„Schuldgefühl“ – Versionsunterschied

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Das '''Schuldgefühl''' ist eine – normalerweise als negativ wahrgenommene – soziale [[Emotion]], welche bewusst oder unbewusst, einer Fehlreaktion, Pflichtverletzung oder [[Missetat]] folgt. Mögliche körperliche Reaktionen (Erröten, Schwitzen, eventuell sogar depressive Verstimmung, Fieber oder Magenverstimmung) sind oft vergleichbar mit denen der [[Schamgefühl|Scham]] oder [[Angst]], aber meist schwächer ausgeprägt. Schuld, Scham und [[Verantwortungsgefühl]] können leicht verwechselt werden, d. h. die Abgrenzung im Erleben des Individuums ist häufig schwierig. In der Fachliteratur wird Scham von Schuld mittels der Bewertungsgrundlage des Verhaltens abgegrenzt: Während Schuld durch eine negative Bewertung eines Verhaltens erzeugt wird („ich habe etwas Falsches getan“), wird Scham durch eine negative Bewertung des globalen Selbsts erzeugt („ich bin ein schlechter Mensch“).
Das '''Schuldgefühl''' ist eine – normalerweise als negativ wahrgenommene – soziale [[Emotion]], welche bewusst oder unbewusst, einer Fehlreaktion, Pflichtverletzung oder [[Missetat]] folgt. Mögliche körperliche Reaktionen (Erröten, Schwitzen, eventuell sogar depressive Verstimmung, Fieber oder Magenverstimmung) sind oft vergleichbar mit denen der [[Schamgefühl|Scham]] oder [[Angst]], aber meist schwächer ausgeprägt. Schuld, Scham und [[Verantwortungsgefühl]] können leicht verwechselt werden, d. h. die Abgrenzung im Erleben des Individuums ist häufig schwierig. In der Fachliteratur wird Scham von Schuld mittels der Bewertungsgrundlage des Verhaltens abgegrenzt: Während Schuld durch eine negative Bewertung eines Verhaltens erzeugt wird („ich habe etwas Falsches getan“), wird Scham durch eine negative Bewertung des globalen Selbsts erzeugt („ich bin ein schlechter Mensch“).


In der ursprünglich auf Freud zurückgehenden [[Tiefenpsychologie]] wird das Schuldgefühl durch das „[[Über-Ich]]“ ausgelöst. Die Fähigkeit zum Erleben von Schuldgefühlen und deren Auslösbarkeit durch charakteristische aktuelle Lebensereignisse wird nach analytischen und tiefenpsychologischen entwicklungspsychologischen Theorien innerhalb charakteristischer [[Lebensphase]]n in der [[Kindheit]] erworben.
In der ursprünglich auf Freud zurückgehenden [[Tiefenpsychologie]] wird das Schuldgefühl durch das „[[Über-Ich]]“ ausgelöst. Die Fähigkeit zum Erleben von Schuldgefühlen und deren Auslösbarkeit durch charakteristische aktuelle Lebensereignisse wird nach analytischen und tiefenpsychologischen entwicklungspsychologischen Theorien innerhalb charakteristischer [[Lebensphase]]n in der [[Kindheit]] erworben. Das Gefühl der Schuld wird nach Zinck zu den selbstreflexiven Emotionan oder nach Krause zu den me-emotions weil sie in der Auseinandersetzung mit sich selbst und eigenen Wertmaßstäben entstehen.<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Ulfried Geuter |Titel=Körperpsychotherapie: Grundriss einer Theorie für die klinische Praxis |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Springer-Verlag |Ort= |Datum=2015 |ISBN=9783642040146 |Seiten=197 |Online={{Google Buch| BuchID=pkDzBgAAQBAJ| Seite=197}}}}</ref> Während die Basisemotinen schon in den ersten Lebensmonaten zu beobachten sind, werden selbstreflexive Emotionan erst später erworben,<ref name=":0" /> etwa ab dem zweiten Lebensjahr, wenn Repräsentanzen des eigenen Selbst und von anderen vorhanden sind.<ref name=":1">{{Literatur |Autor=Rainer Krause |Titel=Allgemeine psychodynamische Behandlungs- und Krankheitslehre: Grundlagen und Modelle |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Kohlhammer Verlag |Ort= |Datum=2012-08-16 |ISBN=9783170235618 |Seiten=214, 220 |Online={{Google Buch| BuchID=8D94DwAAQBAJ| Seite=220}}}}</ref> Micahel Lewis geht von einem Zeitraum zwischen dem zweieinhalbten und dirtten Lebensjahr aus.<ref name=":1" />


