„Neutrinoloser doppelter Betazerfall“ – Versionsunterschied

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Der '''neutrinolose doppelte Betazerfall (0νββ)''' ist ein häufig vorgeschlagener und experimentell verfolgter theoretischer [[Radioaktivität|radioaktiver Zerfallsprozess]], der die [[Majorana-Fermion|Majorana-Natur]] des [[Neutrino|Neutrinoteilchen]] nachweisen würde.<ref name="GrotzKlapdor1990" /><ref name="Oberauer2020" /> Bis heute wurde der Prozess nicht bestätigt.<ref name="Rodejohann20122">{{cite journal|last1=Rodejohann|first1=Werner|title=Neutrino-less double beta decay and particle physics|journal=International Journal of Modern Physics E|date=2 May 2012|volume=20|issue=09|pages=1833–1930|doi=10.1142/S0218301311020186}}</ref><ref name="Deppisch2019">{{Literatur |ISBN=978-1-64327-679-3}}</ref>
Der '''neutrinolose doppelte Betazerfall (0νββ)''' ist ein häufig vorgeschlagener und experimentell verfolgter theoretischer [[Radioaktivität|radioaktiver Zerfallsprozess]], der die [[Majorana-Fermion|Majorana-Natur]] des [[Neutrino|Neutrinoteilchen]] nachweisen würde.<ref name="GrotzKlapdor1990" /><ref name="Oberauer2020" /> Bis heute wurde der Prozess nicht bestätigt.<ref name="Oberauer2020" /><ref name="Rodejohann2012" /><ref name="Deppisch2019">{{cite book |last1=Deppisch |first1=Frank F. |title=A modern introduction to neutrino physics |date=2019 |publisher=Morgan & Claypool Publishers |isbn=978-1-64327-679-3}}</ref>


Die Entdeckung des neutrinolosen [[Doppelter Betazerfall|doppelten Betazerfalls]] könnte Aufschluss über die absoluten Neutrinomassen und ihre Massenhierarchie (Neutrinomasse) geben. Dies würde das erste Signal für die Verletzung der Erhaltung der gesamten Leptonzahl bedeuten.<ref name="PDGbook4">{{cite journal|last1=Patrignani et al. (Particle Data Group)|first1=C.|title=Review of Particle Physics|journal=Chinese Physics C|date=October 2016|volume=40|issue=10|page=647|doi=10.1088/1674-1137/40/10/100001}}</ref> Die Majorana-Natur von [[Neutrino|Neutrinos]] würde bestätigen, dass das [[Antiteilchen]] des Neutrinos nicht anders ist als es selbst, d.h. es ''ist'' sein eigenes Antiteilchen.<ref name="Majorana19373">{{cite journal|last1=Majorana|first1=Ettore|title=Teoria simmetrica dell’elettrone e del positrone|journal=Il Nuovo Cimento (1924-1942)|date=1937|volume=14|issue=4|doi=10.1007/BF02961314|url=https://link.springer.com/article/10.1007/BF02961314}}</ref>
Die Entdeckung des neutrinolosen [[Doppelter Betazerfall|doppelten Betazerfalls]] könnte Aufschluss über die absoluten Neutrinomassen und ihre Massenhierarchie (Neutrinomasse) geben. Dies würde das erste Signal für die Verletzung der Erhaltung der gesamten Leptonzahl bedeuten.<ref name="PDGbook4">{{cite journal|last1=Patrignani et al. (Particle Data Group)|first1=C.|title=Review of Particle Physics|journal=Chinese Physics C|date=October 2016|volume=40|issue=10|page=647|doi=10.1088/1674-1137/40/10/100001}}</ref> Die Majorana-Natur von [[Neutrino|Neutrinos]] würde bestätigen, dass das [[Antiteilchen]] des Neutrinos nicht anders ist als es selbst, d.h. es ''ist'' sein eigenes Antiteilchen.<ref name="Majorana1937">{{cite journal|last1=Majorana|first1=Ettore|title=Teoria simmetrica dell’elettrone e del positrone|journal=Il Nuovo Cimento (1924-1942)|date=1937|volume=14|issue=4|doi=10.1007/BF02961314|url=https://link.springer.com/article/10.1007/BF02961314}}</ref>


Um nach einem neutrinolosen doppelten Betazerfall zu suchen, gibt es derzeit eine Reihe von Experimenten, wobei auch mehrere zukünftige Experimente zur Erhöhung der Empfindlichkeit vorgeschlagen wurden.<ref name="Bilenky20153">{{cite journal|last1=Bilenky|first1=S. M.|last2=Giunti|first2=C.|title=Neutrinoless double-beta decay: A probe of physics beyond the Standard Model|journal=International Journal of Modern Physics A|date=11 February 2015|volume=30|issue=04n05|pages=1530001|doi=10.1142/S0217751X1530001X}}</ref>
Um nach einem neutrinolosen doppelten Betazerfall zu suchen, gibt es derzeit eine Reihe von Experimenten, wobei auch mehrere zukünftige Experimente zur Erhöhung der Empfindlichkeit vorgeschlagen wurden.<ref name="Bilenky2015" />


== Historische Entwicklung der theoretischen Diskussion ==
== Historische Entwicklung der theoretischen Diskussion ==

Bereits 1939 schlug Wendell H. Furry die Idee der Majorana-Natur des Neutrinos, das mit Betazerfällen verknüpft wurde, vor.<ref name="Furry19392">{{cite journal|last1=Furry|first1=W. H.|title=On Transition Probabilities in Double Beta-Disintegration|journal=Physical Review|date=15 December 1939|volume=56|issue=12|pages=1184–1193|doi=10.1103/PhysRev.56.1184}}</ref> Furry gab an, dass die Übergangswahrscheinlichkeit für den neutrino''losen'' doppelten Betazerfall sogar noch höher ist.<ref name="Furry19392" /> Es war die erste Idee, nach der Verletzung der Leptonzahl zu suchen.<ref name="GrotzKlapdor1990" /> Seitdem wurde Aufmerksamkeit auf diese Idee gelegt, da sie nützlich sei, die Natur von Neutrinos zu untersuchen (siehe Zitat).
Bereits 1939 schlug Wendell H. Furry die Idee der Majorana-Natur des Neutrinos, das mit Betazerfällen verknüpft wurde, vor.<ref name="Furry1939">{{cite journal |last1=Furry |first1=W. H. |title=On Transition Probabilities in Double Beta-Disintegration |journal=Physical Review |date=15 December 1939 |volume=56 |issue=12 |pages=1184–1193 |doi=10.1103/PhysRev.56.1184}}</ref> Furry gab an, dass die Übergangswahrscheinlichkeit für den neutrino''losen'' doppelten Betazerfall sogar noch höher ist.<ref name="Furry1939" /> Es war die erste Idee, nach der Verletzung der Leptonzahl zu suchen.<ref name="GrotzKlapdor1990" /> Seitdem wurde Aufmerksamkeit auf diese Idee gelegt, da sie nützlich sei, die Natur von Neutrinos zu untersuchen (siehe Zitat).


