Axial-Vorschub-Querwalzen

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Das Axial-Vorschub-Querwalzen (AVQ) ist eine Variante des Querkeilwalzens zur Herstellung mehrfach abgesetzter, wellenförmiger Bauteile im Bereich kleiner und mittlerer Stückzahlen.[1] Beim Querwalzen wird nach DIN 8583-2 das Walzgut ohne Bewegung in Achsrichtung um die eigene Achse gedreht. „Beim Axial-Vorschub-Querwalzen wird das Werkstück axial bewegt und eine radiale Walzenzustellung vorgenommen.“[2]

Verfahrensprinzip[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das AVQ stellt somit eine Modifikation des sogenannten Konvex-Konvex-Querkeilwalzens dar, wobei der zur Realisierung des axialen Werkstoffflusses erforderliche Keilwinkel nicht Bestandteil der Werkzeuggeometrie ist, sondern kinematisch durch das frei wählbare Verhältnis ß von axialer Werkstückgeschwindigkeit und Umfangsgeschwindigkeit von Walze bzw. Werkstück gebildet wird.

Die angetriebenen Walzwerkzeuge werden in radialer Richtung aufeinander zubewegt, wodurch ein leicht untermittig im Walzspalt angeordnetes Werkstück durch Reibschluss in Rotation versetzt wird. Bei weiterer radialer Walzenzustellung wird in das Werkstück eine Rille in der Gestalt des Walzenprofils eingewalzt. Wird nun das rotierende Werkstück über die drehbare Spanneinrichtung in Richtung der Werkstückachse aus dem Walzspalt gezogen, wird die eingewalzte Rille verbreitert. Je nach Richtung einer weiteren radialen Walzenzustellung kann der nächste Wellenabsatz kleineren oder größeren Durchmessers gewalzt werden. Diese kinematische Gestaltserzeugung macht die Flexibilität des Verfahrens aus.

Damit können auf umformendem Wege, flexibel automatisiert, rotationssymmetrische, abgesetzte oder profilierte Werkstücke gefertigt werden, womit sich die Möglichkeit zur wirtschaftlichen Herstellung kleinerer Stückzahlen derartiger Werkstücke ergibt. Als weitere Vorteile sind neben der großen herstellbaren Konturenvielfalt der Werkstücke, die verbesserte – insbesondere dynamische – Festigkeit der gewalzten Teile, die im Vergleich zur Komplettdrehbearbeitung erhebliche Materialeinsparung und die – trotz (sofern notwendig) spanender Fertigbearbeitung – Reduzierung der Fertigungszeit zu nennen.

Entwicklungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei den Ende der 1970er Jahre an der Professur für Fertigungstechnik/Umformtechnik der TU Dresden unter Leitung von Ludwig Eberlein durchgeführten Untersuchungen zum Querkeilwalzen erwies es sich als Mangel, dass hierfür keine anwendungsbereiten Arbeitsparameter verfügbar waren. Die zu deren Ermittlung erforderliche große Anzahl an Walzwerkzeugen mit unterschiedlichem Keilwinkel führte zu dem Vorschlag, den beim Querkeilwalzen durch den Umformkeil bewirkten axialen Werkstofffluss durch die axiale Verschiebung der Werkzeuge oder des Werkstückes kinematisch abzubilden.[3][4] Dieses Verfahrensprinzip des AVQ wurde 1983 patentrechtlich geschützt.[5] Das Verfahren war zunächst als Alternative zur konventionellen, rein spanenden Fertigung mehrfach abgesetzter, wellenförmiger Teile aus Vollmaterial gedacht.

Im Rahmen eines DFG-Forschungsprojektes „Prozesskennfelder für das Axial-Vorschub-Querwalzen“ wurde Anfang der 1990er Jahre auf Basis einer Zweischlitten-Profilwalzmaschine eine Pilotanlage für das AVQ entwickelt und gebaut. Dabei wurden in einem umfangreichen Versuchsprogramm an der TU Dresden und durch aufwändige und detaillierte FEM-Prozessanalysen am Institut für Umformtechnik und Umformmaschinen (IFUM) der Universität Hannover wurden unter Leitung von Wolfgang Voelkner und Eckart Doege die Haupteinflussgrößen dieses stark instationären Querwalzverfahrens und ihre Auswirkungen auf Walzprozess und -ergebnis am Beispiel einer Vollwelle für einen Getriebehersteller untersucht.[6][7][8] Forschungsarbeiten u. a. zur FEM-Simulationen des AVQ wurden in den 2000er Jahren am Beijing Research Institute of Mechanical and Electrical Technology durchgeführt.[9] Auf der Hannover Messe 1996 wurde das Walzverfahren und die zugehörigen Pilotanlage entsprechend dem damaligen Entwicklungsstand einem breiten Publikum präsentiert.[10]