== Auslöser ==
== Auslöser ==

Version vom 26. Januar 2019, 23:06 Uhr

Das Schuldgefühl ist eine – normalerweise als negativ wahrgenommene – soziale Emotion, welche bewusst oder unbewusst, einer Fehlreaktion, Pflichtverletzung oder Missetat folgt. Mögliche körperliche Reaktionen (Erröten, Schwitzen, eventuell sogar depressive Verstimmung, Fieber oder Magenverstimmung) sind oft vergleichbar mit denen der Scham oder Angst, aber meist schwächer ausgeprägt. Schuld, Scham und Verantwortungsgefühl können leicht verwechselt werden, d. h. die Abgrenzung im Erleben des Individuums ist häufig schwierig. In der Fachliteratur wird Scham von Schuld mittels der Bewertungsgrundlage des Verhaltens abgegrenzt: Während Schuld durch eine negative Bewertung eines Verhaltens erzeugt wird („ich habe etwas Falsches getan“), wird Scham durch eine negative Bewertung des globalen Selbsts erzeugt („ich bin ein schlechter Mensch“).

In der ursprünglich auf Freud zurückgehenden Tiefenpsychologie wird das Schuldgefühl durch das „Über-Ich“ ausgelöst. Die Fähigkeit zum Erleben von Schuldgefühlen und deren Auslösbarkeit durch charakteristische aktuelle Lebensereignisse wird nach analytischen und tiefenpsychologischen entwicklungspsychologischen Theorien innerhalb charakteristischer Lebensphasen in der Kindheit erworben. Das Gefühl der Schuld wird nach Zinck zu den selbstreflexiven Emotionan oder nach Krause zu den me-emotions weil sie in der Auseinandersetzung mit sich selbst und eigenen Wertmaßstäben entstehen.[1] Während die Basisemotinen schon in den ersten Lebensmonaten zu beobachten sind, werden selbstreflexive Emotionan erst später erworben,[1] etwa ab dem zweiten Lebensjahr, wenn Repräsentanzen des eigenen Selbst und von anderen vorhanden sind.[2] Micahel Lewis geht von einem Zeitraum zwischen dem zweieinhalbten und dirtten Lebensjahr aus.[2]

Auslöser

Schuldgefühle werden, sofern die Fähigkeit dazu vom Individuum schon erworben wurde, ausgelöst, wenn eine sozial unerwünschte Handlung begangen wird. Dies können sein:

Offensichtliche auslösende Faktoren können beispielsweise ein verursachter Schaden, Versäumnis eines Termins oder ähnliche (unnötige bzw. vermeidbare) Fehler sein. Spezifische Gründe können vorliegen, wenn Menschen das Verpassen von Chancen bereuen oder im Nachhinein an der Richtigkeit getroffener Lebensentscheidungen zweifeln. Obwohl dies quälende Gefühle bereitet, besteht deren tieferer Sinn darin, dass sie aus vergangenen Irrtümern lernen und ab dann bessere und für sich stimmigere (=  plausiblere) Entscheidungen treffen können.

Zudem kann das Schuldgefühl aber auch durch objektiv schwer nachvollziehbare Auslöser entstehen. Es wird normalerweise entweder von der Umwelt oder vom Betroffenen selbst entwickelt und verstärkt. Hierbei meist mitverantwortlich ist eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Disposition, Persönlichkeitsstörung oder psychische Erkrankung, wie z. B. bei der mittelschweren oder schweren depressiven Episode. (Siehe auch Selbstwert, Selbstachtung.) Ein häufig beobachtetes Phänomen ist die Entwicklung von Schuldgefühlen, wenn folgende Bedingungen gleichzeitig gegeben sind: 1. plötzlich auftretende Situation, die 2. emotional belastet (z. B. plötzlicher Tod oder Unfall einer nahestehenden Person, Erleben sexuellen Missbrauchs, aber auch nach dem Erfahren von weit entfernten Naturkatastrophen, wenn sie für den Betreffenden emotional belastend sind). In diesen Fällen ist keine persönliche Disposition ausschlaggebend.

Reaktionen

Schuldgefühle können Gewissensbisse, Ärger, Angst und sogar Panik hervorrufen; siehe auch Assoziation (Psychologie). Die Person wird von innerer Unruhe getrieben sein, ein schlechtes Gewissen haben und allgemein unter einem bedrückenden Gefühl leiden. Zweifel, Selbstvorwürfe und die ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Fehlverhalten sind typisch. Die betroffene Person empfindet ausgeprägte Reue, also den Wunsch, das Geschehene ungeschehen zu machen bzw. die Schuld wiedergutzumachen. In manchen Fällen sind Schuldgefühle auch Auslöser für Selbstverletzendes Verhalten (SVV).