{{Zitat |Text=[T]he 0ν mode [...] which violates the lepton number and has been recognized since a long time as a powerful tool to test neutrino properties. | Autor=Oliviero Cremonesi<ref>{{cite journal |last1=Cremonesi |first1=Oliviero |title=Neutrinoless double beta decay: Present and future |journal=Nuclear Physics B - Proceedings Supplements |date=April 2003 |volume=118 |pages=287–296 |doi=10.1016/S0920-5632(03)01331-8}}</ref>}}
{{Zitat |Text=[T]he 0ν mode [...] which violates the lepton number and has been recognized since a long time as a powerful tool to test neutrino properties. | Autor=Oliviero Cremonesi<ref>{{cite journal |last1=Cremonesi |first1=Oliviero |title=Neutrinoless double beta decay: Present and future |journal=Nuclear Physics B - Proceedings Supplements |date=April 2003 |volume=118 |pages=287–296 |doi=10.1016/S0920-5632(03)01331-8}}</ref>}}


Der italienische Physiker [[Ettore Majorana]] führte als erster das Konzept ein, dass ein Teilchen sein eigenes Antiteilchen sein kann. Die Natur dieser Teilchen wurde später nach ihm als Majorana-Teilchen bezeichnet. Der neutrinolose doppelte Betazerfall ist eine Methode, um nach der möglichen Majorana-Natur von Neutrinos zu suchen.
Der italienische Physiker [[Ettore Majorana]] führte als erster das Konzept ein, dass ein Teilchen sein eigenes Antiteilchen sein kann.<ref name="Majorana1937" /> Die Natur dieser Teilchen wurde später nach ihm als Majorana-Teilchen bezeichnet. Der neutrinolose doppelte Betazerfall ist eine Methode, um nach der möglichen Majorana-Natur von Neutrinos zu suchen.<ref name="PDGbook" />

[[Datei:Ettore_Majorana.jpg|links|mini|320x320px|Ettore Majorana, der als erster die Idee einführte, dass Teilchen und Antiteilchen identisch sein können.]]
[[Datei:Ettore_Majorana.jpg|links|mini|320x320px|Ettore Majorana, der als erster die Idee einführte, dass Teilchen und Antiteilchen identisch sein können.]]


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=== Konventioneller doppelter Betazerfall ===
=== Konventioneller doppelter Betazerfall ===

Neutrinos werden normalerweise in schwachen Zerfällen produziert. Schwache Betazerfälle produzieren in der Regel ein [[Elektron]] (oder [[Positron]]), emittieren ein [[Antineutrino]] (oder Neutrino) und erhöhen die [[Protonenzahl]] des [[Atomkern|Kerns]] <math>Z</math> um eins. Die Kernmasse (d.h. [[Bindungsenergie]]) ist dann geringer und somit günstiger. Es gibt eine Reihe von Elementen, die in einen Kern mit geringerer Masse zerfallen können, aber sie können nicht nur ''ein'' Elektron emittieren, weil der resultierende Kern kinematisch (d.h. in Bezug auf die Energie) ungünstig ist (seine Energie wäre höher). Diese Kerne können nur durch Emission von ''zwei'' Elektronen zerfallen (d.h. durch ''doppelten Betazerfall''). Es gibt ungefähr ein Dutzend bestätigte Fälle von Kernen, die nur über den doppelten Betazerfall zerfallen können. Die entsprechende Zerfallsgleichung lautet:
Neutrinos werden normalerweise in schwachen Zerfällen produziert.<ref name="PDGbook" /> Schwache Betazerfälle produzieren in der Regel ein [[Elektron]] (oder [[Positron]]), emittieren ein [[Antineutrino]] (oder Neutrino) und erhöhen die [[Protonenzahl]] des [[Atomkern|Kerns]] <math>Z</math> um eins. Die Kernmasse (d.h. [[Bindungsenergie]]) ist dann geringer und somit günstiger. Es gibt eine Reihe von Elementen, die in einen Kern mit geringerer Masse zerfallen können, aber sie können nicht nur ''ein'' Elektron emittieren, weil der resultierende Kern kinematisch (d.h. in Bezug auf die Energie) ungünstig ist (seine Energie wäre höher).<ref name="Oberauer2020">{{cite book |last1=Oberauer |first1=Lothar |last2=Ianni |first2=Aldo |last3=Serenelli |first3=Aldo |title=Solar neutrino physics : the interplay between particle physics and astronomy |date=2020 |publisher=Wiley-VCH |isbn=978-3-527-41274-7 |pages=120-127}}</ref> Diese Kerne können nur durch Emission von ''zwei'' Elektronen zerfallen (d.h. durch ''doppelten Betazerfall''). Es gibt ungefähr ein Dutzend bestätigte Fälle von Kernen, die nur über den doppelten Betazerfall zerfallen können.<ref name="Oberauer2020" /> Die entsprechende Zerfallsgleichung lautet:


: <math>(A,Z)\rightarrow (A,Z+2)+2e^-+2\bar{\nu}_e</math>.<ref name="GrotzKlapdor1990" />
: <math>(A,Z)\rightarrow (A,Z+2)+2e^-+2\bar{\nu}_e</math>.<ref name="GrotzKlapdor1990" />