In den Folgejahren wurden vorrangig im Auftrag von Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen wie beispielsweise der Volkswagen AG Prinzipversuche zum AVQ für spezielle Anwendungsfälle und unterschiedliche Werkstoffe, d. h. verschiedenartige Legierungen von Eisen- und Nichteisenmetallen, darunter auch schwer umformbare und hochwarmfeste Materialien, durchgeführt. Beispielsweise wurde die Fertigung von Vorformen für geschmiedete Fahrzeugräder aus Magnesium-Knetlegierungen mittels AVQ erforscht.[11]

AVQ von Hohlteilen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die stark gestiegenen Materialkosten und der Trend zur Leichtbauweise führten im Jahre 2002 zu Überlegungen, das Axial-Vorschub-Querwalzen auch für die Herstellung von Hohlwellen mit definierter Außen- und Innenkontur anzuwenden. Vorherige Untersuchungen kamen jedoch zum Ergebnis, dass Hohlteile durch AVQ nur mit definierter Außenkontur wirtschaftlich herstellbar sind, besonders dann, wenn es sich um sehr lange Teile handelt. Der Einsatz von Profildornen zum Walzen einer definierten Innenkontur wurde verworfen, da dadurch die Flexibilität – eines der wesentlichsten Vorteile des AVQ – eingeschränkt wird. Beim AVQ ohne Dorn wiederum kommt es im Innendurchmesser des als Ausgangsmaterial verwendeten Rohres zu einem „ungehinderten“ Werkstofffluss, der in jedem Fall eine spanende Nachbearbeitung zur Realisierung einer definierten Innenkontur bedingt.[12]

Walzversuche, das AVQ auch mit Dorn flexibel zu gestalten, führten zu einer in Kooperation mit ThyssenKrupp patentierten Verfahrensvariante einschließlich einer zugehörigen Vorrichtung, die mit wenigen einfachen Werkzeugen das Walzen abgestufter Hohlwellen verschiedener Abmessungen und auch größerer Längen aus einem Rohr ermöglicht. In den Versuchen wurde nachgewiesen, dass es möglich ist, rohrförmige Stabilisatoren für Kraftfahrzeuge mit zwei stirnseitig abgesetzten Bereichen und einem langen, im Durchmesser und in der Wandstärke reduzierten Mittelteil aus einem Rohr in einer Aufspannung herzustellen.[13]

Maschinenentwicklung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die ersten Versuchsmaschinen waren an der TU Dresden modifizierte Profilwalzmaschinen unterschiedlicher Baugröße der Profiroll Technologies GmbH Bad Düben[5][6][7]. Die letzte Prototypenmaschine wurde 2012 verschrottet.

Auf Grundlage des Verfahrensprinzips und der hierfür entwickelten Maschinenlösungen wurde für das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) Chemnitz eine AVQ-Maschine von der LASCO Umformtechnik GmbH konstruiert und gebaut. Diese Maschine AVQ 630 wurde im November 2012 im Rahmen der 4. Internationale Konferenz „Accuracy in Forming Technology“ (ICAFT) der Öffentlichkeit vorgestellt.[14]

Mit der Maschine wird am IWU das AVQ zur Erforschung der Herstellung von Motoren- und Triebwerksteilen sowie medizinischer Produkte (z. B. Hüftgelenksprothesen) aus Titanaluminiden im Rahmen des BMBF-Forschungsprojektes „Ressourceneffiziente Formgebungsverfahren für Titan und hochwarmfeste Legierungen“ weiterentwickelt.[15][16][17] Im Rahmen dieses Forschungsprojekts wurden außerdem die Arbeiten zur FEM-Simulation des inkrementellen Umformverfahrens AVQ fortgeführt.[18][19][20]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Jochen Dietrich, Heinz Tschätsch: Praxis der Umformtechnik. Umform- und Zerteilverfahren, Werkzeuge, Maschinen. 11. Auflage. Springer, 2013, ISBN 978-3-658-01995-2, S. 155 ff.
  2. Eckart Doege, Bernd-Arno Behrens: Handbuch der Umformtechnik. Grundlagen, Technologien, Maschinen. Springer, 2006, ISBN 3-540-23441-1, S. 513.
  3. Jochen Dietrich, Helmut Müller: Ein Beitrag zur Erkundung und Bewertung von Umformverfahren am Beispiel des Konkav-Konvex-Querwalzens. Dissertation A. Technische Universität Dresden, 1978.
  4. Ludwig Eberlein, Helmut Müller: Ergebnisse und Ziele der Wissenschaftskooperation beim Walzen. In: Umformtechnik. Band 22, Nr. 3, 1988, S. 106–111.
  5. a b Patent DD214310A1: Vorrichtung zum Querwalzen rotationssymmetrischer Werkstücke. Angemeldet am 22. März 1983, veröffentlicht am 10. Oktober 1984, Erfinder: Helmut Müller.
  6. a b Wolfgang Voelkner, Thomas Ficker, Mario Houska: Entwicklung neuer Verfahren zum Walzen von stab- und ringförmigen Teilen. In: Tagungsband der Sächsischen Fachtagung Umformtechnik. Freiberg 1995.
  7. a b Mario Houska, Marius-Ioan Rotarescu: Experimental and Finite-Element Analysis of Axial Feed Bar Rolling (AVQ). In: Proceeding of the 6th ICTP. Nürnberg 1999.
  8. Marius-Ioan Rotarescu, Mario Houska: Reibverhältnisse beim Axial-Vorschub-Querwalzen. In: Umformtechnik. Band 33, Nr. 2. Meisenbach Verlag, Bamberg 1999, S. 42–46.
  9. C. G. Xu, G. H. Liu, G. S. Ren, Z. Shen, C. P. Ma, W. W. Ren: FINITE ELEMENT ANALYSIS OF AXIAL FEED BAR ROLLING. In: Acta Metall. Sin. (Engl. Lett.). Band 20, Nr. 6. Elsevier Ltd., 2007, ISSN 1006-7191, S. 463–468.
  10. Mario Houska, Dieter Berger, Uwe Thonig, Ingrid Zimmermann: Das Axialvorschubquerwalzen. Videoproduktion für Hannover Messe 1996. Technische Universität Dresden, 1995 (Online).
  11. Andreas Löffler: Charakterisierung des Umformverhaltens von Magnesium-Knetlegierungen für geschmiedete Fahrzeugräder. Dissertation. Technische Universität Hamburg-Harburg, 2008.
  12. Thomas Ficker, Andre Hardtmann: Entwicklung des Axial–Vorschub–Querwalzens an der TU Dresden – ein historischer Überblick von Anfang der 1970er Jahre bis heute. In: UTF-Science. Nr. II/2012. Meisenbach Verlag, 2010 (ringwalzen.de [PDF]).
  13. Patent DE102007041149B3: Verfahren und Vorrichtung zum Querwalzen abgestufter Hohlwellen oder zylindrischer Hohlteile aus einem Rohr. Angemeldet am 30. August 2007, veröffentlicht am 2. April 2009, Anmelder: Technische Universität Dresden, ThyssenKrupp Bilstein Suspension GmbH Ennepetal, Erfinder: Hans Dziemballa, Lutz Manke, Mario Houska, Thomas Ficker, André Hardtmann.
  14. Dietmar Kuhn: Lasco-Prototyp arbeitet am Fraunhofer-Institut IWU. maschinenmarkt.de, 7. Februar 2013, abgerufen am 19. Februar 2013.
  15. Bernd Lorenz: Abschlussposter „Ressourceneffiziente Formgebungsverfahren für Titan und hochwarmfeste Legierungen“. (PDF; 192 kB) Fraunhofer IWU Chemnitz, abgerufen am 19. Februar 2013.
  16. Bernd Lorenz: Schlussbericht „Ressourceneffiziente Formgebungsverfahren für Titan und hochwarmfeste Legierungen“. (PDF; 23 MB) Fraunhofer IWU Chemnitz, 30. August 2013, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 14. Juli 2014; abgerufen am 9. Juli 2014.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.cleaner-production.de
  17. V. Güther, St. Erxleben, P. Janschek, U. Hirnschal, Bernd Lorenz: Ressourceneffiziente Formgebungsverfahren für Titan und hochwarmfeste Legierungen. In: Tagungsband Symposium Rohstoffeffizienz und Rohstoffinnovationen 2011. Fraunhofer Verlag, Nürnberg 2011, ISBN 978-3-8396-0222-5 (r-zwei-innovation.de [PDF]).
  18. Markus Bergmann, André Wagner, Jürgen Steger und Bernd Lorenz: Beitrag zur numerischen Simulation inkrementeller Massivumformverfahren. In: Infostelle Industrieverband Massivumformung e. V. (Hrsg.): SchmiedeJOURNAL. Nr. 03. Hagen 2013, S. 28–31 (massivumformung.de [PDF; 601 kB; abgerufen am 9. April 2013]).
  19. Stefan Gärtz: Einfluss der Prozessparameter beim Axial-Vorschub-Querwalzen auf die Bauteilgeometrieausbildung. Masterarbeit. Technische Universität Chemnitz, Chemnitz 2016.
  20. Nadine Schubert, Jürgen Steger: Komplexe Geometrien in kleinen Serien umformen. maschinenmarkt.de, 23. April 2018, abgerufen am 23. April 2018.