Psychologie der Schuldgefühle

Nach der Auffassung des Psychiaters und Neurowissenschaftlers Raphael M. Bonelli (2013) ist das Schuldgefühl ein Alarmsignal, das wie das Schmerzgefühl Gefahr anzeigt. Während der Schmerz auf einen körperlichen Schaden hinweist (wie etwa eine Knieverletzung), so zeigt das Schuldgefühl sozialen Schaden an (wie etwa die Beleidigung des Partners).[3] Pathologischer Schmerz (etwa der Phantomschmerz) ist ein Fehlalarm des Nervensystems ohne morphologisches Korrelat, analog dazu ist "pathologisches Schuldgefühl" ein Schuldgefühl ohne Schuld (bei Depression, Neurose, Wahn oder selbstunsichere Persönlichkeitsstörung). Bonelli: "Normalerweise hat man aber Schuldgefühle, weil man schuldig geworden ist. Es ist völlig normal, schuldig zu werden. Das menschliche Leben besteht darin, Unrecht zu erleiden und Unrecht zu tun. Schuldbewusstsein, Schuldgefühle, Gewissensbisse und ein schlechtes Gewissen sind an und für sich Zeichen für psychische Gesundheit."[4] Gefährlich werde es, wenn die Alarmanlage gar nicht mehr funktioniere, wie etwa beim Diabetisches Fußsyndrom in der Medizin oder bei der Schuldverdrängung in der Psychodynamik, weil dann der körperliche oder soziale Schaden nicht korrigiert werden könne.[5] Bonelli: "Früher hat man Sex verdrängt, heute Schuld."[6] Das mache den Menschen unfähig, um Verzeihung zu bitten und so seine Beziehungen zu sanieren.

Schuldgefühle im Kognitivismus

Nach kognitionstheoretischem Ansatz entstehen Schuldgefühle, wenn der Betroffene sein Verhalten als falsch bewertet und sich dafür als Mensch verurteilt. Sie werden in einigen Richtungen dieser Theorien nicht als „Gefühle“, sondern als Bewertungen und Schlussfolgerungen angesehen, die (aus dieser Sicht korrekte) zugehörige Emotion ist Scham; der Begriff Schuldgefühl oder Schuldgefühle wird daher in strenger Auslegung nicht verwendet, eine Abgrenzung unterbleibt somit (z. B. Stavemann, 2008[7]). Demnach können Schuldgefühle bzw. Scham überwunden werden, wenn Bewertung und Schlussfolgerung überprüft und korrigiert werden. Oftmals sehen sich Betroffene verantwortlich für Ereignisse, die nicht oder nur zum Teil unter ihrer Kontrolle lagen. Betroffene trennen auch häufig nicht zwischen ihrer Person und einem einmaligen Verhalten zu einem bestimmten Zeitpunkt. Betroffene verknüpfen das Begehen von Fehlern – den Verstoß gegen (in diesem Ansatz eben immer eigenen, verinnerlichten) Normen – mit einer Bewertung ihrer gesamten Person, bzw. fällen ein Urteil über sich als Mensch, bzw. wertvollen oder wertlosen Menschen (im Sinne einer pathologischen Selbstwertbestimmung). Dies sind in der Regel tief verwurzelte und inzwischen unbewusst ablaufende Bewertungsprozesse. Häufig werden diese theoretischen Ansätze auch in verhaltenstherapeutisch orientierten Psychotherapien praktisch umgesetzt.

Religiöse Bedeutung

Der Buddhismus stellt das Schuldgefühl weitgehend in den Bereich des Leids, von welchem man sich über den Weg der Akzeptanz befreien muss.

Das zentrale Dogma des Christentums vom Sühnetod Christi am Kreuz führt dazu, das Gewissen von vorhandenem Schuldgefühl zu befreien, um so ein Umdenken (Metanoia) des Menschen möglich zu machen.[8]

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1. a b Ulfried Geuter: Körperpsychotherapie: Grundriss einer Theorie für die klinische Praxis. Springer-Verlag, 2015, ISBN 978-3-642-04014-6, S. 197 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  2. a b Rainer Krause: Allgemeine psychodynamische Behandlungs- und Krankheitslehre: Grundlagen und Modelle. Kohlhammer Verlag, 2012, ISBN 978-3-17-023561-8, S. 214, 220 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. Raphael M. Bonelli: Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen. Pattloch-Verlag, München 2013, Seite 32 ff.
  4. Raphael M. Bonelli: Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen. Pattloch-Verlag, München 2013, Seite 45 ff.
  5. Nathalie Roden: ICH WILL ... auch mal Schuldgefühle haben. Wienerin, März 2013, Seite 174–175
  6. Raphael M. Bonelli: Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen. Pattloch-Verlag, München 2013, Seite 56.
  7. H. Stavemann: KVT-Praxis: Strategien und Leitfäden für die Kognitive Verhaltenstherapie. 2. Auflage. Beltz/PVU, Weinheim 2008.
  8. vgl. Rechtfertigung (Theologie)