Es ist ein schwacher Prozess zweiter Ordnung. Ein gleichzeitiger Zerfall von zwei [[Nukleon|Nukleonen]] im selben Kern ist äußerst unwahrscheinlich. Somit liegen die experimentell beobachteten Lebensdauern solcher Zerfallsprozesse im Bereich von <math> 10^{18}-10^{21} </math> Jahren. Es wurde bereits eine Reihe von [[Isotop|Isotopen]] beobachtet, die diesen doppelten Betazerfall mit zwei Neutrinos zeigen.
Es ist ein schwacher Prozess zweiter Ordnung.<ref name="Oberauer2020" /> Ein gleichzeitiger Zerfall von zwei [[Nukleon|Nukleonen]] im selben Kern ist äußerst unwahrscheinlich. Somit liegen die experimentell beobachteten Lebensdauern solcher Zerfallsprozesse im Bereich von <math> 10^{18}-10^{21} </math> Jahren.<ref name="Artusa2014" /> Es wurde bereits eine Reihe von [[Isotop|Isotopen]] beobachtet, die diesen doppelten Betazerfall mit zwei Neutrinos zeigen.<ref name="Rodejohann2012" />


Dieser konventionelle doppel Betazerfall ist im [[Standardmodell]] der Teilchenphysik zulässig. Er hat also sowohl eine theoretische als auch eine experimentelle Grundlage.
Dieser konventionelle doppel Betazerfall ist im [[Standardmodell]] der Teilchenphysik zulässig.<ref name="Rodejohann2012" /> Er hat also sowohl eine theoretische als auch eine experimentelle Grundlage.


=== Übersicht ===
=== Übersicht ===

[[Datei:Double_beta_decay_feynman.svg|rechts|mini|250x250px|[[Feynman-Diagramm|Feynmandiagramm]] des neutrinolosen doppelten Betazerfalls. Hier zerfallen zwei [[Neutron|Neutronen]] in zwei [[Proton|Protonen]] und zwei Elektronen, aber kein Neutrino befindet sich im Endzustand. Die Existenz dieses Mechanismus würde erfordern, dass die Neutrinos Majorana-Teilchen sind.]]
[[Datei:Double_beta_decay_feynman.svg|rechts|mini|250x250px|[[Feynman-Diagramm|Feynmandiagramm]] des neutrinolosen doppelten Betazerfalls. Hier zerfallen zwei [[Neutron|Neutronen]] in zwei [[Proton|Protonen]] und zwei Elektronen, aber kein Neutrino befindet sich im Endzustand. Die Existenz dieses Mechanismus würde erfordern, dass die Neutrinos Majorana-Teilchen sind.<ref name="SchechterValle1982">{{cite journal |last1=Schechter |first1=J. |last2=Valle |first2=J. W. F. |title=Neutrinoless double-beta decay in SU(2)×U(1) theories |journal=Physical Review D |date=1 June 1982 |volume=25 |issue=11 |pages=2951–2954 |doi=10.1103/PhysRevD.25.2951}}</ref>]]
Wenn die Neutrinos Majorana-Teilchen sind, können sie im selben Prozess emittiert und absorbiert werden, ohne im entsprechenden Endzustand aufzutauchen. Als Dirac-Teilchen würden beide Neutrinos, die durch den Zerfall der [[W-Boson|W-Bosonen]] erzeugt werden, emittiert und danach nicht wieder absorbiert werden.

Wenn die Neutrinos Majorana-Teilchen sind, können sie im selben Prozess emittiert und absorbiert werden, ohne im entsprechenden Endzustand aufzutauchen.<ref name="Rodejohann2012" /> Als Dirac-Teilchen würden beide Neutrinos, die durch den Zerfall der [[W-Boson|W-Bosonen]] erzeugt werden, emittiert und danach nicht wieder absorbiert werden.<ref name="Rodejohann2012" />


Der neutrinolose Doppel-Beta-Zerfall kann nur auftreten, wenn
Der neutrinolose Doppel-Beta-Zerfall kann nur auftreten, wenn


* das Neutrinoteilchen ein Majorana-Teilchen ist und
* das Neutrinoteilchen ein Majorana-Teilchen ist<ref name="SchechterValle1982" /> ''und''
* es eine rechtshändige Komponente des schwachen Leptonstroms gibt oder das Neutrino seine [[Chiralität|Händigkeit]] zwischen Emission und Absorption (zwischen den beiden W-Vertices) ändern kann, was für eine Neutrinomasse ungleich Null (für mindestens eine der Neutrinospezies) möglich ist.<ref name="GrotzKlapdor1990">{{cite book |last1=Grotz |first1=K. |last2=Klapdor |first2=H. V. |title=The weak interaction in nuclear, particle, and astrophysics |date=1990 |publisher=Hilger |isbn=978-0-85274-313-3}}</ref>
* es eine rechtshändige Komponente des schwachen Leptonstroms gibt ''oder'' das Neutrino seine [[Chiralität|Händigkeit]] zwischen Emission und Absorption (zwischen den beiden W-Vertices) ändern kann, was für eine Neutrinomasse ungleich Null (für mindestens eine der Neutrinospezies) möglich ist.<ref name="GrotzKlapdor1990">{{cite book |last1=Grotz |first1=K. |last2=Klapdor |first2=H. V. |title=The weak interaction in nuclear, particle, and astrophysics |date=1990 |publisher=Hilger |isbn=978-0-85274-313-3}}</ref>


Der einfachste Zerfallsprozess ist als leichter Neutrinoaustausch bekannt. Er enthält ein Neutrino, das von einem Nukleon emittiert und von einem anderen Nukleon absorbiert wird (siehe Abbildung rechts). Im Endzustand sind nur noch der Kern (mit seiner veränderten Protonenzahl <math>Z</math>) und zwei Elektronen übrig:
Der einfachste Zerfallsprozess ist als leichter Neutrinoaustausch bekannt.<ref name="Rodejohann2012" /> Er enthält ein Neutrino, das von einem Nukleon emittiert und von einem anderen Nukleon absorbiert wird (siehe Abbildung rechts). Im Endzustand sind nur noch der Kern (mit seiner veränderten Protonenzahl <math>Z</math>) und zwei Elektronen übrig:


: <math>(A,Z)\rightarrow (A,Z+2)+2e^-</math><ref name="GrotzKlapdor1990" />
: <math>(A,Z)\rightarrow (A,Z+2)+2e^-</math><ref name="GrotzKlapdor1990" />


Die beiden Elektronen werden quasi-simultan emittiert.<ref name="Artusa2014">{{cite journal |last1=Artusa |first1=D. R. |title=Exploring the neutrinoless double beta decay in the inverted neutrino hierarchy with bolometric detectors |last2=Avignone |first2=F. T. |last3=Azzolini |first3=O. |last4=Balata |first4=M. |last5=Banks |first5=T. I. |last6=Bari |first6=G. |last7=Beeman |first7=J. |last8=Bellini |first8=F. |last9=Bersani |first9=A. |last10=Biassoni |first10=M. |journal=The European Physical Journal C |date=15 October 2014 |volume=74 |issue=10 |doi=10.1140/epjc/s10052-014-3096-8}}</ref>
Die beiden Elektronen werden quasi-simultan emittiert.


Die beiden resultierenden Elektronen sind dann die einzigen emittierten Teilchen im Endzustand und müssen ungefähr die Differenz der Summen der Bindungsenergien der beiden Kerne vor und nach dem Prozess als ihre kinetische Energie tragen. Die schweren Kerne tragen keine signifikante kinetische Energie. Die Elektronen werden aufgrund der [[Impulserhaltungssatz|Impulserhaltung]] antiparallel (gegenläufig) emittiert.
Die beiden resultierenden Elektronen sind dann die einzigen emittierten Teilchen im Endzustand und müssen ungefähr die Differenz der Summen der Bindungsenergien der beiden Kerne vor und nach dem Prozess als ihre kinetische Energie tragen.{{sfn | Grotz | Klapdor | 1990 | p=86 }} Die schweren Kerne tragen keine signifikante kinetische Energie. Die Elektronen werden aufgrund der [[Impulserhaltungssatz|Impulserhaltung]] antiparallel (gegenläufig) emittiert.{{sfn | Grotz | Klapdor | 1990 | p=86 }}


In diesem Fall kann die [[Zerfallsrate]] wie folgt berechnet werden
In diesem Fall kann die [[Zerfallsrate]] wie folgt berechnet werden
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: <math> \Gamma_{\beta\beta}^{0\nu}=\frac{1}{T_{\beta\beta}^{0\nu}} = G^{0\nu}\cdot\left| M^{0\nu}\right|^2\cdot\langle m_{\beta\beta}\rangle^2 </math>,
: <math> \Gamma_{\beta\beta}^{0\nu}=\frac{1}{T_{\beta\beta}^{0\nu}} = G^{0\nu}\cdot\left| M^{0\nu}\right|^2\cdot\langle m_{\beta\beta}\rangle^2 </math>,


wobei <math> G^{0\nu} </math> den [[Phasenraum|Phasenraumfaktor]] bezeichnet, <math> \left| M^{0\nu}\right|^2 </math> das (quadratische) [[Matrixelement (Physik)|Matrixelement]] dieses nuklearen Zerfallsprozesses (gemäß dem Feynmandiagramm) und <math> \langle m_{\beta\beta}\rangle^2 </math> das Quadrat der effektiven Majorana-Masse.
wobei <math> G^{0\nu} </math> den [[Phasenraum|Phasenraumfaktor]] bezeichnet, <math> \left| M^{0\nu}\right|^2 </math> das (quadratische) [[Matrixelement (Physik)|Matrixelement]] dieses nuklearen Zerfallsprozesses (gemäß dem Feynmandiagramm) und <math> \langle m_{\beta\beta}\rangle^2 </math> das Quadrat der effektiven Majorana-Masse.<ref name="PDGbook" />


Erstens kann die effektive Majorana-Masse berechnet werden durch
Erstens kann die effektive Majorana-Masse berechnet werden durch
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: <math> \langle m_{\beta\beta}\rangle = \sum_i U_{ei}^2m_i</math>,
: <math> \langle m_{\beta\beta}\rangle = \sum_i U_{ei}^2m_i</math>,


wobei <math> m_i </math> die Majorana-Neutrinomassen (drei Neutrinos <math> \nu_i </math>) sind und <math> U_{ei} </math> die Elemente der Neutrino-Mischungsmatrix <math> U </math> (siehe [[PMNS-Matrix]]). Moderne Experimente zur Suche nach neutrinolosen doppelten Betazerfällen (siehe Abschnitt über Experimente) zielen sowohl auf den Nachweis der Majorana-Natur von Neutrinos als auch auf die Messung dieser effektiven Majorana-Masse <math> \langle m_{\beta\beta}\rangle </math> ab (dies kann nur geschlussfolgert werden, wenn der Zerfall tatsächlich durch die Neutrinomassen erzeugt wird).
wobei <math> m_i </math> die Majorana-Neutrinomassen (drei Neutrinos <math> \nu_i </math>) sind und <math> U_{ei} </math> die Elemente der Neutrino-Mischungsmatrix <math> U </math> (siehe [[PMNS-Matrix]]).<ref name="Bilenky2015" /> Moderne Experimente zur Suche nach neutrinolosen doppelten Betazerfällen (siehe Abschnitt über Experimente) zielen sowohl auf den Nachweis der Majorana-Natur von Neutrinos als auch auf die Messung dieser effektiven Majorana-Masse <math> \langle m_{\beta\beta}\rangle </math> ab (dies kann nur geschlussfolgert werden, wenn der Zerfall tatsächlich durch die Neutrinomassen erzeugt wird).<ref name="Bilenky2015" />


Das Kernmatrixelement (KME) <math> \left| M^{0\nu}\right| </math> kann nicht unabhängig gemessen werden, es muss, aber kann auch berechnet werden. Die Berechnung selbst stützt sich auf ausgefeilte nukleare Vielteilchentheorien, und es gibt verschiedene Methoden, um dies zu tun. Das KME) <math> \left| M^{0\nu}\right| </math> unterscheidet sich auch von Kern zu Kern (d.h. [[chemisches Element]] zu chemisches Element). Die Berechnung des KME ist heute ein erhebliches Problem und wurde von verschiedenen Autoren auf unterschiedliche Weise behandelt. Eine Frage ist, ob der Bereich der erhaltenen Werte für <math> \left| M^{0\nu}\right| </math> als theoretische Unsicherheit betrachtet werden soll und ob dies zudem als statistische Unsicherheit zu verstehen ist. Hier werden verschiedene Ansätze gewählt. Die erhaltenen Werte für <math> \left| M^{0\nu}\right| </math> variieren oft um den Faktor 2 bis etwa 5. Typische Werte liegen im Bereich von etwa 0,9 bis 14, abhängig vom zerfallenden Kern/Element.
Das Kernmatrixelement (KME) <math> \left| M^{0\nu}\right| </math> kann nicht unabhängig gemessen werden, es muss, aber kann auch berechnet werden.<ref name="Bilenky2002">{{cite journal |last1=Bilenky |first1=S.M |last2=Grifols |first2=J.A |title=The possible test of the calculations of nuclear matrix elements of the (ββ)0ν-decay |journal=Physics Letters B |date=December 2002 |volume=550 |issue=3-4 |pages=154–159 |doi=10.1016/S0370-2693(02)02978-7}}</ref> Die Berechnung selbst stützt sich auf ausgefeilte nukleare Vielteilchentheorien, und es gibt verschiedene Methoden, um dies zu tun. Das KME) <math> \left| M^{0\nu}\right| </math> unterscheidet sich auch von Kern zu Kern (d.h. [[chemisches Element]] zu chemisches Element). Die Berechnung des KME ist heute ein erhebliches Problem und wurde von verschiedenen Autoren auf unterschiedliche Weise behandelt. Eine Frage ist, ob der Bereich der erhaltenen Werte für <math> \left| M^{0\nu}\right| </math> als theoretische Unsicherheit betrachtet werden soll und ob dies zudem als statistische Unsicherheit zu verstehen ist.<ref name="Bilenky2015" /> Hier werden verschiedene Ansätze gewählt. Die erhaltenen Werte für <math> \left| M^{0\nu}\right| </math> variieren oft um den Faktor 2 bis etwa 5. Typische Werte liegen im Bereich von etwa 0,9 bis 14, abhängig vom zerfallenden Kern/Element.<ref name="Bilenky2015" />


Zuletzt muss auch der Phasenraumfaktor <math> G^{0\nu} </math> berechnet werden. Dies hängt von der insgesamt freigesetzten kinetischen Energie ab (<math> Q=M_\text{nucleus}^\text{before}-M_\text{nucleus}^\text{after}-2m_\text{electron} </math>, "<math>Q</math>-Wert") und der Ordnungszahl <math>Z</math>. Die Methoden basieren auf [[Wellenfunktion|Dirac-Wellenfunktionen]], endlichen Kerngrößen und Elektronenscreening. Es gibt hochpräzise Ergebnisse für<math> G^{0\nu} </math> für verschiedene Kerne im Bereich von etwa 0,23 (für <math>\mathrm{^{128}_{52}Te\rightarrow ^{128}_{54}Xe}</math>) und 0,90 (für <math>\mathrm{^{76}_{32}Ge\rightarrow ^{76}_{34}Se}</math>) bis ca. 24.14 (für <math>\mathrm{^{150}_{60}Nd\rightarrow ^{150}_{62}Sm}</math>).
Zuletzt muss auch der Phasenraumfaktor <math> G^{0\nu} </math> berechnet werden.<ref name="Bilenky2015" /> Dies hängt von der insgesamt freigesetzten kinetischen Energie ab (<math> Q=M_\text{nucleus}^\text{before}-M_\text{nucleus}^\text{after}-2m_\text{electron} </math>, "<math>Q</math>-Wert") und der Ordnungszahl <math>Z</math>. Die Methoden basieren auf [[Wellenfunktion|Dirac-Wellenfunktionen]], endlichen Kerngrößen und Elektronenscreening.<ref name="Bilenky2015" /> Es gibt hochpräzise Ergebnisse für<math> G^{0\nu} </math> für verschiedene Kerne im Bereich von etwa 0,23 (für <math>\mathrm{^{128}_{52}Te\rightarrow ^{128}_{54}Xe}</math>) und 0,90 (für <math>\mathrm{^{76}_{32}Ge\rightarrow ^{76}_{34}Se}</math>) bis ca. 24.14 (für <math>\mathrm{^{150}_{60}Nd\rightarrow ^{150}_{62}Sm}</math>).<ref name="Bilenky2015" />


Es wird angenommen, dass, wenn unter bestimmten Bedingungen ein neutrinoloser doppelter Betazerfall gefunden wird (Zerfallsrate, die mit Vorhersagen auf der Grundlage experimenteller Erkenntnisse über Neutrinomassen und -mischung kompatibel ist), dies in der Tat "wahrscheinlich" auf Majorana-Neutrinos als Hauptmediator (und nicht auf andere Quellen neuer Physik) hindeutet. Es gibt 35 Kerne, die einen neutrinolosen doppelten Betazerfall aufweisen können (gemäß den oben genannten Zerfallsbedingungen).
Es wird angenommen, dass, wenn unter bestimmten Bedingungen ein neutrinoloser doppelter Betazerfall gefunden wird (Zerfallsrate, die mit Vorhersagen auf der Grundlage experimenteller Erkenntnisse über Neutrinomassen und -mischung kompatibel ist), dies in der Tat "wahrscheinlich" auf Majorana-Neutrinos als Hauptmediator (und nicht auf andere Quellen neuer Physik) hindeutet.<ref name="Bilenky2015">{{cite journal |last1=Bilenky |first1=S. M. |last2=Giunti |first2=C. |title=Neutrinoless double-beta decay: A probe of physics beyond the Standard Model |journal=International Journal of Modern Physics A |date=11 February 2015 |volume=30 |issue=04n05 |pages=1530001 |doi=10.1142/S0217751X1530001X}}</ref> Es gibt 35 Kerne, die einen neutrinolosen doppelten Betazerfall aufweisen können (gemäß den oben genannten Zerfallsbedingungen).<ref name="Rodejohann2012">{{cite journal |last1=Rodejohann |first1=Werner |title=Neutrino-less double beta decay and particle physics |journal=International Journal of Modern Physics E |date=2 May 2012 |volume=20 |issue=09 |pages=1833–1930 |doi=10.1142/S0218301311020186}}</ref>


== Experimente und Ergebnisse ==
== Experimente und Ergebnisse ==

Es gibt neun verschiedene Kandidaten für Kerne, die in Experimenten zur Bestätigung des neutrinolosen doppelten Beta-Zerfalls in Betracht gezogen werden:<math>\mathrm{^{48}Ca, ^{76}Ge, ^{82}Se, ^{96}Zr, ^{100}Mo, ^{116}Cd, ^{130}Te, ^{136}Xe, ^{150}Nd}</math>.<ref name="Rodejohann20123">{{cite journal|last1=Rodejohann|first1=Werner|title=Neutrino-less double beta decay and particle physics|journal=International Journal of Modern Physics E|date=2 May 2012|volume=20|issue=09|pages=1833–1930|doi=10.1142/S0218301311020186}}</ref> Sie alle haben Argumente für und gegen ihre Verwendung in einem Experiment. Faktoren, die einbezogen und bewertet werden müssen, sind das natürliche [[Isotopenverhältnis]], die Anreicherung zu angemessenen Preisen und eine gut verstandene und kontrollierte experimentelle Technik. Je höher der <math>Q</math>-Wert, desto besser sind die Chancen einer Entdeckung im Prinzip. Der Phasenraumfaktor <math> G^{0\nu} </math> und damit die Zerfallsrate wächst mit <math>Q^5</math>.
Es gibt neun verschiedene Kandidaten für Kerne, die in Experimenten zur Bestätigung des neutrinolosen doppelten Beta-Zerfalls in Betracht gezogen werden:<math>\mathrm{^{48}Ca, ^{76}Ge, ^{82}Se, ^{96}Zr, ^{100}Mo, ^{116}Cd, ^{130}Te, ^{136}Xe, ^{150}Nd}</math>.<ref name="Rodejohann20123">{{cite journal|last1=Rodejohann|first1=Werner|title=Neutrino-less double beta decay and particle physics|journal=International Journal of Modern Physics E|date=2 May 2012|volume=20|issue=09|pages=1833–1930|doi=10.1142/S0218301311020186}}</ref> Sie alle haben Argumente für und gegen ihre Verwendung in einem Experiment. Faktoren, die einbezogen und bewertet werden müssen, sind das natürliche [[Isotopenverhältnis]], die Anreicherung zu angemessenen Preisen und eine gut verstandene und kontrollierte experimentelle Technik. Je höher der <math>Q</math>-Wert, desto besser sind die Chancen einer Entdeckung im Prinzip. Der Phasenraumfaktor <math> G^{0\nu} </math> und damit die Zerfallsrate wächst mit <math>Q^5</math>.



Version vom 17. Juli 2020, 17:58 Uhr

Der neutrinolose doppelte Betazerfall (0νββ) ist ein häufig vorgeschlagener und experimentell verfolgter theoretischer radioaktiver Zerfallsprozess, der die Majorana-Natur des Neutrinoteilchen nachweisen würde.[1][2] Bis heute wurde der Prozess nicht bestätigt.[2][3][4]

Die Entdeckung des neutrinolosen doppelten Betazerfalls könnte Aufschluss über die absoluten Neutrinomassen und ihre Massenhierarchie (Neutrinomasse) geben. Dies würde das erste Signal für die Verletzung der Erhaltung der gesamten Leptonzahl bedeuten.[5] Die Majorana-Natur von Neutrinos würde bestätigen, dass das Antiteilchen des Neutrinos nicht anders ist als es selbst, d.h. es ist sein eigenes Antiteilchen.[6]

Um nach einem neutrinolosen doppelten Betazerfall zu suchen, gibt es derzeit eine Reihe von Experimenten, wobei auch mehrere zukünftige Experimente zur Erhöhung der Empfindlichkeit vorgeschlagen wurden.[7]

Historische Entwicklung der theoretischen Diskussion

Bereits 1939 schlug Wendell H. Furry die Idee der Majorana-Natur des Neutrinos, das mit Betazerfällen verknüpft wurde, vor.[8] Furry gab an, dass die Übergangswahrscheinlichkeit für den neutrinolosen doppelten Betazerfall sogar noch höher ist.[8] Es war die erste Idee, nach der Verletzung der Leptonzahl zu suchen.[1] Seitdem wurde Aufmerksamkeit auf diese Idee gelegt, da sie nützlich sei, die Natur von Neutrinos zu untersuchen (siehe Zitat).

„[T]he 0ν mode [...] which violates the lepton number and has been recognized since a long time as a powerful tool to test neutrino properties.“

Oliviero Cremonesi[9]

Der italienische Physiker Ettore Majorana führte als erster das Konzept ein, dass ein Teilchen sein eigenes Antiteilchen sein kann.[6] Die Natur dieser Teilchen wurde später nach ihm als Majorana-Teilchen bezeichnet. Der neutrinolose doppelte Betazerfall ist eine Methode, um nach der möglichen Majorana-Natur von Neutrinos zu suchen.[10]

Ettore Majorana, der als erster die Idee einführte, dass Teilchen und Antiteilchen identisch sein können.

Physikalischer Zusammenhang

Konventioneller doppelter Betazerfall

Neutrinos werden normalerweise in schwachen Zerfällen produziert.[10] Schwache Betazerfälle produzieren in der Regel ein Elektron (oder Positron), emittieren ein Antineutrino (oder Neutrino) und erhöhen die Protonenzahl des Kerns um eins. Die Kernmasse (d.h. Bindungsenergie) ist dann geringer und somit günstiger. Es gibt eine Reihe von Elementen, die in einen Kern mit geringerer Masse zerfallen können, aber sie können nicht nur ein Elektron emittieren, weil der resultierende Kern kinematisch (d.h. in Bezug auf die Energie) ungünstig ist (seine Energie wäre höher).[2] Diese Kerne können nur durch Emission von zwei Elektronen zerfallen (d.h. durch doppelten Betazerfall). Es gibt ungefähr ein Dutzend bestätigte Fälle von Kernen, die nur über den doppelten Betazerfall zerfallen können.[2] Die entsprechende Zerfallsgleichung lautet:

.[1]

Es ist ein schwacher Prozess zweiter Ordnung.[2] Ein gleichzeitiger Zerfall von zwei Nukleonen im selben Kern ist äußerst unwahrscheinlich. Somit liegen die experimentell beobachteten Lebensdauern solcher Zerfallsprozesse im Bereich von Jahren.[11] Es wurde bereits eine Reihe von Isotopen beobachtet, die diesen doppelten Betazerfall mit zwei Neutrinos zeigen.[3]

Dieser konventionelle doppel Betazerfall ist im Standardmodell der Teilchenphysik zulässig.[3] Er hat also sowohl eine theoretische als auch eine experimentelle Grundlage.

Übersicht

Feynmandiagramm des neutrinolosen doppelten Betazerfalls. Hier zerfallen zwei Neutronen in zwei Protonen und zwei Elektronen, aber kein Neutrino befindet sich im Endzustand. Die Existenz dieses Mechanismus würde erfordern, dass die Neutrinos Majorana-Teilchen sind.[12]

Wenn die Neutrinos Majorana-Teilchen sind, können sie im selben Prozess emittiert und absorbiert werden, ohne im entsprechenden Endzustand aufzutauchen.[3] Als Dirac-Teilchen würden beide Neutrinos, die durch den Zerfall der W-Bosonen erzeugt werden, emittiert und danach nicht wieder absorbiert werden.[3]

Der neutrinolose Doppel-Beta-Zerfall kann nur auftreten, wenn

  • das Neutrinoteilchen ein Majorana-Teilchen ist[12] und
  • es eine rechtshändige Komponente des schwachen Leptonstroms gibt oder das Neutrino seine Händigkeit zwischen Emission und Absorption (zwischen den beiden W-Vertices) ändern kann, was für eine Neutrinomasse ungleich Null (für mindestens eine der Neutrinospezies) möglich ist.[1]

Der einfachste Zerfallsprozess ist als leichter Neutrinoaustausch bekannt.[3] Er enthält ein Neutrino, das von einem Nukleon emittiert und von einem anderen Nukleon absorbiert wird (siehe Abbildung rechts). Im Endzustand sind nur noch der Kern (mit seiner veränderten Protonenzahl ) und zwei Elektronen übrig:

[1]

Die beiden Elektronen werden quasi-simultan emittiert.[11]

Die beiden resultierenden Elektronen sind dann die einzigen emittierten Teilchen im Endzustand und müssen ungefähr die Differenz der Summen der Bindungsenergien der beiden Kerne vor und nach dem Prozess als ihre kinetische Energie tragen.Vorlage:Sfn Die schweren Kerne tragen keine signifikante kinetische Energie. Die Elektronen werden aufgrund der Impulserhaltung antiparallel (gegenläufig) emittiert.Vorlage:Sfn

In diesem Fall kann die Zerfallsrate wie folgt berechnet werden

,

wobei den Phasenraumfaktor bezeichnet, das (quadratische) Matrixelement dieses nuklearen Zerfallsprozesses (gemäß dem Feynmandiagramm) und das Quadrat der effektiven Majorana-Masse.[10]

Erstens kann die effektive Majorana-Masse berechnet werden durch

,

wobei die Majorana-Neutrinomassen (drei Neutrinos ) sind und die Elemente der Neutrino-Mischungsmatrix (siehe PMNS-Matrix).[7] Moderne Experimente zur Suche nach neutrinolosen doppelten Betazerfällen (siehe Abschnitt über Experimente) zielen sowohl auf den Nachweis der Majorana-Natur von Neutrinos als auch auf die Messung dieser effektiven Majorana-Masse ab (dies kann nur geschlussfolgert werden, wenn der Zerfall tatsächlich durch die Neutrinomassen erzeugt wird).[7]

Das Kernmatrixelement (KME) kann nicht unabhängig gemessen werden, es muss, aber kann auch berechnet werden.[13] Die Berechnung selbst stützt sich auf ausgefeilte nukleare Vielteilchentheorien, und es gibt verschiedene Methoden, um dies zu tun. Das KME) unterscheidet sich auch von Kern zu Kern (d.h. chemisches Element zu chemisches Element). Die Berechnung des KME ist heute ein erhebliches Problem und wurde von verschiedenen Autoren auf unterschiedliche Weise behandelt. Eine Frage ist, ob der Bereich der erhaltenen Werte für als theoretische Unsicherheit betrachtet werden soll und ob dies zudem als statistische Unsicherheit zu verstehen ist.[7] Hier werden verschiedene Ansätze gewählt. Die erhaltenen Werte für variieren oft um den Faktor 2 bis etwa 5. Typische Werte liegen im Bereich von etwa 0,9 bis 14, abhängig vom zerfallenden Kern/Element.[7]

Zuletzt muss auch der Phasenraumfaktor berechnet werden.[7] Dies hängt von der insgesamt freigesetzten kinetischen Energie ab (, "-Wert") und der Ordnungszahl . Die Methoden basieren auf Dirac-Wellenfunktionen, endlichen Kerngrößen und Elektronenscreening.[7] Es gibt hochpräzise Ergebnisse für für verschiedene Kerne im Bereich von etwa 0,23 (für ) und 0,90 (für ) bis ca. 24.14 (für ).[7]

Es wird angenommen, dass, wenn unter bestimmten Bedingungen ein neutrinoloser doppelter Betazerfall gefunden wird (Zerfallsrate, die mit Vorhersagen auf der Grundlage experimenteller Erkenntnisse über Neutrinomassen und -mischung kompatibel ist), dies in der Tat "wahrscheinlich" auf Majorana-Neutrinos als Hauptmediator (und nicht auf andere Quellen neuer Physik) hindeutet.[7] Es gibt 35 Kerne, die einen neutrinolosen doppelten Betazerfall aufweisen können (gemäß den oben genannten Zerfallsbedingungen).[3]

Experimente und Ergebnisse

Es gibt neun verschiedene Kandidaten für Kerne, die in Experimenten zur Bestätigung des neutrinolosen doppelten Beta-Zerfalls in Betracht gezogen werden:.[14] Sie alle haben Argumente für und gegen ihre Verwendung in einem Experiment. Faktoren, die einbezogen und bewertet werden müssen, sind das natürliche Isotopenverhältnis, die Anreicherung zu angemessenen Preisen und eine gut verstandene und kontrollierte experimentelle Technik. Je höher der -Wert, desto besser sind die Chancen einer Entdeckung im Prinzip. Der Phasenraumfaktor und damit die Zerfallsrate wächst mit .

Experimentell von Interesse ist und damit gemessen wird die Summe der kinetischen Energien der beiden emittierten Elektronen. Diese sollte gleich dem -Wert des jeweiligen Kerns für neutrinolose Doppel-Beta-Emission sein.[3]

Die Tabelle zeigt eine Zusammenfassung der derzeit besten Grenzwerte für die Lebensdauer von 0νββ. Daraus kann man sicherlich schließen, dass der neutrinolose doppelte Betazerfall ein äußerst seltener Prozess ist - wenn überhaupt.

