Theory wird ein absoluter Gewinn oder eine absolute Preissteigerung von 20 auf 40 höher bewertet, als eine absolute Steigerung 220 auf 240. Hierzu gehört ebenfalls das betriebswirtschaftliche Einkalkulieren von nicht entscheidungsrelevanten früheren Aufwendung, die sogenannten ,, sunk costs". Investiert man beispielsweise sehr viel Geld in die Reparatur eines Gebrauchtwagens, so möchte man günstigere Autoangebote nicht mehr wahrnehmen. Auch die finanzielle Illusion gehört zur ökonomischen Irrationalität. Man wechselt wegen eines Preisnachteils von fünf Euro bei einem Kauf von Turnschuhen den Laden. Jedoch wechselt man bei einem gleich hohen Preisnachlass den Laden nicht, wenn es sich um den Kauf eines Fernsehers handelt.[8]

Vermessenheitsverzerrung

englisch overconfidence/over-confidentiality bias

  • Überschätzen der eigenen Fähigkeiten und des Mutes
  • Überschätzen des eigenen Einflusses auf die Zukunft. Sogar phantastische Vorstellungen über zukünftige Ereignisse werden für wirksam gehalten (beispielsweise das Tragen des Vereins-T-Shirts vor wichtigen Spielen, Aberglaube)
  • Fehleinschätzung der Fähigkeiten von Konkurrenten
  • Überschätzen der eigenen Kenntnisse und des Verständnisses[3]

Ankerheuristik

englisch anchoring effect

  • Eine einmal gemachte Aussage (Meinung) wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Dies gilt sogar dann, wenn eine Aussage von einer Quelle stammt, die nicht besser informiert ist als man selbst.[3]

Sturheit

  • Eine einmal eingenommene Position wird nicht gerne aufgegeben.

Nähe-Verzerrung

  • Die Kenntnis einer bestimmten Problematik verzerrt die Wahrnehmung in Richtung des Bekannten; anderweitige Optionen werden ignoriert.

Status-quo-Verzerrung

englisch status quo bias

  • Menschen gehen größere Risiken ein, um den Status quo zu erhalten, als um die Situation zu ändern.[3]

Gewinn und Verlust

  • Menschen fürchten Verlust mehr, als sie Gewinn begrüßen (s. a. Dispositionseffekt). Das geht so weit, dass greifbare Vorteile nicht wahrgenommen werden, um die entferntere Chance des Versagens zu vermeiden.[3]

Falsche Prioritäten

  • Menschen wenden unverhältnismäßig viel Zeit für kleine und unverhältnismäßig wenig für große Entscheidungen auf.

Unangebrachtes Bedauern

  • Bedauern über einen Verlust bringt nichts ein, aber es wird viel Zeit darauf verwendet.

Täuschung

Manipulation

  • Entscheidung für eine Sache fällt – bei gleichem Ergebnis – leichter, wenn sie mit Verlustangst präsentiert wird, und fällt schwerer bei Hoffnung auf Gewinn (Gewinn- und Verlustszenarien).

Priming

nach John A. Bargh

  • Entscheidungen werden durch vergangene, gespeicherte und meist unbewusste Erfahrungen und Erwartungen beeinflusst (semantisches Priming).

Vorahnungen

Literatur

  • D. Kahneman und A. Tversky (1979): Prospect theory: An analysis of decision under risk. In: Econometrica Band 47, Nr. 2, S. 263–291.
  • A. Tversky und D. Kahneman (1992): Advances in prospect theory: cumulative representation of uncertainty. In: D. Kahneman, A. Tversky (Hrsg.): Choices, values and frames. Cambridge University Press, Cambridge 2000, S. 44–66.
  • D. Kahneman: Thinking, fast and slow. Allen Lane, London 2011, ISBN 978-1-84614-606-0, darin Kapitel 26 Prospect Theory, S. 278–288.

Quellen

  1. a b c www.economist.com
  2. W. Kroeber-Riel / A. Gröppel-Klein: Konsumentenverhalten. 10. Auflage. Franz Vahlen GmbH, München 2013, ISBN 978-3-8006-4618-0, S. 21.
  3. a b c d e Irrationality Rethinking thinking auf Economist.com vom 16. Dezember 1999.
  4. Economist: Behaviourists at the gates; 8. Mai 2003.
  5. H. Beck: Behavioral Economics. 1. Auflage. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-03367-5, S. 1–2.
  6. H. Beck: Behavioral Economics. 1. Auflage. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-03367-5, S. 131–132.
  7. The Economist. 24.–30. Mai 2003.
  8. V. Trommsdorff: Konsumentenverhalten. 7. Auflage. W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-17-020155-2, S. 259.

Weblinks

Commons: prospect theory – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien