Abstimmungsgebiet Marienwerder

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Muttersprache nach Kreisen im Jahr 1910 und Ergebnisse der Volksabstimmung 1920 im Bereich Allenstein und Marienwerder

Bei den Volksabstimmungen im Gefolge des Versailler Vertrags am 11. Juli 1920 im Abstimmungsgebiet Marienwerder in Teilen Westpreußens außerhalb des Polnischen Korridors sowie im Abstimmungsgebiet Allenstein im südlichen Ostpreußen wurde über die staatliche Zugehörigkeit der Abstimmungsbezirke abgestimmt. Dabei entschieden sich im Marienwerder Bezirk über 92 % (Allenstein: über 97 %) der Wähler für den Verbleib bei Ostpreußen und somit beim Deutschen Reich, und gegen eine Abtretung an die Zweite Polnische Republik.

Vorgeschichte

Im Rahmen der Volksabstimmungen im Gefolge des Versailler Vertrags sollte in deutschen Gebieten östlich des Polnischen Korridors, der gemäß Versailler Vertrag ohne Abstimmung abgetreten werden musste, über die weitere Zugehörigkeit entschieden werden. Es waren zwei Abstimmungsgebiete (englisch plebiscite areas; Vorlage:Lang-fr) vorgesehen: das Abstimmungsgebiet Marienwerder in Westpreußen östlich der Weichsel, sowie das Abstimmungsgebiet Allenstein in den südlichen Kreisen Ostpreußens (südliches Ermland und Masuren).

Nach den Regelungen in den Artikeln 94–98[1] des Versailler Vertrags wurde das Abstimmungsgebiet entmilitarisiert und einer dem Völkerbund unterstehenden Abstimmungskommission unterstellt. Diese übernahm am 17. Februar 1920 die Verwaltung des Abstimmungsgebiets.

Wahlberechtigt waren alle Einwohner des Abstimmungsgebiets, die älter als 20 Jahre waren und die dort vor dem 1. Januar 1905 Geborenen. Dies hatte zur Folge, dass zahlreiche Ost- und Westpreußen, die im Rahmen der Industrialisierung insbesondere in das Ruhrgebiet abgewandert waren (kollektiv manchmal zusammen mit anderen Zuwanderern aus den preußischen Ostprovinzen als „Ruhrpolen“ bezeichnet), an der Abstimmung teilnahmen.

Rahmenbedingungen der Volksabstimmung am 11. Juli 1920

Deutschland sollte gemäß dem Versailler Frieden erhebliche Reparationen zahlen, deren Höhe die Reparationskommission aber erst nach Vertragsschluss festlegte, und ab 1. Mai 1921 zu bestreiten waren. Im Gegensatz zu seinen Nachbarn war Deutschland einerseits so mit hohen Ausslandsschulden belastet, andererseits wies es aber allerdings – außer in Ostpreußen – kaum Zerstörungen durch das Kriegsgeschehen auf. Deutschlands Energiereserven (Kohle) wurden von den Alliierten kontrolliert und die Industrie hatte die Umstellung von der Kriegs- auf die Friedenswirtschaft noch nicht bewältigt. Die politische Zukunft des deutschen Staates war durch politische Unruhen wie den Kapp-Putsch ungewiss. Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation war für die Masuren im Deutschen Reich nicht zu erwarten, weshalb die deutsche Seite im Wahlkampf nur auf die ebenso existierenden polnischen Schwierigkeiten hinweisen konnte.[2] Allerdings hatte das Deutsche Reich trotz seiner Schwierigkeiten zur Behebung der Kriegsschäden in Ostpreußen großzügige Kredite gewährt.

Polen befand sich im polnisch-sowjetischen Krieg in der Offensive, aber die Aussicht, Teil eines Staates zu werden, der sich mit allen Nachbarn in Konflikt befand, war wenig verlockend. Die materiellen Aussichten waren trotz gegenteiliger polnischer Propaganda ungewiss. Aufgrund dieser Fehleinschätzungen wurden polnischerseits die Vorbereitungen des Plebiszits nur ungenügend betrieben, wobei allerdings zu vermerken ist, dass die Beibehaltung der deutschen Verwaltungsstrukturen einen zusätzlichen Nachteil für die polnischen Bemühungen darstellte.[3][4]

Interalliierte Kommission Westpreußen

Für das Abstimmungsgebiet in der Provinz Westpreußen bestand die Interalliierte Kommission aus dem italienischen Staatskommissar Angelo Pavia als Vorsitzenden sowie dem englischen Diplomaten Henry Beaumont, dem französischen Diplomaten René de Cherisey sowie dem japanischen Diplomaten Morikazu Ida.[5]