Experimentelle Limits (mindestens 90% C.L.) für eine Sammlung von Isotopen für den 0νββ-Zerfallsprozess, der durch den leichten Neutrinomechanismus vermittelt wird, wie im obigen Feynman-Diagramm gezeigt.
Isotop Experiment Halbwertszeit [years]
ELEGANT-VI
Heidelberg-Moscow[15]
GERDA
NEMO-3
NEMO-3
NEMO-3
Solotvina
CUORICINO
EXO
KamLAND-Zen [16]
NEMO-3

Heidelberg-Moskau-Kollaboration

Die sogenannte "Heidelberg-Moskau-Kollaboration" (HDM) des deutschen Max-Planck-Instituts für Kernphysik und des russischen Wissenschaftszentrums Kurchatov-Institut in Moskau behauptete, "Beweise für einen neutrinolosen doppelten Betazerfall"[17] gefunden zu haben. Im Jahr 2001 kündigte die Zusammenarbeit zunächst einen Nachweis mit einer 2,2σ bzw. 3,1σ Evidenz (abhängig von der verwendeten Berechnungsmethode) an.[17] Es wurde festgestellt, dass die Zerfallsrate in der Nähe von Jahre liege. Dieses Ergebnis war Gegenstand von Diskussionen zwischen vielen Wissenschaftlern und Autoren. Bis heute hat kein anderes Experiment das Ergebnis der HDM-Gruppe bestätigt. Stattdessen missbilligen die jüngsten Ergebnisse des GERDA-Experiments für die Limits der Halbwertszeit eindeutig die Zahlen der HDM-Zusammenarbeit und lehnen sie daher ab.

Neutrinoloser Doppel-Beta-Zerfall wurde noch nicht gefunden.[4]

Aktuell laufende Experimente

  • GERDA (Germanium Detector Array):
    • ...
  • EXO (Enriched Xenon Observatory):
    • ...
  • KamLAND-Zen (Kamioka Liquid Scintillator Antineutrino Detector-Zen):
    • ...

Vorgeschlagene und zukünftige Experiment

nEXO experiment:

  • ...

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c d e K. Grotz, H. V. Klapdor: The weak interaction in nuclear, particle, and astrophysics. Hilger, 1990, ISBN 978-0-85274-313-3.
  2. a b c d e Lothar Oberauer, Aldo Ianni, Aldo Serenelli: Solar neutrino physics : the interplay between particle physics and astronomy. Wiley-VCH, 2020, ISBN 978-3-527-41274-7, S. 120–127.
  3. a b c d e f g h Werner Rodejohann: Neutrino-less double beta decay and particle physics. In: International Journal of Modern Physics E. 20. Jahrgang, Nr. 09, 2. Mai 2012, S. 1833–1930, doi:10.1142/S0218301311020186. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Rodejohann2012“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  4. a b Frank F. Deppisch: A modern introduction to neutrino physics. Morgan & Claypool Publishers, 2019, ISBN 978-1-64327-679-3. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Deppisch2019“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  5. C. Patrignani et al. (Particle Data Group): Review of Particle Physics. In: Chinese Physics C. 40. Jahrgang, Nr. 10, Oktober 2016, S. 647, doi:10.1088/1674-1137/40/10/100001.
  6. a b Ettore Majorana: Teoria simmetrica dell’elettrone e del positrone. In: Il Nuovo Cimento (1924-1942). 14. Jahrgang, Nr. 4, 1937, doi:10.1007/BF02961314 (springer.com).
  7. a b c d e f g h i S. M. Bilenky, C. Giunti: Neutrinoless double-beta decay: A probe of physics beyond the Standard Model. In: International Journal of Modern Physics A. 30. Jahrgang, 04n05, 11. Februar 2015, S. 1530001, doi:10.1142/S0217751X1530001X.
  8. a b W. H. Furry: On Transition Probabilities in Double Beta-Disintegration. In: Physical Review. 56. Jahrgang, Nr. 12, 15. Dezember 1939, S. 1184–1193, doi:10.1103/PhysRev.56.1184.
  9. Oliviero Cremonesi: Neutrinoless double beta decay: Present and future. In: Nuclear Physics B - Proceedings Supplements. 118. Jahrgang, April 2003, S. 287–296, doi:10.1016/S0920-5632(03)01331-8.
  10. a b c Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen PDGbook.
  11. a b D. R. Artusa, F. T. Avignone, O. Azzolini, M. Balata, T. I. Banks, G. Bari, J. Beeman, F. Bellini, A. Bersani, M. Biassoni: Exploring the neutrinoless double beta decay in the inverted neutrino hierarchy with bolometric detectors. In: The European Physical Journal C. 74. Jahrgang, Nr. 10, 15. Oktober 2014, doi:10.1140/epjc/s10052-014-3096-8.
  12. a b J. Schechter, J. W. F. Valle: Neutrinoless double-beta decay in SU(2)×U(1) theories. In: Physical Review D. 25. Jahrgang, Nr. 11, 1. Juni 1982, S. 2951–2954, doi:10.1103/PhysRevD.25.2951.
  13. S.M Bilenky, J.A Grifols: The possible test of the calculations of nuclear matrix elements of the (ββ)0ν-decay. In: Physics Letters B. 550. Jahrgang, Nr. 3-4, Dezember 2002, S. 154–159, doi:10.1016/S0370-2693(02)02978-7.
  14. Werner Rodejohann: Neutrino-less double beta decay and particle physics. In: International Journal of Modern Physics E. 20. Jahrgang, Nr. 09, 2. Mai 2012, S. 1833–1930, doi:10.1142/S0218301311020186.
  15. The Heidelberg-Moscow Experiment with enriched 76Ge. Prof.Dr.H.V.Klapdor-Kleingrothaus, abgerufen am 16. Juli 2020.
  16. Werner Tornow: Search for Neutrinoless Double-Beta Decay. 1. Dezember 2014;.
  17. a b H. V. Klapdor-Kleingrothaus, A. Dietz, H. L. Harney, I. V. Krivosheina: Evidence for neutrinoless double beta decay. In: Modern Physics Letters A. 16. Jahrgang, Nr. 37, 21. November 2011, S. 2409–2420, doi:10.1142/S0217732301005825.