Ergebnisse

für Ostpreußen für Polen
Marienwerder/Kwidzyn 25.607 1.779
Rosenberg/Susz 33.498 1.073
Stuhm/Sztum 19.984 4.904
Marienburg/Malbork 17.805 191
Insgesamt 96.894 7.947
Stimmanteile 92.36 % 7,64 %
Abgegebene Stimmen: 104.841
Wahlberechtigte: 125.090
Wahlbeteiligung: 84,00 %
Bezirk Marienwerder. Plebiszit vom 11. Juli 1920 nach polnischen Angaben[6], die mit deutschen identisch[7] seien, in der Aufarbeitung des Herder-Institutes[8]
Kreis Fläche
(km²)
Bevölkerung
(1910)
Sprachen 1910 (Zahl der Sprecher) Bevölkerung
(8. Okt. 1919)
Stimm-
berechtigte
Personen
Abgegebene Stimmen
Polnisch Deutsch andere
Sprache
Deutsch und
eine andere
insgesamt für Polen für Deutschland
insg. 2.455,0 161.234 23.041 136.294 117 1.782 164.183 121.176 104.842 7.947 96.895
Marienwerder (Kwidzyn) 555,8 41.153 3.371 37.209 15 558 40.730 31.913 27.387 1.779 25.608
Marienburg (Malbork) 216,0 29.004 693 27.968 23 320 27.858 20.342 17.996 191 17.805
Rosenberg (Susz) 1.041,6 54.550 3.429 50.194 46 881 56.057 39.630 34.571 1.073 33.498
Stuhm (Sztum) 641,6 36.527 15.548 20.923 33 23 39.538 29.291 24.888 4.904 19.984

Quellen

  1. Gesetz über den Friedensschluß zwischen Deutschland und den alliierten und assoziierten Mächten, in: Herder-Institut (Hrsg.): Dokumente und Materialien zur ostmitteleuropäischen Geschichte. Themenmodul „Zweite Polnische Republik“, bearb. von Heidi Hein-Kircher. (Zugriff am 25. April 2014)
  2. Kossert, Andreas, „Masuren, Ostpreußens vergessener Süden“, Pantheon 2006, Seite 247
  3. AHF-Information Nr. 54: Die Volksabstimmung 1920 - Voraussetzungen. Ahf-muenchen.de, 20. September 2000, abgerufen am 4. Juli 2010.
  4. Robert Kempa:Jugendzeit in Ostpreußen. Jugendzeit-ostpreussen.de, abgerufen am 4. Juli 2010.
  5. Preußische Allgemeine Zeitung: Die Alliierten übernehmen, Folge 27–10 vom 10. Juli 2010
  6. Aus: Rocznik statystyki Rzczypospolitej Polskiej/Annuaire statistique de la République Polonaise 1 (1920/22), Teil 2, Warszawa 1923, S. 358. PDF-Dokument, 623 KB
  7. In der Vorbemerkung, ebd., S. 357, wird darauf hingewiesen, dass die Daten mit denen in der Statistik „Die von Preussen abgetretenen Gebiete“ (Berlin 1922) identisch sind. Unter der Gesamtzahl der für die Volksabstimmung in Schlesien eingetragenen Personen waren 988560 im Abstimmungsgebiet geboren und dort wohnhaft, 191308 im Abstimmungsgebiet geboren, aber dort nicht mehr wohnhaft und 41105, die dort nicht geboren, aber seit dem 1. Januar 1904 dort wohnhaft waren. Diese Abstimmung fand nach Artikel 88 des Versailler Vertrags statt, die in Allenstein und Marienwerder nach den Artikeln 94-98.
  8. Die Ergebnisse der durch den Versailler Vertrag festgesetzten Volksabstimmungen in West- und Ostpreußen und in Schlesien, in: Herder-Institut (Hrsg.): Dokumente und Materialien zur ostmitteleuropäischen Geschichte. Themenmodul „Zweite Polnische Republik“, bearb. von Heidi Hein-Kircher. (Zugriff am 25. April 2014)

Literatur

  • Paul Hoffmann: Die Volksabstimmung in Westpreußen am 11. Juli 1920. Vergleichende Darstellung der Abstimmungsergebnisse aufgrund des amtlichen Materials. Marienwerder 1920.

Weblinks